Читать книгу Dürnsteiner Puppentanz - Bernhard Görg - Страница 13
Samstag, 17. April 8 Uhr 20
ОглавлениеDie Luft war an diesem sonnigen Morgen noch frisch. Sie fröstelte, als sie auf die Veranda hinaustrat. Von der Donau stiegen zarte Dunstschleier auf. Morgenmantel allein war zu wenig. Gestern in Weißenkirchen war es ziemlich spät geworden. Lange Abende war sie gewohnt. Vielleicht war es dennoch auch Restmüdigkeit, die sie frösteln ließ. Mit ihren einundvierzig Jahren war sie eben nicht mehr die Jüngste. Immerhin eine der jüngeren Landtagsabgeordneten.
Jedenfalls musste sie sich vor einer Verkühlung hüten. Angesichts ihres Terminkalenders war eine Erkrankung so ziemlich das Letzte, was sie brauchen konnte. Also zurück ins Haus. Ein Paar dicke Socken und unter dem Morgenmantel noch eine warme Trainingshose, das würde reichen. Jedenfalls wollte sie es sich nicht nehmen lassen, mit Martin auf der Veranda zu frühstücken. Sie hörte ihn schon in der Küche. Für das samstägliche Frühstück gab es im Hause Krenn seit Jahren und zu allen Jahreszeiten eine fixe Arbeitsteilung. Sie deckte nur den Tisch. Alles andere war allein seine Sache. Es war sein Ritual, um sich auf das Wochenende einzustimmen. Er holte beim Bäcker, den es in Rossatz noch gab, frisches Gebäck. Früher war er um Wurst und Käse auch noch in die örtliche Gemischtwarenhandlung gepilgert. Die hatte jedoch vor zwei Jahren zugesperrt. Einen Feinkostladen hatte es in dem kleinen Dorf nie gegeben. Also kaufte er die übrigen Zutaten je nach Zeit schon am Donnerstag oder Freitag in einem Supermarkt in Mautern. Den Kaffee hingegen bezog er via Internet aus Vietnam. Kein anderer Kaffee hatte diese cremige Schokoladennote.
Sie wollte ihn in der Küche nicht stören. Also nahm sie alles aus der Anrichte neben der Verandatür. Zunächst ein frisches, blassgrünes Tischtuch. Darauf drapierte sie das Gmundner Porzellan und das alte Silberbesteck.
Sie deckte nur für zwei Personen. Allzu selten gesellte sich zum Frühstück ihre sechzehnjährige Tochter Emma dazu. Am Wochenende war sie in der Regel nicht vor zehn Uhr aus dem Bett zu kriegen. Der vierzehnjährige Philipp tauchte überhaupt nie auf. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, gar nicht zu frühstücken. Um dann beim Mittagessen umso kräftiger zuzulangen.
Das Tischdecken war schnell erledigt. Die dicken grünen Polsterauflagen holte sie noch und legte sie auf die Sessel. Dann ließ sie sich in ebendiese grüne Polsterung fallen. Sie zwang sich, das Handy noch liegen zu lassen. Stattdessen ließ sie den gestrigen Abend Revue passieren. Von ihrer Rückfahrt von Weißenkirchen nach Rossatz musste sie Martin unbedingt erzählen. Gerne hätte sie die Rollfähre über die Donau genommen. Aber die war ja so spät abends längst nicht mehr in Betrieb. Sie musste donauabwärts bis Stein, dann über die Donaubrücke nach Mautern und schließlich noch ein paar Kilometer wieder stromauf nach Rossatz fahren. Rund 17 Kilometer, um ihr Haus zu erreichen, das am gegenüberliegenden Ufer fast in Sichtweite lag. Beim Wegfahren hatte sie wegen dieses Umweges zu später Stunde noch geseufzt. Aber schon bei der Ausfahrt aus Weißenkirchen war ihr die Pracht der Frühlingsnacht aufgefallen. Ein echter Genuss. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals blühende Marillenbäume im Mondlicht bewusst wahrgenommen zu haben. Gestern zum ersten Mal. Fast noch schöner als bei Sonnenschein.
