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FÜNF

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Im Strandcafé herrschte reger Betrieb. Das Lokal lag neben dem Strombad und konnte sowohl von den Gästen des Bads als auch von anderen Besuchern genutzt werden. Die Betriebe innerhalb des Strombads waren ausschließlich den Badegästen vorbehalten. Die meisten Badehüttenbesitzer hatten Saisonkarten. Anton, Ernestine und Rosa lösten Wochenkarten.

Die grün lackierten Holztische in dem offenen Gastgarten waren alle besetzt.

»Da hinten ist noch Platz«, sagte Ernestine und ging rasch los.

Zwei Herren saßen im Schatten eines Sonnenschirms an einem Tisch mit sechs Stühlen.

»Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?«

»Selbstverständlich, gern.« Ein älterer, korpulenter Herr mit einem imposanten Schnauzbart machte eine einladende Geste. Ernestine winkte Anton und Rosa zu sich.

»Das ist sehr freundlich von Ihnen, vielen Dank«, sagte Anton.

Sie stellten sich einander vor und nahmen Platz. Der ältere Herr hieß Maximilian Hummel, der jüngere war sein Sohn Konrad. Zwischen den beiden bestand nicht die geringste Ähnlichkeit. Während der Sohn groß, athletisch und sonnengebräunt war, er erinnerte Ernestine an einen deutschen Stummfilmschauspieler, sah der Vater ungesund blass aus.

»Hier ist leider Selbstbedienung«, erklärte Maximilian Hummel.

»Dann werde ich mich anstellen.« Bereitwillig erhob sich Anton wieder. »Was soll ich euch bringen?«

»Ich hätte gern eine große Himbeerlimonade und ein Paar Würstel«, sagte Ernestine.

»Das will ich auch!« Rosa sprang auf, um ihren Großvater zu begleiten. Ernestine blieb mit Minna zurück.

»Sitz«, forderte sie. Anstandslos nahm die Hundedame Platz.

»Was für ein wohlerzogenes Tier«, lobte Maximilian Hummel.

»Sie ist nicht immer so«, gab Ernestine zu.

»Meine Frau hat ein Pudelweibchen, die würde niemals tun, was man von ihr verlangt. Sie ist ein verzogener Köter. Zum Glück ist sie im Moment nicht hier.«

Ernestine fragte sich, ob er die Pudeldame oder seine Frau meinte. Es war erstaunlich, wie schnell man mit Menschen in ein Gespräch fand, sobald man einen Hund dabeihatte.

»Sie sind Tagesgäste im Bad?«, erkundigte sich Ernestine.

»Nein, wir besitzen die ›Möwenvilla‹ am Ende der Sommersiedlung.«

Ernestine war aufgefallen, dass viele der Badehütten wohlklingende Namen wie »Auwaldvilla«, »Donauschlösschen« oder »Mückenpalais« hatten. Simon Goldblatt hatte seiner Hütte keinen Namen gegeben.

»Dann ist Ihre Frau jetzt in der ›Möwenvilla‹?«

»Nein, sie weilt noch in Wien.«

»Sie machen also einen Vater-Sohn-Urlaub.«

»Nun, Urlaub würde ich es nicht nennen«, sagte Maximilian Hummel.

»Vater hofft, ein Kunstwerk von Herrn Kopf zu erstehen«, erklärte Konrad.

Ernestine hob überrascht die Augenbrauen. Es war interessant, wie oft sie an diesem Tag schon den Namen des Künstlers gehört hatte. Er schien eine wichtige Rolle im Kritzendorfer Kulturleben zu spielen. Dabei kamen auch viele andere namhafte Kunstschaffende regelmäßig zur Sommerfrische, wie sie wusste. Die unkonventionelle Freiheit Kritzendorfs zog Maler, Schriftsteller und Musiker gleichermaßen an.

