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Anton erwachte als Erster. Er hatte auf dem ausgezogenen Sofa geschlafen und das kleine Zimmerchen Ernestine und Rosa überlassen, schließlich hatte er seiner Enkeltochter gegenüber eine moralische Verpflichtung. Was für ein Bild hätte es abgegeben, wenn er und Ernestine in einem Raum schliefen?

Erfreulicherweise war das Sofa durchaus bequem. Er reckte sich und trat auf die Terrasse. Warme Morgenluft wehte ihm entgegen. Auf der Donau fuhren zwei kleine Boote vorbei. Ein Graureiher segelte elegant übers Wasser. Es roch nach Auwald und Morgentau. Genüsslich streckte sich Anton. Höchste Zeit für eine Dusche. Er schnappte Handtuch und Seife, schlüpfte in seinen Morgenmantel und in die Badeschlapfen und kletterte über die Holztreppe in den Garten. Die Dusche befand sich hinter einer Holzwand seitlich vom Haus. Während ihm die aufgehende Sonne ins Gesicht schien, stellte er sich nackt unter den kalten Wasserstrahl. Am liebsten hätte er laut geschrien, doch sobald er sich an das prickelnde Gefühl auf der Haut gewöhnt hatte, genoss er die ungewohnte Freiheit, unter einem wolkenlosen Himmel zu duschen. Wo sonst konnte man im Garten seine Morgentoilette erledigen? Erfrischt und putzmunter trocknete er sich ab, zog den Morgenmantel an und stieg wieder über die Holztreppe zur Badehütte hoch. Er nahm den verführerischen Duft von frisch gebrühtem Kaffee und geröstetem Brot wahr.

»Guten Morgen!«

Ernestine sah auch ohne morgendliche Dusche erholt und munter aus. Sie trug ein leichtes Sommerkleid in Flieder. Ihre Locken hatte sie mit einem dazu passenden Tuch gebändigt.

»Eigentlich wollte ich knusprige Semmeln von Frau Grampels Laden, dem Gelsenstüberl im Strombad, holen. Aber dann fiel mir ein, dass wir das Brot in der Pfanne rösten können.«

»Eine hervorragende Idee«, sagte Anton. »Wo ist Rosa?«

»Sie und Lili gehen mit Minna spazieren. Sie bringen dir eine Morgenzeitung mit.«

Der Tag versprach von Minute zu Minute besser zu werden. So fühlte sich Urlaub an. Zufrieden setzte Anton sich auf einen der Stühle auf der Terrasse. Ernestine hatte bereits einen Sonnenschirm aufgestellt und den Tisch gedeckt.

»Das Konzert gestern Abend war großartig«, schwärmte sie. »Einziger Wermutstropfen waren die Gelsen. Sie fielen über alle in Schwärmen her und verschwanden auch nicht, als die Sonne untergegangen war.«

»So fette Beute bekommen die kleinen Blutsauger wohl nicht jeden Tag«, lachte Anton. Er schenkte Kaffee in die Tassen.

»Nach dem Frühstück werde ich eine Runde schwimmen«, sagte Ernestine. »Frau Mader hat mir ein paar Stellen gezeigt, wo man ungestört ins Wasser gehen kann, ohne dabei mit tausend anderen Schwimmern um ausreichend Platz kämpfen zu müssen.«

»Seit wann stören dich viele Menschen?«, fragte Anton überrascht. Ernestine war nicht nur eine sehr neugierige, sondern auch eine sehr gesellige Frau.

