Читать книгу Das Geschenk der Psychothriller-Parodie - Bastian Litsek - Страница 15
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Nach mehreren Kapiteln des Erzählens befinden wir uns zurück im Wirtshaus. Die Ghule haben noch immer das Gebäude umstellt, der Königsmörder sitzt gebrechlich am Tisch und ist bereit, nach einer Unterbrechung in weiteren 128 Rückblenden von seinem Leben zu erzählen. Oh Moment falsches Buch …
Zurück in der Gegenwart
Wir befinden uns in der Gefängnisbibliothek
Merlan hatte eine Erzählpause eingelegt, und so hatte Hermes angeboten, der Sache mit dessen Hintern und der Seife, die darin verborgen war, einen zweiten Versuch zu geben.
Der Trickbetrüger hatte eingewilligt.
Diesmal wollten sie es im Stehen versuchen, nachdem das Liegen weniger gut funktioniert hatte. Merlan zog die Latzhose aus, die er sich übergeworfen hatte, und war wieder komplett nackt. Er ging in die Hocke, als ziele er auf eine unsichtbare Kloschüssel. Winky umklammerte wieder seine Beine. Candy hielt ihm die Hände, damit er sich in dieser unangenehmen Situation irgendwie abstützen konnte.
Hermes rutschte mit einer Taschenlampe im Mund wie ein Automechaniker unter die Problemstelle und rieb sich die Hand mit einem Riegel Butter ein. Das Beste, was sie für diese Situation bekommen konnten.
„Ich wünschte wirklich, wir hätten ein bisschen Vaseline“, jammerte Merlan.
„Ja, das sind so die Dinge, die man sich herbeisehnt in solchen Situationen“, sagte Winky.
„Luft anhalten!“, ordnete Hermes an.
Merlan atmete langsam aus, wieder ein und hielt die Luft an. Die Hand des Hermes verschwand in Merlans Hintertürchen. Der verzog die Augen und versuchte, an etwas Schönes zu denken. Irgendwie fiel ihm dabei aber der Song „Take it Easy“, von den Eagles ein. Was kein bisschen half.
„HA!“, schrie Hermes.
Merlan spürte, was er meinte. Die Hand war dabei, ihn zu verlassen, und sie zog etwas mit sich. Kurz vor dem männlichen Muttermund musste Hermes noch mal kräftig ziehen. Was nie dafür gemacht war, dehnte sich auf eine Breite von acht Zentimetern, um sich kurz darauf wieder zusammenzuziehen wie eine verängstigte Schnecke.
„Auuuuuuu“, machte Merlan.
Candy ließ ihn los. Er kippte nach vorne über.
„Hab das Ding!“, sagte Hermes und hielt die braun gesprenkelte weiße Seife hoch. „Das war vielleicht anstrengend.“
„Es tut mir leid“, fiepte Merlan, „dass es für dich so unangenehm war.“
Der massive Candy half Merlan auf die Beine und in seine Latzhose. „Setz dich auf den Stuhl da“, sagte er und zog einen vom großen Tisch, wo die Insassen normalerweise Platz nahmen, um zu lesen. „Das ist wie nach einem großen Stuhlgang. Wenn du dich auf deinen Hintern setzt, fühlst du dich bald wieder besser.“
„Ich will aber nicht sitzen“, sagte Merlan und wurde von Candy hingesetzt. Das Gefühl, das er dabei verspürte, war gänzlich neu und konnte nur als unangenehm und nicht empfehlenswert beschrieben werden.
Unterdessen verschwand Hermes, um seine Hand zu reinigen. Die Seife hatte er auf den Tisch neben Merlan gelegt.
Candy und Winky hatten Platz genommen.
Merlan warf einen Blick auf die Seife und schleckte sich die Lippen ab. Noch konnte er sich beherrschen, doch schon bald würde ein weiteres Geheimnis über ihn ans Tageslicht kommen. Selbstbeherrschung war keine seiner Stärken.
Hermes kam zu ihnen, der sich gerade mit einem Spray alles von Ober- bis Unterarm nachträglich desinfizierte. „Sag mal, warum hast du Tabea nicht verheimlicht, dass du so vergesslich bist?“, fragte er.
Das war eine gute Frage. Antworten gab es verschiedene. Sollte er gleich hier und jetzt eingestehen, dass er ein hundsmiserabler Lügner war?
„Das war die bescheuertste Kennenlern-Geschichte aller Zeiten“, merkte Winky an.
„Na, es gibt bestimmt noch blödere“, sagte Candy. „Urteile nicht gleich so hart, mein Freund.“
„Aber genau so ist es gewesen“, bestätigte der Trickbetrüger. „Sicher zwischen dem Tag, an dem sie mich angeschossen hat, und der Therapie lagen einige Jährchen, aber Beziehungen sind immer gleich. Man lügt sich gegenseitig so lange an, bis man es nicht mehr aushält, scheißt drauf, ob man die Gefühle des anderen verletzt, und gesteht endlich, dass man chinesisches Essen und Fahrradtouren eigentlich scheiße findet und zackbum aus die Maus.“
Merlan verlor die Beherrschung. Er griff nach der Seife und biss ein großes Stück ab.
