Читать книгу Tod in Amsterdam - Ben Kossek - Страница 18
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Am frühen Nachmittag erwachte Heino Brandstetter auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer. Ein Sonnenstrahl hatte ihn geweckt, der sanft und lautlos über sein Gesicht gewandert war, bis er schließlich verdutzt die Augen öffnete. Die nächtliche Arbeit war nicht spurlos an ihm vorrübergegangen und so war er in eine Art ungewollten Tiefschlaf gefallen. Sofort fiel ihm das seltsame Treffen mit dem Informanten und der Aktenkoffer wieder ein, der noch auf seinem Arbeitstisch lag. Was wohl Elsa dazu sagen würde, dass er … verdammt! Elsa! Er hatte völlig vergessen, sie gestern Abend anzurufen!
Ein kurzer Blick auf sein Handy sagte ihm, dass Elsa gestern Abend und heute schon mehrmals versucht hatte, ihn zu erreichen. Sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen. Sie hatte sich bestimmt Sorgen gemacht, und er hatte es einfach vergessen! Er wäre an ihrer Stelle jetzt ziemlich sauer und hätte eine schlaflose Nacht hinter sich. Schuldbewusst wählte er ihre Nummer und erwartete einen heftigen Hagelsturm an Vorhaltungen. Elsa hätte nie vergessen, ihn anzurufen! Sofort meldete sich ihre aufgeregte Stimme, und er wusste schon beim ersten Laut, dass ihn nichts Gutes erwartete!
„Meine Güte, Heino! Ich habe mir Sorgen gemacht! Was ist bloß in dich gefahren? Seit gestern Abend frage ich mich, wo du bist und ob dir etwas passiert sein könnte!“ Ihre Stimme klang vorwurfsvoll und wie erwartet sehr verärgert. Und das hatte er sich selbst zuzuschreiben. Dieses Mal hatte er es aber so richtig verbockt! Wie konnte er Elsa nur vergessen?
„Tut mir leid, ich hatte versprochen, dich anzurufen. Es ist alles in Ordnung, Elsa, ich habe es echt vergessen! Ich habe noch bis heute Morgen gearbeitet.“
„Und du vergisst einfach, Bescheid zu sagen? Mein Gott, ich habe kein Auge zugemacht wegen dir!“
„Ja, das habe ich befürchtet, als ich eben aufgewacht bin. Ich habe den Mann gestern Abend getroffen, Elsa. Ich kann dir nur eines sagen: wir haben eine heiße Geschichte! Am besten kommst du so schnell wie möglich zu mir. Ich brauche jetzt deine volle Unterstützung, und nicht nur für ein paar Stunden, sondern für längere Zeit.“
„Also gut. Ich bin in etwa einer Stunde da. Aber du schuldest mir für die unruhige Nacht noch eine einleuchtende Erklärung. Heute Abend hätte ich die Polizei verständigt, wenn ich bis dahin kein Lebenszeichen von dir erhalten hätte. Weißt du überhaupt, wie das ist, wenn man wie auf heißen Kohlen sitzt und sich Sorgen macht? Was ist nur los mit dir?“
„Schon gut, Elsa! Es tut mir wirklich leid. Ich entschuldige mich. Ich war aufgewühlt und bin dann gegen Morgen im Wohnzimmer eingeschlafen.“
Sie hatte wie immer Recht. Er musste wohl völlig besessen gewesen sein, diesen Aktenkoffer zu öffnen, und darüber war alles andere in Vergessenheit geraten. Wie konnte er nur so nachlässig sein?! Und sie hatte sich wegen ihm Sorgen gemacht! Mit Unbehagen stellte er sich vor, wie es sich wohl im umgekehrten Fall angefühlt hätte! Er wäre garantiert vor Ungewissheit und Sorge halb wahnsinnig geworden und hätte keine ruhige Minute mehr gehabt! Mit einem Mal kam er sich ziemlich mies vor. Als Wiedergutmachung würde er Elsa wohl zum Essen einladen müssen. Das war das Mindeste, was er an Abbitte leisten sollte.
Die Sichtung der Informationen aus dem Aktenkoffer nahm doch mehr Zeit in Anspruch als ursprünglich angenommen. Deshalb hatte Heino Brandstetter sich vorgenommen, die Liste der damals bekannten Zeugen neben der Schreibtischarbeit abzuarbeiten und einige der Zeugen aufzusuchen, um herauszufinden, ob man auf diese Weise an neue Informationen kommen konnte. Zwei dieser Zeugen schienen ihm besonders interessant zu sein. Nach aufwendigen Recherchen hatte Brandstetter die Adressen eines gewissen Roman Brosinski sowie einer Frau namens Evelyn Stein ermittelt.
