Читать книгу Tod in Amsterdam - Ben Kossek - Страница 15
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Arndt Köster wartete bereits, als Alex Berger und Jan Scheuer kurz vor neun Uhr den Arbeitsbereich im Gebäude der Rechtsmedizin betraten. Die Leiche Robert Kleinschmidts lag auf einem der Untersuchungstische und war bis zum Kinn mit einem weißen Tuch bedeckt. Eine Nackenstütze hielt seinen Kopf in einer leicht nach vorne gebeugten Haltung. Aufmerksam begutachtete Berger nun das Gesicht des Ermordeten. Offenbar hatte Köster nach Abschluss der Untersuchung versucht, dem Toten ein einigermaßen erträgliches Aussehen zu verschaffen, bevor man die Fotos angefertigt hatte.
„Ich habe mich bemüht, ihn ein wenig herzurichten. Heute Nachmittag kommt die Ehefrau zur offiziellen Identifizierung. Dann soll er wenigstens einigermaßen aussehen“, sagte Köster, ohne die Begrüßung der Kollegen abzuwarten. „Aber alles kann auch ich nicht verschwinden lassen.“
„Und weiter?“ fragte Scheuer mit einem deprimierten Blick auf die blasse Haut der Leiche. Dieser Ort hier, die Rechtsmedizin, gehörte nicht unbedingt zu seinen Lieblingsorten, an denen er gerne viel Zeit verbringen wollte. Ganz im Gegenteil, alleine der Geruch von Formaldehyd war ihm in höchstem Maße zuwider, und im Stillen war er dankbar für den bescheidenen Umstand, dass er zumindest einen Großteil seiner Arbeitszeit an der frischen Luft verbringen konnte.
„Aber wie ich schon sagte, es war eine Hinrichtung, ein aufgesetzter Schuss, bei dem die Kugel von schräg oben abgefeuert wurde und direkt unter dem Kinn wieder ausgetreten ist. Hier erkennt man deutlich das Stanzmuster.“ Köster zeigte mit einem Kugelschreiber auf die Stelle, an der eine kreisrunde, dunkle Verfärbung auf der Kopfhaut des Opfers zu sehen war. „Es entsteht, wenn ein Abdruck der Mündung einer Waffe durch Schmauchgas auf der Haut abgebildet wird, so ähnlich wie bei einem Stempel.
Die Hirnschädigungen weisen darauf hin, dass der Mann sofort tot war.“
„Wie sieht es mit inneren Verletzungen aus?“ fragte Berger.
„Nein. Ich fand zwar zahlreiche Prellungen, im Gesicht wie auch am gesamten Oberkörper, aber keine inneren Verletzungen.“ Köster deckte den Körper bis zur Taille auf und deutete auf mehrere Hämatome. Der Brustkorb Robert Kleinschmidts war geöffnet worden, wie der vernähte Y-Schnitt zeigte. „Die Todesursache war eindeutig die Schussverletzung. Erstaunlich, dass das Geschoss den Schädel so glatt und einfach durchschlagen konnte. Es kommt schon mal vor, dass es irgendwo stecken bleibt.“ Arndt Köster zuckte mit den Schultern, als wolle er sich dafür entschuldigen, dass das Geschoss dieses Mal nicht stecken geblieben war.
„Du wärst aber nicht unser Arndt Köster, wenn Du nicht noch etwas für uns in der Hinterhand hättest. Also mein Freund, raus mit der Sprache. Was hast du noch für uns?“ drängte Jan Scheuer.
„Es gibt da tatsächlich noch etwas: Unter seinen Fingernägeln haben wir noch Hautpartikel von zwei unterschiedlichen DNA-Strukturen, also von zwei verschiedenen Personen sichergestellt. Offenbar hat er sich heftig gewehrt. Die DNA-Analyse läuft noch. Damit steht zumindest schon mal fest, dass es zwei oder mehr Täter waren.“
„Das ist doch gar nicht so schlecht für den Anfang. Du bist ein guter Junge, Arndt. Schicke uns die Ergebnisse rüber, wenn Du fertig bist.“
„Alles klar. Ach so, noch etwas. Schaut mal bei Stenzel in der KTU vorbei. Der Gunnar hat auch noch was Interessantes für euch Spürnasen.“
Berger und Scheuer bedankten sich und machten sich sogleich auf den Weg zur Kriminaltechnischen Untersuchung. Das Gebäude lag quer über den Hof. Dort trafen sie kurze Zeit später deren Leiter Gunnar Stenzel an, der gerade mit zwei weiteren Technikern den schwarzen Audi A8 von Robert Kleinschmidt unter die Lupe nahm.