Candy wandte sich in Entsetzen ab.
Hermes sprang auf, verengte die Augen zu Schlitzen und kreischte: „Igitt … was zum Henker …“
Winky drehte sich zur Seite und übergab sich auf den Boden.
Merlan schloss die Augen, hielt die Seife mit beiden Händen, und kaute genüsslich. „Ihr müsst entschuldigen. Nebst vielen Dingen leide ich unter dem Pica-Syndrom.“
„Was soll denn das sein?“, fragte Winky und wischte sich den Mund ab. „Du hast doch nicht mehr alle Hummel-Figuren in einer Reihe!“
„Das Pica-Syndrom verursacht einen spontanen Heißhunger auf Dinge, die allgemein als nicht genießbar oder ekelerregend gelten. Ich habe es mir nicht ausgesucht“, sagte er und nahm einen weiteren Bissen von der Seife.
„Wäääää“, machte Hermes und drehte den Kopf weg.
Zumindest eines Gutes hatte das Pica-Syndrom. Merlan war sich sicher, dass jemand, der eine verschissene Seife fraß, so sicher von sexuellen Übergriffen durch seine Mitinsassen war, wie man nur irgendwie sein konnte.
Merlan hatte bis hierhin ein tragisches Leben geführt. Bis heute wusste er nicht richtig, was seine Vergesslichkeit auslöste. Mit Sicherheit hatte man es ihm schon mehrfach erklärt, aber er konnte es einfach nicht abrufen, wenn er die Information brauchte. Das Schlimmste aber war, wie der Stress in seinem Alltag seine Vergesslichkeit verschlimmerte.
Ja richtig, Stress. Schlimmer als Krebs, das Finanzamt und die GEZ zusammen. Die Quelle von mehr Krankheit und Übel in unserer Zeit als alles andere. Wo die Angst einen Menschen nicht fertigmacht, kommt der Stress und gibt einem den letzten Schubs in die Grube der Verzweiflung.
Jedes Mal, wenn Merlan auf dem Amt war, um ein Formular auszufüllen, vergaß er eine wichtige Information und wurde von dem Mann hinter dem Schalter angeschrien, er solle sich beeilen. Meistens verließ er peinlich berührt das zuständige Amt und kam nie wieder. Beim Dönerimbiss um die Ecke quengelte man hinter ihm in der Schlange, wenn er sich nicht entscheiden konnte, während Merlan versuchte, herauszufinden, warum er den Imbiss überhaupt aufgesucht hatte. Manchmal irrte er den ganzen Tag, von morgens früh bis abends spät durch den Feinkost Albrecht1 auf der Suche nach etwas, das er dringend brauchte, aber nicht beschreiben konnte. Immer wieder griff er nach fremden Einkaufswagen und wurde dafür verbal abgestraft, bis er sich nicht mal mehr traute, um Hilfe zu fragen. Er suchte und suchte so lange, bis man ihn am Abend mit den nicht verkauften Backwaren neben die Mülltonne stellte, wo er oftmals die Nacht verbrachte.2
Einmal hatte er sich getraut, einen Arzt aufzusuchen, um von seinem Leiden zu berichten. Der Stress würde seine
Verfassung verschlimmern und ihn an den Rand des Wahnsinns treiben. Dieser nickte, machte sich Notizen und verschrieb Merlan Tal ein Heilmittel, das all seine Probleme lösen würde. Leider verlor Merlan den Zettel auf dem Weg zur Apotheke, wo er aus Scham nur einen teuren Erkältungstee kaufte.
Danach war er nie wieder zum Arzt gegangen.
Ja liebe Kinder, Merlan mogelte sich durchs Leben wie ein cleverer Mensch in einem dummen Körper. Überall an Unterarm und Innenfläche der Finger hatte er sich Notizen mit dem Gröbsten gemacht. Seine Adresse und Name. Das Passwort zu seinem Android-Account. Die Pin seines Girokontos. Er ging sogar so weit, dass er sich ein kompliziertes System schuf, um sich an Eselsbrücken zu erinnern, die ihm im Alltag helfen sollten. Und dabei hielt er den Informationsaustausch mit seinen Mitmenschen immer so vage wie möglich. Er verwende oft keine Namen, sondern nannte jeden und alle „Du“ oder „Sie“. Wenn er einkaufen geschickt wurde, brachte er einfach das mit, was seiner Meinung nach ein gutes Abendessen ergeben würde.
Auch seine berufliche Laufbahn war von seiner Behinderung maßgeblich beeinträchtigt worden. Den Job als Qualitätstester in der Kondomfabrik war er losgeworden. Aufgrund seiner Kondition und mangelnder sexueller Erfahrung ging er lange davon aus, es handele sich um eine Wasserballon-Fabrik und er wäre dafür zuständig, dass die Ballons beim Aufprall platzten.
Im Hotelwesen war er gefeuert worden, da er nicht dazu taugte, Weckrufe durchzuführen, und auch als Taxifahrer entpuppte er sich als komplett unfähig, da er immer nach halber Strecke vergaß, wohin der Gast wollte, und ihn einfach irgendwo absetzte.
