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Freitag, 16. April 17 Uhr 07

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Doris Lenhart war so aufgekratzt, dass sie einen ABBA-Song trällerte. Einen so populären, dass auch er ihn kannte. »Waterloo,… Waterloooo«, sang er leise mit und lehnte seinen massigen Körper an den Türrahmen.

Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu, trällerte jedoch weiter und ließ sich auch sonst nicht von den letzten Handgriffen in ihrem Büro abhalten. Freitag, 17 Uhr, war Dienstschluss.

»Waterloo handelt von einer verlorenen Schlacht«, kommentierte er. »Kein passender Song, um sich auf das Wochenende einzustimmen.«

»Banause!«, schimpfte sie, während sie ihren Computer abschaltete. »Waterloo handelt von der Übermacht der Liebe.«

»Du freust dich wohl auf euren Kochkurs. Freu’ dich nicht zu früh. Mörder arbeiten auch nach Dienstschluss. Sogar in Österreich.« Er nippte an dem Becher aus Pappendeckel, den er seit fünf Minuten in der Hand hielt. Pappendeckel passte hervorragend zu der wenig repräsentativen grau-beigen Büroeinrichtung. Und der unnötige Papierhenkel passte zu den Fenstern, die Formen und Ausmaße von Schießscharten hatten. Sogar ihn, dem jeglicher Sinn für Ästhetik fremd war, störten diese schmalen Fenster. Bei jedem Blick hinaus stellte er sich die Frage, ob der verantwortliche Architekt das Gebäude in der Überzeugung geplant hatte, die Polizei vor Attacken anstürmender Verbrecherhorden schützen zu müssen. »Scheußliches Gesöff«, murrte er. »Mit der Besteilung einer neuen Kaffeemaschine könntest du unsterblich werden.«

»Das werde ich auch ohne neue Kaffeemaschine. Bist du am Sonntag wieder auf einem Fußballplatz unterwegs?«

»Klar, in Hohenau. Nicht gerade eine Traumgegend, aber immer noch besser als euer Kochkurs. Was dein Erich dort soll, ist mir schleierhaft.«

»Mein Erich weiß wenigstens, was eine Frau glücklich macht. Wenn du den Kochlöffel beizeiten geschwungen hättest, dann wäre deine Frau vielleicht bei dir geblieben.« Mit einem Seufzen nahm sie die Tulpen auf ihrem Schreibtisch, die schon den Kopf neigten, aus der Vase. Über dem Mistkübel hielt sie inne, überlegte es sich offenbar anders, zog ein kleines Messer aus der Schreibtischschublade, schnitt die braunen Stellen unten an den Stielen weg, holte frisches Wasser und stellte die Tulpen zurück in die Vase.

Er schüttelte den Kopf. Ausgeschlossen, dass die Blumen das Wochenende überlebten.

»Oder wenn du wenigstens dein Hemd über deinem Bauch zugeknöpft hättest«, kommentierte sie sein Kopfschütteln.

Widerwillig nahm er einen weiteren Schluck Kaffee, bevor er an dem Becher vorbei an sich hinabblickte. Allerdings machte er keine Anstalten, sich das Hemd über dem Gürtel zuzumachen. »Frauen stehen doch auf Männerbäuche. Habe ich einmal gelesen.«

Seine Chefin warf ihm einen Blick zu, den er nur zu gut kannte. »Es ist wirklich ein Jammer mit dir. Mein innigster Wunsch ans nächste Christkind ist, dass du einmal in einem Gewand im Büro aufkreuzt, in dem du nicht die Nacht davor geschlafen hast. Ein einziges Mal würde mir schon genügen.«

Er kraulte seinen Bart, von dem er wusste, dass der ihn zusammen mit seinem Leibesumfang wie eine Kopie von Bud Spencer aussehen ließ. An seinen bürointernen Spitznamen »Spencer« hatte er sich längst gewöhnt. »Kann ich dir leicht versprechen. Bis zu den nächsten Weihnachten hat mich nämlich unser hochverehrter Herr Polizeidirektor längst in Pension geschickt.«

»Schafft er nur über meine Leiche.« Doris Lenharts Augen blitzten.

