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Wirkungsgeschichte
ОглавлениеNeues TestamentDie neutestamentliche Überlieferung zeigt durch ihre angelologischen und dämonologischen Vorstellungen zwar sehr viele Berührungen mit der Vorstellungswelt des Buches, enthält insgesamt aber nur wenige explizite Bezugspunkte.175 An erster Stelle ist die Beschreibung des „Neuen Jerusalem“ in Offb 21,10–21 zu nennen, in der mit der Motivik der Lichtherrlichkeit der künftigen Stadt Tob 13,16b–18 anklingt. Die Trias der guten Werke „Almosen, Beten und Fasten“ erscheint auch in Mt 6,1–18, und Mt 7,12 // Lk 6,31 enthält zudem auch die Goldene Regel (vgl. Tob 4,15; allerdings in positiver Fassung). Ein direkter Kontakt mit der griechischen Überlieferung ist aber nur schwerlich auszumachen, insofern die Goldene Regel in der zeitgenössischen Popularphilosophie weit verbreitet war. Auch die Didache zitiert – zumindest sinngemäß – die Goldene Regel.176
KirchenväterFür die Literatur der Kirchenväter ist festzuhalten, dass die griechische Welt nur die Kurzform der Erzählung belegt.177 Im Vordergrund steht die Rezeption der weisheitlich-moralischen Aussagen wie der Goldenen Regel als Ausdruck der Nächstenliebe oder die Sentenzen von den Heilswirkungen von Almosen, Fasten und Gebet.178 Aber auch die Wunder und das Wirken des Engels können thematisiert werden.179
Die westliche Welt bediente sich zunächst der Tradition der Vetus Latina. Hier gelangte auch eine allegorische Exegese, die den Fisch und das Wasser als Heilszeichen deutet, ins Blickfeld (vgl. Optatus von Mileve).180 Durch die Übersetzung des Hieronymus war es dann aber die Fassung der Vulgata, die für die abendländisch-christliche Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte bedeutsam wurde.181 Neben den einzelnen Auslegungen und Kommentaren182 ist an dieser Stelle die reiche Tradition in der bildenden Kunst zu nennen (siehe unten).
Mittelalterliches Judentum und HumanismusDie Tatsache, dass christliche Hebraisten wie Sebastian Münster und der Reformator Paul Fagius jüdische Handschriften wie Ms. Konstantinopel 1516 oder Ms. Konstantinopel 1519 rezipieren und edieren, zeigt, dass das Tobitbuch in der Zeit des Humanismus und der Reformation – abgesehen von seiner Kanonizität im Katholizismus – sowohl in der jüdischen als auch in der protestantischen Tradition bekannt war und auch eine gewisse Wertschätzung erfuhr. Sebastian Münster veröffentlicht seine Version des Tobitbuches in Verbindung mit seiner Grammatik183 erstmals im Jahre 1542.184 Sie sollte dann Generationen von Hebräischschülern als Übungstext, an dem sie ihre Kenntnisse in der Praxis anwenden konnten, dienen. Damit hat die Textgeschichte des Tobitbuches auch für den jüdisch-christlichen Religionskontakt geradezu paradigmatische Bedeutung.
Tobit in der bildenden KunstWie Hanne Weskott in ihrer 1972 erschienenen Dissertation darlegen konnte, hat das Buch in der bildenden Kunst eine breite Rezeption erfahren. Zahlreich sind nämlich die bildhaften Darstellungen, die sich dem Begraben der Toten, dem Streit der Eheleute, dem Fischfang, der Brautnacht mit der Vertreibung des Dämons (häufig als Drache dargestellt) und dem Gebet der Brautleute185 oder dem Abschied des Engels widmen.186 Während der Hund in der Erzählung selbst nur am Anfang und am Ende der Reise erscheint (6,2; 11,4), gibt es in der Malerei auch viele Darstellungen anderer Szenen (so z. B. beim Fischfang oder bei der Heilung des Vaters), in denen ein Hund mit abgebildet wurde.
Der Einfluss der Vulgata (und eben nicht der Septuaginta) wird auch in der Darstellung der Heilungsszene deutlich, die den Vater sitzend zeigt, während ihm sein Sohn Tobias die Salbe auf die Augen streicht (Tob 11,11–15 Vg.); nach der griechischen Tradition dagegen findet die Heilung statt, während Vater und Sohn außerhalb des Hauses aufeinander zugehen (11,10f.).187 Interessant ist die Szene auch für Medizinhistoriker, da diese als Staroperation verstanden wurde und dementsprechend dargestellt werden konnte.188
Die größte Bedeutung freilich haben die Reise des Tobias und das Motiv des Schutzengels bekommen. Wenn sich auch für alle Episoden der Geschichte Tobits und des Engels Bildbeispiele finden lassen, so ist es, betrachtet man das Material in seiner Gesamtheit, gerade das Wegmotiv, das eine prominente Rolle spielt.189 Tobias und der Engel erscheinen hier als gemeinsam Wandernde, die von einem Hund begleitet werden. Beide halten oft ihre Erkennungszeichen in der Hand: Rafaël das Salbgefäß und Tobias den Fisch. Nach einer Reihe religiöser Darstellungen in älteren Bibelmanuskripten und in Kirchengebäuden zeigt vor allem das Florenz des 15. Jahrhunderts großes Interesse an dem Motiv. Nun löst es sich aus dem religiösen Zusammenhang im engeren Sinne, wenn Privatleute, die ihre Söhne auf längere Auslandsreisen schicken, zum Auftraggeber solcher Bilder werden. Tobias schreitet dabei als vornehmer Patriziersohn neben dem Engel durch das Arnotal, während der Engel seine Flügel über ihm ausbreitet.190 Rafaël mit dem Salbgefäß wird zum Patron der Reisenden und Apotheker.191 Von Italien aus wandert das Motiv nach Norden, wobei – wie die Darstellungen von Adam Elzheimer (1578–1610) belegen – eine zunehmende Integration der Wandernden in die Landschaft stattfindet.192 Schließlich verschmilzt die Motivik mit einem ganz anderen Typus des Schutzengelmotivs, bei dem Engeln die Aufgabe zukommt, den Sterbenden beizustehen, dem Teufel zu wehren und die Seele sicher in den Himmel zu geleiten.193 Dies macht vor allem die Schutzengel-Gruppe von Franz Ignaz Günther aus dem Jahre 1763 deutlich, in der das Kind, ohne es zu bemerken, an einer Schlange vorbeischreitet.194 Gleichzeitig fand damit die Entwicklung eines religiösen Bildthemas einen Abschluss. Rafaël-Tobias-Wanderungen kommen fortan nur vereinzelt vor. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde das Motiv dann insofern popularisiert, als jene bekannten Farbdrucke entstehen, die zeigen, wie Kinder in großer Gefahr, z. B. auf einer brüchigen Brücke, beim Überqueren eines reißenden Baches oder in der Nähe von Bahngleisen beim Herandonnern eines Zuges, von den ausgebreiteten Flügeln eines Engels beschützt werden. So wurde zumindest ein Motiv der Tobiterzählung zum Teil des kollektiven Gedächtnisses des Abendlands.