Читать книгу Warm gewechselt - kalt erwischt - Bernhard Riedl - Страница 14
Оглавление7 Gleitflug in die Niederungen des Alltags
Mehr oder minder lange kann die glückliche Zeit anhalten, doch früher oder später geht das Hochgefühl in einen Gleitflug über in Richtung der Niederungen des Alltags. Als gelungen ist wohl anzusehen, wenn von Wolke sieben aus ein Halt auf halber Strecke erreicht wird, wie es ein Popsong formuliert: Lieber Wolke vier mit Dir als unten wieder ganz allein.13
Als stabil überdauernde Position wird dies in aller Regel jedoch nicht erreicht. Vielmehr gibt es neben den Höhen vermehrt und zunehmend längere Täler. Die Palette der Gründe reicht von der Entzauberung, der ernüchternden Erkenntnis, dass der andere auch nur ein Mensch ist – mit nicht immer leicht erträglichen Verhaltensweisen, mit Bedürfnissen, Wünschen und Ansichten, die man nicht unbedingt teilt – bis hin (das wäre allerdings schon ein Spätstadium) zur sprichwörtlichen, eben falsch ausgedrückten Zahnpastatube. Zu spät aus der Maschine genommene Wäsche, sich häufende Pfandflaschen oder zuverlässige Unpünktlichkeit tun es allerdings auch.
Hinzu kommen womöglich übersteigerte Ansprüche an den anderen (vgl. Kapitel 20) und ein gewisses Maß an Unzufriedenheit beider mit sich selbst, die man beim jeweils anderen »ablädt«.
Erinnert man den Anfang, sind die Themen schon fast entwürdigend bodenständig. Wer macht was oder eben auch nicht im Haushalt? Wohin geht es im nächsten Urlaub? Weshalb ist eigentlich einer für die Bespaßung der Kinder zuständig, und beim anderen liegt die Last der Erziehung? Die Antwort auf die Frage, was ihn dazu bringt, ganz anders als früher, ewig vorm Computer zu sitzen, wo es doch im Fernsehen so viele interessante Kochshows gibt, bleibt unerfindlich.
Eine Zeit schleicht sich ein, wo allein die Abwesenheit des anderen relative Entspannung bietet. Begleitet von der Hoffnung, es möge wieder anders werden, welche aber bei fast jeder Rückkehr des Partners nach geraumer Zeit in ihrer Berechtigung stark beeinträchtigt wird.
Auf der einen Seite der beiden besteht vielleicht die Frage: Sind womöglich die Erwartungen zu hoch? Auch so lässt es sich doch schließlich leben, wenn man sich drauf einrichtet, realitätsgerecht eben, das Leben ist nun mal, wie man so sagt, kein Wunschkonzert oder Ponyhof.
Auf der anderen Seite hingegen verlängern sich stetig die Täler, bis womöglich ein stabiles Null-Niveau erreicht ist, bis der »versprochene Rosengarten«14 sich als komplette Fata Morgana erweist. Manch einer der nun Trennungswilligen hält es dann – vermutlich nach vielen schlaflosen Nächten – mit den Bremer Stadtmusikanten und beschließt, sich auf den Weg zu machen, denn: »Etwas Besseres als den Tod findest du überall.«
Wirklich überzeugt davon scheinen andere wiederum nicht zu sein. Das heißt, der Beziehung tut die Lage formal keinen Abbruch. Erst wenn etwas in Aussicht steht, was an den Anfang des Entschwundenen erinnert, nur eben in anderer personeller Besetzung, ergibt sich Bewegung. – Vorerst nur einseitig im Stillen und kaum merkbar, denn je nach Schauspielkunst ist alles fast oder haargenau wie immer. Bis die Sache dann doch ihren Lauf nimmt, im Regelfall nach gleicher oder mindestens ähnlicher Dramaturgie, welche im Folgenden geschildert ist. Wobei der erste Teil häufig wohl ebenso auf Stadtmusikanten zutrifft, der zweite bleibt allerdings Warmwechslern vorbehalten.
13 Philipp Dittberner: Wolke 4
14 Hannah Green (2012): Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen: Bericht einer Heilung. Stuttgart Radius