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Kapitel 1 Taking Care Of Business

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Emily

Es war schon das dritte Mal, dass ich innerhalb weniger Tage in der Arbeitsagentur auftauchte. Als Leah, die Sachbearbeiterin, mich sah, machte sie ein langes Gesicht und mein Stolz bekam einen Dämpfer. Bevor sie etwas sagen konnte, lächelte ich strahlend.

„Ich weiß, ich weiß. Sie haben gesagt, Sie rufen mich an, aber …“ Ich hasste es, mir die Wahrheit einzugestehen. „Ich bin verzweifelt.“ So verzweifelt. Unheimlich verzweifelt. Sie sollte mir einfach nur einen verdammten Job geben. Irgendeinen. Ich hätte Toiletten geputzt. Fische ausgenommen. Ställe ausgemistet. Ich hätte wirklich alles getan. Leah sah mich einen langen Moment an und ich konnte erkennen, dass sie genervt war.

„Sie kommen fast jeden Tag und ich kann Ihnen immer nur dasselbe sagen.“ Sie blinzelte langsam. „Sparen Sie sich das Benzin, Kleines. Ich habe im Moment nichts für Sie.“

Verdammt.

Ich machte mir nicht die Mühe darauf hinzuweisen, dass ich gar kein Auto hatte. Denn das könnte meine Chancen auf einen Job schmälern. Die Wahrheit war, dass ich mir kein Auto leisten konnte, oder eine Versicherung, also nahm ich den Bus, denn das war besser, als stundenlang in die Stadt zu laufen. Mein Seufzen war nur innerlich. Ich wollte mit den Fäusten auf den Tisch schlagen, mit den Füßen aufstampfen und meinen Frust herausschreien. Ich verstand es nicht. Man hatte mir immer gesagt, dass sich eine Tür öffnete, wenn sich eine verschloss. Aber aus irgendeinem unbekannten Grund machte das Leben es mir schwer. Für mich gab es keine offenen Türen. Sogar die Fenster waren zu und die Jalousien heruntergelassen.

Mein Lächeln versiegte und es wurde eng in meiner Brust. Sie verstand es nicht. Ich wollte nicht aufdringlich sein, aber …

„Ich mache wirklich alles“, flehte ich. „Alles.“

„Verstehen Sie doch.“ Für einen Augenblick sah sie wirklich aus, als hätte sie Mitleid, und es fühlte sich an wie ein Stein in der Magengrube. „Es tut mir sehr leid, meine Liebe, aber im Moment haben Sie leider kein Glück.“

Ich seufzte den weltgrößten innerlichen Seufzer. „Okay.“ Ich atmete aus und lächelte knapp, entschlossen, positiv zu bleiben, auch wenn es regelrecht schmerzte. „Trotzdem vielen Dank.“ Ich zog mir den Rucksack enger über die Schultern. „Bis morgen dann.“ Als sie daraufhin mit den Augen rollte, lachte ich leise und ging rückwärts. Ich hob die Hände. „War nur ein Scherz.“

War es nicht. Ich würde morgen wieder hier stehen.

Draußen auf dem Gehweg atmete ich tief ein und betete im Stillen um einen Silberstreif am Horizont, von dem ich wusste, dass er nicht auftauchen würde. Nein. Das Glück war noch nie auf meiner Seite gewesen. Schade. Ich hätte es wirklich gerade gebrauchen können.

