Читать книгу Erlebnispädagogik und ADHS - Benjamin Heller - Страница 7
2.1. Definition und Diagnose
ОглавлениеADHS ist die Abkürzung für „Aufmerksamkeits-Defizitstörung mit (oder ohne) Hyperaktivität“.
ADHS ist keine neumodische Erkrankung. In der Vergangenheit waren ihre Symptome unter diversen anderen Bezeichnungen bekannt: Zuerst nannte man die Jugendlichen einfach „Zappelphilipp“. Doch schon seit der Mitte des 20. Jahrhunderts bekam das, was heute als ADHS bekannt ist, einen Namen. Damals hieß die Ansammlung von Symptomen, die man heute als ADHS kennt noch minimal braindamage (MBD), eine Diagnose, die 1963 in die Diagnose minimal cerebral dysfunction (MCD) umgewandelt wurde1. Die Sammlung der Symptome und Definition von solchen als ADHS geschah erst später.
Die drei Kernelemente einer ADHS bilden Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität. Bei Kindern und Jugendlichen manifestieren sich die Symptome meist durch folgende Verhaltensweisen:
Unaufmerksamkeit: Die Kinder sind oft unkonzentriert, was ihnen eine aktive Teilnahme am Unterricht oder auch beim Spielen erschwert. Dadurch entstehen Flüchtigkeitsfehler, es werden häufig Gegenstände verloren oder vergessen und schon kleine Reize können ausreichen, damit das betroffene Kind vom Unterricht abgelenkt wird2.
Hyperaktivität: Die Kinder zappeln herum und haben große Schwierigkeiten, sich ruhig zu verhalten, wenn man es von ihnen erwartet. Die motorische Unruhe manifestiert sich auch durch das Herumrutschen oder das Klettern in unangebrachten Momenten3.
Impulsivität: Die Kinder können nicht abwarten, bis sie an der Reihe sind und unterbrechen deswegen andere Kinder oder präsentieren ihre Ergebnisse und Antworten ungefragt4.
Weiterhin fällt es Kindern und Jugendlichen mit ADHS schwer, schwierige Aufgaben zu Ende zu bringen, die sich erst nach längerer Zeit auszahlen. So fällt zum Beispiel der Gedanke schwer, sich im schulischen Alltag anstrengen zu müssen, um später in Beruf oder Studium erfolgreich zu werden. Stattdessen wird die „Intensität der Gegenwart“5gesucht, da das Aufmerksamkeits- und Belohnungssystem eine Bestätigung durch unmittelbare Befriedigung benötigt.
Diese Symptome werden in dem ICD-10, der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, unter F90.X als hyperkinetische Störungen gesammelt. Der ICD-10 definiert hyperkinetische Störungen als solche, die charakterisiert sind
„durch einen frühen Beginn, meist in den ersten fünf Lebensjahren, einen Mangel an Ausdauer bei Beschäftigungen, die kognitiven Einsatz verlangen, und einer Tendenz, von einer Tätigkeit zu einer anderen zu wechseln, ohne etwas zu Ende zu bringen; hinzu kommt eine desorganisierte, mangelhaft regulierte und überschießende Aktivität. Verschiedene andere Auffälligkeiten können zusätzlich vorliegen. Hyperkinetische Kinder sind oft achtlos und impulsiv, neigen zu Unfällen und werden oft bestraft, weil sie eher aus Unachtsamkeit als vorsätzlich Regeln verletzen. Ihre Beziehung zu Erwachsenen ist oft von einer Distanzstörung und einem Mangel an normaler Vorsicht und Zurückhaltung geprägt. Bei anderen Kindern sind sie unbeliebt und können isoliert sein. Eine Beeinträchtigung kognitiver Funktionen ist häufig, spezifische Verzögerungen der motorischen und sprachlichen Entwicklung kommen überproportional oft vor. Sekundäre Komplikationen sind dissoziales Verhalten und niedriges Selbstwertgefühl“6.
Der ICD-10, der auch in Deutschland zur Diagnostik seine Anwendung findet, unterscheidet zwischen
Einfacher Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung F90.0 und
Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität (ADS) F98.8. und
Hyperkinetische Störung verbunden mit Störung des Sozialverhaltens F90.1 und
Sonstige bzw. nicht näher bezeichnete hyperkinetische Störungen F90.8 und F90.9.
