Читать книгу Das Geschenk der Psychothriller-Parodie - Bastian Litsek - Страница 17

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10.


Hustend und prustend erwachte der Trickbetrüger aus seinem Tiefschlaf.

„Uärgh nugh nugh uarghhhh“, machte Merlan, als er versuchte, den Sabber herunterzuschlucken, der sich in seinem Mund angesammelt hatte. Sein Kopf kippte nach vorne, als hätte jemand seinem Nacken einen Schubs gegeben.

Er saß am Tisch, an dem sich zuvor der Autor und sein Agent unterhalten hatten. Vor ihm saß ein Mann komplett gekleidet in Rot-Weiß. Er roch angenehm nach einem Herrenduft, der inzwischen sicherlich nicht mehr hergestellt wurde, weil er nur als vorübergehendes Merchandising-Produkt gedacht war. Der merkwürdige Mann trug eine Zipfelmütze mit einem weißen Bommel, war korpulent und besaß einen langen weißen Rauschebart.

Und irgendetwas an ihm versprühte diese Aura der Geborgenheit. Als hätte ihn dieser Mann bei allem, was Merlan jemals getan hatte, beobachtet.

Erinnerungen aus Merlans Jugend flutschten durch seinen Kopf. Einzelne Stichwörter flammten auf. Er begann, sich zu schämen. Irgendwie kam ihm diese Person bekannt vor, doch er konnte sich einfach nicht erinnern, woher.

„Kann ich Ihnen etwas bringen?“, erinnerte sich Merlans Hirn, dass er in der Gastronomie tätig war.

„Eine große heiße Schokolade mit einer riesigen Portion Sahne“, sagte der Mann, lachte und sein Rauschebart wackelte.

„Kommt sofort“, sagte Merlan, stand auf und ging. Auf dem Weg zur Küche rieb er sich seine Hände in die Schürze.

Es gibt schon komische Dinge, dachte er sich.

Als er die Theke passierte, klingelte die Türe des Restaurants und neue Kundschaft trat ein. Dabei fiel Merlan auf, dass es draußen dunkel geworden war, was nicht sonderlich schwierig war. Immerhin musste dazu nur die Sonne untergehen, was bekanntlich von allein geschah. Meistens zumindest.

Dreißig Mann in dreißig Trenchcoats mit dreißig glatt rasierten Gesichtern, dreißig schwarzen Kurzhaarfrisuren und dreißig schwarzen Fedoras betraten das Restaurant.

„Guten Abend. Wir möchten gerne dreißig identische Mahlzeiten. Alle serviert zur gleichen Uhrzeit, mit der gleichen Temperatur und zum selben Preis. Was können Sie empfehlen?“ Die Stimme hatte etwas Unheimliches. Als gehöre sie einem Roboter und keinem Menschen. Es schien, dass nur der vorderste der Männer sprach, dennoch bewegten alle von ihnen ihren Mund.

Merlan schaute nervös drein. „Wie wäre es mit …“, sagte er und dachte nach, „Rührei?“

„Rührei“, wiederholte der vorderste. Seine Augen schienen zu flackern. „Gekocht aus der Substanz, in der Hühnerembryonen heranwachsen, die sich jedoch aufgrund der fehlenden Befruchtung des Eis nie ausgebildet haben. Sie werde die Eier aufbrechen, ohne Schale in ein Behältnis füllen, erhitzen, verrühren und uns auf einem Teller servieren?“

„So der Plan“, sagte Merlan zuversichtlich.

„Gut. Wir werden uns setzen.“

Die dreißig Männer marschierten an ihm vorbei, arrangierten sich mechanisch einen Tisch, der lang genug war, deckten noch schnell ein und nahmen Platz.