Brosinski war Eigentümer mehrerer Lagerhallen in der näheren Umgebung von Neuss. Die meisten dieser Hallen hatte er entweder vermietet oder verpachtet. Im September 2014 hatte er einen Mietvertrag über zwei Lagerhallen auf einem Gelände in einem südlichen Stadtteil von Neuss mit einem niederländischen Spediteur namens Van de Heijden geschlossen. Inhaber der Spedition war ein gewisser Daan van de Heijden, ein Name, der auch im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Steelmans immer wieder gefallen war!
Brosinski hatte bei der ersten Zeugenvernehmung berichtet, dass bei seinen vermieteten Hallen merkwürdige Aktivitäten von statten gingen. Er hätte dies mehrfach beobachten können. Dort wären auffällige Transportkisten auf Lkws verladen worden. Bei einer weiteren Vernehmung gab er plötzlich an, sich wohl doch geirrt zu haben und konnte sich nicht mehr so genau erinnern, was er da in Wirklichkeit gesehen hatte.
Die zweite Zeugin, eine gewisse Evelyn Stein, war in der Verwaltung des Neusser Zollamtes am Hafen tätig gewesen. Sie hatte Einblick in sämtliche Ausfuhren, die vom Neusser Hafen aus getätigt worden waren. Auch Evelyn Stein hatte in ihrer damaligen Erstaussage immer wieder die Namen Van de Heijden und Steelmans erwähnt, aber diese Aussage ebenfalls wenig später ohne sichtbare Gründe widerrufen.
Heino Brandstetter wollte mehr über die Verbindung dieser beiden Firmen in Erfahrung bringen, denn vielleicht war es möglich, festzustellen, wie und auf welchen Wegen die illegalen Waffenlieferungen an ihre Käufer gebracht wurden. Glaubte man den Zeitungsartikeln, hatte seinerzeit auch schon die niederländische Polizei mehrere Spuren verfolgt. Ein gewisser Hauptkommissar Luuk Van der Beek von der Amsterdamer Kripo leitete damals über zwei Jahre die Ermittlungen. In deren Verlauf waren bereits beide Speditionsfirmen ins Blickfeld der Ermittler geraten. Allerdings konnte man sie nicht auf frischer Tat erwischen, weshalb die Beweislage in den Prozessen gegen sie einfach zu dünn für eine Verurteilung war. Aber wie sollten sie vorgehen, wenn die Zeugen nicht reden wollten?
Natürlich zählte Brandstetter auf die besonderen Fähigkeiten seiner guten Freundin Elsa – sofern sie ihm verzeihen konnte – die es immer wieder verstand, auf Menschen einzugehen und sie zu öffnen. Die Frage war nur, wie groß war die Angst der Zeugen vor Repressalien? Schließlich war einer der damals Aussagewilligen auf rätselhafte Weise ums Leben gekommen, ein anderer seitdem spurlos verschwunden!
Elsa Groninger kam gegen 16 Uhr. Ihr Blick sagte mehr als deutlich, dass sie stinksauer auf Heino Brandstetter war, weil er sie so lange in quälender Ungewissheit hatte schmoren lassen. Er entschuldigte sich nochmals, wozu ihn sein schlechtes Gewissen trieb, drückte sie herzlich und bat sie, sich einfach zu setzen. Er machte Kaffee und zeigte dann auf den Aktenkoffer und die herumliegenden Unterlagen. Elsa hatte, am Arbeitstisch im Wohnzimmer stehend, schon einen verstohlenen Blick darauf geworfen. Sie hatte jedoch, wohl weil sie noch schmollte, kein einziges Wort dazu verlauten lassen.
