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Kapitel 5

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Drei Jahre später.

Ein einsamer Reiter jagte durch die kalte Märznacht, aus Norden kommend, Bebracht zu. Das Pferd war am Rande der Erschöpfung, Flanken und Brust weiß von schaumigem Schweiß. Trotzdem versuchte der Mann verzweifelt, auch noch die letzten Kraftreserven seines Tieres zu mobilisieren.

Es gelang ihm und sie erreichten endlich ihr Ziel. Er sprang von seinem vor Anstrengung zitternden und schnaubenden Pony und schlug wie wild an die dicken Bohlen des Stadttores von Bebracht. Die Wachen hatten den Reiter schon von den Zinnen aus gesehen, und kurz darauf schwang der rechte Torflügel herum. »Ich ... ich habe, habe dringende Nachricht ...«, keuchte er mühsam, »habe eine Botschaft meines Fürsten Castich an ... an den Rat der Haeduer! Muss zu Dumnorech, sofort!« Eine der Wachen führte das taumelnde Pferd in den gleich neben dem Wachraum gelegenen Stall, während zwei weitere Männer den Boten auf dem schnellsten Wege zum Hause Dumnorechs brachten. Dort angelangt führte man ihn, nachdem er angemeldet worden war, augenblicklich zum Hausherrn, der gerade mit seiner Frau vor dem Kamin saß und versonnen dem Spiel eines Harfners lauschte. Dumnorech wies dem Boten zunächst einen Stuhl zu, beauftragte einen Diener, dem Manne eine Stärkung zu bringen, und schaute ihm dann unverwandt und schweigend mit aneinander gelegten Fingerspitzen bei seinem Mahl zu, was dieser hastig in sich hineinschlang. Dumnorech war sehr überrascht, als ihm ein Bote der Sequaner gemeldet wurde, und war auf das Äußerste gespannt auf das, was ihm Castich so dringend übermitteln wollte. Er wusste allerdings intuitiv, dass es sich dabei nur um etwas Unangenehmes handeln konnte, da zwischen den Sequanern und Haeduern eine uralte Rivalität bestand. Wegen dieser gegenseitigen herzlichen Abneigung war es in der Vergangenheit schon zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Stämmen gekommen.

Viriota setzte sich zu ihrem Mann und legte ihre Hand auf seinen Unterarm. Beide warteten, bis der Sequaner seine Mahlzeit beendet hatte.

»Wie lautet deine Botschaft?«, fragte Dumnorech schließlich, das lastende Schweigen mit leiser, beherrschter Stimme brechend. »Lucho ist mein Name und ich komme aus Vesontio, auf Geheiß Castichs, meines Herrn. Fürst Castich und der Rat der sequanischen Stämme bitten die Haeduer um Waffenhilfe. Die Sueben und noch einige andere germanische Stämme haben den Rhein überquert und stehen nun mit großer Heeresmacht in der Ebene von Magetobriga. Sie sind im Schutze der Vogesen vorgerückt, sodass wir ihr Erscheinen erst viel zu spät bemerkt haben.«

Dumnorech verharrte daraufhin einen Moment in betroffenem Schweigen. Das, was der Mann ihm da geschildert hatte, war so unglaublich, dass er zunächst Mühe hatte, die volle Tragweite der Meldung zu erfassen.

»Weißt du, wie viele es insgesamt sind und ob sie ihre Frauen und Kinder mitgenommen haben?«, wollte Dumnorech wissen. »Wir können ihre Anzahl nur schwer schätzen, da sie fast täglich neue Truppen heranführen. Aber es sind wohl weit über vierzigtausend Krieger, die Frauen und Kinder nicht eingerechnet.«

Dumnorech war bleich geworden. Seine anfängliche Intuition hatte sich nicht nur bestätigt, nein, das Unangenehme, auf das er gefasst war, entpuppte sich als eine schiere Katastrophe. Gewiss hatte es in der Vergangenheit des Öfteren Überfälle einzelner germanischer Stämme auf keltisches Gebiet gegeben, aber dabei hatte es sich um kurze Raubzüge ins nahe Grenzland gehandelt, ausgeführt von zahlenmäßig nicht sehr starken Verbänden, die keineswegs die Absicht hatten, das Land zu erobern und es langfristig zu besetzen.

