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Im Zentrum der Kooperation: Die lebensweltlichen Themen der Kinder und Jugendlichen

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Hat man eine Vernetzung geschaffen und will tatsächlich in kooperatives Handeln zur gemeinsamen Förderung demokratischen Engagements der Adressat*innengruppe der beteiligten Einrichtungen kommen, müssen die Themen der Kinder und Jugendlichen im Zentrum stehen. Das kann nur funktionieren, wenn die beteiligten Fachkräfte und Einrichtungen in ihrem Alltag das Handeln ihrer Adressat*innen so beobachten, dass sie a) überhaupt die Themen erkennen, welche die jungen Menschen schwerpunktmäßig beschäftigen, und b) entdecken können, inwieweit darin inhaltliche Potenziale des demokratischen Engagements in den Einrichtungen selbst und darüber hinaus in der Kommune enthalten sind.

Der erste gemeinsame Arbeitsschritt wird also darin bestehen, sich klarzumachen, wie solche Beobachtungen angelegt werden (siehe die Anregungen und methodischen Anleitungen zum Beobachten in GEBe-Band 2; Sturzenhecker und Schwerthelm 2015). Einerseits ist zu reflektieren, wie solches Beobachten – auch auf Dauer – gelingen kann. Andererseits geht es darum, die Themen der Kinder und Jugendlichen zu entdecken. Die Fachkräfte sollten sich über die Beobachtungen in ihren Einrichtungen austauschen und sich auch für die Förderung des demokratischen Engagements zunächst nur in den Einrichtungen Anregungen geben.

Ist eine solche Themenfindung alltäglicher geworden, gilt es, die lokale Relevanz der über die Einrichtungsgrenzen hinweg gemeinsamen Betroffenheit zu entdecken und sie kooperativ in ein Projekt umzusetzen. Dazu wird weiter unten eine detaillierte Methode vorgeschlagen. Kurz gefasst geht man so vor:

Verschiedene Themen aus den unterschiedlichen Einrichtungen auf einer Wandzeitung sammeln und sich gegenseitig erklären.

Überschneidungen beziehungsweise Gemeinsamkeiten von Themen entdecken.

Mögliche Themen für gemeinsames Handeln nach folgenden Kriterien bewerten: Welche Themen haben Potenzial, die Grenzen der Einrichtung zu überschreiten und in die Öffentlichkeit des Sozialraums, der Kommune zu gelangen? Das heißt, welche Themen spielen nicht nur in den Räumen der Einrichtungen eine Rolle, sondern haben auch draußen Potenziale? Auf welche anderen Orte und Akteure beziehen sich die Themen möglicherweise – welche Akteure sind also über die Einrichtung hinaus davon betroffen? Welche Themen sind für die unterschiedlichen beteiligten Kinder und Jugendlichen warum besonders wichtig oder vorrangig? Welche Themen erscheinen zunächst spaßig und positiv, welche konfliktreich und problematisch? Welche Themen werden noch von anderen Beteiligten im Einzugsgebiet vorangetrieben? Welche Überschneidungen, Unterstützungen, aber auch gegenseitigen Behinderungen und Konkurrenzen kann es da geben? Mit welchen Themen gibt es bereits Erfahrungen demokratischer Partizipation, etwa in Projekten der einzelnen Einrichtungen? Was kann man daraus lernen?

Ein Thema für einen kooperativen Ansatz auswählen.

Erste Möglichkeiten finden, wie das Thema – gerade auch in seinen die Einrichtung überschreitenden Perspektiven – zurück in einen Dialog mit den Kindern und Jugendlichen der eigenen Einrichtung gebracht werden kann.

Gespräche mit den Kindern und Jugendlichen führen und prüfen, ob und wie das Thema für sie relevant ist und was möglicherweise wie daran geändert werden müsste, um es attraktiver zu machen – dabei muss auch ermöglicht werden, dass sich das Thema im Dialog ändert und das ursprüngliche Thema durchfällt.