„Das hier, Elsa, ist das heißeste Ding, das wir jemals in den Händen hatten! Wenn ich dir die Geschichte erzählt habe, wirst du vielleicht verstehen, dass ich danach alles vergessen habe, sogar, dich anzurufen. Also, hör einfach mal zu!“
Heino Brandstetter begann in allen Einzelheiten zu erzählen – von dem recht geheimnisvollen Treffen mit dem Informanten, von dem er allerdings nur das Kennzeichen seines BMW kannte und dass er einmal bei der Polizei war, von dem Gespräch, das sie auf dem Parkplatz geführt hatten und schließlich von dem Aktenkoffer, den ihm der Mann überlassen hatte. Vor allem die Tatsache, dass ein hoher Beamter des Verteidigungsministeriums im Zusammenhang mit diesem Fall auf äußerst zweifelhafte Weise zu Tode gekommen war, weckte auch bei Elsa Groninger ein plötzliches Interesse. Brandstetter zeigte ihr die Fotos, die unzähligen Zeitungsartikel und die Schriftstücke, die er im Koffer gefunden hatte und erklärte ihr die verschiedenen Zusammenhänge, die er bereits erkannt zu haben glaubte. Und dass er mittendrin war, sich langsam ein klareres Bild davon zu machen, welche Dimensionen dieser Fall eigentlich hatte. Elsa unterbrach ihn mehrmals mit Fragen und Einwänden und betrachtete die Fotos, hörte aber sonst sehr konzentriert zu.
Zwei Stunden und unzählige Tassen Kaffee später schien Elsa Groninger genauso von der Sache vereinnahmt, wie es Heino Brandstetter am Abend des Treffens mit dem Informanten gewesen war. Nach einer Pause fragte sie ein wenig verwirrt:
„Und was machen wir jetzt?“
„Wir stellen den Fall mit der Ruhr-Pharma zunächst mal zurück. Ich hätte gerne, dass wir uns ganz auf den neuen Auftrag konzentrieren. Aber ich brauche dazu deine Hilfe, Elsa. Du bist nun so gut im Bilde wie ich, was die Fakten angeht. Ich habe mir überlegt, dass wir mit den Zeugen beginnen.“
„Gut. Aber damit eines klar ist: Ich habe ein Abendessen bei dir gut, bei unserem Lieblingsitaliener, mit Wein und Nachtisch! Okay, dann lass‘ uns gleich morgen mit diesem Roman Brosinski beginnen. Vielleicht haben wir Glück und treffen ihn zuhause an. Wir sollten uns eine Strategie überlegen, wie wir ihn am besten für unsere Sache gewinnen können.“ An Elsas Gesichtsausdruck konnte Brandstetter erkennen, dass sie eine solche bereits im Kopf hatte.
Am nächsten Morgen fuhren sie mit Elsas Wagen auf die Autobahn Richtung Neuss. Nun würde es sich zeigen, ob sie Brosinski zum Reden bringen konnten oder nicht, denn ihnen war bewusst geworden, dass er möglicherweise ein wichtiges Puzzleteil im Gesamtbild ihrer Recherchen und Ermittlungen war. Er hatte direkten Kontakt mit Van de Heijden. In Neuss angekommen, suchten sie sich zuerst ein kleines Hotel, denn sie würden mindestens zwei Tage hier in der Gegend bleiben. Als sie dann gegen Mittag an der Haustür des etwas abseits gelegenen Hauses klingelten, in dem Brosinski wohnen sollte, waren sie überrascht, dass sofort geöffnet wurde. Ein kräftiger Mann mit Vollbart und langen dunklen Haaren, etwa Mitte fünfzig, erschien in der Tür.
„Was wollen Sie?“ war die kurze Frage, die mit einer gewollt abschreckenden Unfreundlichkeit gestellt wurde.
„Sind Sie Herr Roman Brosinski?“ fragte Elsa freundlich.
„Und wer möchte das wissen?“ antwortete der Mann, dessen Gesicht offenes Misstrauen zeigte. Elsa Groninger und Heino Brandstetter verstanden sofort, dass sie hier nicht gerade mit offenen Armen empfangen wurden. Nun, das konnte ja heiter werden! Aber einen Versuch war es wert.