Ihr Wohnort rühmte sich in seinen Werbebroschüren, das größte Marillenanbaugebiet der ganzen Wachau zu beherbergen. Dennoch konnte sie von ihrer Veranda aus nur in der Ferne vereinzelt ein paar Bäume in weißer Blütenpracht sehen. In ihrem Garten standen nur Apfelbäume. Die würden sich mit ihrer Blüte noch einige Wochen Zeit lassen. Vielleicht ging es sich bis zum nächsten Vollmond aus. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass es das Rosa der Apfelblüten locker mit dem Weiß eines blühenden Marillenbaums aufnehmen konnte. Aber ob das Rosa bei Vollmond auch so strahlen würde? Würde sich Martin, der honorige Herr Notar und umsorgende Familienvater, zu einem späten Spaziergang mit dem gewissen Extra verführen lassen?
Seit siebzehn Jahren war sie verheiratet. Sie fragte sich manchmal, ob sie nicht erst später hätte heiraten und ihre Ungebundenheit noch länger hätte genießen sollen. Auf diese Frage fand sie allerdings nie eine eindeutige Antwort.
Klar war ihr jedenfalls, dass sie es mit ihrem Martin recht gut getroffen hatte. Respektabel, verständnisvoll, ihre Karriere fördernd, witzig und durchaus zum Herzeigen. Auch ein Vorzug, der für sie, die sich oft auch bei gesellschaftlichen Anlässen zeigen musste, nicht zu unterschätzen war. Ihr Mann machte sowohl im Niederösterreicher-Anzug als auch im Smoking eine ausgezeichnete Figur. Nach ihrem Einzug in den Landtag hatte Martin ihr empfohlen, dafür zu sorgen, dass sich alle das Kürzel »KK« einprägten. Würde ihr bei ihrem weiteren Aufstieg nützlich sein. Hatte bis jetzt auch prächtig funktioniert. Im Grunde war er es gewesen, der ihr Interesse an der Politik geweckt hatte. Ihr Vater hatte das nie vermocht, obwohl er Kremser Bezirkshauptmann gewesen war, und Politik bei ihm immer an erster Stelle stand.
Ja, Martin war ein guter Griff. Aber sehr schön war auch die Freiheit gewesen, die sie in ihrer Jugend weidlich genutzt hatte. So weidlich, dass sie im Interesse ihres weiteren Aufstiegs auf die Diskretion all derer hoffen musste, die einst in den Genuss dieser Freiheit gekommen waren. Bisher kein Problem. Schließlich war das alles schon recht lang her. Als ÖVP-Abgeordnete musste sie sich jedenfalls davor hüten, mit solcher Freiheit assoziiert zu werden. Daher war sie dieser Tage eine mustergültige Ehefrau. Aber von Vollmondnächten unter blühenden Bäumen träumte sie trotzdem.
Da ihr der Sinn so nach Blüten stand, holte sie ein kleines scharfes Messer aus der Anrichte, schlüpfte in die Pantoffel, die auf der Veranda stets bereit standen, ging hinunter in den Garten und schnitt ein paar Blumen aus der Wiese. Ein paar große Gänseblümchen, die Namen der anderen, der kleinen roten und blauen, kannte sie nicht. Wiesenblumen eben. Das hübsche kleine Sträußchen stellte sie in einer Vase auf den Frühstückstisch. Ein wenig dufteten sie sogar.
Allerdings wurde der Duft überlagert vom Aroma des Kaffees, das durch die Verandatür herausströmte. Ein untrügliches Zeichen, dass Martin gleich mit dem großen Tablett aus der Küche kommen würde.
Sie blieb mit dem Rücken zur Tür sitzen. Denn sie wusste, dass es ihm Spaß machte, sich lautlos anzuschleichen. Obwohl sie das wusste, schaffte er es manchmal tatsächlich, sie zu überraschen, wenn sie in Gedanken versunken war. Heute jedoch hörte sie ein leises Klimpern hinter sich.