»Sie stören mich nicht«, erklärte sie. »Aber wenn ich schwimme, dann will ich das tun, ohne ständig ausweichen zu müssen. Angeblich sind die Becken im Strombad so überfüllt, dass man darin bestenfalls stehen kann. Ebenso der Bereich in der Donau. Im Schwimmkorb kann man keine zwei Tempi machen, ohne mit einem anderen Badegast zusammenzustoßen.«

»Zum Glück gibt es genug einsame Buchten, in denen man im Wasser planschen kann«, sagte Anton. »Eine davon liegt direkt vor unserer Hütte.«

»Frau Mader meint, dass hier die Strömung sehr stark ist. Die schönste Bucht liegt neben der ›Auwaldvilla‹. Sie selbst geht dort jedoch nicht schwimmen, weil es der Platz ist, wo vor zwölf Jahren ihre Freundin Emma Kopf tödlich verunglückt ist. Niemand aus der Familie badet mehr dort, sogar Emil Kopfs neue Frau Elfriede und deren Tochter Marlene erfrischen sich lieber im Strombad.«

»Dann können wir doch diese Bucht nutzen. Oder ist sie etwa gefährlich?«

»Aber nein, Anton. Sie soll idyllisch sein. Der Unfall war eine Verkettung von unglücklichen Zufällen. Man nimmt an, dass Frau Kopf zu tief ins Glas geschaut hat und betrunken mitten in der Nacht gemeinsam mit ihrem Hund zum Schwimmen gegangen ist und da …«

Ernestines Satz wurde von einer sehr hohen Stimme unterbrochen. »Tanzen möchte ich, jauchzen möchte ich. In die Welt es schrein …«

»Was ist das?« Entsetzt richtete Anton sich auf und schaute sich alarmiert um.

»… mein ist die schönste der Frauen, mein allein.«

Er stand auf und trat zum hölzernen Geländer der Terrasse. Im offenen Fenster der Nachbarhütte entdeckte er Violetta Mader, die ihre angekündigten morgendlichen Stimmübungen absolvierte.

Fröhlich winkte sie Anton zu. »Juhu, guten Morgen, Herr Böck.«

Anton fehlten die Worte, er konnte nicht antworten, und schon sang Violetta Mader weiter: »Süßer lieb mich, dafür leb ich. So nur ist mein Traum.«

»Ach du meine Güte«, flüsterte Anton in Ernestines Richtung. »Wie lange dauert so eine Übungseinheit?«

»Bis auf ein paar falsche Töne ist es doch ganz hübsch«, befand Ernestine. »Wer wird schon beim Frühstück im Freien mit Operettenklängen verwöhnt?«

Anstatt zu antworten, schob Anton demonstrativ seinen Stuhl ans andere Ende der Terrasse. Violetta Mader verfehlte mehr als nur ein paar Töne. Hier war ihre Stimme nicht ganz so laut zu hören. Anton hatte an der Ecke Sicht auf den vorderen Teil des Gartens. Ernestine schob vorsichtig den Tisch zu ihm. Es gelang ihr, ohne einen Tropfen Kaffee zu verschütten.

»Ich dachte, es gefällt dir«, sagte Anton.

Ernestine lächelte. »Ich kann dich doch nicht allein frühstücken lassen.«

»Gib zu, du findest es auch schrecklich.«

Das Lächeln wurde breiter. »Auf alle Fälle ist es gut, dass Frau Mader noch übt, bevor sie das Lied auf der Bühne zum Besten gibt.« Sie griff zu einem Glas Marillenmarmelade, schraubte es auf und bestrich ein Stück Brot. »Marmelade?« Fragend hielt sie das Glas Anton entgegen. Der nahm es bereitwillig entgegen.

»Oh, sieh nur. Die ersten Schwimmerinnen sind schon unterwegs.« Sie zeigte zum Weg, der zum Strombad führte. »Ist das nicht die neue Frau von Emil Kopf?«

Anton verdrehte halbherzig seinen Oberkörper. »Ich kann das nicht erkennen«, sagte er. »Die Gesichter der Frauen werden von Strohhüten verdeckt.«

»Ich bin mir ganz sicher, dass die Frau im weinroten Bademantel Emil Kopfs Frau ist. Sie trägt dasselbe bunte Armband wie gestern Nachmittag im Café.«

