Читать книгу Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern – Band 3 - Benedikt Sturzenhecker - Страница 10
Die methodischen Schritte von GEBe
ОглавлениеDie GEBe-Methode geht davon aus, dass man die Themen und Handlungsweisen gesellschaftlich-demokratischen Engagements von Kindern und Jugendlichen nicht pädagogisch vorzugeben hat, sondern sie im alltäglichen Handeln der Kinder und Jugendlichen entdecken muss. Eine Vorgabe von Themen wäre schon ein Bruch mit der Vorstellung, dass Menschen sich selbsttätig durch ihr Handeln Gesellschaft aneignen und dabei als Subjekt entwickeln und Gesellschaft verändern, ebenso wie sie von Gesellschaft beeinflusst und verändert werden. Wenn sie aber die aktiv Handelnden sind und aus ihrer lebensweltlichen Perspektive ihre Gesellschaft auf ihre Weise herstellen, wäre es verfehlt, die Inhalte und Aneignungsweisen vorweg zu bestimmen – zumindest nicht, wenn man ihre Selbstbildung fördern will.
Der erste Schritt besteht somit darin, zu beobachten und zu dokumentieren, was die Kinder und Jugendlichen im Alltag einer Einrichtung tun. In diesem ohne einen genauen Blick oft als normal, trivial oder unbedeutend erscheinenden Handeln steckt schon die große Gesellschaft – ebenso wie die kleine Gesellschaft der Einrichtung thematisiert wird. Kinder und Jugendliche formulieren ihre gesellschaftlichen Themen, Interessen und Konflikte selten explizit, sondern zeigen diese durch ihre Handlungsweisen. Es braucht daher eine Art Übersetzung zwischen dem, was man pädagogisch sehen kann, und den darin erkennbaren Inhalten.
Daher widmen sich in einem zweiten Schritt die Fachkräfte ihren Beobachtungen und versuchen, darin die für die jungen Menschen wichtigen Themen ihres gesellschaftlichen Handelns in der Einrichtung und der sie umgebenden Gesellschaft zu erkennen. Sie wählen die Themen aus, die ihnen aus Sicht der Kinder und Jugendlichen besonders wichtig erscheinen – und nicht die, die sie für pädagogisch wertvoll halten.
Im dritten Schritt präsentieren die Fachkräfte den Kindern und Jugendlichen, was sie meinen, verstanden zu haben. Sie geben den Kids eine Rückmeldung zu den wichtigen Themen und Aneignungsweisen und gehen darüber mit ihnen in einen Dialog, in dem zunächst in einem gemeinsamen Verstehens- und Verständigungsprozess geklärt wird, um was es gehen kann und soll. Die Fachkräfte antworten auf das Handeln der Kinder und Jugendlichen mit einer Rückmeldung oder Resonanz. Erst eine solche Antwort eröffnet den Dialog, indem er den Kindern und Jugendlichen deren Eigenes spiegelt und sie doch auffordert, in Aushandlung mit den Fachkräften das Eigene und Gemeinsame genauer auszudrücken – kurz: gemeinsam herauszufinden, zu welchen Themen welcher Handlungsbedarf in der kleinen und großen Gesellschaft besteht. Solche Resonanzen sollen nicht nur sprachlich erfolgen, sondern medial möglichst vielfältig gestaltet werden.
Hat man gemeinsam herausgefunden, um was es den Kindern und Jugendlichen wirklich geht, welche Themen sie tatsächlich motivieren und für sie wichtig sind, kann man im vierten Schritt mit ihnen zusammen Handlungsschritte entwickeln, wie diese gesellschaftlichen Themen angegangen werden sollen. Es gilt dann, kleine und große Projekte zu gestalten, in denen die Kinder und Jugendlichen so viel eigenes Entscheiden, Handeln und Verantworten übernehmen wie nur irgend möglich. Solche Projektthemen zu unterschiedlichen Inhalten, Interessen und Konflikten können sich auf die kleine Gesellschaft der Einrichtung beziehen oder auch auf die umgebende Kommune beziehungsweise den Stadtteil, das Dorf oder Ähnliches. Wichtig ist dabei, die Kinder und Jugendlichen zu unterstützen, eigenaktiv gesellschaftlich zu handeln, also ihre lebensweltlichen Themen selbst in die Hand zu nehmen und das gemeinschaftliche Leben in der Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe und/oder Kommune zu gestalten.
