Читать книгу Tod in Amsterdam - Ben Kossek - Страница 14
Оглавление8.
Es kam, wie es kommen musste! Kaum hatte Heino Brandstetter gestern Abend seine Wohnung betreten, schloss er hinter sich die Wohnungstür ab und öffnete erwartungsvoll den Aktenkoffer. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, sich seinen Kaffee zu kochen, wie er es sonst stets tat, wenn er nach Hause kam. In dem Koffer lagen vier braune DIN-A4-Umschläge, sorgfältig verschlossen. Alle vier waren beschriftet. Auf dem ersten stand „Presse Ermittlungen C.S“, auf dem zweiten „Montag VTME“ und auf dem dritten die Buchstaben „R.K.“, möglicherweise die Anfangsbuchstaben eines Namens. Der letzte Umschlag war einfach mit dem Vermerk „Verschiedenes“ gekennzeichnet. Alle Umschläge waren sorgfältig verschlossen worden.
Des Weiteren fand er mehrere großformatige Schwarzweiß-Fotos, die mit einer großen Büroklammer zusammengehalten wurden und auf deren Rückseiten handschriftlich Notizen vermerkt waren. Auf einem der Fotos, das zwei Männer an einem Tisch im Freien vor einem Café in der Bonner Altstadt zeigte, stand auf der Rückseite die Notiz: „Treffen C.S. mit MA von Brunex AG, 16.09.2015, 16.20 Uhr. Bonn-Mitte, Café Schneider. Übergabe von Akten und Umschlag von MA Brunex AG an C.S., möglich Auftrag und GÜ. Dauer 14 Minuten.“ – Brunex AG? Waren das nicht die Waffenmakler aus Bonn, von denen der Überbringer des Koffers gestern gesprochen hatte? Die, die mit „Steelmans Transporten“ zusammenarbeiteten? Und was bedeutete die Abkürzung „GÜ“? Stand das vielleicht sogar für Geldübergabe?
Ein weiteres Foto folgte, das wieder den einen der Männer, diesmal mit einem anderen, unbekannten vor einem Hausboot in Amsterdam zeigte. Im Hintergrund war der markante Turm einer Kirche zu sehen, ein bekanntes Postkartenmotiv Amsterdams. Als Vermerk stand auf der Rückseite: „C.S und Unbekannt vor Hausboot in Amsterdam.“ Mehr nicht. Ein drittes Foto war vor zwei nebeneinanderstehenden Lagerhallen in einem Industriegebiet entstanden. Es zeigte sechs Männer und trug auf der Rückseite den Vermerk: „C.S, MA Brunex AG, 4 unbekannte Personen, Lagerhallen Spedition Van de Heijden in Neuss-Süd.
Der Unbekannte, der auf allen drei Fotos zu sehen war, war klein, füllig und hatte eine Glatze. Brandstetter schätzte ihn auf etwa 55 bis 60 Jahre. Wer war dieser „C.S.“? Bedeutete das „S“ vielleicht Steelmans?
Brandstetter sah sich alle Fotos der Reihe nach an, insgesamt neun, und auf allen, mit Ausnahme eines einzigen Fotos, war „C.S.“ zu finden, immer mit verschiedenen Personen, dreimal auch mit mehreren – aber „C.S.“ war immer dabei! Er legte alle Aufnahmen nebeneinander auf seinen Arbeitstisch im Büro und suchte in der Schublade des Schreibtischs nach einer Lupe. Danach sah er sich die Fotos noch einmal etwas genauer an. Plötzlich stutzte er, begann noch einmal beim ersten Bild und ging dann der Reihe nach alle ein zweites Mal durch.
Auf dem ersten Foto in dem Bonner Café saß am Nebentisch ein Mann, groß und mit langen blonden Haaren. Fast sah es so aus, als würde er das Umfeld genau im Auge behalten! Und das interessante – er war mit „C.S.“ auf allen anderen Fotos ebenfalls zu sehen! Ausnahme: das Foto mit dem Hausboot. Für Heino Brandstetter stand in diesem Augenblick fest: Der kleine Füllige musste Steelmans sein, der andere wohl seine rechte Hand oder ein Leibwächter!