Seit zehn Tagen war Nanna im Glendale Memorial und Gott sei Dank wollten sie sie dort behalten, bis ich einen Platz in einem Pflegeheim für sie gefunden hatte. Es gab einige, die ich mir angesehen hatte, die lediglich in Ordnung waren, aber ich wollte sie in einem ganz bestimmten Haus haben. Dem St. Judes. Dort war es wunderschön. Es war geräumig, hell und behaglich. Es roch nach zarten weißen Blüten und die Mitarbeiter waren lieb und führten ihren Beruf mit Hingabe aus. Es war genau der Ort, an dem ich Nanna haben wollte. Ein Zuhause, fern von Daheim. Allerdings war ich nicht in der Lage, ihr das zu ermöglichen, ohne einen vernünftigen Job zu haben. Daher meine täglichen Besuche in der Arbeitsagentur. Mir war einfach klar, dass ich Leah so lange auf die Nerven gehen würde, bis sie mir irgendetwas gab. Das sagte schon viel aus, denn normalerweise war ich kein Mensch, der andere zu etwas drängte.

Ich hielt mich an meinen Rucksackgurten fest und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Auf halber Strecke rumorte es in meinem Magen und ich holte mir einen Müsliriegel aus dem Rucksack. Ich biss ab und lief dabei etwas langsamer, da ich den Busplan in der anderen Hand studierte. So wie es aussah, hatte ich noch etwas Zeit und es war nicht mehr weit. Außerdem kamen die Busse in dieser Stadt nie zu früh. Als ich an der Bushaltestelle ankam, stellte ich allerdings mit Erstaunen fest, dass gerade ein Bus wegfuhr. War das meiner? Nein, das konnte nicht sein. Ich sah auf die Busnummer. Mit dem Müsliriegel vergessen in meiner Hand, fiel mir die Kinnlade herunter. Innerlich musste ich lachen. Klar, natürlich. Großartig. Warum auch nicht? Einfach großartig.

Ich beobachtete, wie mein Bus in der Ferne verschwand und schloss frustriert die Augen. So wie es aussah, war das Pech wirklich auf meiner Seite. Schnaubend setzte ich mich auf die Bank der Bushaltestelle, fasste in mein langes dunkles Haar und band es zu einem hoch sitzenden Pferdeschwanz zusammen. Dann schob ich mir die Brille wieder hoch und blinzelte im hellen Sonnenlicht. Die Morgensonne fühlte sich wie Balsam auf meiner Seele an und ich schloss die Augen. Ich holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus.

Was könnte jetzt noch alles schiefgehen?

Ich hatte eine Stunde Zeit, bis der nächste Bus kam, und ließ meine kurzen Beine von der Bank baumeln. Stirnrunzelnd stellte ich fest, dass die Sache mit der Jobsuche schwieriger war, als gedacht. Nicht falsch verstehen, ich hatte ja keine Wunder erwartet, aber irgendetwas schon. Und bis jetzt hatte ich einfach nur nichts.

Mein Blick fiel auf das Gebäude auf der anderen Straßenseite und ich konnte irgendwie nicht glauben, was dort geschrieben stand.

MAX Talent- und Personalbeschaffung.

Na, Hallo aber auch.

Einen irren Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, dort hinzugehen. Aber war es schlimm, sich bei einer Personalbeschaffungsagentur einzutragen, während man auf eine Stelle von einer anderen Arbeitsagentur wartete? Vielleicht machte man so etwas nicht, aber ich hatte keine bessere Idee. Ich meine, ernsthaft, was könnte es schaden? Und sollte Leah mich anrufen, würde ich sofort bei ihr aufschlagen. Sie müsste es ja nie erfahren.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, stand ich auf, überquerte im Laufschritt die Straße, sodass mein Jeansrucksack mir bei jedem Schritt auf den Rücken klatschte. Mir wurde etwas warm und ich spürte das Blut in meinen Wangen, also hielt ich einen Moment inne. Dann leckte ich mir über die Lippen und legte die Hand an die Glastür, um sie aufzuschieben. Ich trat ein und die hübsche Frau hinter dem Schreibtisch sah mich von oben bis unten an.