„Mein Name ist Elsa Groninger, das ist Heino Brandstetter. Wir wollten Sie fragen, ob Sie bereit wären, uns einige Fragen zu einem ihrer Pächter zu beantworten. Es geht um Daan van de Heijden. Aber keine Angst – wir sind weder von der Polizei noch von einer Behörde.“
„Dann brauche ich Ihnen wohl auch keine Antworten geben. Wer sind Sie denn überhaupt? Jetzt sagen sie nur nicht, dass Sie von der Presse sind! Die haben mir damals fast noch mehr Ärger gemacht als die Polizei. Die standen ständig vor der Tür. Danke, mein Interesse an Interviews hält sich in Grenzen!“
„Bitte, Herr Brosinski, warten Sie!“ rief Elsa, bevor ihnen der Mann die Tür vor der Nase zuschlagen konnte. „Wir wollen Ihnen nichts Böses, wir wollen Sie weder öffentlich bloßstellen noch Ihnen in irgendeiner Form Unannehmlichkeiten bereiten. Hier geht es um etwas anderes. Aber wir brauchen, um ganz ehrlich zu sein, Ihre Hilfe, bitte!“
Es war nicht ganz klar, was den Mann nun veranlasste, nach kurzem Zögern und einem Seufzer der Resignation doch noch zur Seite zu treten und beide herein zu bitten. War es vielleicht Elsas unwiderstehlich hilfloser Blick, der den Beschützerinstinkt Brosinskis geweckt hatte oder waren es die unscheinbaren Worte „bitte“ und „Hilfe“, die sein Interesse plötzlich hervorgezaubert hatten. Er schaute noch mal kurz in beide Richtungen die Straße hinunter, nachdem Elsa Groninger und Heino Brandstetter den Flur betreten hatten, und schloss dann die Haustür.
„Kommen Sie mit!“ forderte Roman Brosinski die beiden auf. Ein leises, aber doch unüberhörbar bedrohliches Knurren empfing sie im Wohnzimmer, das eindeutig von einer riesigen Dogge ausging, die in der hinteren Ecke des Raumes auf einer Decke lag und sich bereits mit gespannten Muskeln halb aufgerichtet hatte, um klarzustellen, wer hier der Herr im Hause war.
„Keine Angst, Devil ist harmlos, solange Sie nicht versuchen, sich hektisch zu bewegen oder mich angreifen. Dann allerdings garantiere ich für nichts mehr“. Brosinski ließ ein trockenes Lachen hören und ging in die Ecke, um Devil mit beruhigenden Worten zu streicheln. Den Namen des Hundes hätte man wohl nicht treffender auswählen können, wenn man ihm in die tiefschwarz funkelnden Augen blickte. „Also bitte, dann nehmen Sie mal Platz.“ Elsa und Heino setzten sich vorsichtig und ohne „sich hektisch zu bewegen“ an den runden Tisch vorm Fenster des Wohnzimmers. Nachdem auch Brosinski neben den Journalisten Platz genommen hatte, wollte er sogleich Klarheit schaffen.
„Ich weiß nicht, was Sie von mir hören wollen, aber eines weiß ich sehr genau: Wenn irgendjemand davon erfährt, dass Sie hier waren und mit mir über diese Geschichten von damals gesprochen haben, bin ich ein toter Mann. Aus diesem Grund sind Sie doch hier, oder etwa nicht? Sie können sicher verstehen, dass ich dazu keine große Lust verspüre.“
„Welche Geschichten meinen Sie?“
„Sie sind doch wegen den Niederländern hier, stimmt‘s? Diese Speditionsheinis.“ Brosinski klang nicht gerade begeistert.
„Ja, sicher. Aber niemand wird etwas von unserem heutigen Besuch erfahren, darauf haben Sie unser Wort“, bestätigte Elsa Groninger. „Uns geht es um folgendes: Sie haben damals eine wichtige Zeugenaussage bezüglich der Firmen Van de Heijden und Steelmans Transporten gemacht. Kurz darauf haben sie ihre Aussage wieder zurückgenommen. Ist das richtig?“
Brosinski rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er fühlte sich offensichtlich nicht wohl bei diesem Thema.
„Ja, denn meine Aussage hat nicht dazu geführt, dass diese Gangster verurteilt wurden. Sie führte aber dazu, dass wenige Tage danach ein zwielichtiger Anwalt vor meiner Tür stand und mir mit deutlichen Worten drohte. Und er sah weniger nach einem Anwalt aus als nach jemand, der seine Drohungen auch gleich in die Tat umsetzen könnte. Ich wäre froh gewesen, wenn ich den da damals schon gehabt hätte.“ Er deutete mit dem Daumen über die Schulter in Richtung Devil.
„Nun, man konnte diese Leute nie verurteilen, weil alle Aussagen immer wieder zurückgezogen wurden, so wie die Ihre“, erläuterte Elsa.
„Er hat Ihnen Schweigegeld angeboten?“ mischte sich nun erstmals Heino Brandstetter ein.