Aber auch ohne dieses Blitzen, dessen einschüchternde Wirkung auf manchen Verbrecher er nur zu gut kannte, hätte er, der fünfzehn Jahre älter war als seine Chefin, gewusst, dass er sich auf sie verlassen konnte. Sie hatte in den letzten Monaten wie eine Löwin für ihn gekämpft und sie würde das auch weiterhin tun.

»Außerdem würde ich nicht darauf wetten, dass wir unseren hochverehrten Chef noch bis Weihnachten haben.« Das Blitzen in ihren Augen wich einem verschmitzten Zwinkern. »Meine Wiener Spione berichten mir, dass er auf einen Sprung nach oben spitzt.«

»Oh.« Er rieb sich vergnügt den Bauch. »Deine Spione versüßen mir mein Wochenende auch ohne Mehlspeis-Kurs bei einem Meisterkoch.«

Doris strich sich eine Strähne ihres kohlrabenschwarzen Haares, ein Erbe ihrer Großmutter, wie sie ihm einmal erzählt hatte, aus dem Gesicht. »Von mir aus kann er gern nach oben springen. Hauptsache, er springt von St. Pölten weg.«

»Exzellente politische Verbindungen zahlen sich halt immer aus.« Er löste sich vom Türrahmen, stellte den Pappbecher auf ihren Schreibtisch und fläzte seine hundertfünf Kilo in den davor stehenden Sessel, der wie üblich mit einem leisen Ächzen antwortete. »Du willst wohl sagen, dass große Idioten besonders gern noch größere Dummköpfe rekrutieren.«

Da klopfte es an der offenen Tür. Ein Mitarbeiter, der offenbar Journaldienst hatte, wandte sich an Doris Lenhart. »Da ist eine Frau Machherndl am Apparat, die sich absolut nicht abwimmeln lässt. Sagt, dass sie unbedingt mit Ihnen sprechen muss.«

Malzacher schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Um Himmels willen. Die alte Schnapsdrossel hat uns gerade noch gefehlt. Hast du nicht gerade etwas von ‚Waterloo‘ gesungen?«

Offensichtlich hatte sie seine Spitze nicht gehört oder überhört, was er eher vermutete. In solchen Dingen war sie eine absolute Meisterin und ihm haushoch überlegen. Stattdessen blickte sie den Beamten an.

»Hat sie gesagt, weswegen sie mit mir sprechen möchte?«

»Absolut nicht aus ihr herauszukriegen. Will es nur Ihnen sagen.« Der Journalbeamte machte ein unglückliches Gesicht.

Doris ließ sich die Laune jedoch sichtlich nicht verderben. Mit dem Anflug eines bösen Lächelns deutete sie auf die Stelle, wo sein Bauch zwischen den Hemdknöpfen zum Vorschein kam. »Ich bin schon auf dem Sprung zu einem wichtigen Termin. Du redest mit ihr.«

»Sorry, das ist dein Waterloo.« Nun war es an ihm, verschmitzt zu grinsen. »Sie will nur mit dir reden, wie du ja gehört hast. Abgesehen davon bin ich dafür nicht der Richtige. Bei Nervensägen neige ich dazu, meine gute Erziehung zu vergessen.« Er kraulte einmal mehr seinen Bart. »Aber ich habe einen Vorschlag zur Güte. Du sprichst mit ihr, aber schaltest den Lautsprecher ein. Damit ich dich seelisch unterstützen kann, wenn das Gespräch aus dem Ruder läuft.«

Doris gab dem an der Tür wartenden Beamten einen Wink. »Dann geben Sie mir die Gute halt in Gottes Namen.«

Kurze Zeit später war die pensionierte Gemeindesekretärin in der Leitung. »Hier Frau Machherndl aus Dürnstein. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an mich.«

»Wie könnte ich Sie je vergessen. Wo brennt es denn?«

Er reckte seinen rechten Daumen hoch, während die Chefinspektorin begann, die Strähne ihres Haars, die wieder in die Stirn gefallen war, um ihren Zeigefinger zu drehen.

»Ich möchte einen Mord melden.«

Er sah, wie sich der ganze Körper seiner Chefin plötzlich anspannte, und sie die Haarsträhne wieder ins Gesicht fallen ließ. Er merkte aber auch sofort, dass sie sich um betonte Ruhe und Unaufgeregtheit bemühte.