„Sind Sie wegen des Bewerbungsgesprächs hier?“

Ich horchte auf. Ein helles, blendendes Licht leuchtete um die Frau, als wäre sie ein himmlisches Wesen und Engelschöre sangen im Hintergrund. Sollte ich es wagen? Es war ein Wunder. Eine höhere Macht gab mir ein Zeichen, eine Chance. Ich spürte es bis ins Mark. Außerdem war es unehrlich. Aber ich wäre eine Idiotin, wenn ich die Gelegenheit nicht beim Schopf packen würde, obwohl ich nicht einmal wusste, um was für einen Job es sich überhaupt handelte. Aber wen interessierte das schon? Es war ein Job. Und Nanna sagte immer, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen sollte.

Mit offenem Mund nickte ich und sie murmelte etwas, das gelangweilt klang wie: „Name?“

Ich schluckte hart und sagte quietschend: „Emily Aldrich.“

Die Frau betrachtete sich eine Liste und sah mich unfreundlich an. „Haben Sie Bewerbungsunterlagen? Welche Agentur hat Sie geschickt.“

Oh nein. Erwischt. Lügnerin.

Ja. Ich war ein fürchterlicher Mensch. Aber ich dachte darüber nach und fragte mich, was es mir bisher gebracht hatte, ein guter Mensch zu sein. Die Antwort kam schnell. Nichts. Einen riesigen, qualmenden Haufen Nichts. Das hatte es mir gebracht. Fürchterlicher Mensch oder nicht, ich entschied mich, es zu wagen. Mein Herz begann zu pochen, aber irgendwie schaffte ich es, zu reden. „Leah von der Arbeitsagentur The Edge unten an der Straße schickt mich.“ Ich holte meine verknitterten Bewerbungsunterlagen aus dem Rucksack. „Bitteschön.“

Obwohl die Frau den Zustand meiner Papiere mit einem Stirnrunzeln betrachtete, glättete sie sie und warf mir einen weiteren seltsamen Blick zu. „Gehen Sie die Treppe hoch. Sie sind Nummer zwölf.“

Oh mein Gott, sie hatte es mir abgekauft. Ich frohlockte innerlich und lief die Treppe hoch, so schnell ich konnte. Das Pech machte eine Pause. Dafür würde ich sorgen. Das musste ich einfach.

Die Tür öffnete sich und als eine hübsche junge Frau heraustrat, lächelte ich sie an. Sie zögerte, betrachtete mich von oben bis unten und setzte ebenfalls ein Lächeln auf, das ihre Augen aber nicht erreichte. Plötzlich befangen, blickte ich nach unten auf die gefalteten Hände auf dem Schoß. Das war immer so bei schönen Menschen. In meiner Brust spürte ich einen Stich. Mein Kopf redete mir ein, dass ich hier nicht hingehörte und ich brauchte einen Augenblick, um mich zu sammeln.

Aber wen scherte es schon, wenn ich nicht hier hineinpasste? Ich war hier, um ein Bewerbungsgespräch zu führen und nicht um Freundschaften zu knüpfen. Das war nicht das Ziel. Ich meine, Freunde wären schon nett, waren aber nicht unbedingt notwendig. Ich hatte bis heute ohne Freunde gelebt.

„Emily Aldrich“, rief eine männliche Stimme.

Ich sah hoch, schnappte mir den Rucksack, warf ihn über meine Schulter und stand auf. Ich ging zu der offenen Tür und der Mann in mittleren Jahren dort schien etwas zu erbleichen, als er mich sah.

Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Hallo. Ich bin Emily.“

„Äh …“ Er sah mich noch mal von oben bis unten an. „Micah. Schön, Sie kennenzulernen.“

Wir schüttelten uns kurz die Hände und als ich weiter in den Raum hineinging, hielt ich inne. Ein anderer Mann saß auf einem Drehstuhl, aber das war nicht der Grund, warum ich stockte. Der Mann war groß, muskulös und hatte Tattoos.

Himmel.

Ich schluckte hart. Er war unheimlich attraktiv. Ich versuchte, noch einmal zu schlucken, aber mein Mund war trocken und meine Zunge klebte fest.

