Читать книгу Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern – Band 3 - Benedikt Sturzenhecker - Страница 11
Arbeitsprinzipien im KoKoDe-Ansatz
ОглавлениеDiese Arbeitsweise ist nur sinnvoll, wenn die Einrichtungen und Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe sich – etwa mithilfe der GEBe-Methode – auf die lebensweltlichen Themen, Interessen und Konflikte der Kinder und Jugendlichen einlassen. Die einzelnen Einrichtungen müssen insofern eine demokratische Partizipationsorientierung haben. Dabei geht es darum, die Betroffenheit der Kinder und Jugendlichen zum Thema einer gemeinsamen demokratischen Aushandlung zu machen, Rechte und Verfahren der Mitentscheidung und des Mithandelns zu klären und den Kids – zumindest in Projekten – die Möglichkeit einzuräumen, sich als Mitbestimmende der kleinen Gesellschaft in der Einrichtung zu erfahren.
Ist das der Fall, werden die Fachkräfte entdecken, dass viele Themen und Interessen der jungen Menschen nicht auf die Einrichtung beschränkt sind, sondern sich auch auf andere Handlungsfelder beziehen: auf Familie, die Schule, den öffentlichen Raum, den kommerziellen Raum, den virtuellen Raum und so weiter. Die Beschränkung liegt oft eher aufseiten der Fachkräfte, die nur auf ihre Pädagogik in ihrer Einrichtung fixiert sind und die Vernetzung und Verhaftung ihrer Teilnehmenden mit dem umgebenden sozialen und politischen Raum kaum wahrnehmen, geschweige denn aufnehmen. Bei der KoKoDe-Methode geht es also darum zu differenzieren, welche lebensweltlichen Themen der Kinder und Jugendlichen für diese auch eine wichtige Bedeutung außerhalb der Einrichtung haben und sich damit auf soziale und politische Räume und Verhältnisse im Stadtteil, im Dorf und der politischen Kommune beziehen.
Ein Beispiel: In einer Jugendeinrichtung beobachteten die Fachkräfte, dass die Jugendlichen – meist minderjährige Jungen arabischer oder türkischer Herkunft – auf der Straße vor dem Jugendhaus Shisha rauchten, damit in der Öffentlichkeit auffielen und vom Ordnungsamt des Platzes verwiesen wurden. Die Fachkräfte versuchten, mit den Jungen in ein Gespräch zu kommen, und erfuhren, dass die Beteiligten das Shisha-Rauchen als zentrales Symbol eines persönlichen und teilkulturellen Selbstentwurfs betrachteten. Das Verbot, in der Einrichtung zu rauchen, wurde allerdings von den Fachkräften durchgezogen und es entstanden damit mehr Konflikte als vorher, die letztlich zur Ausgrenzung des Themas führten.
Das Thema „Shisha-Rauchen“ beinhaltet also ein großes Spektrum offenliegender, aber auch unterschwelliger Bedeutungen. Schon in seiner Entstehungsgeschichte zeigt es einen erkennbaren politischen Bezug zur Öffentlichkeit: Die Jungen haben sich mit dem sie präsentierenden und repräsentierenden kulturellen Symbol öffentlich gezeigt, sind damit aber nicht anerkannt, sondern verbannt worden. Ihre ohnehin bestehenden Erfahrungen gesellschaftlicher Marginalisierung oder gar Exklusion wiederholten sich. Das setzte sich auch im Jugendhaus fort, weil ihre Interessen dort zwar zunächst dialogisch entfaltet, dann aber auf die Frage von Regelbruch und Regeleinhaltung reduziert wurden. Letztlich lautete die Botschaft, die Jungen sollten sich anpassen; in der Öffentlichkeit der Kommune und in der Binnenöffentlichkeit des Jugendhauses. Die Chance, sich über das Thema als anerkanntes und berechtigtes Mitglied der sozialen und politischen Kommune vor Ort zu erkennen, wurde verpasst. Das Ziel von KoKoDe, sich in die öffentliche Aushandlung von Interessen und Regeln einzubringen, konnte nicht realisiert werden. Ebenso wie der Versuch misslang, mindestens in der kleinen Gesellschaft Jugendhaus die eigenen Lebensverhältnisse zu gestalten und nicht Objekt von Regeln – und regelnden Interventionen der Fachkräfte – zu sein, sondern Subjekt der gemeinsamen Gestaltung von Regeln.