In der nächsten Sitzung des Kooperationsgremiums sich über die Ergebnisse des Gesprächs mit den Kindern und Jugendlichen austauschen – oder sie direkt am Gremium beteiligen.

Handlungsansätze zur projekthaften Bearbeitung des Themas sammeln und bewerten; Orte und Settings des Betretens von Öffentlichkeit jenseits der eigenen Einrichtung auswählen; methodischer Entwurf zur Artikulation der beteiligten Kinder und Jugendlichen und zur demokratischen Kommunikation und Auseinandersetzung mit anderen Beteiligten in der kommunalen Öffentlichkeit – dabei muss fachlich entschieden werden, welche Öffentlichkeit für welches Thema und für welche Adressat*innen(gruppe) geeignet ist, denn nicht jeder Konflikt kann öffentlich bearbeitet werden und nicht jede Person ist ohne Weiteres bereit und in der Lage, in beliebigen Formen von Öffentlichkeit zu handeln.

Erste Erfahrungen des öffentlichen demokratischen Handelns mit den beteiligten Kindern und Jugendlichen auswerten.

Nächste Arbeitsschritte im Projekt entwickeln.

Die Themen der Kinder und Jugendlichen sollen bei KoKoDe im Vordergrund der Kooperation stehen. Doch kann es auch sinnvoll sein, Themen an die Kinder und Jugendlichen heranzutragen. Wenn man unter der Perspektive der Förderung gesellschaftlich-demokratischen Engagements Themen entdeckt, bei denen man begründen kann, dass sie für die Beteiligung in der Kommune relevant sind, kann man sie den Kids in den Einrichtungen vorschlagen. Was die Pädagog*innen für wichtig halten, ist zunächst mal immer nur ein Angebot, das im Dialog mit den Adressat*innen geklärt werden muss. Es geht nicht darum, die jungen Menschen zu etwas zu motivieren, was sie nicht wollen. Nur wenn man mit Themenvorschlägen an das für sie Relevante anknüpfen kann, werden sie sich engagiert beteiligen. Daher ist eine dialogische Aushandlung über das Was und Wie der pädagogischen Vorschläge immer geboten.

Themen, die nicht direkt von den Kindern und Jugendlichen kommen, aber für sie wichtig sein könnten, sind die Planungen und Entscheidungen der Kommune, die Kinder und Jugendliche betreffen. Solche Themen werden aber nicht nur von der kommunalen Politik und Verwaltung gesetzt, sondern können auch aus Handlungsstrategien und inhaltlichen Orientierungen anderer Organisationen im Einzugsgebiet kommen, ebenso wie von zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Themen werden aus der Sicht von KoKoDe also potenziell von vier Seiten eingebracht:

von den Kindern und Jugendlichen – diese Themen sind geprägt in teils sehr unterschiedlichen Gruppierungen des Alters, der Lebenslagen, der teilkulturellen Orientierung und so weiter,

von den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe – diese Themen entstehen aufgrund der Aufgabenstellungen,

von den unterschiedlichen im Stadtteil wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteuren (Initiativen, Vereinen, Projekten) und

von den lokal tätigen anderen Organisationen (der Erziehung/Bildung, der Hilfe, der Ordnung, der Wirtschaft, der Freizeit, der Gesundheit und so weiter)

Diese Akteursgruppen sollten nach der Vorstellung einer partizipativen Demokratie ihre Themen, Interessen und Konflikte in öffentliche kommunale Diskurse einbringen, sie gemeinsam – immer unter Einbezug kommunaler Politik – diskutieren, Lösungen aushandeln und Umsetzung sowie Mitverantwortung realisieren. Die Aufgabe der verfassten Kommune mit Politik und Verwaltung wäre, einen solchen bürgerschaftlichen Diskurs zu ermöglichen und zu unterstützen. Dabei ginge es um den Einbezug möglichst aller betroffenen Menschen und Gruppierungen – mit dem Ziel, Ausgrenzungen aus dem demokratischen Prozess zu vermeiden. Zunächst muss immer ein demokratisch-argumentativer Streit um die unterschiedlichen Perspektiven auf die Themen möglich gemacht werden, der aber schließlich in Entscheidungen münden muss. Sofern das inhaltlich jeweils relevant ist, liegen wichtige Entscheidungen bei den demokratischen Gremien der Kommune, aber vieles wird auch in den Verhandlungen zwischen den Beteiligten lösbar sein.

