Читать книгу Tod in Amsterdam - Ben Kossek - Страница 13

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7.

Es hatte fast die ganze Nacht hindurch ununterbrochen geregnet. Meist war es nur ein leichter Nieselregen, aber dennoch unangenehm, zumal das nasse Wetter von teils kräftigen Windböen begleitet wurde. Auch an diesem Morgen des 24. März nieselte es noch unentwegt. Alex Berger war schon früh im Büro erschienen – das machte er immer, wenn er eine unruhige Nacht hinter sich hatte. Und die letzte war unruhig gewesen! Im Bett liegend hatte er versucht, seine Gedanken zu ordnen, was ihm aber nicht gelang. Irgendwann war er aufgestanden und hatte sich vor den Fernseher gesetzt, in der Hoffnung, wenigstens dort etwas abschalten zu können. Nachdem auch das nicht funktionierte, schaltete er die Kaffeemaschine ein, ging kurz unter die Dusche, frühstückte um 5 Uhr 20 und fuhr eine Stunde danach ins Büro. Er hasste solche Nächte, aber leider kamen sie zu häufig vor in seinem Job. Es war nicht immer möglich, alle Gedanken und Bilder aus dem Kopf zu bekommen. Sie ergriffen ungefragt Besitz von einem und ließen nicht mehr los, bis die Dämmerung aufzog und es langsam hell wurde.

Nun saß er hier an seinem Schreibtisch und das Grübeln ging weiter. Wie er die Sache auch wendete und drehte, er konnte einfach noch keinen konkreten Ansatzpunkt in diesem neuen Mordfall erkennen, außer der Tatsache, dass die Brunex AG legalen Handel mit Waffen betrieb und Kleinschmidt dort Mitarbeiter war. Es gab einfach noch zu wenige aussagekräftige Fakten und Informationen, die sich zu einem erkennbaren Bild zusammenfügen ließen.

Gerade hatte er sich einen Kaffee geholt und sich an seinem Schreibtisch niedergelassen. Er trank den heißen Kaffee nachdenklich in kleinen Schlucken und starrte auf das noch leere Fallboard rechts neben der Bürotür. Im nächsten Moment stand er auf und ging hinüber zum Board, in dessen Mitte er das Foto des ermordeten Robert Kleinschmidt platzierte. „Dann fangen wir doch mal an“, murmelte er vor sich hin, nahm einen weißen Marker und schrieb unter das Foto: „Robert Kleinschmidt, ermordet 22. März, Tatort und Fundort Stoll AG, Deutzer Hafen.“ Um das Foto und den Eintrag zog er einen Rahmen. Dann zog er einen Pfeil nach oben und schrieb „Brunex AG, Waffenmakler in Bonn, Arbeitgeber R. Kleinschmidt“ darüber. Auch um diesen Eintrag zog er einen Rahmen. Die brisante Frage war, ob der Mord an Kleinschmidt nun wirklich etwas mit seiner Tätigkeit bei der Brunex AG zu tun hatte, oder ob es für seinen gewaltsamen Tod noch eine völlig andere Erklärung gab.

In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Berger ging zu seinem Schreibtisch und nahm den Hörer ab. Ein Kollege der KTU rief an und teilte mit, dass sie das Projektil am Tatort zwischen den Containern gefunden hatten. Es wurde gerade im Labor spezifisch auf markante Merkmale untersucht. Im Laufe des Vormittags hätte man mit großer Wahrscheinlichkeit genauere Erkenntnisse darüber, ob die Waffe schon einmal in einem anderen Fall aufgetaucht war. Keine fünf Minuten später rief auch noch Arndt Köster aus der Rechtsmedizin an und bat Berger, um 9 Uhr kurz bei ihm vorbeizukommen. „Es gibt einige interessante Neuigkeiten, die ihr euch mal anhören solltet“, meinte er, ohne nähere Angaben zu machen.

Kaum hatte Berger aufgelegt, da öffnete sich die Bürotür und sein Kollege Jan Scheuer kam herein. „Verdammtes Scheißwetter“, fluchte dieser leise vor sich hin. Er warf die Lederjacke mit Schwung über die Lehne seines Bürostuhls, fuhr sich mit beiden Händen durch die tropfnassen Haare und musterte seinen älteren Kollegen mit fragendem Blick.

