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Warum ist Kooperation von Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen wichtig zur Stärkung demokratischer Partizipation ihrer Adressat*innen in der Kommune?

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Die konzeptionelle Grundidee von KoKoDe ist nicht wirklich neu. Dass die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe lokal kooperieren sollen, ist eine alte fachliche Forderung. Dabei die Subjekte, ihre sozialräumlichen Lebensweisen und Themen in den Mittelpunkt zu stellen, ist ebenfalls keine neue Idee. Und trotzdem scheint die Kombination von beidem bisher so gut wie nicht erprobt zu sein. Das liegt meines Erachtens vor allem daran, dass die Versäulung der Arbeitsfelder in der Kinder- und Jugendhilfe sehr stark ist. Es liegt für Fachkräfte noch halbwegs nahe, sich mit anderen Einrichtungen aus dem eigenen Feld zusammenzutun und ein Handeln zu koordinieren, wahrscheinlich vorrangig im Feld der Legitimierung und Sicherung der eigenen Institutionen. Aber über die Arbeitsfeldgrenzen der Bereiche von Kita, Jugendarbeit, Ganztagsbetreuung, Familienberatung, Jugendkulturarbeit und Hilfen zur Erziehung hinweg ist eine Zusammenarbeit ungewohnt. Stattdessen ist die Handlungsperspektive stark begrenzt auf die eigene Einrichtung. Fachkräfte beschäftigt buchstäblich nur das, was in den Grenzen der eigenen Einrichtung – und das bedeutet auch der räumlichen Grenzen – stattfindet.

Wollen Fachkräfte und Einrichtungen eine solche Verinselung oder Versäulung überwinden, versuchen sie, Vernetzungstreffen zu organisieren, um die anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe – und vielleicht auch des Bildungssystems und der Zivilgesellschaft – an einen Tisch zu bringen, sich kennenzulernen und gemeinsame Kommunikationswege zu vereinbaren. Das geschieht besonders häufig mit Blick auf die Gestaltung von Bildungslandschaften, die in den letzten Jahren, stark von Schule ausgehend, in den Kommunen gefördert wurde (zum Aspekt der Bildungslandschaften im Verhältnis zum KoKoDe-Konzept siehe den Beitrag von Stephan Maykus in diesem Band).

Vernetzung und sogar eine Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe vor Ort bedeuten allerdings noch nicht, dass diese dabei die Themen der Kinder und Jugendlichen ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit und ihres Handelns stellen. Stattdessen herrscht oft eine rein organisationelle Koordinationsperspektive. Man prüft, welche Aufgaben sich überschneiden, wie Konkurrenzen zu verhindern sind und wie man stattdessen zusammen Aufgaben der Einrichtungen besser koordinieren und in Absprache erledigen kann. Solche Koordination ist sicher ein wichtiger Fortschritt, doch fehlt ihr der Einbezug der Menschen, um die es geht, nämlich der Kinder und Jugendlichen.

KoKoDe schlägt vor, bestehende Vernetzungen und Kooperationen beizubehalten, sie aber mindestens zu ergänzen durch eine Konzentration auf die Themen, Interessen und Konflikte der Kinder und Jugendlichen vor Ort. Es geht darum, sich darüber auszutauschen, wie sich diese Inhalte in den einzelnen Einrichtungen zeigen, und darüber hinaus zu erkennen, wo und wie sich darin eine gemeinsame Betroffenheit von Zielgruppen und Einrichtungen hinsichtlich der Verhältnisse vor Ort zeigt.

Aus Sicht der Subjekte ist ihre Lebenswelt ohnehin ein Zusammenhang, der durch die Interaktion mit anderen in den sozialräumlichen Verhältnissen vor Ort entsteht. Die Kinder und Jugendlichen trennen sich also nicht von den Zuständigkeiten von Organisationen, sondern leben ihr Leben, mit den darin enthaltenen Themen und Schwierigkeiten. Sie suchen nach Möglichkeiten und Ressourcen, wie sie ihre Bedürfnisse umsetzen und mehr Handlungsfähigkeit erringen können. Die inhaltliche und strukturelle Aufteilung der Aufgaben und Angebote der Einrichtungen scheint da eher ein Hindernis zu sein. Diese orientieren sich nicht an den vernetzten Lebensweisen und lokal eingebundenen Bedarfen ihrer Adressat*innen, sondern verlangen, dass sich die Kinder und Jugendlichen den Strukturen und Angeboten der Organisationen anpassen. In einer Kita soll man lernen, mit anderen zu sprechen und zu handeln, zu spielen und sich zu bilden, aber Probleme, die etwa auf dem Weg in die Kita entstehen, werden dort nicht aufgegriffen. Was auf diesem Weg gefährlich oder langweilig oder besonders interessant ist, wird in der Kita kaum thematisiert.