Kinder und Jugendliche – in der Unterschiedlichkeit ihrer Milieus, Lebenslagen, Bildungsformen und so weiter – sollten so unterstützt werden, dass sie an solchen öffentlichen Diskursen teilnehmen können. Sie müssen sowohl die Möglichkeit haben, ihre eigenen Themen zu äußern, als auch, sie mit anderen Betroffenen diskursiv auszutragen. Die Öffentlichkeit wird zu einer Arena, in der Themen, Interessen und Konflikte eingebracht und ausgestritten werden können. Die Kids müssen aber auch mit Themen anderer Beteiligter in der Kommune konfrontiert werden, die sie als Mitbürger*innen angehen. Das gilt nicht nur für die Themen, die die verfasste Kommune aufgrund politischer Entscheidungen und Planungen setzt – darauf beziehen sich die unten genannten Gemeindeordnungen zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen –, sondern auch für die Themenstellungen, die andere Akteure im Gemeinwesen beschäftigen.

Dieses Ideal könnte man grafisch so abbilden, dass es eine Gleichberechtigung der beteiligten Akteure gibt, Themen öffentlich einzubringen und sie – gefördert und gebündelt durch die verfasste Kommune – diskutiert und entschieden zu sehen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Ideale Verbindung von Themen gesellschaftlich-demokratischen Engagements in Öffentlichkeit und Kommune


Quelle: Eigene Darstellung

In der Realität – so die hier aufgestellte Hypothese – läuft es jedoch häufig anders. Gerade wenn man die Perspektive von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betrachtet, stellen diese im Alltag häufig die institutionellen Themen und Aufgaben in das Zentrum ihres Handelns. Diese beziehen sich im Wesentlichen auf ihre pädagogischen Aufgaben und kaum auf ihre Integration in öffentliche Diskurse und politische Prozesse der Kommune. Die kommunal relevanten Themen der Adressat*innen und der anderen Akteure ihrer sozialräumlich-politischen Umwelt fließen damit nur wenig in das Handeln der Einrichtungen ein. Diese betrachten sich als Inseln in den Öffentlichkeiten der Kommune und höchstens mittels ihrer Träger und in Bezug auf die Aushandlung von Rahmenbedingungen mit der verfassten Kommune als politische Akteure. Nur sehr selten nehmen die Einrichtungen ihre Aufgabe wahr, das gesellschaftlich-demokratische Engagement ihrer Adressat*innen in der Kommune zu fördern, indem sie bei deren Themen ansetzen. Grafisch lässt sich das wie in Abbildung 2 darstellen.

Abbildung 2: Häufige Realität: Wenige Überschneidungen zwischen Jugendthemen und politischer Kommune, Organisationen und Zivilgesellschaft


Quelle: Eigene Darstellung

Folgt man den KoKoDe-Prinzipien, stellt man die Themen der Kinder und Jugendlichen ins Zentrum der Förderung gesellschaftlich-demokratischen Handelns durch die Einrichtung. Obwohl aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen genau diese Förderung politischen Handelns ihrer Adressat*innen im Zentrum stehen muss – zumindest was diesen Teil ihres Aufgabenspektrums angeht –, müssen auch die Themen der anderen Akteure und die öffentlichen Aushandlungsprozesse dazu für die Kinder und Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Daher sind auch diese Akteursgruppen in die Förderung gesellschaftlich-demokratischen Engagements seitens der Einrichtungen einzubeziehen. Insgesamt geht es darum, die Einrichtungen (eben auch in Kooperation) mit ihren Adressat*innen in die demokratisch-politische Arena der Kommune einzubringen – auch als Mitakteure der gemeinsamen Verantwortung für die Kommune (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Im Zentrum der Förderung: Themen der Kinder und Jugendlichen zu gesellschaftlich-demokratischem Engagement in der Kommune