„Morgen, Alex, mal wieder schlecht geschlafen, stimmt‘s?“ Berger nickte nur. „Gibt’s was Neues?“

„Ja, war mal wieder unruhig, heute Nacht. Aber die KTU hat sich gemeldet. Das Projektil wurde gefunden. Arndt Köster hat gerade eben angerufen, wir sollen ihn gegen 9 Uhr mit unserem Besuch beehren. Er hätte uns einiges mitzuteilen, meint er.“ Berger saß an seinem Schreibtisch und nippte in kleinen Schlucken an seinem Kaffee, schwarz, ohne Zucker, und ohne den Blick vom Fallboard zu nehmen.

„Und was machst Du da?“ Jan Scheuer folgte Bergers starrer Blickrichtung.

„Ich wollte einfach mal sehen, was Robert Kleinschmidt uns so alles erzählen kann.“

„Wohl noch nicht allzu viel, wie es scheint.“

Berger trat wieder an das Fallboard und dachte laut nach: „Also, was wissen wir bisher? Fassen wir kurz zusammen: Wir haben eine männliche Leiche, im Container der Metallhandelsfirma Stoll auf dem Gelände des Deutzer Hafens aufgefunden. Und der Mann arbeitete bei einem Waffenmakler, der Brunex AG in Bonn-Beuel.“ Er zeigte mit dem Finger auf den Eintrag obendrüber. „Die Todesursache: Er wurde mit einem Kopfschuss getötet, oder besser gesagt, regelrecht hingerichtet …“

„… und der Tote heißt Robert Kleinschmidt, verheiratet, zwei Kinder, wohnhaft in Köln-Rodenkirchen und arbeitete bei einer Firma namens Brunex AG, die laut der unermüdlichen Recherche unseres geschätzten Kollegen Chris Dahlmann offiziell und im Auftrag der Regierung mit Waffen handelt …“, ergänzte Scheuer, während er sich neben den Kollegen Berger vor das Fallboard stellte und diesem zusah, wie der dort alles fein säuberlich vermerkte.

„Was würdest du daraus schließen?“

„Dass hier etwas faul ist im Staate Dänemark! Waffenhandel und ermordeter Mitarbeiter eines Waffenmaklers – da gehen bei mir doch sofort alle Lampen an. Bei dir etwa nicht?“

„Natürlich! Aber die entscheidenden Fragen sind doch: Erstens – warum musste Robert Kleinschmidt sterben? Hatte er irgendetwas in Erfahrung gebracht, was er nicht hätte sehen sollen?

War er vielleicht selbst involviert oder war er von außerhalb der Firma unter Druck gesetzt worden, weil man über ihn an bestimmte Informationen kommen wollte? Hier wären alle drei Varianten denkbar. Oder aber: Die Tat hat doch nichts mit seiner Tätigkeit bei der Brunex zu tun. Was ist dann der Hintergrund? Zweitens: War der Tatort, der auch Fundort der Leiche ist, zufällig ausgewählt oder gibt es sogar einen Zusammenhang zwischen dem Mord und der Metallhandelsfirma? Und drittens: Was ist mit Kleinschmidts Audi A8 passiert? Den haben wir noch nicht gefunden.“

„Viertens: Von wem wurde Robert Kleinschmidt ermordet? Die Art seines Todes deutet jedenfalls auf Profis hin. Und den Misshandlungen zufolge wollte man Informationen von ihm.“ Jan Scheuer ging nahe an das Board und tippte mit dem Zeigefinger auf den Eintrag „Brunex AG“. „Ich vermute mal, hier liegt der Schlüssel auf die Antwort der ersten Frage. Er könnte etwas herausgefunden haben …! Denen sollten wir später mal einen Besuch abstatten und …“

Er wurde jäh mitten im Satz unterbrochen, als die Bürotür aufgerissen wurde und ein aufgeregter Chris Dahlmann mit strahlendem Gesicht den Kopf hereinsteckte.

„Wir haben den Wagen, den Audi A8! Auf einem Supermarkt-Parkplatz im Industriegebiet Hahnwald!“ rief er. Ohne die Tür zu schließen, verschwand er eilig in seinem Büro, das schräg gegenüber lag. „Na also, geht doch!“ freute sich Jan Scheuer und folgte ihm, Alex Berger im Schlepptau, im Laufschritt.