»Für einen Mann gibt es in der Früh nichts Schöneres«, hauchte er ihr ins Ohr, »als den Geruch von frischem starkem Kaffee.«
»Nicht gerade ein Kompliment für mich«, konterte sie mit einem Lächeln. »So etwas darfst du erst sagen, wenn wir die goldene Hochzeit hinter uns haben.«
Grinsend stellte er das Tablett ab und ließ sich ebenfalls in den Sessel sinken. »Aahh«, seufzte er wohlig, griff zum Kaffee und schenkte ihr zuerst ein. Dann nahm er eine der vier goldbraunen Semmeln aus dem aus Stroh geflochtenen Brotkorb, schnitt sie entzwei und bestrich die eine Hälfte mit feinen Scheiben der Bauernbutter, die er bedächtig von einem großen, etwas unförmigen Stück abschnitt.
Sie beobachtete ihn gerne beim Genießen. Es war ein heimeliges Gefühl, jemanden so gut zu kennen. Seine Abfolge kleiner Rituale funktionierte wie ein Uhrwerk. Nach den ersten zwei Bissen würde er das Gespräch eröffnen.
»Ich habe dich gestern zwar noch gehört, wie du nach Hause gekommen bist. Aber ich bin zu müde gewesen, um dich zu fragen, wie es in Weißenkirchen gelaufen ist.«
»Ich habe den Landeshauptmann sicher bestens vertreten.« Sie lachte und nahm einen Schluck Kaffee.
»Gut besucht?«
»Zirka sechzig Leute.«
Er pfiff durch seine Zähne. »Sechzig Leute? Donnerwetter. Also viel mehr wären beim LH auch nicht gekommen.«
»Ja, gut organisiert, aber der Parteiobmann von Weißenkirchen ist trotzdem nicht der Hellste. Am Ende fragt er mich glatt vor Publikum, ob ich in die Landesregierung einziehen werde.« Er zuckte die Achseln. »Ich nehme an, du hast souverän pariert. Glaubst du, dass der Landeshauptmann einen Spion dagehabt hat?«
Sie zog ihre Stirn hoch und wiegte ihren Kopf hin und her. »Ehrlich gesagt wäre ich enttäuscht, wenn nicht. Dann würde ich nämlich noch nicht zu den potentiellen Erben zählen. Gestern in Gföhl hat er mich jedenfalls präsentiert wie eine Königin. Also nehme ich an, dass er auch mich mit seinem ganz besonderen Überwachungssystem kontrolliert.«
»Du darfst jetzt nur nicht keck werden. Immer schön brav zu ihm aufschauen. Das lieben Leute wie er. Ist ja in Wahrheit ein extrem unsicherer Mensch. Und deshalb ein Angstbeißer.«
Warnend erhob sie das Buttermesser. »Kein falsches Wort über den LH. Womöglich nehmen seine Spione auch dich unter die Lupe. Zumindest stichprobenartig.« Sie bohrte das Messer durch die Luft zwischen ihnen und grinste. »Für mich ist nur wichtig, dass ich nach der nächsten Wahl Landesrätin werde. Da muss ich voll und ganz auf ihn setzen.« Sie nahm sich ebenfalls eine Semmel, bestrich sie mit Butter und legte eine Scheibe Bauernschinken drauf. »Daher bin ich eine brave Soldatin und habe nur das Wohl der Partei im Auge. Apropos: Heute Nachmittag steht mir ein besonderer Leckerbissen ins Haus. Wanderung mit den Melker ÖVP-Frauen auf die Ruine Aggstein.«
»Klingt nach Strafverschärfung.«
»Kannst du laut sagen. Aber ich werde so freundlich und süß sein, wie ich es nicht einmal bei dir bin. Wenn ich mir den Hatscher schon antue, dann möchte ich wenigstens keine schlechte Nachrede haben. Du weißt ja, wie bösartig Frauen sein können. ÖVP-Frauen ganz besonders.«
Martin setzte ein schiefes Lächeln auf. »Ein Glück, dass dich deine Parteifreunde nicht hören können.«
»Irgendwo muss ich mich ja abreagieren.« Sie blinzelte ihm verschwörerisch zu und biss herzhaft in ihre Schinkensemmel.