„Dazu möchte ich nichts sagen. Ich denke, das geht Sie auch nichts an, oder?“
„Herr, Brosinski, es ist uns völlig gleich, ob sie Geld genommen haben oder nicht. Es interessiert uns auch nicht. Wir verstehen ihre Situation sehr gut. Aber wir wollen nachvollziehen, wie diese Verbrecher Zeugen wie Sie unter Druck setzen konnten, mehr nicht. Also bitte, helfen Sie uns.“
„Hören Sie, er gab mir mit klaren Worten zu verstehen, das Geld nehmen und den Mund halten, und sollte das nicht funktionieren, könnte ich nicht mehr gefahrlos über die Straße gehen. Was hätte ich denn tun sollen? Der sah nicht gerade so aus, als könne er den ganzen Tag Spaß verstehen!“
„Niemand macht Ihnen daraus einen Vorwurf, darum geht es uns hier wirklich nicht. Wir sind keine Presseleute im gewohnten Sinne, die nur darauf aus sind, ihre täglichen Artikel zu bekommen. Wir recherchieren investigativ, dass bedeutet, unser ganzes Bestreben ist es, die Leute endlich zur Strecke zu bringen, gegen die wir recherchieren, indem wir glasklare Beweise finden. Das ist oft eine monatelange Puzzle-Arbeit. Und Ihre Aussage ist ein ganz wichtiger Teil davon, verstehen Sie?“
„Die finden immer einen Ausweg. Und wenn es bedeutet, Zeugen einfach aus dem Weg zu räumen! Und wie man ja gesehen hat: Die kommen immer durch damit!“
„Wir haben bereits einige handfeste Fakten gegen diese Leute gesammelt, die wir jedoch noch belegen müssen. Dazu brauchen wir die Hilfe von Betroffenen wie Ihnen, Herr Brosinski! Sie können dafür sorgen, dass unsere Indizien zu hieb- und stichfesten Beweisen werden, die dann auch endlich für eine Verurteilung ausreichen. Es wäre auch für Sie von Vorteil, wenn sie uns in dieser Sache unterstützen könnten.“
„Ich kann das nicht. Ich habe keine Lust zu sterben, verstehen Sie?“ Auf Brosinskis Stirn bildete sich ein Schweißfilm, der durch das schummrige Licht der Hängelampe über dem Tisch noch mehr glänzte. Nervös fingerte er eine Packung Zigaretten aus seiner Hosentasche. Elsa gab ihm Feuer und legte ihm dann beruhigend die Hand auf dem Unterarm.
„Ohne Ihre Hilfe sind wir ziemlich machtlos, und solange diese Kerle ihr Unwesen treiben, sind auch Sie nicht mehr sicher. Selbst wenn die nur annehmen, dass Sie geplaudert haben, ob es nun stimmt oder nicht, ist Ihr Leben in ständiger Gefahr. Diese Angst hat für Sie nie ein Ende! Wollen Sie denn jeden Augenblick ihres Lebens mit dem Schlimmsten rechnen müssen? Möchten Sie ständig über die Schulter schauen, ob man Sie verfolgt, beobachtet oder bedrohen will?“ fragte Elsa mit eindringlicher und zugleich mahnender Stimme.
„Nur wenn wir diese Leute hinter Gitter bringen können, sind auch Sie wieder sicher. Aber Sie müssen uns helfen“, soufflierte Brandstetter, „ohne die Mitarbeit von Ihnen und den anderen Zeugen werden wir nicht viel erreichen. Alles bleibt dann beim Alten, auch ihre ständige Bedrohung lebt weiter.“
„Sie werden auch die anderen befragen?“
„Ja, jeden einzelnen. Und ich sage Ihnen, dass wir nicht eher ruhen werden, bis wir die erforderlichen Beweise haben, darauf können Sie sich verlassen, ob mit oder ohne Ihre Hilfe. Aber wenn Sie mitmachen, wäre es für uns wesentlich einfacher.“
„Und welche Sicherheiten habe ich, wenn ich auspacke?“
Von diesem Augenblick an wusste Elsa Groninger, dass Roman Brosinski zumindest in Erwägung zog, doch mit Ihnen zu reden. Nun galt es, die Worte vorsichtig zu wählen.