„Hier, Kiesgrubenweg“, Dahlmann deutete mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. Ein Luftbild in Vergrößerung zeigte den Parkplatz neben der Filiale einer Supermarktkette im Industriegebiet Hahnwald. „Der Filialleiter hat die Kollegen verständigt, weil das Fahrzeug seit gestern Morgen dort parkte, ohne bewegt zu werden. Kennzeichen stimmt. Es ist eindeutig der gesuchte Wagen von Kleinschmidt!“

„Ist die KTU schon verständigt?“ Von einer Sekunde auf die andere war Scheuer wieder im Alarmzustand.

„Klar, die sind schon auf dem Weg. Die Kollegen von der Streife warten dort, um das Fahrzeug und eventuelle Spuren zu sichern.“

Abrupt drehte sich Berger um und ging hinüber ins eigene Büro. Von Kleinschmidts Foto auf dem Board zeichnete er einen Pfeil nach unten und notierte: „Fundort Audi A8 von Kleinschmidt: Industriegebiet Hahnwald.“ Und wieder einen Rahmen um den Eintrag. An einer anderen Wand des Büroraums hing eine Straßenkarte vom Großraum Köln-Bonn. Sein suchender Blick huschte über die Karte, während er den Fundort von Kleinschmidts Audi A8 mit einem Fähnchen, das an einer Nadel befestigt war, markierte. „Hier wurde der Audi gefunden“, sagte er zu Scheuer, der ihm gefolgt war. „Und genau hier befindet sich das Haus von Kleinschmidt.“ Ein zweites Fähnchen markierte auch diese Stelle. „Und beides liegt keine drei Kilometer voneinander entfernt!“

„Bonn-Beuel, genau hier befindet sich die „Brunex AG“, versuchte Scheuer den Gedanken seines Kollegen weiterzuführen. „Du fragst dich, welchen Weg er wohl nach Hause genommen hat. Hm, ich denke, er fuhr über die Kennedybrücke zur A 555 und dann bis zur Ausfahrt Rodenkirchen. Dass der Wagen jetzt hier auf dem Parkplatz gefunden wurde, macht irgendwie Sinn, wenn man sich die Route Kleinschmidts mal etwas genauer ansieht.“

„Richtig, und warum? Weil es vorher keine Möglichkeit gab, ihn anzuhalten, ohne Aufsehen zu erregen. Wenn wir davon ausgehen, dass er nach der Ausfahrt Rodenkirchen von einem oder mehreren anderen Fahrzeugen gestoppt und aus seinem Wagen geholt wurde. Man brachte ihn mit einem anderen Fahrzeug von dort weg und stellte seinen Audi auf den Parkplatz des Supermarkts ab, um nicht sofort Verdacht zu erregen und um Zeit zu gewinnen. Ein herrenloser Wagen mitten auf der Straße wäre sofort aufgefallen.“

„Richtig! Er wurde also hier irgendwo zwischen der Ausfahrt Rodenkirchen und dem Parkplatz gekidnappt …“

„…was die Vermutung nahelegt, dass die Kidnapper genau wussten, auf welcher Strecke Kleinschmidt gewöhnlich abends nach Hause fuhr!“ beendete Berger den Satz seines Kollegen. „Verdammt, sie wussten es!“

Chris Dahlmann, der inzwischen ebenfalls wieder ins Büro gekommen war und die letzten Ausführungen seiner Kollegen mitbekommen hatte, hatte seine eigene Vermutung: „Entweder wurde Kleinschmidt Tage zuvor schon beschattet und ausgekundschaftet, oder die Information kam von einer Person, die Kleinschmidts Route genau kannte. Vielleicht jemand aus seiner Abteilung – ein Mitarbeiter vielleicht? Wir sollten beide Aspekte in Betracht ziehen.“

„Stimmt, beides wäre möglich“, überlegte Berger. „Aber eines ist mir noch nicht aufgegangen: Warum hat man ihn im Deutzer Hafen erschossen und nicht irgendwo anders? Gut, gehen wir erst mal rüber zu Köster, vielleicht hat der noch etwas, was uns weiterhilft.“

Tod in Amsterdam

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