Dabei wäre selbstverständlich die Debatte über öffentliches Rauchen von Minderjährigen zu führen gewesen – aber eben mit einer Thematisierung der Jugendlichen als artikulationsfähige und vernünftige Mitbürger*innen, die versuchen, ein Problem des Gemeinwesens zu lösen. Zudem wurden auch die anderen lokal am „Shisha-Problem“ beteiligten Personen und Gruppierungen nicht einbezogen; weder das Ordnungsamt noch Anwohner*innen, die sich beschwert hatten. Die Fachkräfte des Jugendhauses zogen das Projekt aus der Öffentlichkeit heraus, quasi hinter die Mauern der eigenen Einrichtung. Kommunikation und Kooperation mit anderen in der Kommunalöffentlichkeit fanden nicht mehr statt. Damit ging es nicht mehr um Interessen von jungen Mitbürger*innen, sondern um ein pädagogisches Problem mit jugendlichen Klient*innen innerhalb der Einrichtung.
In einem nächsten Schritt von KoKoDe gilt es, die Grenzen der eigenen Einrichtung zu überschreiten und zunächst auf Ebene der Fachkräfte eine Vernetzung mit anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe herzustellen. Vernetzung bedeutet, dass man sich kennt, sich kontaktieren kann und sich auch – zumindest gelegentlich – trifft und austauscht. Die einzelnen Einrichtungen müssen also zunächst feststellen, welche anderen entsprechenden Institutionen lokal nahebei tätig sind, um mit ihnen Kontakt aufnehmen zu können.
Der KoKoDe-Ansatz sieht vor, zunächst hauptsächlich andere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ins Zentrum von Vernetzung und gemeinsamer Demokratiebildung zu stellen. Das hat folgende Gründe:
• Es geht zunächst um die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen, für die insgesamt die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zuständig sind. Ohnehin verlangt das SGB VIII, dass sich die Kinder- und Jugendhilfe in die Gestaltung der Lebensverhältnisse der Kinder und Jugendlichen einbringt und dabei auch kooperieren soll. Die lokale Zuständigkeit verdichtet sich im örtlichen Jugendamt, das als Verwaltung und Jugendhilfeausschuss nicht nur den Übergang in die Kommunalpolitik bietet, sondern auch die Kinder- und Jugendpolitik kommunal betreiben muss. Mithilfe der Jugendhilfeplanung sollen Bedarfe erhoben und angemessene Einrichtungen und Dienste geplant und realisiert werden. Es gibt also immer schon eine eigene Schnittstelle der Kinder- und Jugendhilfe zwischen den sozialpädagogischen Einrichtungen (auch Trägern) und kommunaler (Jugendhilfe-)Politik. Die einzelne sozialpädagogische Einrichtung ist damit ohnehin Element einer kommunalpolitischen Struktur, die sie mit den anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe teilt.
• Neben der formalen Zuständigkeit ist zudem zu erwarten, dass es viele konzeptionelle Gemeinsamkeiten zwischen den sozialpädagogischen Handlungsfeldern gibt. Obwohl sich Felder der Frühpädagogik, der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Hilfen zur Erziehung als getrennt voneinander erleben und dies auch in eigenen Theorie- und Konzeptentwicklungen gespiegelt sehen, gibt es doch einen großen geteilten Bestand fachlicher Grundannahmen und Arbeitsprinzipien: zum Beispiel die Bildungsorientierung, die Subjektorientierung und die Lebensweltorientierung, in denen große Schnittmengen der professionellen Wissensbestände und Deutungsmuster der Fachkräfte bestehen. Es ist also anzunehmen, dass eine sozialpädagogische Verständigung eine gewisse gemeinsame fachliche Basis hat, die sich auch eignet, gemeinsam Perspektiven der Demokratiebildung in und zwischen den Einrichtungen und in der Kommune zu entwickeln.