„Die Sicherheit, dass Sie danach wieder ein Leben ohne Angst führen können“, sagte sie. „Erst wenn aufgrund unserer Recherchen eine Festnahme aller Beteiligten erfolgt ist und es wirklich zum Prozess kommt, werden wir Ihre Aussage und die der anderen Zeugen veröffentlichen. Vorerst sind Sie für uns eine anonyme Quelle. Ihre Identität werden wir nicht preisgeben. Darauf haben Sie unser Wort. In einem möglichen Prozess würden Sie dann allerdings aussagen müssen, denn wenn Sie das nicht tun, war alles umsonst.“
„Verdammt, ich habe es irgendwie geahnt. Es führt zu nichts Gutem, wenn ich Sie reinlasse. Ich hab’s ja geahnt!“ Nun stand Roman Brosinski auf und ging unruhig in seinem Wohnzimmer auf und ab. Devil spitzte derweil die Ohren und man konnte fast sehen, wie er die Gefühlslage seines Herrchens instinktiv spürte. Eine angespannte Stille herrschte im Raum. Würde Brosinski einer Aussage zustimmen? Wie würde er sich jetzt entscheiden? Es vergingen zwei endlose Minuten, bevor er neben Elsa Groninger stehenblieb und die erhofften Worte sagte:
„Also gut. Ich habe Ihr Wort, Frau Groninger?“
„Ja, von uns beiden. Hundertprozentig! Bekanntgabe der Namen erst, wenn der Prozess tatsächlich stattfindet. Ansonsten bleiben Sie eine anonyme Quelle.“
„Dann los, bevor ich es mir nochmal anders überlege.“ Seine Entschlossenheit war greifbar, als er sich zu den beiden Journalisten an den Tisch setzte. Die schwarzen Augen von Devil verfolgten aufmerksam jede seiner Bewegungen.
„Dürfen wir Ihre Aussage auf Band aufzeichnen, Herr Brosinski?“ erkundigte sie Heino Brandstetter.
Noch einmal ein kurzes Zögern, dann ein entschlossenes Nicken. Brosinski stand noch einmal auf, ging zu einer Anrichte neben dem Tisch und zog einen schwarzen Ordner aus einer der Schubladen. Dann setzte er sich wieder an den Tisch. Heino Brandstetter holte ein Aufnahmegerät hervor und schaltete es ein. Dann begann Roman Brosinski, nachdem er sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, mit langsamen Worten:
„Alles begann am 4. September 2014, einem Donnerstag. Ich weiß es noch wie heute. Ich war gerade dabei, ein Angebot für die Reparatur einer meiner Hallen zu prüfen, als ich etwa gegen 9 Uhr einen Anruf von meinem Makler erhielt. Er sagte, er hätte nun endlich einen Interessenten für meine beiden Hallen hier in Neuss-Süd, die er in meinem Auftrag schon seit über zwei Monaten zur Vermietung angeboten hatte. “
„Und der Name des Maklers?“
„Karl Josef Steuler, Industrie-Makler in Kaarst. Er sagte nur, dass es sich bei dem Interessenten um eine niederländische Spedition handele, die in erster Linie Firmenumzüge vom und ins Ausland durchführen würde und meine Hallen als Zwischenlager nutzen wollte. Der Name der Spedition sei Van de Heijden. Ich stimmte einem Termin am nächsten Tag um 10 Uhr 30 zu. Als ich das Büro des Maklers betrat, war der Niederländer bereits da. Nach der Begrüßung fragte er sogleich, ob ich die Hallen auch auf einen längeren Zeitraum, er dachte dabei an zehn Jahre, vergeben würde. Da das Mietpreisangebot sehr großzügig ausfiel, war ich natürlich sofort einverstanden und wir unterzeichneten direkt den Vertrag. Für mich bedeutete das einige Jahre keinen Vermietungsstress. Die Schlüssel wurden übergeben und damit war die Sache für mich erledigt.“ Er öffnete seinen Ordner und holte eine Kopie des Vertrages mit Daan Van de Heijden heraus, die er vor Elsa und Heino auf den Tisch legte.
„Können wir eine Kopie des Vertrages von Ihnen erhalten?“ fragte Heino Brandstetter, nachdem er das Dokument überflogen hatte.
„Das ist eine Kopie. Nehmen Sie die, Sie können sie behalten. Das Original liegt unter Verschluss bei meinem Anwalt – nur zur Sicherheit, versteht sich.“
„Hatten Sie ihm bei Übergabe alle Schlüssel der Hallen überlassen?“ wollte Elsa noch wissen.