„Na, wenn das mal alle so machen würden“, sagte Merlan und ging in die Küche. Dort schlug er um siebzehn Uhr zweiunddreißig insgesamt zweimal sechzig Eier in sechs verschieden große Pfannen, welche er auf neun Herdplatten erhitzte und anschließend mit drei Gabeln anrichtete (zwei waren ihm heruntergefallen). Er brachte die dreißig Mahlzeiten auf vier Mal mit jeweils zwei Wegstrecken an den Tisch der dreißig Männer. Dabei besaß jeder Gang dreiundsechzig Schritte, wobei der zweite Rückweg sieben Schritte mehr besaß, denn der siebzehnte von den dreißig bestellte noch Getränke für alle, woraufhin Merlan dreißig Gläser hervorholte, die er mit vierzehn Flaschen Cola befüllte und wiederum an den Tisch brachte. Anzahl der Schritte und Gänge sollten entfallen, um nicht allzu sehr ins Detail zu gehen.1

Wie die dreißig da saßen und aßen, kam Merlan der Gedanke, dass er den Kaffee des Herrn in rot-weiß vergessen hatte. Eifrig bereitete er ihn zu und brachte ihn dem an den Tisch.

„Ich wollte eine heiße Schokolade mit viel Sahne!“, protestierte der.

„Oh, bitte entschuldigen Sie“, sagte Merlan und wollte schon wieder mit dem fälschlich zubereiteten Getränk davonlaufen, als ihn der Mann am Handgelenk packte. „Setz dich zu mir. Vergiss den Kakao, ich habe etwas, das ich dir geben möchte.“

„Lassen Sie los“, sagte Merlan. „Sie tun mir weh.“

Der Griff des weiß-rot gekleideten Mannes ließ nach. Rasch folgte eine saftige Ohrfeige, die Merlans Gesicht zur Seite verschob. „Au-a?“, sagte der fragend.

„Sag mir niemals“, sagte der rot-weiße Mann und zeigte mit dem Finger auf Merlan, „niemals, was ich zu tun habe. Hast du verstanden?“

Merlan rieb sich seine schmerzende Backe.

„Und jetzt setz dich hin und nimm dein verdammtes Geschenk entgegen. Äh Präsent meine ich. Ich habe Präsent gesagt!2“, der rot-weiße Mann lehnte sich vor, als würde ihn jemand abhören, und brüllte in alle erdenklichen Richtungen „Präsent Präsent Präsent!“.

Merlan nahm wieder am Tisch Platz, zog den Kaffee zu sich, schüttete den Zucker hinein und begann, umzurühren.

Der rot-weiße Mann schaute verdutzt zu, wie der trickbetrügende Koch und potenzielle Kindermörder sich seinen Kaffee zum Mund führte und auf die heiße Flüssigkeit blies.

„Also?“, fragte Merlan.

„Dein Gedächtnis ist hundsmiserabel, weißt du überhaupt, dass das mein Kaffee ist?“

„Wirklich?“, fragte Merlan verwundert und wischte sich den Schaum von der Oberlippe. „Schmeckt hervorragend.“

„Du hast ihn mir gerade gebracht!“

„Ist das so?“

„Warum ersparst du mir nicht das Theater?“

„Wer sind Sie überhaupt?“

Der Mann in Weiß-Rot blickte drein, als habe Merlan gerade gefragt, welche Farbe Wasser habe.

„Wie bitte?“

„Ihren Namen, dürfte ich ihn erfahren? Guter Kaffee übrigens, danke.“

„Wird ja immer schlimmer …“, brummelte der weiß-rote Mann.

„Was?“

„Nichts. Ich bin der Weihnachtsmann.“

„Wirklich?“

„Ja du Allgemeinbildungsverweigerer.“

„Freut mich.“

Der Weihnachtsmann sah aus, als würden ihm gerade alle Sicherungen durchbrennen. Eine Vene trat auf seiner Stirn hervor und sein Kopf wurde knallrot.

„Ist alles in Ordnung? Möchten Sie einen Schluck von meinem Kaffee?“

„Pass auf, du Analvioline, ich bin hier, um dir …“, er schaute nach links und nach rechts, wie um zu überprüfen, dass sie alleine waren, „ich bin hier, um dir ein Geschenk zu übergeben“, flüsterte er.

„Ein Geschenk? Wowi!“, machte Merlan. „Ich liebe Geschenke. Oh was ist es, was ist es? Bitte, bitte, was ist es, ich muss es wissen!“, fing er an zu fleh-betteln.