»Und wo soll der Mord passiert sein?«

»Woher soll ich denn das wissen? Ich bin ja nicht dabei gewesen.«

Doris Lenhart holte tief Luft. »Frau Machherndl, woher wollen Sie dann wissen, dass es einen Mord gegeben hat?«

»Weil ich die Leiche gesehen habe. Sie schwimmt in der Donau.«

Die Leiterin der niederösterreichischen Mordkommission nahm einen auf ihrem Schreibtisch liegenden Kugelschreiber in ihre Hand.

»Und wo genau wollen Sie die Leiche in der Donau gesehen haben?«

»Frau Lenhart, als ehemalige Dürnsteiner Gemeindesekretärin, die immer für ihre Genauigkeit bekannt gewesen ist, sage ich Ihnen eines ganz klar: Ich will nicht eine Leiche gesehen haben, sondern ich habe sie gesehen.«

»Ist ja gut, Frau Machherndl. Also, wo haben Sie die Leiche gesehen?«

»Bei der Schiffsstation Dürnstein. Es ist keine drei Minuten her, da ist sie an mir vorbei getrieben. Ich bin nämlich auf einer Bank am Ufer gesessen.«

»In welcher Entfernung ist das Objekt an Ihnen vorbeigeschwommen?«

»Vierzig bis fünfzig Meter. Und meine Augen sind immer noch so gut, dass ich keine Brille brauche. Daher weiß ich auch, dass es kein Objekt sondern ein toter Mensch gewesen ist. Dem hat ein ganzes Eck vom Schädel gefehlt.«

Ihm war spätestens in diesem Moment klar, dass sie der Sache nachgehen mussten. Schnapsdrossel hin oder her.

»Gut, Frau Machherndl, wir kümmern uns darum. Wo können wir Sie erreichen, falls wir Sie noch brauchen?«

»In meinem Haus in Oberloiben. Und ich gehe davon aus, dass Sie mich bestimmt noch brauchen werden. Meine Telefonnummer haben Sie ja.«

Er war sicher, dass Doris die Nummer längst weggeschmissen hatte. War ja schließlich mehr als ein Jahr her, dass sie zum letzten Mal mit Josefa Machherndl gesprochen hatte.

»Selbstverständlich.«

Lügnerin, dachte er. Aber toll, wie sie es verstand, gut- Wetter zu machen.

»Und was werden Sie in dem Fall tun?«

»Das werde ich gleich mit meinem Stellvertreter, dem Herrn Chefinspektor Malzacher, besprechen, der gerade mir gegenüber sitzt.«

»Ist das noch immer der unmögliche ältere Herr mit dem dicken Bauch?«

»Auf Wiederhören, Frau Machherndl. Und nochmals Dank für Ihren Anruf.«

Die Chefinspektorin legte auf und sah ihn an. Sichtlich quietschvergnügt.

»Einen sehr tollen Eindruck hast du ja bei ihr nicht hinterlassen. Aber für eine Schnapsdrossel scheint sie noch sehr gute Augen zu haben. Zumindest was dich betrifft.«

»Blöde Kuh.«

»Und was hältst du von ihrer Geschichte?«

Er kratzte sich am Ohr. »Zwar nicht sehr viel, aber zu meinem Leidwesen auch nicht so wenig, dass wir es uns leisten könnten, sie zu ignorieren.«

»Sehe ich genauso. Sichtbar eingeschlagener Schädel. Wenn das stimmt, dann kann es kein Schwimmer gewesen sein, der sich totgestellt hat. Aber eine Leiche müsste doch eigentlich untergehen.« Sie rieb sich nachdenklich am Kinn. »Egal. Wenn die Machherndl die angebliche Leiche vor ein paar Minuten bei der Anlegestation in Dürnstein gesehen hat, dann kann sie ja noch nicht weit weitergetrieben sein. Also: Du verständigst in Krems die Strompolizei. Die sollen die Donau zwischen Krems und Loiben absuchen. Zur Sicherheit aber bis Dürnstein fahren. Vielleicht ist ja dort etwas ans Ufer gespült worden.«

Dürnsteiner Puppentanz

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