Du lieber Gott, warum? Er war einer von diesen schönen Menschen.

Als er mich sah, stand er auf und wartete auf etwas. Mit Micah hinter mir, der sich räusperte, schoss ich nach vorn.

„Oh, tut mir sehr leid.“ Ich streckte dem gut aussehenden Mann die Hand entgegen und versuchte mich an meinem strahlendsten Lächeln. „Hallo, ich bin Emily.“ Die riesige Hand des Mannes umschloss meine und ich konnte nur starren. Und weil mein Gehirn-zu-Mund-Filter noch nie richtig funktioniert hat, blubberte ich heraus: „Wow, große Hände.“

Mir wurde klar, was ich gesagt hatte, und ich verzog das Gesicht. Ich sackte zusammen und stöhnte leise. Ich klang wie eine Idiotin. Meine Zeit auf dem College hatte sich ja echt gelohnt.

Der Mann lachte leise und ich wurde knallrot. „Entschuldigung“, sagte ich kaum hörbar. Ich wrang mir die Hände. „Ich bin etwas aufgeregt.“

„Kein Problem.“ Die Stimme des tollen Kerls war dunkel und rau, sodass ich sofort überall eine Gänsehaut bekam. Gott sei Dank trug ich eine Jacke. „Bitte, setzen Sie sich.“

Ja. Sitzen war gut. Es gab nicht allzu viele peinliche Dinge, die ich im Sitzen tun konnte. Im Stehen waren die Möglichkeiten unendlich.

Wir nahmen alle Platz und es ging sofort zur Sache. Micah sah den tätowierten Mann an und fragte: „Wo willst du anfangen?“

He-Man sah auf seinen vollgeschriebenen Block und legte los. „Okay, nun, ich habe Ihre Bewerbungsunterlagen gelesen, Miss Aldrich, und …“

„Oh, bitte sagen Sie doch Emily“, unterbrach ich ihn und der Mann lächelte höflich.

„Emily. Und …“

Und jetzt kommt es. Ich hatte diese komische Angewohnheit, wenn ich nervös war. Ich unterbrach die Leute. Heute war offensichtlich, und tragischerweise, keine Ausnahme.

„Tut mir leid“, sagte ich. „Ich glaube, ich habe Ihren Namen nicht mitbekommen.“

Der Mann grinste noch breiter. Doch dann, sehr langsam, versiegte sein Lächeln. Er sah stirnrunzelnd zu Micah und ich fragte mich, was ich gesagt hatte, dass er so reagierte. Wow. Ich bekam Magenschmerzen. Und was war das? Ganz genau. Ich schwitzte. Großartig. Micah verengte den Blick, als er mich wieder ansah und mir wurde klar, dass ich das Ganze hier komplett verhunzte. Jeden Augenblick würde mein eigenes, eifriges Lächeln versiegen. Meine Hände lagen auf meinem Schoß und ich begann am Daumennagel zu zupfen und das Knie wippte auf und ab.

Was hatte ich nur getan? Die Stille brachte mich um.

Alle Augen lagen auf mir und das gefiel mir gar nicht. Ich war lieber unsichtbar. Mein ganzes Leben über war mir das leicht gefallen. Doch heute hatte ich nicht viel Glück dabei. Die Männer suchten etwas in meinem Gesicht. Der tätowierte Mann räusperte sich und sah mich weiterhin seltsam an.

„Ich muss mich entschuldigen, mein Name ist Noah.“

Das war ein hübscher Name und aus welchen Gründen auch immer lächelte ich ihn aufrichtig an und sagte ihm genau das. „Das ist ein hübscher Name.“

„Danke, Emily.“ Noah lächelte ebenfalls, das Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen und bevor ich mich versah, lachte er. „Das ist nett von dir.“ Sein Gelächter hielt eine Weile an und ich wollte einfach nur, dass sich vor mir ein dunkles Loch auftat, in das ich mich verkriechen könnte. Noch nie war ein Bewerbungsgespräch so unangenehm gewesen, und das Schlimme daran war, dass es komplett meine eigene Schuld war. Ich verschwendete hier diese gesegnete Möglichkeit und obwohl ich äußerlich halbwegs entspannt aussah, starb ich innerlich tausend Tode. Ich musste das besser machen. Okay.