Der Weihnachtsmann krustelte in einem Sack neben sich, förderte ein Paket zutage und reichte es Merlan. Der riss das Verpackungspapier ab und breitete den Inhalt fein säuberlich vor sich aus. In der großen Schachtel befanden sich Überschuhe, die man über die normalen Schuhe ziehen konnte, ein Haarnetz sowie ein Overall. Ferner Bleiche, ein Messer und einen Abholgutschein für 80 Liter Rohrreiniger, eine Klappschaufel und Kalk.

„Was soll ich denn damit?“

„Ups“, sagte der Weihnachtsmann und fegte den ganzen Krempel zurück in seinen Sack. „Das hatte sich dieses Jahr eine Frau Schwarzbrot gewünscht. Hat wohl vor, sich scheiden zu lassen, außergerichtlich nehme ich an.“

Er tauchte tief in seinen Sack hinab, bis nur noch die Beine herausschauten. Kurz darauf war der Weihnachtsmann vollständig in seinem Geschenkesack verschwunden. Merlan konnte Geräusche hören. Schwerter, die aneinander rasselten, ein T-Rex, der Feuer ausstieß, und ein Raumschiff, das seine Laserkanonen abfeuerte. Merlan hoffte, dass diese Dinge weitere Bedeutung in der Handlung hatten und nicht nur als einmalige Erscheinung für irgendwelche Effekthascherei herhalten mussten.

Mit einigen frischen Narben am Arm tauchte der Weihnachtsmann wieder aus seinem Sack auf.

„Hier ist es“, sagte er und schmiss ein rotes Geschenk mit einer silbernen Schleife auf den Tisch.

Und als Merlan es so sah, musste er plötzlich an den armen Hund denken, den er vorher verfolgt hatte. Ob es ihm wohl gut ging? Er wünschte sich in diesen Moment nichts sehnlicher, als dass die Box mit dem Geschenkpapier den Hund enthielt.

Und da geschah es.

Draußen schob sich eine Wolke am Mond vorbei. Der Weihnachtsmann stürzte zum Fenster.

Vollmond!

„Oh nein“, sagte er und sah in Merlans Richtung.

Der wand sich vor Schmerzen, schrie und ächzte. Er stürzte hinter dem Tisch hervor und riss sich die Haut in Fetzen vom Leibe. Eine spitze Schnauze mit messerscharfen Zähnen brach aus seinem Mund hervor. Merlans Zähne wurden bei der Verwandlung gewaltvoll aus dem Zahnfleisch gebogen und spritzten Blut aus dem Mund.

Die Verwandlung hatte begonnen!

Der Weihnachtsmann griff in seinen Sack voller Geschenke, zog ein geladenes Thompson Maschinengewehr hervor. Er entsicherte es.

RITSCH-RATSCH!

Er zog eine Zigarre aus seinem Mantel, feuerte eine Salve in die Decke und entzündete den Tabak mit der glühenden Mündung seines Maschinengewehrs.

Merlans menschlicher Körper fiel weiter in blutigen Fleischstücken zu Boden. Er hatte inzwischen das Doppelte an Größe und Muskeln gewonnen. Und mindestens das Siebenfache an Körperbehaarung.

Der Weihnachtsmann richtete das Maschinengewehr auf das Monster mit dem blutigen Fell, pustete den Rauch zu einem Mundwinkel hinaus und sagte: „Es wird Zeit, die Geschenke zu verteilen.“

Er drückte ab.

Wie Feuer brach der Kugelhagel aus dem Lauf seines Maschinengewehrs los. Und als sich dreißig identische Kampfroboter unter ihren Trenchcoats erhoben, brach im Restaurant „Frisch aus dem Fett“ in epischsten Ausmaßen die Hölle los.

Der Kampf dauerte bis tief in die Nacht hinein.

1 Schließlich will ich Sie nicht mit zu vielen Zahlen langweilen.

2 Passt schon.

Das Geschenk der Psychothriller-Parodie

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