Читать книгу Tod in Amsterdam - Ben Kossek - Страница 19
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Am darauffolgenden Vormittag betraten Alex Berger und sein Kollege Jan Scheuer gegen 10 Uhr erneut die Eingangshalle der Brunex. Als die junge Empfangsdame sie kommen sah, griff sie hastig zum Telefon, wohl um die Chefetage vom Eintreffen der Beamten zu warnen. Aus diesem Grund gingen beide zielstrebig am Empfang vorbei in Richtung Aufzug und fuhren nach oben, die ratlosen Blicke der jungen Frau im Rücken.
Als die Beamten im vierten Stock aus dem Aufzug traten, kam ihnen Ludger Brunnhausen schon etwas ungeduldig auf halbem Wege entgegen:
„Guten Morgen, meine Herren, ich habe sie heute gar nicht erwartet.“
„Herr Brunnhausen, wir werden nur sehr selten erwartet. Das ist unser Schicksal. Aber damit können wir gut leben. Und wir werden Ihre Zeit heute nicht groß in Anspruch nehmen. Stattdessen dürfen Sie uns gerne einen ihrer Räume zur Verfügung stellen, damit wir uns dort ungestört mit einigen Ihrer Mitarbeiter unterhalten können.“ Alex Berger hielt die Mitarbeiterliste hoch, die Brunnhausen gestern Abend noch per Fax von seiner Sekretärin hatte übermitteln lassen. Jan Scheuer grinste wie so oft.
„Es wäre besser gewesen, Sie hätten uns vorab Bescheid gesagt. Heute ist das leider sehr ungünstig, wir haben nämlich …“
„Wir kommen immer ungünstig, sagt man uns jedenfalls“, erwiderte Jan Scheuer mit seinem breiten Lächeln. „Da wir aber vermeiden wollen, ihre Mitarbeiter bei uns ins Kommissariat zu bestellen, werden Sie uns sicher gerne helfen?“
„Äh … ja, richtig“, antwortete der Geschäftsführer widerwillig, aber ohne weitere Einwände. Ludger Brunnhausen war klug genug, um zu erkennen, dass er hier am kürzeren Hebel saß und es eine deutlich unangenehmere und aufwendigere Angelegenheit werden könnte, die Mitarbeiter auf der Dienststelle zu befragen.
„Bitte folgen Sie mir in den ersten Stock. Wir haben dort einen ruhigen Konferenzraum, den Sie nutzen können.“
Nachdem Berger und Scheuer im Konferenzraum angekommen waren und Platz genommen hatten, bat Berger den Geschäftsführer höflich, aber bestimmt: „Könnten Sie den Kollegen Brehm zu uns bitten? Er wäre der Erste aus der Abteilung Kleinschmidts, den wir gerne sprechen möchten, wenn es Ihnen keine Umstände macht.“
Die selbstsichere Art, mit der die Beamten auftraten, missfiel Brunnhausen offensichtlich, das war er in dieser Form nicht gewohnt. Doch wusste er auch, dass es nicht klug war, sich polizeilichen Ermittlungen unnötig in den Weg zu stellen. Keine zwei Minuten später betrat Tobias Brehm den Raum. Brehm war einer von fünf Mitarbeitern der Abteilung „Logistik“. Er begrüßte Berger und Scheuer freundlich, während er sich zu ihnen an den Tisch setzte. Die Beamten befragten ihn zunächst zu seinen Personalien und danach über sein Verhältnis zu dem ermordeten Robert Kleinschmidt. Brehm beantwortete alle Fragen bereitwillig und ohne zu zögern.
„Ich hatte zu Robert ein ganz normales Verhältnis. Natürlich wussten wir alle von seinem Alkoholproblem. Und auch seine Weibergeschichten waren hier bekannt. Doch er trank niemals während der Arbeit, war immer hilfsbereit und sehr engagiert, was den Job anging. Ich kann mich nicht erinnern, dass er sich jemals etwas zu Schulden kommen ließ oder einen Fehler gemacht hätte. Ich persönlich hatte keinerlei Problem mit ihm, im Gegenteil, wir haben uns gegenseitig respektiert.“
„Pflegten Sie auch privaten Umgang mit Kleinschmidt? Etwa Besuche oder gemeinsame Feiern mit Familie und dergleichen?“ wollte Berger wissen.
„Nein, unser Verhältnis war rein geschäftlich. Aber wir mochten uns und wir kamen gut miteinander zurecht, wenn das Ihre Frage war.“
„Ist ihnen an ihm in den letzten Tagen irgendetwas außergewöhnliches aufgefallen? Machte er auf Sie möglicherweise einen angespannten oder nervösen Eindruck?“ fragte Scheuer. Brehm musste nicht lange nachdenken.