»Ich nehme an, dass das bloß eine Frage der Summe ist, die Sie bieten werden«, meinte Ernestine. Sie hatte gehört, dass Kopfs Skulpturen ein Vermögen wert waren.

»Wenn es nur das Geld wäre, hätte ich schon lange eine Skulptur gekauft. Ich bin der Besitzer der Hummel-Kaufhauskette«, sagte er stolz. Maximilian Hummel nahm einen Schluck von dem Bier, das vor ihm auf dem Tisch stand. »Herr Kopf hat in den letzten Jahren jeweils nur eine seiner Skulpturen verkauft.«

»Nur eine einzige Skulptur?«, fragte Ernestine verblüfft. »Und davon kann er leben?«

Konrad Hummel lachte. »Sehr gut sogar.«

»Weil er nur so wenige Exponate zum Kauf anbietet, steigen die Kunstwerke jedes Jahr im Wert«, erklärte Maximilian Hummel. »Seit dem Tod seiner Frau hat er mit der Bildhauerei völlig aufgehört. Angeblich war ihr Tod ein dermaßen entsetzlicher Verlust für ihn, dass ihm seither die Inspiration fehlt.«

»Aber er hat doch wieder geheiratet«, sagte Ernestine. »Ist ihm seine neue Ehefrau keine Muse?«

»Es heißt, er malt hin und wieder. Doch sein Ruhm basiert auf seinen außergewöhnlichen Skulpturen, und dieses Schaffen liegt brach. Was ein Verlust für die Kunstwelt ist. Es gibt niemanden, der besser mit Hammer und Meißel umgehen kann als er.«

»Haben Sie denn ein bestimmtes Kunstwerk im Auge, das Sie erstehen möchten?«

»Mein Vater will ›Die schlafende Frau‹ kaufen, was sein Vorhaben schier unmöglich macht.«

»Die schlafende Frau« galt als Kopfs größtes Kunstwerk und war gleichzusetzen mit Gustav Klimts »Der Kuss«.

Da kamen Anton und Rosa zurück. Rosa trug zwei Flaschen Himbeerlimonade, während Anton ein voll beladenes Tablett vor sich herbalancierte. Als Minna die beiden sah, sprang sie auf. Ernestine hielt sie gerade noch an der Leine zurück.

»Sitz«, forderte Rosa. Doch die Hundedame hüpfte an ihr hoch. Auch Antons Befehl ignorierte sie geflissentlich.

»Sitz«, sagte Ernestine. Sofort senkte Minna ihr Hinterteil ab.

»Beeindruckend«, raunte Maximilian Hummel bewundernd.

Anton stellte das Tablett ab und verteilte die Teller. Bevor er sich setzen konnte, schrie ein Herr an einem der hinteren Tische laut auf. Er schnellte von seinem Sessel empor und warf ihn dabei um. Die Aufmerksamkeit aller anderen Gäste war im Nu auf ihn gerichtet. Der Mann war um die fünfzig, trug nur eine Badehose und ein offenes Hemd und fuchtelte mit einer Zeitung über seinem leeren Teller. Die Frau neben ihm war ebenfalls aufgestanden und vertrieb mit ihrer bloßen Hand ein Insekt. Sie war trotz der Hitze grell geschminkt. Das Blond ihrer Haare war gefärbt. An ihrem rechten Handgelenk trug sie eine auffallende Kette aus riesigen Glas- oder Edelsteinen, die in der Sonne in allen nur erdenklichen Farben schillerten. Das Schmuckstück war mehrere Male um ihr Handgelenk gewickelt. Sie war schlank, verfügte aber über eine auffallend üppige Oberweite, die sie mit einem freizügig geschnittenen Badekostüm bereitwillig zur Schau stellte.

»Das ist Emil Kopf«, flüsterte Konrad Hummel.