Noah lächelte auf seinen Block hinab. „Nun, Emily, ich sehe, du hast einen doppelten Abschluss.“

„Das stimmt“, sagte ich und rutschte auf dem Stuhl umher. „Ich habe einen Bachelor in Betriebswirtschaft und einen in Kreativem Schreiben.“

Noahs Zug um den Mund wurde weicher, bei dem Stolz in meinem Tonfall, und das veränderte sein gesamtes Gesicht. „Und was war dein berufliches Ziel?“

Verdammt. Das war der Moment, in dem die meisten Leute anfingen, mich auszulachen. Ach, es würde schon schiefgehen. Ich hob den Kopf. „Ursprünglich wollte ich Autorin werden.“ Da lag es nun auf dem Tisch, für alle sichtbar. Ich hielt inne, damit sie mit dem Gelächter beginnen konnten. Nur lachten sie nicht. Stattdessen schien Noah sich dafür genauer zu interessieren. Er hob die Augenbrauen.

„Wie schön. Liest du gern?“

Okay, das war gut. Damit konnte ich arbeiten. Ich durfte ihn nur nicht mit meiner Merkwürdigkeit in den Wahnsinn treiben. Meine Antwort war enthusiastisch, gelinde gesagt. „Ich liebe es, zu lesen.“ Darüber zu reden fiel mir leicht. Ich lehnte mich neugierig vor. „Du auch?“

Noah sah mich an und zog ganz kurz die Augenbrauen zusammen. „Absolut. Leider habe ich nicht mehr viel Zeit dafür.“

Ich stützte mein Kinn auf der Hand ab und strahlte. „Was liest du denn gern?“

Moment. Wer befragte hier denn wen?

Noah lehnte sich zurück und grinste dann. Sein Lächeln war so hübsch wie sein Name. „Hauptsächlich Autobiografien. Und du?“

Oh wie nett. Eine weitere Möglichkeit, ausgelacht zu werden. Aber ich musste einfach nur ich selbst sein. Noah machte nicht den Eindruck, als würde er über mich urteilen, obwohl er ein schöner Mensch war. Und ich wusste, wie falsch schöne Menschen sein konnten. Mein Lächeln versiegte etwas. „Science-Fiction, Fantasy und …“ Ich senkte den Blick. „Liebesromane“, gab ich zögerlich zu.

Aus einem mir nicht verständlichen Grund notierte sich Noah etwas auf dem Block und nickte. „Sehr schön.“ Er schrieb noch etwas und strich das eben Geschriebene wieder durch. „Okay, Emily. Ich stelle dir jetzt ein paar Fragen, schnell hintereinander.“ Er legte seinen netten Blick auf mich. „Nicht denken, einfach antworten, so schnell du kannst, okay? Wir fangen mit etwas Leichtem an.“ Ich nickte und er legte los. „Das Letzte, was du im Fernsehen gesehen hast?“

Das war leicht. „Alle lieben Lucy.“

Noah stieß ein Lachen durch die Nase aus und je mehr er das tat, desto weniger furchterregend wurde es. „Okay. Wie würdest du dein Erinnerungsvermögen einschätzen?“

Oh, oh. Auf welcher Skala? Eins bis zehn? Ich brauchte zu lange. Wie sollte man so was aber auch einschätzen? Mir fiel nur eins ein: „Elefantös.“

Micah verengte den Blick und sah mich absonderlich an. „Was soll das genau bedeuten?“