„Hey“, sagte Hermes und klatschte in die Hände. „Bist du irgendwohin abdriftet?“
„Bitte entschuldigt“, sagte Merlan und nahm den letzten Happen der Seife in den Mund.
„Wenn du so vergesslich bist“, fragte Winky, „warum hast du nie dein Gedächtnis trainiert?“
„Na ja, ich war von Anfang an nie ein geistiger Schwarzenegger“, erklärte Meran. „Mein Hirnmuskel ist, was er ist. Dazu wurde bei mir im Kindesalter ADHS diagnostiziert. Jahrzehntelang war ich auf Ritalin, bis ich endlich den Absprung geschafft habe. Ich habe Angststörungen. Mein Gehirn versucht zwar, sich zu erinnern, aber irgendetwas in meiner Seele verhindert das. Dazu kommen noch die mehrfachen Schädelbrüche in meiner Jugend, die zweifelsohne die Durchblutung meines Gehirns erschwert haben.“
„Na das ist mal eine Ausrede, die mehr Leute benutzen könnten“, sagte Hermes sarkastisch.
„Was wurde denn aus dem Hund?“, fragte Candy.
„Ach der ja, also um euch ein halbgares Kapitel mit drögem Ende kurzzufassen: Es gab eine bombastische Verfolgungsjagd. Michael Bay hätte es nicht besser hinbekommen. Explosionen, attraktive Frauen in knappen Kleidern. Den ein oder anderen flotten Spruch. Dann hatte ich den Skoda Fabia eingeholt. Die blonde Frau, der Mann mit den grauen Haaren stiegen samt Junge und Hund aus und verschwanden in einem Haus.“
„Und dann?“, fragte Hermes.
Merlan zuckte mit den Schultern.
Die drei Knasties schauten sich ratlos an.
„Du kannst dich nicht erinnern?“, fragte Winky.
Merlan nickte und zeigte mit dem Finger auf ihn.
Alle drei stöhnten auf und warfen die Hände in die Luft.
„Bist du sicher, dass du nicht vielleicht nur ein miserabler Arsch bist, mit dem man nicht mal mitfühlen kann?“, fragte Hermes. „Dein Bullshit häuft sich zu gerade unüberschaubaren Proportionen. Ganz ehrlich, wenn du die Seife nicht gefressen hättest, hätte ich jetzt Lust, sie dir wieder reinzuschieben. Verstehe diesen Akt der Nächstenliebe nicht falsch. Wir haben uns hier eigentlich getroffen, um dich zusammenzuschlagen und dich irgendwo blutend in der Ecke liegen zu lassen.“
„Weißt du, was du gemacht hast, nachdem du den Hund und den Jungen eingeholt hast? Irgendetwas?“, fischte Winky nach Details.
„Ich bin zur Arbeit. Ich war damals ja noch im Restaurant von Paulchen Panther angestellt, ihr wisst doch, das, welches ich versucht habe zu überfallen. Mit Tabea als Bedienung.“
„Du bist zur Arbeit?“, fragte Candy ungläubig.
„Sicher. Mein Pflichtbewusstsein war noch intakt. Außerdem wollte ich, nachdem ich meine Frau verloren hatte, nicht auch noch meine Arbeit verlieren.“
„Tabea?“, fragte Hermes genervt, „die du mit der Ausrede vom Nutella-Monster hast sitzen lassen? In der Therapie?“
„Pssst“, sagte Merlan und schaute sich nervös um. „Die Trademark-Anwälte von Ferrero sind überall. Bitte nenne es nicht so. Es heißt Nuss-Nugat-Monster oder aber Nathaniel Uterus Tella.“
„N-Punkt-U-Tella?“, fragte Hermes. „Nutella?“
„Schhhhttt“, machte Merlan und gestikulierte ihm wild, die Klappe zu halten.
„Das wird mir zu blöd, ich gehe“, sagte Winky, stand auf und verließ die Szene.3
„Jetzt will ich aber eine Sache von dir wissen, bevor wir hier über irgendetwas Weiteres reden“, forderte Hermes. „Hast du den Jungen ermordet? Stimmt es, was man über dich sagt? Bist du ein Kindermörder?“
„Tja äh also …“, setzte Merlan an. „Das erinnert mich an Folgendes …“
„Ausgerechnet jetzt erinnert er sich …“, sagte Candy.
Das Bild der Gefängnisbücherei verschwamm und anstelle dessen trat …
1 Aldi.
2 Mit dem einzigen Vorteil eines fast frischen Frühstücks am Morgen.
3 Wir verabschieden uns an dieser Stelle von einigen Lesern, die sich schon reichlich bedient fühlen. Danke, dass Sie bis hierhin dabei waren. Ich hoffe, Sie bald wieder bei einem meiner Bücher begrüßen zu dürfen. Zum Abschluss noch ein Trick: Zwingen Sie sich, das Buch zu Ende zu lesen, und platzieren Sie es auf dem Klo in griffbereiter Nähe. Sie werden sehen, Sie kommen wieder! Dieses Stück „Literatur“ ist einfach zu schmutzig, um es wegzulegen. Mu-ha-ha!