Neugierig verdrehte Ernestine ihren Oberkörper noch weiter, um einen genauen Blick zu erhaschen. »Auf den Bildern, die es von ihm in den Zeitungen gibt, sieht er viel jünger aus.«

Konrad Hummel legte die Hand vor seinen Mund und senkte die Stimme noch weiter: »Herr Kopf ist sehr eitel. Er achtet genau darauf, welche Fotos von ihm an die Presse gehen.«

Sein Vater grinste. »Eine Aufnahme in seinem jetzigen Zustand würde er bestimmt nicht gutheißen.«

Tatsächlich machte Emil Kopf gerade eine sehr unvorteilhafte Figur. Das schüttere Haar, das er über seine Glatze gekämmt hatte, hing ihm nun seitlich über die Wange. Sein offen stehendes Hemd bot einen großzügigen Blick auf einen Kugelbauch. Mit hysterischen Bewegungen wedelte er immer noch vor seinem Körper.

»Sie ist weg, Liebling.« Die Stimme der blonden Frau war so laut, dass sie bis zu ihrem Tisch zu hören war. Doch Emil Kopf reagierte nicht.

»Die Biene ist weg!«, wiederholte die Frau nun deutlich unfreundlicher.

Jetzt erst schien Emil Kopf die Worte wahrzunehmen. Panisch sah er sich um. Als er die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste bemerkte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Die Angst wich einer Überheblichkeit. Er schloss einen Knopf seines Hemdes, legte das Haar wieder über seine Glatze und setzte sich mit einer Arroganz, die ihresgleichen suchte.

»Was für seltsame Ängste es doch gibt.« Maximilian Hummel schüttelte verständnislos den Kopf. »Menschen fürchten sich vor Spinnen, Schlangen und Fledermäusen. Ich habe einen Freund, der bekommt jedes Mal eine Gänsehaut, wenn er Heuschrecken sieht.«

»Der Arme«, meinte Anton. »Hoffentlich hat er keine Badehütte. Hier tummeln sich alle Arten von Insekten.«

»Gott bewahre, nein. Engelbert ist ein Stadtmensch durch und durch. Er hat mir den Tipp gegeben, Emil Kopf in Kritzendorf zu treffen. Angeblich ist der Künstler im Sommer umgänglicher und offener für Geschäfte. Grundsätzlich gilt er als sehr jähzorniger und aufbrausender Mann.«

»Dann würde ich ihn im Moment nicht ansprechen«, riet Anton und setzte sich endlich.

»Da haben Sie recht. Ich werde bis heute Abend warten. Die Musikveranstaltung ist der passendere Rahmen. Bei Ribiselwein und Schmalzbroten redet es sich leichter.«

»Gibt es denn auch unter der Woche Musikdarbietungen?«, erkundigte sich Ernestine.

»Für gewöhnlich finden sie am Wochenende statt. Aber heute haben sich drei A-cappella-Sänger angekündigt.«

»Anton, hast du das gehört?« Ernestines Augen strahlten vor Begeisterung. »Ich habe noch nie ein Konzert mit A-cappella-Sängern gehört.«

Rosa beugte sich zu Anton. »Was ist das, Opa?«

»Sänger, die die Geräusche von Instrumenten mit ihren Stimmen nachmachen.«

Mit einem Mal schmeckte sein Schnitzel nur noch halb so gut. Selbst am Abend schien die wohlverdiente Ruhe in weite Ferne zu rücken.

»Darf ich da mitkommen?« Um sich einzustimmen, schnalzte Rosa einen Takt mit der Zunge.

»Aber natürlich«, sagte Ernestine.

Minna stieß Anton mit der Schnauze gegen den Oberschenkel und schaute ihn dabei treuherzig an. Ein Hoffnungsschimmer tat sich am Horizont auf. Es war unmöglich, den Hund gleich am ersten Abend allein in der fremden Umgebung zu lassen. Dafür hatte Minna sich ein Stück von Antons Schnitzel verdient.

Mord im Auwald

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