Noah antwortete für mich. „Ein Elefant vergisst nie etwas.“

Genau. Mein Mund öffnete sich leicht. Ich konnte es kaum glauben. Aber er verstand mich. Wie seltsam. Ich atmete aus. „Ganz genau.“

Dieser Noah-Typ wurde mit jeder Minute weniger gruselig. Und irgendwie mochte ich ihn dafür, dass er so verständnisvoll war. Es war nicht immer leicht, mir gegenüber verständnisvoll zu sein. Ich war ein seltsamer Mensch und das wusste ich auch. Ich versuchte wirklich, nicht so zu sein, aber wie kann man aufhören man selbst zu sein?

„Eine letzte Frage, okay?“

Ich biss mir auf die Lippe und nickte leicht. Ich begann, ihn echt zu mögen.

„Wie würdest du die Farbe Gelb einer blinden Person beschreiben?“

„Hm“, murmelte ich und runzelte die Stirn. Eine gute Frage. Ich brauchte ein klein wenig länger, sie zu beantworten. „Gelb ist so warm wie das Licht, dass an einem kalten Tag ins Zimmer scheint.“ Meine Schreibkurse kamen mir in den Sinn und ich holte tief Luft. „Gelb ist weich und froh und aufregend, ohne neugierig oder unausstehlich zu sein.“ Ich lächelte in mich hinein und sah auf meinen Schoß hinab. „Spaß fühlt sich gelb an.“

Als ich wieder hochsah, entglitt mir das Lächeln und mir blieb fast das Herz stehen. Beide sahen mich auf die gleiche Art an. Ich war nicht besonders gut darin, Körpersprache zu deuten, aber als sie sich ansahen, schrieb Noah etwas auf seinen Block und zeigte es Micah. Was immer Noah aufgeschrieben hatte, Micah schien damit einverstanden zu sein.

„Wie alt sind Sie, Emily?“, fragte er.

Verdammt. Er klang verwirrt. Warum klang er so verwirrt? Meine Antwort war vorsichtig und klang mehr wie eine Frage. „Im Juni werde ich vierundzwanzig …?“ Das Lächeln, das folgte, sah sicher schmerzhaft aus.

Micah sah auf meine Bewerbungsunterlagen. „Sie sind sich darüber im Klaren, dass Sie in diesem Job nicht oft zu Hause bei Ihrer Familie sein werden?“ Er suchte meinen Blick. „Ich muss wissen, ob das für Sie ein Problem darstellen würde.“

Das wusste ich nicht. Mein Magen zog sich zusammen. Ich musste die Ruhe bewahren, alles war gut, ich musste einfach nur weiteratmen. Also beinhaltete der Job viele Reisen. Hatte ich damit ein Problem? Ich meine, wirklich, was hielt mich hier noch? Ich beschloss, die Dinge anzunehmen, wie sie kamen. Ich würde das hinbekommen.

„Ja, das ist mir klar. Ich glaube, dass man sich erst daran gewöhnen müsste, aber ich habe nur meine Großmutter. Sie ist alt und kommt sehr bald in ein Pflegeheim.“

„Du wärst immer in unmittelbarer Nähe von vier erwachsenen Männern“, sagte Noah und wartete auf meine Reaktion.

Mein Herz schrumpelte zusammen. Auch das wusste ich natürlich nicht. Meine Reaktion war schwach und unsicher. „Okay.“

Er sprach weiter. „Sie sind laut und vulgär.“ Mein Magen machte Purzelbäume während er weitersprach. „Es wird Zeiten geben, da werden sie Frauen mitbringen. Privatsphäre gibt es so gut wie keine.“ Er sah mich genau an. „Es ist eine sehr stressige Arbeitsatmosphäre. Glaubst du, dass du das meistern kannst?“

Ich meisterte schon mein ganzes Leben. Mittlerweile ging es schon gar nicht mehr nur ums Meistern. Es ging darum, dass ich etwas tun musste. Aus meiner Komfortzone ausbrechen, weil es das Richtige war.