Er öffnete seinen Laptop und gab in einer Suchmaschine die Begriffe „Steelmans“ und „Amsterdam“ ein, und siehe da, gleich an erster Stelle erschien ein Eintrag von „Steelmans Transporten Amsterdam“. Er öffnete den Link und landete direkt auf der Website der Spedition, von dessen Startseite ihm ein lächelndes Konterfei des Mannes entgegenblickte, der auf fast allen Fotos, die sich im Koffer befanden, zu sehen war! Unter dem lächelnden Gesicht stand die Zeile: „Company eigenaar: Claudius Steelmans“. Claudius Steelmans – C.S.!
Nun, wo er auf die richtige Spur gestoßen war, stöberte er eine Zeit lang durch die Website, fand jedoch keine auffälligen Merkmale. Eine Spedition, die anbot, alle Güter außer Schwertransporte zu befördern. Gespannt öffnete er nun den dicksten der braunen Briefumschläge mit der Aufschrift „Presse Ermittlungen C.S.“ In ihm befanden sich etwa dreißig Zeitungsausschnitte aus meist überregionalen niederländischen wie auch aus deutschen Tageszeitungen. In allen Artikeln, teils mit Fotos von Steelmans oder anderen Personen, ging es stets um die Berichterstattung über die gegen die Spedition und ihren Inhaber geführten Ermittlungen und Prozesse. Die Tatsache, dass in keinem der untersuchten Fälle und in keinem der drei Prozesse brauchbare und stichfeste Beweise zutage kamen, fand hier besondere Erwähnung. Aber die von der Staatsanwaltschaft eingebrachten Indizien reichten in keinem der Prozesse für eine Verurteilung.
Brandstetter fiel auf, dass die Artikel aus der niederländischen Presse oben neben der Schlagzeile mit einer Nummer versehen waren. Die Erklärung dafür war ein USB-Stick, der ebenfalls in dem Umschlag zu finden war. Auf ihm befanden sich, mit den gleichen Nummern, die entsprechenden Übersetzungen der Zeitungsartikel! Sein geheimnisvoller Informant hatte ganze Arbeit geleistet!
Die kommenden Stunden verbrachte Brandstetter mit der Durchsicht der Artikel beziehungsweise deren Übersetzungen. Nebenbei machte er sich eifrig Notizen. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Um seine Gedanken etwas zur Ruhe kommen zu lassen, unterbrach er kurz, ging in die Küche und bereitete sich den längst überfälligen Kaffee. Dann ging er mit Kaffee und Zigarette hinaus auf die kleine Dachterrasse und dachte angespannt nach. Am östlichen Horizont hatte sich bereits als schmaler Streifen die Dämmerung des neuen Tages in die Dunkelheit der Nacht geschlichen, von Westen her wehte ein kühler, frischer Nachtwind.
Der Vermerk auf dem ersten Foto – „Treffen C.S. mit MA von Brunex AG“ – konnte nur bedeuten, dass Steelmans sich hier mit einem Mitarbeiter von Brunex getroffen hatte. Wenn er den Mann neben Steelmans auf dem Foto identifizieren konnte, hatte er den Kontaktmann von der Brunex. Die Frage war nur, wusste bei der Brunex AG auch die Firmenleitung von den illegalen Geschäften, oder waren es nur einige wenige Personen, die hier im Stillen ihr eigenes Süppchen kochten? Das musste er noch herausfinden. Jedenfalls hatte er mit diesem Foto den Beweis in Händen, dass Steelmans und Brunex engen Kontakt miteinander pflegten! Auch die Personen auf den anderen Aufnahmen musste er noch identifizieren. Nur auf diese Weise konnte er sämtliche Kontakte und Querverbindungen von Steelmans Transporten ermitteln, um am Ende feststellen zu können, woher das Kriegsgerät und die Waffen kamen, die hier verschachert wurden. Er befürchtete jedoch, dass diese Arbeit wochenlange Recherchen erforderlich machte.