Doch vor einiger Zeit hatten sich die Sueben einen neuen Herzog erwählt – Dumnorech versuchte krampfhaft, sich an den Namen des Mannes zu erinnern – und seitdem kamen immer wieder Gerüchte auf, dass die Germanen Lust auf das fruchtbare und dazu viel kultiviertere Land jenseits des Rheins bekommen hätten. Kein Mensch hatte das ernst genommen – bis heute. Jetzt fiel ihm auch der Name des Suebenherzogs ein. Vor zwei Jahren war er ihm in Vesontio begegnet. Der Mann führte damals eine suebische Gesandtschaft an. Ein Riesenkerl mit strohblondem Haar und stahlblauen Augen! Ariovist – das war der Name.

Er musste der Urheber dieser offensichtlich gut geplanten Invasion sein, denn dass es sich um eine handelte, bezweifelte Dumnorech nun nicht mehr im Geringsten.

Fieberhaft nachdenkend, blickte er zu Viriota.

»Sind die Helveter davon unterrichtet worden?«, fragte sie Lucho erregt, waren doch die Helveter die direkten Nachbarn der Sueben, und sie die Schwester eines helvetischen Fürsten.

»Es wurden Boten zu allen Grenzstämmen ausgesandt, auch zu Fürst Orgetrech«, gab Lucho bereitwillig Auskunft. Dumnorech hatte unterdessen einige seiner Krieger rufen lassen, und bald standen sie vor ihm. Im Nu war die lähmende Stimmung im Raum in hektische Betriebsamkeit umgeschlagen, und Dumnorech, der seine Fassung inzwischen einigermaßen zurückgewonnen hatte, gab kühl seine Anweisungen.

»Du – du gehst zum Vergobreten! – Du zu Dyffekiach! – Und du zu Eporedorech und Virdomar! Bittet sie, nein, befehlt ihnen, unverzüglich hierher zu kommen! Macht die Sache äußerst dringlich! Los, los – was steht ihr hier noch blöde herum? Raus mit euch!«

Die letzten Worte bellte er gereizt den Davoneilenden hinterher.

Sich immer noch zur Ruhe zwingend, wandte er sich wieder dem Sequaner zu, der sich nun ein wenig erholt hatte und sich gerade an einem zweiten Krug Korma labte, den Viriota ihm hatte kommen lassen. Dumnorech setzte sich zu ihm und begann nervös mit den Fingerspitzen auf der Stuhllehne zu trommeln. Dann sprang er unversehens wieder auf, stellte sich mit seinem Becher Wein vor das Kaminfeuer und starrte gedankenverloren ins Leere. Aufgeschreckt wurde er dabei erst durch die lauten Schritte und Stimmen der Geladenen, die nach etwa einer halben Stunde, nachdem er seine Leute zu ihnen geschickt hatte, nun in das Zimmer polterten. Bald saßen sie um die Tafel und schauten ihn mit teilweise verschlafenen Augen erwartungsvoll an.

»Ich hoffe doch sehr, lieber Bruder, dass du eine plausible Erklärung für deine rüde überbrachte, sagen wir mal, ›Einladung‹ zu dieser doch recht außergewöhnlichen Zeit parat hast. Das letzte Mal, wo ich zu so später Stunde aus meinem Bett gerufen wurde, standen die Biturigen gegen uns auf und bedrohten uns mit Krieg!«, sagte Dyffekiach spitz und sah dabei seinen Bruder herausfordernd an.

»Um genau so etwas Ähnliches könnte es sich handeln, oder meint ihr, ich hätte euch ohne Grund aus den Armen und Schößen eurer Frauen hierher getrieben?«, feixte Dumnorech und stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab. Er fixierte jeden Einzelnen von ihnen; um seine Mundwinkel zuckte es, immer wieder biss er sich auf die Unterlippe. Langsam deutete er dann endlich mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Lucho.