„Ja, er wirkte, als wäre er nicht ganz bei der Sache, was absolut nicht seine Art war. Am Montag beobachtete ich, dass er nach einem Telefonat sein Gesicht in beiden Händen vergrub und minutenlang so dasaß. Danach wirkte er sehr blass. Wir waren an diesem Morgen nur zu dritt in der Abteilung, Kollege Loose hat sein Büro zwei Räume weiter, deshalb fiel es sonst niemandem auf. Ich fragte ihn noch, ob alles in Ordnung sei. Er antwortete wie abwesend, alles wäre ok.“
„Und um welche Uhrzeit verließ er am Tag seines Verschwindens, also am Dienstag, das Büro?“ wollte Berger wissen.
„Was ich gehört habe, kurz vor 20 Uhr. Ich selbst bin bereits etwa gegen 19 Uhr 30 gegangen.“
„Eine allerletzte Frage noch: Wo waren Sie in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch zwischen 22 Uhr und 2 Uhr?“
„Nun, meine Frau und ich waren mit einigen Freunden am Dienstagabend Kegeln. Wir haben alle vierzehn Tage dienstags unseren Kegelstammtisch. Wir sind etwa um 23 Uhr 30 wieder zuhause gewesen und danach schlafen gegangen. Im Kegler-Stübchen, falls Sie dort nachfragen wollen.“
„Danke, Herr Brehm. Natürlich müssen wir Ihr Alibi überprüfen, aber das war‘s erst einmal. Wir melden uns, wenn wir noch Fragen an Sie haben. Bitte sagen Sie dem Kollegen Steinmetz, dass wir ihn jetzt sprechen möchten.“
Tobias Brehm nickte und verließ den Raum. Fünf Minuten später erschien sein Kollege Werner Steinmetz, ein untersetzter, etwas fülliger Mann mit Brille und kurz geschnittenen Haaren, um die Mitte vierzig. Er wirkte etwas unruhig und abgespannt, als er Platz nahm. Die Fragen der Beamten bezüglich seiner Personalien beantwortete er ebenfalls bereitwillig.
„Wie standen Sie zu Robert Kleinschmidt, Herr Steinmetz?“ Alex Berger war die Unruhe und Nervosität des Mannes sofort aufgefallen. Auch Jan Scheuer beobachtete ihn aufmerksam und warf Berger einen kurzen, aber vielsagenden Blick zu.
„Kleinschmidt und ich, wir hatten ein sehr gutes Verhältnis“, war die knappe Antwort.
„Und was heißt das genau? Waren Sie miteinander befreundet, hatten Sie auch privaten Kontakt?“
„Nun, wir beide teilen uns seit Jahren ein Büro, da kommt man sich schon mal näher, wenn die Chemie stimmt. Wir haben uns auch privat einige Male mit Familie gegenseitig besucht. Essen und so, im Garten grillen. Einfach mal über dies und das unbeschwert reden.“
„Auch über Ihre Arbeit?“ Berger versuchte, Steinmetz mit einfachen Fragen zum Plaudern zu bringen. Vielleicht fiel ja mal eine unbedachte Bemerkung, bei der man nachhaken konnte. Seine Nervosität musste ja schließlich eine Ursache haben, und dem wollten die Beamten auf den Grund gehen. Berger wie Scheuer hatten beide den starken Verdacht, dass Werner Steinmetz deutlich mehr zu wissen schien, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.
„Nein. Privat haben wir uns aus Sicherheitsgründen nie über die Arbeit und die Aufträge unterhalten. Da gab es so etwas wie ein Ehrenkodex – keine Gespräche über die Arbeit in der Familie. Das war auch nicht erlaubt, das steht so in unseren Arbeitsverträgen.“
„Und daran haben sich auch alle gehalten?“
„Ja, weshalb fragen Sie? Wie gesagt, eine Art Ehrenkodex.“
„Und Kleinschmidts Verhalten die letzten Tage? Ist Ihnen da etwas außergewöhnliches aufgefallen?“
Steinmetz zögerte und begann leicht zu schwitzen, obwohl die Temperatur im Raum eher etwas kühl war. Nervös nestelte er an seinen Händen herum. Ihm erschien wohl die Situation, in der er sich befand, nicht gerade angenehm. Nachdem er mit der Antwort immer noch zögerte, schlug Scheuer vor:
„Wenn Ihnen das hier unangenehm ist, können wir die Befragung auch bei uns im Kommissariat fortführen. Vielleicht fällt Ihnen das Reden dann leichter, wenn wir unter uns sind.“
„Nein, nein, schon gut.“ Steinmetz räusperte sich. „Wissen Sie, es ist nur so. Letzte Woche, ich glaube es war Donnerstag oder Freitag, sagte er plötzlich, als er an mir vorbei zur Tür hinaus ging: ,Loose, dieses verdammte Schwein!‘ Er war ziemlich aufgebracht und ich habe ihn danach fast eine Stunde nicht mehr zu Gesicht bekommen. So habe ich ihn noch nie gesehen. Als er zurückkam, habe ich ihn auf seine Bemerkung hin angesprochen. Robert sagte nur: ,Lass‘ mal, ist schon in Ordnung, Werner. Besser, du hältst dich da mal raus.‘ Ich habe mich zwar etwas gewundert, aber damit war die Sache vorerst einmal für mich erledigt.“
„Vorerst?“ Berger horchte auf.