„Hallo Gunnar, wie geht es Frau und Kindern?“ fragte Berger, als sie die Halle betraten, die zumindest ansatzweise eine verblüffende Ähnlichkeit mit einer Autowerkstatt aufwies. Hier wurden die Fahrzeuge kriminaltechnisch nach Fingerabdrücken, Blutspuren, Unfallschäden und sonstigen Auffälligkeiten untersucht, aber auch technische Manipulationen an Fahrzeugen waren Gegenstand der alltäglichen Arbeit der KTU-Kollegen.
Gunnar Stenzel, der gerade mit dreiviertel seines Körpers im Kofferraum des Audi verschwunden war, kam leicht seufzend wieder zum Vorschein.
„Danke der Nachfrage, Alex, wie immer. Keine besonderen Vorkommnisse“, antwortete Stenzel lässig im Jargon der „kämpfenden Truppe“. Er hatte als Zeitsoldat jahrelang den Fuhrpark der Kaserne gewartet und einsatzbereit gemacht, während er parallel dazu ein Studium in Fahrzeugtechnik bei der Bundeswehr mit Bravour absolvierte. Sein Vorhaben, nach der Dienstzeit in die Autoindustrie zu wechseln, wurde durch einen Zufall verhindert. Ein guter Bekannter fragte ihn, ob er nicht Lust hätte, in der Kriminaltechnischen Abteilung der Polizei mitzuarbeiten, denn dort brauche man immer kompetente Leute wie ihn. Das Angebot war am Ende so verlockend, dass er zusagte und seitdem allen nur erdenklichen Spuren nachjagte, die zur Aufklärung von Verbrechen dienen konnten. Gunnar Stenzel war mit großer Sicherheit der gründlichste Kriminaltechniker, den Alex Berger bisher kennengelernt hatte. Ihm eilte der beinahe schon legendäre Ruf voraus, sogar die vielzitierte Stecknadel im Heuhaufen aufspüren zu können.
„Arndt meinte, hier waren Profis am Werk. Nun, ich bin mir da nicht mehr so sicher“, ergänzte Stenzel. „Es sei denn, dass sie bei ihrem Vorhaben gestört wurden, worauf auch wieder einiges hindeutet.“
„Weshalb? Hast du denn irgendwelche Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen?“
„Kann man wohl so sagen. Im Inneren des Wagens haben wir überall Brandbeschleuniger gefunden und den leeren Kanister gleich dazu. Als wir den Wagen fanden, waren zwei der vier Türen nur angelehnt, das Fahrzeug war also gar nicht verschlossen. Man wollte das Fahrzeug wohl in Brand stecken, um Spuren zu verwischen. Aber offensichtlich sind die Typen dabei gestört worden, denn dazu kam es nicht mehr! In meinen Augen nicht sehr professionell. Fingerabdrücke leider Fehlanzeige, nur die von Kleinschmidt und einige kleinere Abdrücke, ich denke mal, von der Frau und den Kindern. Die Reifenspuren vom Tatort im Deutzer Hafen sind leider nicht identisch mit dem Profil des Audi, das war aber auch nicht anders zu erwarten.“
„Dann gab es aber möglicherweise Zeugen am Supermarkt-Parkplatz! Haben wir in Bezug auf die Reifenspuren Hinweise auf das Entführer-Fahrzeug vom Tatort im Deutzer Hafen?“ fragte Scheuer.
„Allerdings. Das Reifenprofil vom Hafen passt zu einem 20-Zoll-Michelin. Der GLE 63, Baujahr 2015 mit AMG-Fahrwerk, Baureihe W 166 von Mercedes Benz wurde zum Beispiel von Beginn an serienmäßig damit ausgestattet – möglicherweise ein Fahrzeugtyp, auf das ihr euer Augenmerk richten solltet.“
„Gunnar, du bist doch der Beste!“ strahlte Jan Scheuer.
