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PROLOG

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Kritzendorf bei Wien, 1912

Das laute Quaken der Frösche übertönte das Surren der Insekten und erfüllte den Raum wie laute Musik. Eine sanfte Brise bewegte die dünnen Vorhänge vor den weit geöffneten Fenstern. Sie boten nur wenig Schutz vor den Gelsen, die in riesigen dunklen Schwärmen aus dem sumpfigen Auwald aufstiegen, sobald die Sonne unterging. Der Geruch nach Farnen, Sumpfpflanzen und Wasser waberte in den Raum und mischte sich mit dem von Tabak und Wein. Die Rauchschwaden der zwei glimmenden Zigaretten halfen dabei, die blutsaugenden Mücken auf Abstand zu halten. Ebenso die Dämpfe des Lösungsmittels Terpentin.

»Ich brauche mehr Licht.«

Verärgert stieß der Künstler hinter der Staffelei seinen Pinsel in ein Glas. Es war nicht die fehlende Helligkeit, die verantwortlich dafür war, dass das Gemälde auf der Leinwand nicht seinen Vorstellungen entsprach. Der Maler beherrschte sein Handwerk und konnte die weiblichen Rundungen seines Modells mit der Präzision eines Fotoapparats wiedergeben. Aber trotz der naturgetreuen Darstellung schien die Schönheit der Frau auf dem Gemälde austauschbar. Die gebräunte Haut war ebenmäßig, ihr seidiges Haar glänzte und ihr Körper war makellos. Dennoch war es dem Maler nicht gelungen, die erotische Anziehungskraft seines Modells festzuhalten. Die magische Weiblichkeit, die die stickige Luft in dem niedrigen Raum der hölzernen Badehütte zum Knistern brachte.

»Lass mich sehen!«

Mit der Geschmeidigkeit einer Katze stand die Frau vom Sofa auf. Sie verzichtete auf den seidenen Schal, mit dem sie ihre Nacktheit bedeckt hatte, und ließ ihn achtlos zu Boden gleiten. Wie Gott sie geschaffen hatte, lief sie leichtfüßig über den Holzfußboden und trat ganz nah neben den Künstler. Auch er war nicht vollständig bekleidet und trug bloß seinen Malerkittel.

»Hm.« Sie zog einen Schmollmund. »Vielleicht sollte ich mir eine Perlenkette umhängen. Die würde dem Bild mehr Glanz verleihen.«

»Das würde auch nicht helfen, das Gemälde ist schlecht.« Verärgert schob er die Leinwand mit einem heftigen Ruck zur Seite. Das Glas mit den Pinseln fiel klirrend zu Boden, blieb aber unversehrt, nur die Ölfarbe hinterließ rote Flecken auf den Holzdielen.

»Verdammt!« Er schrie so laut, dass sie zusammenzuckte. Dabei ballte er seine Hände zu Fäusten. Nicht der Fleck am Boden brachte sein Blut zum Kochen, es war die Erkenntnis, dass er ein mittelmäßiger Maler war und niemals in den Olymp der gefeierten Künstler aufsteigen würde. Dafür hasste er sich. Das Einzige, was ihn vielleicht von anderen Malern unterschied, waren seine gnadenlose Selbstkritik und sein Jähzorn.

»Lass uns eine Pause machen.« Die Frau kam näher, schmiegte sich an seinen Rücken und strich ihm von hinten verführerisch über die Brust. Sie war sich der Macht ihres Körpers bewusst und setzte ihn gekonnt ein. Unter ihren Fingern verwandelte sich männlicher Zorn in Lust. Abrupt drehte der Maler sich zu ihr. Sie lachte mit verrucht rauchiger Stimme, warf den Kopf in den Nacken und streckte ihm ihren nackten Körper einladend entgegen. Doch bevor er zugreifen konnte, sprang sie zurück, lief kokett zum Sofa, ergriff den Seidenschal und hüllte ihren Körper darin ein.

»Versprichst du mir, dass wir das Bild mit einer Kette weitermalen?« Der Seidenschal war dünn, er verhüllte ihre Kurven, ließ gleichzeitig der Phantasie genügend Spielraum, um das Verlangen zu steigern. »Ich will glamourös aussehen und nicht wie eine beliebige Nackte auf einem langweiligen, verstaubten Uraltschinken im Museum.«

Beinahe hätten ihre Worte seinen Ärger zurückgeholt. Vielleicht hatte sie recht. Eine doppelreihige Halskette zwischen ihrem Busen würde dem Bild mehr Reiz verleihen.

»Du weißt, dass ich dir in diesem Zustand alles verspreche«, sagte er heiser.

»Ich weiß aber auch, dass du nur einen Teil deiner Versprechen einlöst.« Sie zog den Schal enger um ihren Körper.

»Wir beenden das Bild mit einem Schmuckstück, versprochen.« Das Feuer der Leidenschaft brannte in ihm und drohte ihn völlig um den Verstand zu bringen.

»Zeig mir die Kette!«

»Später.« Das Sprechen fiel ihm schwer.

»Ich will sie jetzt sehen.« Sie war hartnäckig.

Hastig wandte er sich um, ging ins Schlafzimmer und griff wahllos nach einem der Schmuckstücke in der offenen Kassette, die auf der kleinen Kommode stand. Er zog eine lange Perlenkette heraus. Die weißen, glänzenden Kugeln wogen schwer in seiner Hand. Jede Perle hatte die perfekte Form und schimmerte im Halbdunkel wie ein kleines Juwel. So als handelte es sich bloß um eine billige Imitation, ließ er das wertvolle Stück achtlos auf seinem Zeigefinger baumeln.

»Was sagst du dazu? Sie gehört dir.«

Ihr gieriger Blick verriet ihm mehr, als jedes Wort es vermocht hätte.

Mit einem zufriedenen Lächeln ließ sie den Schal an ihrem Körper entlanggleiten. Geräuschlos segelte er auf die Holzplanken, wo er liegen blieb.

Erregt von dem Bild, das sich ihm bot, trat er zu ihr, hängte die Kette geschickt um ihren Hals. Die kühlen Perlen schmiegten sich zwischen ihre vollen Brüste. Sie lachte. Als er sich zu ihr beugen wollte, um endlich das zu bekommen, wonach er sich sehnte, hörte er die Schritte auf der hölzernen Terrasse. Jemand beobachtete sie. Erschrocken fuhr er herum, stürzte zur Tür und riss sie auf. Warme, sumpfige Auwaldluft schlug ihm entgegen.

»Wer ist da?«

Er sah nur noch den Schatten einer Person im Garten verschwinden. Sehnsuchtsvoll warf er einen letzten Blick auf die Frau, bevor er sich umdrehte und in die Nacht hinausrannte.

Mord im Auwald

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