„Ganz ehrlich …“ Ich wusste nicht, warum ich das laut aussprach. „Etwas Gesellschaft zu haben wäre schön.“ Das Ganze rundete ich mit einem matten leisen Lachen ab. Ja. Ich war lächerlich. Noahs Gesichtsausdruck wurde weich. Oh nein, ich konnte Mitleid nicht ausstehen. Warum hatte ich das nur gesagt? Dumm, dumm, dumm.

Gott sei Dank räusperte sich Noah und wechselte das Thema. „Welche Art von Musik hörst du gern?“

Ich dachte an die Abende mit Nanna, ans Essen kochen, während der Schallplattenspieler lief. Einige meiner liebsten Erinnerungen beinhalteten den alten Plattenspieler und ich antwortete fröhlich: „Doris Day, Paul Anka, Nancy Sinatra.“ Ich gab einen zufriedenen Laut von mir. „ABBA.“ Micah sah mich an, als könnte das nicht mein Ernst sein. Ich wich seinem bohrenden Blick aus und schob mir die Brille hoch. Dann fing ich an zu erklären. „Wissen Sie, ich bin bei meiner Nanna aufgewachsen. Sie kommt aus einer anderen Generation und hat mich entsprechend erzogen.“

Noah lächelte, zog aber die Augenbrauen zusammen. „Was weißt du über Rockmusik.“

„Gar nichts“, gab ich offen zu und zuckte mit den Schultern. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von Rockmusik.

Micah sah mich skeptisch an. „Wenn ich Ihnen also sagen würde, dass Sie die persönliche Assistentin von Left Turn …“

Oh wie cool, eine Position als Assistentin. Das war gar nicht schlimm. Mein Magen entspannte sich bei dieser Information. Das konnte ich. Meiner Nanna zu helfen, hatte mich zu einer Expertin im Assistieren gemacht. Das war perfekt. Ich blinzelte erst Micah und dann Noah an. Sie schienen von mir eine Aussage zu erwarten. „Das ist schön.“ Mehr konnte ich gar nicht sagen. „Ist die Band … neu?“, erkundigte ich mich zaghaft.

Mit dieser Frage erntete ich gleich zweimal einen ungläubigen Gesichtsausdruck.

Noah erstickte fast an einem Lachen. „Äh, nicht wirklich. Sie sind …“ Er dachte einen Augenblick nach. „Etabliert.“

„Cool“, war alles, was mir dazu einfiel. Ich nickte bestärkend.

Der hübsche, tätowierte Noah sah aus, als wollte er schon wieder loslachen, als er sagte: „Ich habe noch ein paar Fragen, dann sind wir fertig.“ Er setzte sich aufrecht hin. „Deine letzte Anstellung ist schon ein paar Jahre her. Was hast du neben dem Studieren in der Zwischenzeit noch gemacht?“

Die Frage traf einen Nerv, aber das war nicht seine Schuld. Ich brauchte einen Moment, bis ich antworten konnte. „Meine Nanna hat Demenz. Ich habe mich die ganze Zeit um sie gekümmert.“ Mehr konnte ich dazu nicht sagen.

Noah schien zu verstehen, denn sein Gesichtsausdruck wurde sanft. „Du würdest also sagen, dass du eine verantwortungsvolle und fürsorgliche Person bist?“

Ich neigte den Kopf etwas und verzog die Lippen, während ich darüber nachdachte. Das traf es perfekt. „Ja, das würde ich.“

„Und wenn es mit dieser Bewerbung nicht klappt, hast du dann einen Plan B?“, bohrte Noah nach.