Ein weiterer wichtiger Schritt war, möglichst viele der Zeugen zu finden, die in den Ermittlungen ihre Aussagen zurückgezogen hatten. Vielleicht konnte man sie dazu bewegen, ihre Informationen preiszugeben. Kein leichtes Vorhaben, denn es war anzunehmen, dass alle mit Drohungen und Bestechung zum Schweigen gebracht worden waren. Er beschloss, eine Liste dieser Zeugen anzufertigen, soweit sie bekannt waren.
Nachdem er mit der Zigarette fertig war, ging er mit der Kaffeetasse in der Hand wieder zurück zum Arbeitstisch, packte alle Zeitungsausschnitte und den USB-Stick wieder in den Umschlag. Er griff nach dem nächsten mit der Aufschrift „R.K.“ Er zog ein Foto und vier eng beschriebene Seiten Notizen hervor, die sein Informant in einem Word-Dokument niedergeschrieben und ausgedruckt hatte.
Aufmerksam las er die gesammelten Daten zu „R.K.“ durch. Hier stand, dass „R.K.“ ein gewisser Robert Kleinschmidt war, ebenfalls in Diensten der Brunex stand und als Sachbearbeiter in der Logistik des Unternehmens arbeitete. Die Aufzeichnungen belegten eindeutig, dass sich Brandstetters Informant zweimal in kurzen Abständen mit diesem Mitarbeiter getroffen hatte. Außerdem wurde hier erwähnt, dass Kleinschmidt Beweise hatte, die belegten, dass bei der Brunex AG illegale Waffenschiebereien stattfanden! Nur wurde auf die Beweise selbst nicht näher eingegangen. Und er war der Tote, den man gestern Morgen im Deutzer Hafen aufgefunden hatte! Kleinschmidt und sein Informant kannten sich also! Und – er war nicht der Mitarbeiter von Brunex auf den Fotos mit C.S.!
Da stellten sich gleich mehrere heikle Fragen: Hatte Kleinschmidt dem Informanten vielleicht den Namen des Kontaktmanns verraten? Musste er sterben, weil er gerade dabei war, das Netzwerk auffliegen zu lassen?
Welche Verwicklungen taten sich da auf?
In den bisherigen Unterlagen deutete jedoch nichts auf eine solche Annahme hin! Auch die Recherche im Netz zur Brunex AG ergab nichts. Keinerlei Angaben zu den Mitarbeitern, lediglich ein gewisser Ludger Brunnhausen sowie ein Wolfram Brüggemann wurden hier als Geschäftsführer des Unternehmens gelistet. Mehr gab es nicht!
Er musste also einen Weg finden, mit den Mitarbeitern der Brunex AG in Kontakt zu treten. Noch hatte er keinen Plan, wie er dies am geschicktesten anstellen konnte, ohne dabei an die falschen Leute zu geraten. Aber ihm würde schon noch eine Lösung einfallen.
Heino Brandstetter beschloss, sich erst einmal für ein paar Stunden hinzulegen, um etwas Schlaf nachzuholen. Er hatte noch ausreichend Zeit, sich morgen um den Rest der Informationen zu kümmern.
Er legte noch die Liste der Zeugen an, die in den verschiedenen Zeitungsartikeln genannt wurden und von Interesse waren, insgesamt fünf Personen, dann klappte er sein Notizbuch zu und ging hinüber zum Sofa im Wohnzimmer. Kaum hatte er sich dort niedergelassen, war er auch schon tief und fest eingeschlafen. Er hörte auch nicht mehr die vielen Anrufe auf seinem Handy, die seit Stunden eingegangen waren, da er es noch vor dem Treffen mit dem Informanten auf lautlos gestellt hatte…