Ausgeschlossen werden dabei andere Störungen, bei denen eine teilweise 60-80-prozentige Komorbidität der Symptome besteht. Komorbidität meint das Auftreten von weiteren, abgrenzbaren Krankheitsbildern oder auch einzelnen Syndromen zusätzlich zur eigentlichen Erkrankung. Dazu gehören diverse affektive Störungen, Angststörungen, Schizophrenie, Depressionen und tiefgreifende Entwicklungsstörungen7. Auch das Risiko später eine Substanzkonsumstörung zu entwickeln ist bei Menschen mit ADHS deutlich erhöht8.
Damit ein Kind oder Jugendlicher die Diagnose ADHS bekommt, muss eine bestimmte Anzahl von Aufmerksamkeitsschwierigkeiten zu Hause, als auch in der Schule oder im Kindergarten auftreten. Die Diagnose wird in der Regel über standardisierte Fragebögen gestellt. In Deutschland wird dafür der Fremdbeurteilungsbogen für Hyperkinetische Störungen (FBB-HKS) verwendet. Ab einem Alter von elf Jahren kann der Selbstbeurteilungsbogen für Hyperkinetische Störungen eingesetzt werden (SBB-HKS)9. Die Fragebögen werden unabhängig voneinander von Lehrern und Lehrerinnen oder Erziehern und Eltern ausgefüllt. Dadurch sollen die verschiedenen Lebensbereiche der Klienten beleuchtet und ein unbeeinflusstes Bild erzeugt werden. Die Fragebögen helfen vor allem den Ärzten, die in der Behandlungszeit häufig nicht alle Symptome erfassen können. Ist eine bestimmte Anzahl von Symptomen in einer gewissen Stärke aufzufinden, ist eine Diagnose mit ADHS wahrscheinlich. Die Skalen bestehen aus Verhaltensweisen, die mit einer Ratingskala ausgestattet sind. Hierzu gehören Verhaltensmuster, wie ständige motorische Unruhe, mangelnde Ausdauer beim Spielen, kurze Dauer von spielerischen Beschäftigungen und eine ausgeprägte Aktivität in Situationen, die relative Ruhe verlangen. Weitere Kriterien sind „Abnormitäten von Aufmerksamkeit oder Aktivität“, die in Anbetracht des Alters und des Entwicklungsstandes des Kindes sehr ausgeprägt sind10.Außerdem müssen andere, tiefgreifende Entwicklungsstörungen ausgeschlossen werden können. Die Symptomatik muss mindestens 6 Monate anhalten und bereits vor dem sechsten Lebensjahr aufgetreten sein. Weiterhin muss der Intelligenzquotient über 50 liegen und die Kriterien für Manie, Depression oder Angststörung dürfen nicht erfüllt sein. Neben den Fragebögen und Checklisten kann eine Diagnose außerdem mit psychologischen Tests oder durch neurobiologische Verfahren durchgeführt werden. Etwa ein Drittel aller Jugendlichen mit ADHS zeigt auch noch im Erwachsenenalter einzelne ADHS-Symptome11.
Die deutsche Ärztekammer (2005) empfiehlt eine multiaxiale Diagnostik, die die Störung auf sechs Ebenen abbildet. Diese Ebenen bestehen aus
klinisch-psychiatrischen Syndromen,
umschriebenen Entwicklungsstörungen,
Intelligenzniveau,
körperlicher Symptomatik,
assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände
und der globalen Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus.
Eine Diagnostik nur auf Grundlage von Fragebögen oder testpsychologischen Untersuchungen sei nicht möglich12. Döpfner und Lehmkuhl (2007) zeigen im folgenden Entscheidungsbaum (Abbildung 1) zur Diagnose von ADHS, welche anderen Erkrankungen ausgeschlossen werden müssen, damit eine sichere Diagnose ADHS gestellt werden kann.
Abbildung 1 – Entscheidungsbaum für die Diagnose hyperkinetischer Störungen
Quelle: In Anlehnung an Döpfner, Lehmkuhl, Schepker, Frölich, (2007)13
Eine ADHS-Diagnose hat nicht nur eine Therapie bzw. Behandlung zur Folge, sondern auch psychologische Konsequenzen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen: Das Selbstwertgefühl kann beeinträchtigt werden, da Kinder im Bewusstsein einer hirnfunktionell bedingten Störung heranwachsen. Sie werden außerdem mit dem Gedanken konfrontiert, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, dass sie verrückt seien14.