„Nein. Einen Schlüssel halte ich immer für Notfälle zurück wie beispielsweise Brand oder Einbruch. Ist zwar nicht in Ordnung, aber wenn dort irgendetwas passiert, kann ich notfalls mit Abstimmung der Mieter handeln. Ich nutze die Schlüssel jedoch nicht, um die Hallen meiner Mieter zu betreten und um dort herumzuschnüffeln. Nicht, dass Sie das meinen. Manche Hallen werden tage- und wochenlang von ihren Nutzern nicht betreten. Da kann schon mal was passieren.“
„Und Van de Heijden wusste das?“
„Nein, natürlich nicht. Dann, irgendwann Anfang Februar des folgenden Jahres, hat mich ein Bekannter aus der Branche angerufen und mir erzählt, ich solle mal ein Auge auf meine beiden Hallen in Neuss-Süd haben, dort würden seltsame Aktivitäten stattfinden.“
„Wer war der Bekannte?“
„Müssen Sie das denn wirklich alles wissen?“ Roman Brosinski war es etwas unbehaglich zumute. Eigentlich wollte er nicht, dass sein Bekannter, mit dem er auch noch gut befreundet war, da mit reingezogen wurde.
„Ja, wäre schon besser. Aber das heißt noch lange nicht, dass auch alle Namen später öffentlich werden. Wir fragen nur, um dort nochmal nachhaken zu können, falls noch etwas unklar ist.“
Den wahren Grund wollte Elsa nicht nennen. Aber am Ende war es wichtig, dass die Beweiskette lückenlos und gut nachvollziehbar war. Und dazu gehörte jeder noch so kleine Hinweis, vor allem auf die beteiligten Personen. Außerdem hatten Elsa und Heino inzwischen den Eindruck, dass das Reden ihrem Zeugen doch guttat und er erleichtert wirkte. Und je mehr Informationen sie bekamen, desto besser! Aber der Mann brauchte nicht alle Einzelheiten zu wissen.
„Den Tipp gab mir Walter Boenicke. Wir kennen uns seit vielen Jahren. Er hat dort ganz in der Nähe ebenfalls einige Objekte vermietet, die er regelmäßig aufsucht.“
„Was haben Sie danach gemacht, als Sie diese Information erhalten hatten?“ fragte Brandstetter.
„Ich habe mir diese Aktivitäten zusammen mit Boenicke mal angesehen, natürlich nur aus der Ferne. Aber was dort passierte, war schon äußerst merkwürdig. Eines Abends standen dort zwei Geländewagen, ein weißer Porsche und drei Zugmaschinen mit Hängern. Eine gehörte Van de Heijden, die beiden anderen einer Spedition namens Steelmans Transporten. Wir haben beobachtet, das aus dem Fahrzeug von Van de Heijden und aus einer der Lagerhallen jede Menge Kisten, alle in gleicher Form und Größe auf die Lastzüge von Steelmans Transporten verladen wurden. Erstmal nichts Besonderes, aber …“ Roman Brosinski zögerte, als müsse er über etwas intensiv nachdenken.
„Aber…?“
„Das Merkwürdige an der Sache war, dass alle diese Kisten mit einem Aufkleber versehen waren, auf dem groß und breit der Bundesadler prangte. Verstehen Sie mich? Das Staatswappen, der Bundesadler! Der war auf allen Kisten drauf. Das hat mich schon stutzig gemacht. Was hatten die in den Kisten drin?“
„Und Sie beide haben das Wappen eindeutig erkannt? Können Sie sagen, wie viele dieser Kisten es ungefähr waren?“
„Ja, wir haben es beide gesehen! Und mit Sicherheit waren es über sechzig Kisten!“ schätzte Brosinski. „Es war eindeutig der Bundesadler. Das sah nun mal gar nicht nach einem Firmenumzug aus. Nach dem Verladen haben die beiden Lastzüge von Steelmans Transporten das Gelände in Richtung Autobahn verlassen.“
„Und weiter, was geschah danach?“
„Nun, etwa drei Wochen später wiederholte sich die ganze Aktion noch einmal. Dieses Mal war ich alleine vor Ort. Etwa die gleiche Menge und genau die gleichen Kisten.“
„Wieder mit Bundesadler?“
„Ja, aber nicht alle. Etwa die Hälfte.“
„Haben Sie auch Fahrzeuge anderer Speditionsfirmen auf ihrem Gelände beobachtet, Herr Brosinski?“ fragte Elsa nun.