Quelle: Eigene Darstellung

Es geht somit auch darum, die Perspektive der Kinder und Jugendlichen nicht nur auf deren Themen, Interessen und Konflikte zu richten, sondern sie auch umgekehrt mit den Themen, Interessen und Konflikten des Gemeinwesens zu konfrontieren. Das bedeutet ebenfalls, sie zu unterstützen, ihre Sicht- und Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Denn gerade für Kinder und Jugendliche in benachteiligten Lebenslagen kann es sonst zu einer Einschränkung ihrer Möglichkeiten kommen, Themen zu entwickeln, die ihre Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten stark erweitern würden. Eine solche Grundhaltung und Handlungsweise kann mit Bourdieu als „Habitus der Notwendigkeit“ bezeichnet werden. El-Mafaalani (2014: 19) erklärt das so: „Untere Schichten zeichnen sich nach Bourdieu durch einen Habitus der Notwendigkeit aus, ein Habitus also, der bei der Wahrnehmung einer Situation die Funktionalität, Anwendbarkeit oder eben die Notwendigkeit in den Vordergrund stellt. Dies erscheint plausibel, da die Sozialisationsbedingungen in unteren Schichten durch Knappheit an ökonomischem Kapital (Geld, Besitz) und kulturellem Kapital (Wissen, Bildung), aber auch an sozialem Kapital (soziale Netzwerke, Anerkennung) gekennzeichnet sind und der Habitus auf ein Management dieser Knappheit ausgerichtet ist. Im Zustand höchster Knappheit muss permanent gefragt werden, ob etwas auch wirklich notwendig ist, wofür man etwas macht, ob es ‚etwas bringt‘, welcher konkrete Sinn dahintersteckt. Ein Kind, das in diesen Verhältnissen aufwächst, entwickelt eine ‚Mentalität‘, in der solche Nutzenabwägungen in allen Lebensbereichen handlungsleitend werden, unter anderem auch in der Schule.“

Beschränkt auf solche Notwendigkeiten, haben Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Lebenslagen oft wenige Vorstellungen darüber, was außerhalb des Gegebenen für sie gut, nützlich, einforderbar wäre. Beispielsweise sind die armen Kinder in unserem Berliner Modellprojekt häufig sozialräumlich vollkommen beschränkt auf ein kleines Gebiet ihrer Stadtteile. Sie bewegen sich wenig darüber hinaus und sehen kaum, was es sonst noch in Berlin, in Deutschland oder in der Welt für sie geben könnte. Wenn man nicht auch solche Möglichkeiten an sie heranträgt und für sie erkennbar macht, bleiben sie in den Bedingungen der Notwendigkeit verhaftet. Aus der Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, Bildungsgerechtigkeit auszuweiten und auch den benachteiligten Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten einer breiten Weltaneignung zu eröffnen, erwächst hier zudem die Perspektive, ihre Themen und Interessen zu erweitern. Daraus können dann wiederum Inhalte für ihre eigene demokratische Selbstvertretung in der Kommune erwachsen.

So sehr also der KoKoDe-Ansatz darauf besteht, die Themen der Kinder und Jugendlichen ins Zentrum der Förderung ihres gesellschaftlich-demokratischen Engagements zu setzen, so gilt es doch auch, dafür zu sorgen, dass diese Themen erweitert werden, ebenso wie die jungen Menschen mit den Themen, Interessen und Konflikten anderer Akteure im Gemeinwesen zu konfrontieren.

Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern – Band 3

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