Читать книгу Mord im Auwald - Beate Maly - Страница 16
ZEHN
ОглавлениеDer Vormittag verlief friedlich. Nach einem ausgiebigen Bad in der Donau fand Anton im Geräteschuppen eine Hängematte, die exakt zwischen die beiden Zwetschkenbäume passte. Tapfer verteidigte er die einladende Schaukel gegen Rosa und Lili und legte sich hinein, bevor die beiden sie für ein Spiel verwenden konnten. Anton schlief augenblicklich ein. Unterdessen nahm Ernestine mit dem Liegestuhl vorlieb, den sie in den Schatten stellte. Sie widmete sich dem Krimi, den sie mitgebracht hatte, und begann zu lesen. Doch sie wurde immer wieder unterbrochen.
Zuerst lief Gustav Preisel am Gartentor vorbei. Genau wie gestern trug er seinen Malerkittel und den Strohhut. Außerdem schleppte er eine zusammenklappbare Staffelei sowie eine Tasche voll Farben und Pinsel mit sich. Kaum war er weg, spazierten Franziska Magyar und Martha Kolarik vorbei. Ernestine erkannte die Tante von Klara Kopf an dem teuren Seidenkleid, das sie auch gestern angehabt hatte. Die beiden grüßten freundlich über den Gartenzaun hinweg. Wenig später kehrte Elfriede Kopf mit ihrer Tochter vom Schwimmen im Strombad zurück. Ihre riesigen Sonnenhüte hielten sie in den Händen, denn ihr Haar war vom Schwimmen nass.
Ernestine widmete sich zum dritten Mal der ersten Seite ihres Krimis. Aber da stampfte Gustav Preisel erneut vorbei. Er wirkte verärgert, suchte nach einem neuen Motiv und ging nun Richtung Auwald. Kaum war er verschwunden, tauchte Elfriede Kopfs Tochter, Marlene, wieder auf. Sie war nun Richtung Bad unterwegs. Doch diesmal nicht im Badekostüm, sondern im schicken Sommerkleid. Ihr blondes Haar war kunstvoll hochgesteckt und das Gesicht stark geschminkt, so, als wollte sie jemanden mit ihrem Aussehen beeindrucken.
»Ernestine, wir haben sooo großen Hunger!«
Rosa stand vor ihr mit ausgestreckten Armen, um anzuzeigen, wie hungrig sie war. Als Anton das Wort »Hunger« hörte, war er mit einem Schlag putzmunter.
»Ich mache uns saure Essigwurst«, schlug er vor und sprang geschickt aus der Hängematte.
Kaum, dass er sie verlassen hatte, saßen Rosa und Lili darin. Sie waren beide Piraten auf einer abenteuerlichen Reise rund um die Welt. Minna sollte ihr Schiffshund sein, doch sie weigerte sich, in der Hängematte Platz zu nehmen. Lili hatte Antons Zeitung zu einem Fernrohr gerollt und schaute mit einem Auge durch. »Angriff eines feindlichen Matrosen«, rief sie.
Ernestine folgte ihrem Blick. Es war Lilis Mutter, Violetta Mader, die mit einer Einkaufstasche aus dem Strombad kam. Sie hatte bei Frau Grampel eingekauft.
»Ende der Weltumsegelung«, sagte sie. »Lili, komm rüber. Es gibt Mittagessen.«
»Och, gerade jetzt, wo es so lustig ist«, jammerte das Mädchen. Aber sie gab sich geschlagen und kletterte aus der Hängematte. »Bis später, Rosa.«
»Nach dem Mittagessen können wir mit Minna spazieren gehen.«
»Au ja!«
Im Eiltempo schlang Rosa Antons saure Wurst hinunter, um gleich darauf mit Lili und Minna loszuziehen. Nach dem Abwasch nahm Anton erneut die Hängematte in Beschlag und Ernestine las. Doch sie fand wieder nicht in die Geschichte, diesmal war es ihre fehlende Konzentration, weshalb sie Anton bald wieder weckte.
»Sieh nur, was Rosa mitgenommen hat.« Ernestine hielt einen Karton »Mensch Ärgere dich nicht« in die Höhe. »Hast du Lust auf eine Partie?«
»Warum nicht«, sagte Anton. Er räumte den Tisch leer und rückte den Sonnenschirm so, dass ausreichend Schatten vorhanden war. Er schaute auf die Uhr. »Rosa und Lili sind reichlich lang unterwegs, findest du nicht?«
»Sie sind gleich nach dem Mittagessen losgegangen. Da war es kurz nach zwei. Wie spät ist es jetzt?«
»Vier«, sagte Anton besorgt.
»Das ist wirklich eine lange Zeit für einen Spaziergang«, meinte Ernestine. »Sollen wir das Spiel verschieben und uns auf die Suche nach ihnen machen?«
»Sie wissen, dass sie nicht zur Donau dürfen«, sagte Anton. »Ich werde mal bei Frau Mader nachfragen. Vielleicht sind sie bei ihr.«
Er durchquerte den Garten, Ernestine folgte ihm. Doch kaum hatten sie das Gartentor erreicht, kamen ihnen die beiden Mädchen aufgeregt entgegen. Sie liefen rasch den geschotterten Weg entlang. Minna sprang vor ihnen her.
»Opa, Ernestine, stellt euch vor, es ist etwas ganz, ganz Fürchterliches passiert!«
Rosa war völlig aufgelöst. Auch Lili sah verstört aus. Beide Mädchen hatten vor Aufregung rote Flecken im Gesicht.
»Die Rettung war hier, sie haben einen Mann auf einer Bahre weggebracht. Der war tot.«
»Vielleicht war er bloß krank«, beruhigte Anton.
»Nein, Opa. Der war ganz sicher tot. Sein Gesicht war mit einem Tuch zugedeckt.«
»Wenn ihr ihn nicht gesehen habt, warum wisst ihr dann, dass es ein Mann war?«, fragte Anton.
»Das haben die anderen Leute gesagt«, sagte Lili.
»Das heißt noch lange nicht, dass es stimmt«, warnte Anton. »Nur zu schnell verbreiten sich Gerüchte, die jeder Grundlage entbehren.«
»Opa, der Mann war tot. Das haben wir gesehen!«
»Gesehen?« Ernestine klang alarmiert. »Ist jemand ertrunken?«
»Nein, die Sanitäter haben ihn aus einem Garten getragen. Da ertrinkt doch niemand.«
»Nun, bei der Hitze kann es schon vorkommen, dass Menschen sterben«, sagte Anton nachdenklich. »Wenn die Leute zu wenig trinken und ohne Kopfbedeckung über Stunden in der Sonne verbringen, kann das gefährliche Folgen haben.«
»Wisst ihr, wer gestorben ist?«, fragte Ernestine.
»Der Künstler«, sagte Lili.
»Gustav Preisel?« Ernestine hatte ihn doch noch vor ein paar Stunden munter durch die Au spazieren sehen.
»Nein, der andere«, sagte Rosa. »Emil Kopf.«