Die Wahrnehmung der kommunalen Umwelt durch die Kinder und ihr aktives Agieren darin könnten ein starkes inhaltliches Potenzial für eine Artikulation in demokratischen Öffentlichkeiten in der Kommune enthalten. Die Kinder entdecken oft eine ganze Reihe von Problemen, aber auch alternative Gestaltungsmöglichkeiten (zum Beispiel zur Gestaltung von Stadt, zum Umgang mit Müll, zu Handlungsweisen mit von ihnen als riskant empfunden Mitmenschen). In Jugendhäusern oder in Ganztagsbetreuungen wird häufig nicht darauf reagiert, was die Kinder und Jugendlichen in anderen pädagogischen Einrichtungen erleben, welche Handlungsweisen und Probleme im Stadtteil zwischen unterschiedlichen Gruppierungen und Szenen entstehen, welche Attraktionen und Potenziale kommerzielle Orte bieten. Die Teilnehmenden sollen die Angebote wahrnehmen, die die Fachkräfte mit dem besten Willen, ihnen gerecht zu werden, für sie in der Einrichtung mit den gegebenen Ressourcen und Rahmenbedingungen vorbereitet haben. Was draußen passiert und welche möglichen Wirkungen dies auch nach innen hat, wird nicht thematisiert. Damit wird verpasst, die demokratische Einflussnahme auf die Lebensverhältnisse außerhalb der Einrichtung zu unterstützen.

Auf eine weitere Kooperationsnotwendigkeit hat besonders die Diskussion um die Bildungslandschaften hingewiesen: die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Institutionen von Bildung und Erziehung. Im Laufe der Biografie wechseln Kinder und Jugendliche von einer Institution in die andere, etwa von der Kita in die Schule, daneben ins Jugendhaus oder in den Sportverein. Die Übergangsforschung zeigt, dass solche Passagen für die Subjekte anforderungs- und risikoreich sind. Handeln die Einrichtungen als Insel, kümmern sie sich nicht darum, wie ein Übergang von einer Einrichtung zur anderen aus Sicht der Subjekte zu gestalten wäre. Hier ergibt sich also ein besonderes kommunales Thema: auf welche Weise man möglichst gut und gerecht von pädagogischen Einrichtungen in andere übergehen kann. In den vergangenen Jahren haben viele lokale Bildungskonferenzen versucht, diese Übergänge zu analysieren und zu optimieren. Häufig haben sie dabei allerdings nur die institutionelle Perspektive betrachtet und gefragt, wie die vorherige Einrichtung die Kinder und Jugendlichen für die nächste Einrichtung vorbereiten muss – Paradebeispiel ist der Übergang von der Kita in die Grundschule – und wie eine Übergabe die Anforderungen und Kriterien der aufnehmenden Einrichtungen immer schon berücksichtigen kann.

Wie die Kinder und Jugendlichen selbst Übergänge in der Biografie, aber auch im Alltag zwischen den Einrichtungen beurteilen, welche Bedarfe sie selbst sehen und welche Probleme und Chancen sie erkennen, machen die Einrichtungen selten zum Thema – geschweige denn, dass sie die jungen Menschen als berechtigte und befähigte Mitplaner*innen ihrer eigenen Passagen an solchen Prozessen entscheidend beteiligen würden. Auch hier wäre eine Kooperation besonders der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen nötig, um die demokratische Beteiligung der Kids an der Gestaltung dieser Übergänge möglich zu machen.

Ein weiteres Argument, beim Übergang demokratischer Partizipation von den Einrichtungen in die Kommune zu kooperieren, liegt darin, dass eine solche Zusammenarbeit beispielhaft für demokratisches Handeln in der Gemeinde sein kann. Überwinden die Einrichtungen ihre auf sich selbst zentrierte Perspektive, entdecken sie die komplexe Verbundenheit der Handlungsweisen vor Ort und praktizieren sie eine gleichberechtigte Kooperation mit anderen, zeigen sie an diesem Handeln bereits, wie Demokratie sein könnte. Denn diese muss Einzelinteressen und Differenzen berücksichtigen, sie aber auch in gemeinschaftliche Aushandlung zur Findung gerechter Lösungen einbringen. Die Sichtweisen, Interessen und Probleme von Einzelnen und spezifischen Gruppierungen müssen mit anderen gemeinsam Entscheidungen fällen, die möglichst für alle gut sind. In der Demokratie muss durch Kooperation und faire Konfliktaushandlung das Gemeinwohl hergestellt und gesichert werden. Solche demokratische Kooperation zwischen den Einrichtungen und ihren Beteiligten realisiert also bereits Demokratie. Kinder und Jugendliche können auf diese Weise unterstützt werden, über den Horizont der Einrichtung hinauszuschauen und mit anderen Beteiligten und Betroffenen anderer Einrichtungen in Kontakt und Kommunikation zu kommen. Gemeinsame Betroffenheiten können entdeckt und geklärt werden – und es wird möglich, sich zusammen öffentlich einzubringen und demokratische Politik vor Ort zu machen.

Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern – Band 3

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