„Langsam, Jungs. Das ist noch nicht alles, denn das Beste kommt wie immer zuletzt! Kommt mal mit!“ Mit einem bemerkenswert zufriedenen Gesichtsausdruck ging Stenzel in Richtung seines Büros, das sich im hinteren Bereich der Halle befand. Berger und Scheuer folgten ihm.
„Das haben wir noch im Wagen von Robert Kleinschmidt gefunden!“ Mit diesen Worten hielt er triumphierend zwei in durchsichtige Folie eingeschweißte Gegenstände in die Höhe, die auf seinem Schreibtisch nur darauf gewartet hatten, präsentiert zu werden. Der erste war eine Aktentasche mit oben offenem Reißverschluss, der zweite ein Lederarmband, das zerrissen war. „Die Tasche war zwar leer, aber am Reißverschluss konnten wir weitere DNA-Spuren feststellen, ebenso an diesem Armband, das wohl bei dem Handgemenge zerrissen wurde und zwischen Fahrersitz und Mittelkonsole gerutscht war. Und: die DNA-Spuren stammen von zwei verschiedenen Personen, beide nicht vom Opfer und, jetzt kommt’s: Nur eine DNA war identisch mit denen unter Kleinschmidts Fingernägeln!“
„Aber das bedeutet ja …“ begann Berger, bevor ihm Stenzel mit überlegenem Unterton in der Stimme das Wort abschnitt.
„Natürlich, mein Guter! Es waren mindestens drei Entführer. Alles klar?“
„Das nenne ich mal eine gute Arbeit, Gunnar! Sie haben wohl in der Aktentasche etwas gefunden, hinter dem sie her waren, wahrscheinlich irgendwelche Dokumente oder Fotos. Haben wir noch neue Informationen über die Mordwaffe, die bei Kleinschmidts Erschießung verwendet wurde?“
Wie „aus der Pistole geschossen“ folgte Gunnar Stenzels Antwort. „Aber ja doch, wir haben das Projektil nach einigem Suchen zwischen den Containern in der Erde gefunden. Kaliber 9 mal 19, Vollmetallmantel, auch bekannt als Parabellum. Leider ist es das mit Abstand am meisten verwendete Geschoss. Die Mordwaffe könnte demnach eine Beretta, eine Luger, eine Glock, eine belgische FN oder eine Werweißwas sein! Auch einige Waffentypen aus dem Ostblock verwenden diese Munition. Da kann ich nur sagen, viel Spaß bei der Suche! Das Projektil wird gerade drüben von den Ballistikern auf die üblichen charakteristischen Merkmale untersucht. Das war`s erstmal für den Augenblick, Jungs. Wir sagen euch natürlich sofort Bescheid, sollten wir noch etwas finden.“
„Danke, Gunnar. Und gib` uns die Ergebnisse später rüber.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Berger, während Scheuer mit einem anerkennenden Grinsen lässig einen Daumen in die Höhe hielt und Berger auf dem Weg ins Büro folgte.
Die neuen Erkenntnisse mussten nun in ihre Ermittlungen mit einbezogen werden, und außerdem stand noch der Besuch bei der Brunex AG auf dem Plan. So wie es aussah, gab es nun jede Menge Arbeit! Aber eine Frage wollte Alex Berger immer noch nicht aus dem Kopf: Weshalb wurde Robert Kleinschmidt ausgerechnet auf dem Gelände dieser Metallhandelsfirma im Deutzer Hafen erschossen? Warum hatten die Täter den unkalkulierbar weiten Weg vom Supermarkt-Parkplatz bis hin zum Deutzer Hafen auf sich genommen? Es musste hier einfach noch einen Zusammenhang geben, den sie bei Ihren bisherigen Überlegungen übersehen hatten.
Als sie wieder das Büro betraten, blieb Berger plötzlich stehen. Die Erkenntnis kam wie aus heiterem Himmel. Natürlich – es gab nur eine Erklärung für die Auswahl des Tatorts! Die Täter oder zumindest einer von ihnen kannten die Örtlichkeiten! Aber woher nur? Er teilte seine Vermutung Jan Scheuer mit. Dieser verzog nachdenklich das Gesicht und verfolgte den Gedanken weiter:
„Entweder kennen die Täter Stoll und seine Firma – oder mindestens einer von Ihnen hat vielleicht sogar dort gearbeitet. Ich glaube, wir müssen Stoll noch einmal einen kleinen Besuch abstatten, oder was meinst Du?“