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4.5 Lebensgeschichtlicher Hintergrund
ОглавлениеMenschen, die sich auf die eine oder andere Weise in Zwickmühlen bringen, waren häufig in ihrer Kindheit in Zwickmühlen-Situationen, die sie nicht selbst arrangiert oder verursacht hatten. Zum damaligen Zeitpunkt waren sie nicht in der Lage, die Situation zu überblicken. Bedürfnisse, die in der Situation nicht zu befriedigen waren, und das Anliegen, schwierige Situationen als lösbar angeboten zu bekommen, bleiben zurück.
Konstruieren wir ein einfaches Beispiel: Die Eltern erklären mit einem Ausdruck hilfloser Verzweiflung ihrem kleinen Sohn: »Wir müssen uns trennen, weil wir sonst an unseren Problemen kaputtgehen. Wen hast du soviel lieber, dass du mit ihm gehen wirst?« Man benötigt schon einen Erwachsenen-Standpunkt, um zu erkennen, dass und wie die Problem- und Entscheidungssituation für die kindlichen Möglichkeiten unangemessen definiert ist.
Diese Dynamik erinnert an die Doppelbindungstheorie von Gregory Bateson u.a. (1956, siehe Lit. Kap. 4, 2). Wesentliche Elemente sind dabei, dass man 1. mit zwei unvereinbaren Anforderungen konfrontiert ist, dass man 2. keine Möglichkeit hat, den Anforderungen zu entrinnen, und 3. ein Verbot besteht, einen Metastandpunkt einzunehmen und die Unvereinbarkeit aufzuzeigen. Wir haben hier absichtlich kein Beispiel logischer Unmöglichkeit gewählt, um darauf abzuheben, dass aus dem kindlichen Bezugsrahmen auch andere Situationen verständlicherweise als unlösbar erlebt werden. Ob problematische Situationen zu Zwickmühlen und damit Ausgangspunkt für Dilemmadynamiken werden, hängt davon ab, ob vom Standpunkt der Betroffenen eine Zurückweisung oder Re-Definition der Fragestellung möglich ist.
In dem vorigen Beispiel bleibt der kleine Junge ratlos zurück. Neben den Schwierigkeiten, die eine solche Familiensituation ohnehin aufweist, bleibt ein berechtigtes Anliegen des Jungen zurück, jemanden zu haben, der die Situation besser versteht und ihm in angemessener Weise verständlich macht. Jemanden, der die für den Jungen entstehenden Probleme so darstellt, dass er sie lösen kann, oder dass er die Freiheit erlebt, mit entsprechenden Gefühlen reagieren zu können, ohne sich für das Problem verantwortlich zu fühlen.
Zwickmühlen-Muster für die Lösung von Problemen und die Gestaltung von Beziehungen können auch über Modell-Lernen erworben werden, ohne dass dann für das Kind von außen konstellierte Zwickmühlen in der persönlichen Geschichte gefunden werden können. Die Zwickmühlen-Dynamiken werden von vorigen Generationen übernommen.
In der Familientherapie wird von Ivan Boszormenyi-Nagy (1973, siehe Lit. Kap. 4, 3) der Begriff »split loyality« beschrieben. Die Loyalität zu einem Familienmitglied beinhaltet (aus dem Bezugssystem des Kindes) die Illoyalität zu einem anderen. Da das Kind beiden Eltern gegenüber loyal sein möchte, entstehen gespaltene Loyalitätsversuche.