»Es erstaunt mich immer wieder, worauf du achtest«, sagte Anton. »Wie kannst du ein Schmuckstück unter einem Bademantel sehen?«

»Anton, du hast gar nicht richtig hingeschaut«, tadelte Ernestine. »Sonst hättest du bemerkt, dass der Bademantel kurze Ärmel hat. Gewiss stammt er auch von Madam Fischer, der Designerin aus Wien.«

Anton biss in sein knuspriges Marmeladenbrot. »Und wenn schon. Wen juckt es?«

Doch Ernestine hörte ihm nicht zu. Sie rückte noch näher zum Geländer, um genauer beobachten zu können. Anton drehte sich nun doch ein zweites Mal um. Zwei weitere Personen waren hinzugekommen: Maximilian und Konrad Hummel. Die vier schienen sich zu kennen. Sie unterhielten sich angeregt. Die jüngere der beiden Frauen lachte übertrieben viel und laut. Ihr Bademantel hatte denselben Schnitt wie der ihrer älteren Begleiterin, doch der Farbton war deutlich auffälliger. Das knallige Rosarot würde selbst am überfüllten Strand im Strombad nicht übersehen werden. Sie nahm ihren Sonnenhut ab und fächerte sich Luft zu. Ihr Haar war ebenso blond wie das der älteren Frau. Doch der Farbton war natürlich und nicht gefärbt. Die beiden hatten dieselbe Körpersprache, sie waren ganz sicher Mutter und Tochter. Die Aufmerksamkeit der Jüngeren war ausschließlich auf Konrad Hummel gerichtet. Mit jedem Lachen rückte sie näher an ihn heran.

»Ernestine, deine Neugier nimmt beängstigende Formen an. Ich mache mir langsam ernsthaft Sorgen«, tadelte Anton.

Beschämt wandte sich Ernestine ihm zu. Sie errötete, was Anton entzückend fand.

»Du hast recht«, sagte sie betroffen. »Es geht mich nichts an, was die anderen Badegäste so treiben. Aber ich frage mich gerade, ob dieses Gespräch ein Teil von Herrn Hummels Strategie ist, um die begehrte Skulptur von Emil Kopf zu kaufen.«

»Das wird von der Summe abhängen, die er bietet.«

»Wenn man dem Tratsch Glauben schenkt, dann liegt Elfriede Kopf sehr viel an Geld. Will Herr Hummel Erfolg haben, dann muss er die Ehefrau überzeugen, vielleicht auch die Stieftochter. Die beiden könnten Emil Kopf zum Verkauf überreden.«

»Möglich.« Antons Aufmerksamkeit war nicht bei Ernestine, sondern im Nachbargarten. Er horchte vorsichtig in die andere Richtung der Terrasse. »Ah, ich glaube, Frau Mader hat ihre Übungsstunde für heute beendet. Wir können wieder in den Schatten rücken.« Er war erleichtert.

Ernestine half ihm dabei, den Tisch wieder unter den Sonnenschirm zu stellen. Sie warf einen letzten Blick zum Schotterweg. Was sie sah, stimmte sie nachdenklich. Anton konnte es an der tiefen Falte zwischen ihren Augenbrauen erkennen. Auch er schielte in die Richtung. Die jüngere Frau hatte nun ihre Hand vertraulich auf Konrad Hummels Schulter gelegt, was diesem aber sichtlich unangenehm war. Er versuchte auszuweichen, was aber sein Vater unterband, indem er ihm den Weg verstellte.

»Ist es nicht erstaunlich, wie viel man von einer Konversation mitbekommt, auch wenn man kein einziges Wort hören kann«, bemerkte Ernestine.

»Genießen wir lieber die herrliche Aussicht«, schlug Anton vor. »Es ist doch völlig egal, was die vier plaudern.«

Ernestine widersprach nicht, doch Anton wusste, dass sie weiter über den möglichen Inhalt des Gesprächs nachdachte.

Mord im Auwald

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