„Ja. Denn am Montagvormittag, einen Tag vor seinem Verschwinden, fragte er mich, ob ich eine niederländische Spedition namens Steelmans Transporten kennen würde. Ich sagte, dass ich den Namen schon gehört hätte, aber noch nicht mit denen zu tun hatte. Und er sagte daraufhin: ,Hör zu, Werner, wenn die auf dich zukommen sollten bezüglich irgendwelcher Aufträge, dann halt‘ dich von denen fern! Hast du mich verstanden? Halt‘ dich von denen fern!‘ Genau das waren seine Worte. Im ersten Moment war ich völlig überrascht, wollte aber nicht nochmal nachhaken. Ich sagte nur, dass ich mir das merken werde.“
„Diese niederländische Spedition, Steelmans Transporten, haben die schon vorher für ihre Firma gearbeitet?“
„Ja, Kollege Loose hatte des Öfteren mit Ihnen zu tun. Generell beauftragen wir nur Speditionen, zu denen wir auch das nötige Vertrauen haben. Sie wissen ja, um was es bei uns geht. Es sind immer die drei, vier gleichen Spediteure, Steelmans Transporten kam erst vor etwa fünf Jahren dazu, und soviel ich weiß, bekommen die ihre Aufträge immer über Loose. Keine Ahnung, was Kleinschmidt mit denen für Probleme hatte.“
„Wer entscheidet darüber, welche Spediteure die Aufträge bekommen? Die Geschäftsführung oder die Abteilungsleitung?“ wollte Scheuer wissen.
„Wir können selbst einen Spediteur vorschlagen, wenn wir unsere Transportaufträge vergeben. Das wechselt jedoch nicht oft. Meistens sind es immer die gleichen Speditionen, die für uns fahren. Und wir müssen zu denen auch Vertrauen haben. Das sollte natürlich vom Abteilungsleiter genehmigt werden. Der macht mit den Firmen am Anfang erst mal einen Termin und schaut sich die Leute natürlich an, die für uns arbeiten sollen. Am Ende tragen wir immer die Verantwortung, wenn wir bestimmte Firmen vorschlagen und dann etwas schiefgeht. Aber es ging bisher nie etwas schief.“
„Und wie kam es, dass plötzlich Kleinschmidt mit Steelmans Transporten zusammenarbeitete? Die waren doch ausschließlich auf ihren Kollegen …“ Berger schaute nach unten auf die Mitarbeiterliste, „…Reinhard Loose festgelegt. Was gab es dafür für einen Grund?“
„Das war eigentlich ein Zufall. Der Auftrag kam letzte Woche am Mittwoch früh morgens von der AK in die Abteilung. Wenn Loose da gewesen wäre, hätte er den ganz normal übernommen. Aber an diesem Tag hatte er auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall und konnte nicht vor Mittag im Büro sein. Deshalb hatte Stamm, unser Abteilungsleiter, den Auftrag an Kleinschmidt übergeben, bis Loose kam.“
„Robert Kleinschmidt hatte also den ganzen Vormittag Looses Auftrag in Bearbeitung. Ist das richtig so zu verstehen?“ Berger wechselte einen schnellen Blick mit Jan Scheuer, der aufmerksam zuhörte.
„Ja, Robert hatte seinen Auftrag gerade abgeschlossen und war frei. Da ergab es sich, dass er vorrübergehend einsprang, obwohl das keineswegs die gängige Praxis bei uns ist. Wie gesagt, eigentlich nur ein Zufall“, erklärte Steinmetz.
„Keine gängige Praxis, nur ein Zufall …“ Berger sinnierte laut vor sich hin, während Scheuer still nachdachte. Hier lag irgendwie der Schlüssel zu Robert Kleinschmidts Tod, das spürten beide in diesem Augenblick. Ein nicht einkalkulierter Verkehrsunfall hatte dazu geführt, dass Kleinschmidt einen Auftrag in die Hände bekam, der nicht für ihn bestimmt war, den er gar nicht hätte zu Gesicht bekommen dürfen! Er hatte wahrscheinlich etwas aufgedeckt, und das bedeutete sein Todesurteil. Folgerichtig musste der gute Kollege Loose etwas mit der Sache zu tun haben.
„Danke, Herr Steinmetz, Sie haben uns sehr geholfen. Bitte sagen Sie Ihrem Kollegen Reinhard Loose, dass wir ihn jetzt hier sprechen möchten.“
„In Ordnung.“ Steinmetz verließ den Raum. Nachdem er gegangen war, meinte Jan Scheuer: „Der Loose hängt da wohl richtig dick mit drin.“
„Scheint so“, antwortete Berger, „während dieser Abteilungsleiter, Werner Stamm, keine Ahnung zu haben scheint, was da in seiner Abteilung vor sich geht. Sonst hätte er Kleinschmidt wohl nicht so ahnungslos den Auftrag gegeben.“
Zwei Minuten später kam Steinmetz zurück. Mit einer entschuldigenden Geste erklärte er: „Reinhard Loose hat vor etwa zehn Minuten die Firma verlassen – Termin beim Zoll!“