„Nein, nur die von Van de Heijden und Steelmans Transporten, keine anderen.“
„Und Sie sind nicht auf die Idee gekommen, mittels Ihres Schlüssels einmal nachzusehen, was da in Ihren Hallen gelagert wird?“
„Um Himmels willen, nein!“ rief Roman Brosinski, als würde man ihn eines schweren Vergehens beschuldigen. Devil in der Ecke des Zimmers spitzte wieder verdächtig wachsam die Ohren, ohne sich jedoch aufzurichten. Trotzdem fragte sich Elsa in diesem Moment, ob der Mann den Hund im Ernstfall wirklich unter Kontrolle hatte.
„Und was wäre, wenn wir für Sie nachsehen würden? Sie müssen kein Risiko eingehen und würden dennoch Klarheit bekommen über das, was da vor sich geht. Wir gehen mit Ihrem Schlüssel rein, schauen uns mal um und verschwinden wieder. Niemand wird jemals bemerken, dass wir dort waren.“ Heino Brandstetter ging nun aufs Ganze! Es herrschte mit einem Mal Totenstille im Raum. Die Journalisten sahen in ein ungläubiges Gesicht.
„Mein Gott, sie müssen entweder lebensmüde oder wahnsinnig sein, oder beides!“ Brosinski traute seinen Ohren nicht! Aber diese Idee hatte doch einen gewissen Reiz für ihn! Aber was geschah, wenn die beiden erwischt wurden? Nun, dann war‘s eben deren eigenes Risiko!
„Vielleicht sind wir lebensmüde, aber wir kennen das Risiko. Dennoch, es würde uns die nötige Gewissheit bringen und wenn wir Glück haben, die stichhaltigen Beweise, die wir brauchen, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten“, schob Elsa nach.
„Also gut. Ist ihr Risiko. Aber wenn Sie Gefahr laufen, entdeckt zu werden, kennen wir uns nicht. Ist das klar?“ Brosinski ging noch einmal zu der Schublade, in der sich auch der Ordner befunden hatte, und holte einen Schlüsselbund hervor, von dem er zwei der Schlüssel löste und Heino Brandstetter reichte mit dem Hinweis, sie nach der „Inspektion“ wieder bei ihm vorbeizubringen.
Brandstetter nahm die Schlüssel entgegen und holte dann die Fotos, die er im Aktenkoffer gefunden hatte, aus seiner Tasche, um sie vor Brosinski auf den Tisch zu legen. „Schauen Sie sich diese Bilder genau an, erkennen Sie jemanden darauf?“
Auf einem der Fotos erkannte Brosinski seine beiden Hallen wieder. Vor dem Eingang der einen standen sechs Männer, von denen einer unverkennbar Claudius Steelmans war, vertieft in ein Gespräch mit einem weiteren, der einen Aktenkoffer bei sich hatte. Die beiden Männer sahen sich irgendwelche Papiere an. Brosinski deutete sofort auf einen dritten, der die beiden ersten von der Größe her deutlich überragte, und sagte:
„Das hier ist Daan van de Heijden, der mit mir den Mietvertrag gemacht hat. Und damals, als wir die Leute mit dem Feldstecher beobachtet haben, war der andere hier“, er deutete auf den Mann neben Steelmans, „auch dabei. Er hatte die ganzen Papiere mitgebracht und dem Kleinen mit der Glatze übergeben. Er war derjenige, dem der weiße Porsche gehörte. Der Wagen hatte, soweit ich mich erinnere, ein Bonner Kennzeichen, das weiß ich noch. Irgendetwas mit drei Neunen hinten. Und der hier – das ist der Anwalt, der mich bedroht hat!“ Roman Brosinski deutete aufgeregt auf einen der vier Männer im Vordergrund. Er hatte lange, blonde Haare und viel mehr das Aussehen eines Auftragskillers als das eines Anwalts.
„Kennen Sie seinen Namen?“
„Nein, bevor der bei mir auftauchte, hatte ich den Kerl noch nie gesehen.“
„Gut, jedenfalls wissen wir nun, wo wir den Wagen finden“ stellte Heino Brandstetter zufrieden fest. „Eine Frage wäre da noch, Herr Brosinski. Weshalb haben Sie bei der niederländischen Polizei ausgesagt? Man durfte Sie in den Niederlanden doch gar nicht vorladen, oder?“
„Nun, ich war leider verpflichtet, einer Vorladung Folge zu leisten. Ich bin niederländischer Staatsbürger.“