Es fühlte sich an, als hätte ich einige Probleme in meinem Charakter. Ich war ein Routinemensch. Ich liebte nichts mehr, als ruhige Sonntagnachmittage, genau wie alle anderen introvertierten Menschen. Ich liebte es, zu lesen und zu schreiben. Gesellschaft zu haben war mir nicht besonders wichtig. Und letztlich war ich manchmal zu ehrlich. Genau wie jetzt gerade. „Ich habe keinen.“ Ich biss mir auf die Lippe, um nicht noch mehr von mir preiszugeben, was die Leute eindeutig nichts anging. Noah machte noch ein paar Notizen, während Micah mich neugierig betrachtete. Ich lächelte ihn an und er lächelte beinahe unsicher zurück. Dann blickte Noah kurz zu ihm.

„Ich glaube, wir haben alles, Emily“, sagte er.

Micah nickte. „Ja. Ich glaube auch, das ist alles, was wir wissen müssen.“

Oh nein. Hatte ich es versaut? Ich seufzte innerlich. Na dann.

„Vielen Dank noch mal“, sagte ich, warf mir den Rucksack über die Schulter und verließ den Raum. Im Warteraum sah ich mir die anderen Bewerber an und es versetzte mir einen Stich. Überall nur schöne Menschen. Nein. Ich würde diesen Job nicht kriegen. Und das war schon in Ordnung. Ich musste einfach versuchen, etwas anderes zu finden.

Ich rührte gerade meine kochenden Nudeln um, als das Handy klingelte. Unbekannter Anrufer. Ich zögerte. Normalerweise ging ich nicht dran, wenn ich die Nummer nicht kannte. Verflucht, ich ging normalerweise gar nicht ans Handy, aber es könnte das Krankenhaus sein, also nahm ich ab.

„Hallo?“

„Hallo, spreche ich mit Emily?“

Ich wischte mir die Hände an einem Küchenhandtuch trocken und legte mir das Handy richtig ans Ohr. „Ja? Wer ist da bitte?“

„Ich bin es, Noah, von dem Bewerbungsgespräch gestern.“

He-Man Noah!

„Oh, Hallo.“ Ich lächelte. Das war aber nett von ihm, mich persönlich über die Absage zu informieren, statt nie mehr etwas von sich hören zu lassen. „Wie geht es dir?“

„Gut, danke der Nachfrage.“ Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. „Ich rufe nur an, um dich etwas zu fragen.“

„Oh?“ Ich runzelte die Stirn. Ich dachte, wir hätten gestern alles Nötige besprochen. „Und das wäre?“

Noah machte eine kleine dramatische Pause. „Bist du bereit?“

Mein Herz machte keinen Satz, sondern stellte das Schlagen komplett ein. Ich ließ das Handtuch fallen.

„Wie bitte?“

Er klang leicht amüsiert. „Du hast den Job, Emily. Wenn du ihn willst, gehört er dir.“

Ich konnte es nicht glauben, lehnte mich an die Arbeitsplatte hinter mir und schluckte hart. Dann fragte ich langsam und ungläubig: „Sind die anderen Bewerber alle gestorben oder so was?“

Noah lachte. Laut und lange. „Äh, nein, sie leben noch.“ Sein Gelächter kam endlich zum Versiegen. „Wie ist deine Antwort, Emily?“

Was würde ich wohl sagen? War er verrückt geworden? „Ja“, wisperte ich. Ich legte die Hand vor den Mund und fing an zu lachen. Ich hob den Kopf und sah zur Decke, dann ließ ich die Hand sinken und stellte mich aufrecht hin. „Ja. Ich will den Job.“

Als Noah mir eröffnete, was ich verdienen würde, fiel ich fast in Ohnmacht. Ich erstickte beinahe an meiner eigenen Zunge und lachte leicht hysterisch auf. Oh Gott. Ich konnte endlich wieder frei atmen. Meine Geldsorgen waren vorüber. Ich würde Nanna fürchterlich vermissen, aber dieser Job war ein Segen.

Als Erstes rief ich im St. Judes an.

Clash

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