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Samstag, 17. April 10 Uhr 10

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Der Anblick der Küche erschlug sie. Mindestens fünfzig Quadratmeter nichts als blitzender Edelstahl. Acht Kochinseln mit gewaltigen Gasherden. In den von der Decke hängenden Oberschränken Töpfe und Pfannen in allen Größenordnungen. Sie hatte ja schon viele Küchen gesehen. Von anderen Restaurants und Hotels. Aber nicht so etwas. Diese Küche hatte wirklich was gekostet. High-Tech, wohin sie schaute. Nur die Messer, die penibel nach Größe gereiht auf einem magnetischen Ständer auf jedem Arbeitstisch griffbereit standen, schienen ihr auf den ersten Blick Low-Tech zu sein. Bei genauerem Hinsehen bemerkte sie allerdings Schleifspuren auf allen Messerblättern. Wahrscheinlich waren sie gefährlich scharf.

Sie riss sich vom einschüchternden Anblick der Küche los und nahm die anderen Kursteilnehmer in Augenschein. Wenig überraschend: Mindestens drei Viertel von ihnen waren Frauen. Die vier männlichen Teilnehmer wirkten fast deplatziert. Es überraschte sie allerdings, dass sich die wenigsten Teilnehmerinnen an die tollen Bekleidungstipps ihres Erich zu halten schienen. Abgesehen von zwei älteren Damen waren alle so herausgeputzt, als würden sie sich gleich an einen festlich geschmückten Tisch setzen wollen, um ein von hilfreichen Geistern zubereitetes und serviertes Fünf-Gänge-Menü zu verzehren. Wobei ihre Anstrengungen einzig und allein darin bestehen würden, die kunstvoll gefaltete Serviette über dem Rock auszubreiten und das Silberbesteck in ihre zarten Hände zu nehmen.

Natürlich waren die Dirndln in der Überzahl. Kein Wunder bei einem Kochkurs in der Wachau. Aber es waren keine gewöhnlichen Dirndln. Jedenfalls nicht solche, wie sie Doris Lenhart kaufte. Hier waren Dirndln von Nobelmarken das untere Limit. Die meisten waren allerdings maßgeschneidert. Sündteuer. Das sah sie auf den ersten Blick.

Eine der Damen trug zwar nur ein Nobelmarken-Dirndl, dafür aber eine ungewöhnlich tief ausgeschnittene Bluse. Viel fehlte da nicht, und die Brustwarzen wären freiliegendes Ziel der allgemeinen Bewunderung geworden. Ganz schön schamlos. Dazu eine blonde Haarpracht, die in makellosen Wellen auf die Schultern herabfiel. Hier wollte jemand unbedingt die strahlende Königin des Tages sein.

Doris blickte sich kurz um. Zu dieser Dame schien kein Mann zu gehören. Das würde sich im Lauf des Kurses ändern, davon war sie überzeugt. Jede Wette. Diese Frau hatte etwas vor. Wobei abgesehen vom Chefkoch von den vier anwesenden nur zwei Herren als Bewunderer in Frage kamen. Von vornherein schied der ältere Herr aus, der schon sehr nach Großvater aussah und neben einer ebenfalls sehr großmütterlich wirkenden Frau stand, die noch legerer gekleidet war als sie selbst. Und ihr Erich.

Natürlich inspizierte sie auch die Schuhe der Damen. Zwei flache Paare, einmal sogar Turnschuhe, und der Rest waren Schuhe mit Absätzen zwischen drei und sechs Zentimetern Höhe. Mit den Stilettos der Möchtegernkönigin als krönendem Abschluss. Die Bleistiftabsätze mussten mindestens zehn Zentimeter hoch sein. Was ja auch gar kein Wunder war. Ohne diese Absätze würde ihr die Dame nicht einmal bis zur Schulter reichen. Doch irgendwie eine Genugtuung.

Erst jetzt nahm sie den Chefkoch richtig wahr. Obwohl er sie und ihren Mann schon vor fünf Minuten begrüßt hatte. Für einen Koch ausgesprochen schlank, maximal vierzig, mit schon leicht grau meliertem, gleichwohl dichtem dunkelblondem Haar. Mit der Ausstrahlung von jemandem, der weiß, dass er Erfolg hat. Würde sie nicht wundern, wenn der Mann bald in einer Fernsehshow auftreten würde. Vielleicht hatte es die Dame mit den Stilettos ja auf ihn abgesehen.

»Einen recht schönen, guten Morgen, meine Damen und Herren!«, hob er an. »Ich heiße Sie in meinem Lokal herzlich willkommen. Ich habe natürlich gesehen, dass speziell die Damen unter Ihnen diese Küche bestaunen. Ich würde Sie aber bitten, zunächst aus dem Küchenfenster hinauszuschauen. Sie werden mir Recht geben mit meiner Einschätzung, dass es in der ganzen Wachau keine Küche gibt, die einen schöneren Blick auf die Donau erlaubt. Wenn Sie diese Aussicht für einen Moment auf sich wirken lassen, wird Ihnen Ihr Menü gleich viel besser gelingen. Was mich bereits zu meiner Lektion Nummer eins bringt: Wirklich gut kochen kann man nur, wenn man in guter Stimmung ist.«

Er machte eine kleine Pause.

»Die entsprechenden Zutaten braucht es natürlich auch.« Doris sah auf fast allen Gesichtern der Teilnehmer ein zumindest leises Lächeln.