Ein Beispiel: Beschreibt man solche Projekte abstrakt, mag der Eindruck entstehen, es gehe um große und grundsätzliche politische Themen und Interessen. In der Realität ist das jedoch ganz anders: Die Projekte beginnen mit ganz kleinen, alltäglichen und zunächst oft unauffälligen Themen und Handlungsweisen, bei denen es überhaupt darum geht, dass sich die Kinder und Jugendlichen als Mitbestimmende und Handelnde erfahren können. Im Modellprojekt des Nachbarschaftsheims Schöneberg zum Beispiel beobachteten Mitarbeitende von Kita, Grundschulganztagsbetreuung und Offener Kinder- und Jugendarbeit parallel, dass allen Kindern das Thema „Bauen“ besonders wichtig war. In der Kita und der Grundschule wurden mit Lego und besonders mit Kaplasteinen große, fantastische Bauwerke erstellt, im Jugendhaus spielten Kinder immer wieder das Computerspiel Minecraft, eine Art digitale Lego-Welt. Ohne die Beobachtungsaufgabe der Methode hätten alle Teams dieses Thema für nebensächlich gehalten. Durch die Methode aufgefordert, spiegelten sie den Kindern, dass „Bauen“ wohl ein Thema wäre, und die Kinder begannen sofort eine Diskussion darüber.
Zunächst schien es ihnen besonders wichtig zu sein, dass die Fachkräfte die Aktivität überhaupt erkannten, anerkannten, wertschätzten und unterstützten. Dabei wurden aber auch Probleme deutlich: Die Lego- und Kapla-Bauer kritisierten, dass ihre Bauwerke oft zerstört, nur von wenigen gesehen und wertgeschätzt würden und immer wieder abgebaut werden müssten. Im Gespräch stellte sich heraus, dass diese Kinder an einer Fotodokumentation ebenso interessiert waren wie an einer öffentlichen Ausstellung der Fotos und ihrer Bauwerke. Bei den Minecraft-Spielern wurde deutlich, dass sie, teils hoch engagiert und sehr kompetent, fantastische materielle und soziale Welten bauten, die aber von niemandem außerhalb der Mitspielergruppe überhaupt wahrgenommen wurden.
Die Fachkräfte erkannten, dass es starke thematische Parallelen in allen drei beteiligten Einrichtungen gab und dass die Kinder sich auf der Spielbeziehungsweise Symbolebene als kompetente Konstrukteure von sozialmateriellen Räumen zeigten. Und: Obwohl die Kinder in ihren sozialräumlichen Spielwelten sachlich und sozial fähig handelten, spielten diese Tätigkeiten in gesellschaftlichen Settings der Einrichtungen keine Rolle – das heißt, die Kinder waren zwar virtuelle Gestalter*innen von Sozialräumen, aber kaum reale Mitgestalter*innen am Sozialen. Im Sinne von KoKoDe ging es dann darum, wie die Einrichtungen kooperativ das Thema „Bauen“ in die Öffentlichkeit ihrer Einrichtungen und schließlich in den Stadtteil bringen könnten (zur ausführlichen Beschreibung des Projekts siehe den Beitrag von Nina Vormelchert in diesem Band).
Durch GEBe und KoKoDe sollen die Kinder und Jugendlichen erfahren können, dass in der Einrichtung ihre Themen gelten, ganz gleich, wie sonderbar oder gar abseitig diese den Fachkräften zunächst erscheinen mögen. Die Kinder und Jugendlichen müssen in die Lage versetzt werden, das soziale Leben in der Einrichtung selbst zu gestalten, ihre Interessen umzusetzen, sich gemeinsam Regeln zu geben und deren Umsetzung zu prüfen und zu verbessern. Sie müssen erfahren können, dass sie in der Einrichtung und im Stadtteil sichtbar und hörbar werden – dass sie also ihre Stimme erheben können und Resonanz erhalten. Nur wenn sie gleichrangig in die intersubjektive Verständigung über die öffentlichen Angelegenheiten der Community eingebunden sind, können sie sich als aktive und (gleich-)berechtigte Teilnehmer*innen an Demokratie erfahren.