Читать книгу Mord im Auwald - Beate Maly - Страница 13
SIEBEN
ОглавлениеSchon von Weitem konnte man das bunte Treiben im Strandcafé hören. Lautes Stimmengewirr, ausgelassenes Lachen und das Scheppern von Geschirr waren zu vernehmen. Rosa und Lili liefen aufgeregt darauf zu. Die beiden kannten sich erst seit Stunden, aber es hatte den Anschein, als wären sie seit Jahren eng befreundet. Ernestine und Violetta Mader folgten in einigem Abstand.
»Für Lili ist es ein Segen, dass Sie hier Urlaub machen«, sagte Violetta Mader.
Sie hatte Schminke aufgetragen und ihre Falten damit geschickt kaschiert. Die untergehende Sonne tat ihr Übriges. Sie sah nicht wie über vierzig, sondern wie eine gerade erst dreißig gewordene Frau aus.
»Mein Mann ist im letzten Kriegsjahr gefallen. Als alleinerziehende Mutter hat man es nicht leicht. Ständig steht das Sozialamt vor der Tür und kontrolliert, ob alles in Ordnung ist. Die Fürsorgerin fragt, ob Lili genug zu essen bekommt und regelmäßig zur Schule geht.«
Ernestine hatte davon gehört, dass man alleinstehenden Müttern die Obsorge ihrer Kinder nicht zutraute und ihnen daher Fürsorgerinnen zur Seite stellte. Was als Unterstützung gedacht war, wurde oft als unangenehme Kontrolle erlebt. Antons Tochter, Heide, war von dieser Überwachung verschont geblieben, weil sie mit ihrem Vater zusammenlebte.
»Als ob die Geldsorgen nicht schlimm genug wären«, schnaufte Violetta Mader.
»Sind Sie in finanziellen Schwierigkeiten?«, fragte Ernestine.
»Einfach war es noch nie«, gab sie zu. »Vor dem Krieg hatte ich mehr Engagements, bald komme ich nur noch für die Rollen der bösen Schwiegermütter in Frage.« Sie lachte bitter. »Zum Glück habe ich während der Sommermonate jemanden gefunden, der in unserer Wohnung in Wien wohnt. So kommen Lili und ich einigermaßen über die Runden.«
»Haben Sie die Badehütte hier ebenfalls gemietet?«
»Nein, ich habe sie schon vor dem Krieg gekauft. Meine Freundin hat mir damals hilfreich unter die Arme gegriffen.«
»Emma Kopf?«, fragte Ernestine.
»Ja. Ihr geldgieriger Mann ist letztes Jahr dahintergekommen und hat jetzt einen Anwalt damit beauftragt, das Geld von mir zurückzufordern. Das ist doch lächerlich. Emma hätte das nie gewollt. Es war ihr Geld und nicht seines, das sie mir geschenkt hat.«
Sie hatten das Strandcafé erreicht. Zusätzliche Tische und einfache, lange Holzbänke waren aufgestellt worden. Einige Gäste saßen auf Picknickdecken im Gras. In einem Holzpavillon in der Mitte des Platzes hatten fünf Männer in dunklen Anzügen Aufstellung genommen. Sie waren die Einzigen hier in Abendkleidung. Die meisten Zuschauer trugen legere Hosen, Hemden und Kleider. Einige waren immer noch im Badekostüm. Beim Büfett hatte sich eine lange Schlange gebildet. Die Leute standen für Limonade, Ribiselwein, Bier und Schmalzbrote an. Lili und Rosa hatten einen winzigen Tisch entdeckt, der noch frei war. Geschickt drängten sie sich durch die Menge, flitzten an sitzenden Menschen vorbei und nahmen ihn in Beschlag.
»Dem Himmel sei Dank, dass wir noch freie Plätze bekommen haben«, sagte Ernestine. Alle anderen Stühle und Bänke rundherum waren besetzt.
»Die Mädchen waren schnell«, lachte der Herr ihnen vom Nebentisch zu. »Die Leute, die eben noch hier gesessen haben, sind gerade erst gegangen. Es ist ihnen wohl die Lust auf das Konzert vergangen.«
»Warum denn?«, wollte Ernestine wissen.
Der Mann zuckte mit den Schultern. Er hatte nur eine Badehose an, die unter seinem dicken Bauch aber kaum sichtbar war. Auf den ersten Blick sah er nackt aus. Ernestine bemühte sich, nur in sein Gesicht zu schauen.
»Die haben sich wegen irgendeinem Schmuckstück in die Haare bekommen. Reichlich übertrieben, wenn Sie mich fragen. Als ich mir mein Bier geholt habe, sind sie alle aufgesprungen und davongelaufen.«
»Vielleicht ging es um wertvollen Schmuck«, meinte Ernestine.
»Darauf können Sie Gift nehmen«, lachte der dicke Mann. »Die Herrschaften haben alle sehr betucht ausgesehen.«
»Herbert, das war doch der berühmte Künstler. Wie heißt er noch schnell …?« Die Frau neben ihm war mindestens genauso dick und trug ein gewagtes Badekostüm.
»Emil Kopf?«, ergänzte Ernestine.
»Ja, genau. Das war er.«
Ernestine wollte zu gern wissen, mit wem er sich gestritten hatte. War es etwa Frau Magyar, die sich am Nachmittag darüber beschwert hatte, dass er seiner Tochter ein Schmuckstück vorenthielt? Doch gerade als sie nachfragen wollte, trat einer der fünf Künstler nach vorn. Er erhob seine Stimme und bat um Ruhe. Die Unterhaltungen verstummten und die Aufmerksamkeit aller Zuhörer war auf den Pavillon gerichtet. Mit unglaublicher Stimmgewalt begannen die Männer zu singen. Während zwei im Duett lustige Texte zum Besten gaben, summten, stampften und klatschen die anderen mit. Es klang wie ein gewaltiges Orchester. Ernestine war sofort in ihren Bann gezogen, und sie vergaß, dass sie eigentlich noch eine Frage hatte stellen wollen.