• Hinzu kommt, dass ein – wie auch immer konzeptionell konkret verstandener – Sozialraumansatz in vielen Kommunen und Jugendämtern verbreitet ist, der sich mindestens in gemeinsamen Sozialraumkonferenzen oder Ähnlichem niederschlägt. Es gibt also schon Vernetzungssettings, in denen man sich trifft und kennenlernen kann. Häufig betreiben solche Konferenzen eher Steuerungspolitik von oben. Sie arbeiten daran, Defizite bei Kindern und Jugendlichen abzubauen, deren soziale und gesellschaftliche Lebenslage zu verbessern, Konflikte zu bewältigen und Benachteiligungen auszugleichen. Obwohl solche Arbeitsweisen unverzichtbar sind, beinhalten sie doch das Risiko, dass Kinder und Jugendliche zu Objekten wohlmeinender sozialpädagogischer Strukturen und Zugriffe werden. Um nicht bei einer solchen Verkürzung sozialpädagogischer Sozialraumarbeit stehen zu bleiben, schlägt der KoKoDe-Ansatz vor, dass sich die lokalen Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe und ihre Fachkräfteteams Arbeitsweisen aneignen, in denen die Orientierung an den lebensweltlichen Themen der Kinder und Jugendlichen im Zentrum der Kooperation steht. Damit startend, kann eine demokratiebildende kommunale Sozialpädagogik entwickelt werden, in denen die jungen Menschen als Subjekte und als Bürger*innen der Einrichtungen und des Gemeinwesens unterstützt werden, sich selbst für ihre Anliegen einzusetzen und demokratische (Jugend-) Politik mitzugestalten.
Selbstverständlich kann eine sozialpädagogisch kommunale Orientierung die anderen Akteure vor Ort nicht ignorieren. Sie muss auch weitere pädagogische Organisationen, besonders die Schule, und sicher auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie Vereine und Initiativen einbeziehen, ebenso wie die lokale Kommunalpolitik. Hinzu kommen religiöse Organisationen und Einrichtungen, die unter Umständen für die Zielgruppen wichtig sind. Immer wieder haben Kinder und Jugendliche auch mit Polizei und Ordnungsamt zu tun, die dann ebenfalls einzubeziehen wären. Da für Kids auch die kommerziellen Welten große Bedeutung haben, wird man auch diese nicht grundsätzlich ignorieren oder vermeiden können. Aber auch ganz normale Mitbürger*innen vor Ort, die nicht in irgendeiner Weise organisiert sind, können zu Partner*innen von Kooperation und Demokratiebildung werden.
Dennoch wird hier vorgeschlagen, zunächst mit Vernetzungen in der Kinder- und Jugendhilfe zu beginnen und auf der Basis einer gemeinsamen sozialpädagogischen Fachlichkeit demokratiebildende Kooperationen zu entwickeln. Weil eine solche Arbeitsweise die lebensweltlichen Themen und Handlungsweisen der Kinder und Jugendlichen in der Kommune ins Zentrum stellt, werden sich von dort immer Bezüge zu anderen Akteur*innen ergeben. Die Vernetzung sollte in zwei Schritten vorgenommen werden:
• Man beginnt mit den räumlich und inhaltlich nah beieinander liegenden Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Einzugsgebiet. Für sie richtet man ein regelmäßiges Vernetzungstreffen ein, bei dem es ausschließlich darum geht, sich über die aktuellen beobachteten Themen der Kinder und Jugendlichen auszutauschen und Ansatzpunkte für Kooperationen und Projekte zu finden.
• Hat man einen solchen Inhalt benannt, ergeben sich daraus oft Bezüge zu thematisch bedeutsamen anderen Partnern aus den lokalen Strukturen. Wer diese inhaltlich relevanten Player jeweils sind oder sein können, kann mit einer thematischen Netzwerkkarte der Kinder und Jugendlichen herausgefunden werden (siehe dazu den methodischen Vorschlag unten). Man schafft dann für das jeweilige Projekt notwendige und geeignete Kooperationsgremien. Doch Vorsicht: Es geht darum, dass die jungen Menschen sich selbst als Akteur*innen in ihrer Kommune erfahren. Die Fachkräfte und ihre Gremien müssen also immer aufpassen, dass sie den Kids solche Handlungsspielräume eröffnen – statt sie ihnen durch eigene Intervention zu nehmen.