Gekonnte Eröffnung, dachte sie. Obwohl sie nicht in der vom Meister beschworenen Gemütsverfassung war, verstand sie natürlich sofort, warum er diese Eröffnung gewählt hatte. Die Stimmung im Kurs würde sich vielleicht nicht auf die Kochkünste aber ganz sicher auf die Nachrede und die daraus folgende Mundpropaganda auswirken. Sein Konzept schien aufzugehen. Die Kursteilnehmer blickten alle voll andächtiger Begeisterung aus dem Riesenfenster. Die Lage des Restaurants zwischen Donau und Uferstraße war ja auch tatsächlich großartig. Das gab es in der ganzen Wachau wahrscheinlich nur in Joching.

Überrascht war sie, dass vom starken Autoverkehr auf der Uferstraße, also auf der Rückseite des Hauses, gar nichts zu hören war. Dafür aber das leise Plätschern der Donau. An diesem Effekt musste ein Toningenieur tagelang getüftelt haben. Vielleicht funktionierte es auch deshalb, weil am gegenüberliegenden Donauufer eine bewaldete Böschung aufragte, die wohl viel Schall schluckte. Im Blickfeld waren nur der Fluss und die Aulandschaft. Natur pur. Sie hatte das Gefühl, nur eine Angel aus dem Fenster hinaushalten zu müssen und schon würden Barsche und Karpfen daran zappeln. Mit dem sanften Plätschern war es allerdings gleich vorbei, weil ein Lastkahn daherkam, der sich laut brummend stromaufwärts mühte.

Von der Aussicht war sie höchst angetan. Allerdings ärgerte sie sich, dass sie in Sachen Kleidung auf Erich gehört hatte. Sie hatte auch ein Dirndl, nicht ganz so teuer, aber sehr hübsch, das sie bei ihrer Größe sogar mit flachen Schuhen hätte tragen können. Aber morgen war ja auch noch ein Tag.

»Ich werde natürlich oft speziell von den Kursteilnehmerinnen nach Bekleidungstipps gefragt. Wenn ich mich hier kurz umblicke, dann haben Sie alle instinktiv das Richtige getan. Es gibt nämlich auch keine fürs Kochen typische Bekleidung. Man soll einfach das anziehen, worin man sich wohlfühlt. Und das reicht eben von ganz zwanglos und leger bis elegant.«

Ein richtiger Profi, dachte sie. Kein Wunder, dass er pro Kursteilnehmer dreihundert Euro verlangen konnte. So sehr sie sich auf das Wochenende gefreut hatte, so kamen ihr jetzt doch Zweifel, ob ihr Mann und sie die sechshundert Euro nicht für etwas anderes hätten verwenden sollen. Aber ihr Erich war ja richtig versessen auf diesen Kurs gewesen.

»Und bevor ich Ihnen jetzt eine kleine Einführung in meine Küche gebe, möchte ich Sie bitten, dass sich jeder von Ihnen jetzt eine von diesen Schürzen umbindet. Damit gleich das richtige Gefühl aufkommt für das, was wir in den nächsten Stunden gemeinsam tun wollen.«

Der Koch zeigte auf den Stapel an beigen Schürzen, die auf einem Hocker lagen. Amüsant zu sehen, wie die Damen diese Schürzen skeptisch ansahen. Mit diesen Fetzen sollten sie ihre schönen Kleider überdecken? Farblich passend war das Beige auch in den seltensten Fällen.

Sie selbst hatte zwar ebenfalls keine gesteigerte Sehnsucht nach einer Schürze. Aber ihr Outfit zu verdecken konnte nicht schaden. Allerdings wollte sie sich die missmutigen Gesichter der Damen nicht entgehen lassen. Daher ließ sie den anderen Kursteilnehmern den Vortritt.

Da sah sie, wie die Dame mit dem tiefen Ausschnitt sich an Erich wandte, der unmittelbar hinter dieser Exhibitionistin stand. Mit der offensichtlichen Bitte, ihr die Schürze an ihrem Rücken zusammenzubinden. Und was tat ihr Mann? Er kam dieser Aufforderung bereitwilligst, wie ihr schien, nach. Aber nicht nur das. Er nutzte auch die Gelegenheit, der trotz ihrer Stilettos klein geratenen Frau über die Schulter ins Dekolletee zu schauen. Bei seiner Körpergröße von 1,85 kein Problem.

Doris wusste nicht, ob sie in dem Moment rot oder ganz blass wurde. Aber eines wusste sie: dass ihr Gesicht mit Sicherheit seine Farbe wechselte. Am liebsten hätte sie Reißaus genommen.

Das ließ allerdings ihr Stolz nicht zu. Außerdem hätte sie damit alles nur noch schlimmer gemacht. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Sie war doch bis jetzt immer selbstbewusst genug gewesen, um sich ihres Mannes sicher zu sein. War vielleicht doch diese verdammte Josefa Machherndl und nicht diese Kokotte an ihrer Gemütslage schuld?

Bei der Zubereitung des Menüs konnte sie sich überhaupt nicht konzentrieren. Sie war so zerstreut, dass sie sich sogar vom Koch die Frage gefallen lassen musste, ob sie heute zum ersten Mal in einer Küche stehen würde. Zwar mit einem Augenzwinkern vorgetragen. Aber bei jemandem, dessen oberstes Ziel es doch war, nur ja keinen Kursteilnehmer zu verärgern, war das doch eine sehr deutliche Ansage. Den heutigen Tag musste sie jedenfalls abschreiben.

Dürnsteiner Puppentanz

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