»Das hier, liebe Freunde«, sagte er mit gespielter Gelassenheit, »ist Lucho, ein Bote Castichs. Ich meine natürlich, um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, den Sequaner Castich!« Mit Genugtuung bemerkte Dumnorech, wie sich die Augen der Anwesenden bei der bloßen Nennung dieses Namens, den er so gedehnt aussprach, als würde ihm gerade ein Leckerbissen auf der Zunge zergehen, vor ungläubigen Staunen weiteten. »Nun, er ist von seinem Fürsten zu uns gesandt worden, um uns um Waffenhilfe zu bitten, was nach den Erfahrungen, die wir mit unseren geschätzten Nachbarn im Norden in der Vergangenheit machen mussten, ein wenig sonderbar anmutet, nicht wahr?« Er legte eine kleine Redepause ein und genoss die Wirkung seiner Worte, die sich in den immer verständnisloser dreinschauenden Gesichtern seiner späten Gäste zeigte.

»Ich schlage deshalb vor«, fuhr er weiter fort, »dass uns Lucho nunmehr den Grund seiner Mission erklärt und uns einen ausführlichen Bericht über die Lage bei den Sequanern gibt, die dazu geführt hat, dass der stolze Castich ausgerechnet uns um Hilfe bitten musste.«

»Wahrscheinlich haben sich Treverer und Leuker verbündet und sind diesmal vernünftigerweise vereint über die Sequaner hergefallen! He, Lucho, bestelle deinem Herrn, dass er sich zunächst Verbündete schaffen sollte, bevor er sich in seinem arroganten Größenwahn einen immer größer werdenden Haufen Feinde an den fetten Hals lädt!«, lästerte Virdomar und löste dadurch bei den anderen, Dumnorech ausgenommen, ein lang anhaltendes Gelächter aus, was die Situation für einen kurzen Moment entspannte. Dumnorech ließ sie lachen. »Immer zu einem kleinen Spaß bereit, was, Virdomar?«, kommentierte er gefährlich leise die überheblichen Worte Virdomars. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch.

»Wenn es nur das wäre, was unser Freund in seiner Weisheit vermutet, glaubt mir, dann hätte ich euch und mir die wohlverdiente Nachtruhe gegönnt!«, schleuderte er ihnen spöttisch entgegen. Dann setzte er sich, streckte die Beine aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

»Aber reden wir nun von Tatsachen«, sprach er dann, sich zur Ruhe zwingend, weiter. »Tatsache ist, dass der Suebenherzog Ariovist mit einem gewaltigen Heeresaufgebot in das Stammesgebiet der Sequaner eingedrungen ist und jetzt auf der Ebene vor Magetobriga lagert. Und sie haben ihre Frauen und Kinder gleich mitgebracht, was bedeutet, dass sie sich auf einen längeren Aufenthalt in unserem schönen Land einrichten werden.«

Die Worte waren zwar sachlich formuliert, wirkten aber auf die Zuhörer wie Hammerschläge, ihre schiere Fassungslosigkeit stand in ihren Gesichtern geschrieben.

»Alsdann, Lucho, schildere uns noch einmal ausführlich die Lage!«, forderte Dumnorech den Sequaner auf.

Dieser berichtete daraufhin umfassend von dem Ausmaß der Invasion und der momentanen Situation vor Magetobriga. Nachdem er geendet hatte, konnten sich alle im Raum eine genaue Vorstellung von der Stärke und der Ausrüstung des Feindes machen.

Eine Weile hockten sie allerdings wie betäubt da und versuchten die Ungeheuerlichkeit des eben Gehörten zu verarbeiten. Dann begannen sie alle auf einmal lautstark durcheinander zu reden. Dumnorech ließ sie zunächst diskutieren, dann verschaffte er sich energisch Gehör.

»Wir sind doch wohl einer Meinung ob der Bedrohung, die aus dieser Situation für uns erwachsen ist. Ich schlage deshalb vor, sofort alle tauglichen Männer zu den Waffen zu rufen und sie nach Vesontio zu schicken! Wie viel Zeit, meint ihr, wird das in Anspruch nehmen?«

»Drei bis vier Tage«, antwortete Dyffekiach. »Aber denke daran, es ist Saatzeit, und die Leute werden murren.«

»Sie würden noch mehr murren, wenn sie künftig ihre Felder für einen suebischen Edeling bestellen müssten«, raisonierte Eporedorech giftig.

»Was ist mit den Arvernern? Sollten wir nicht auch von ihnen Unterstützung erbitten?«, gab Lisco, der Vergobret dieses Jahres, zu bedenken.

»Die Arverner sind zu weit weg vom Geschehen und somit noch nicht direkt bedroht«, folgerte Dumnorech realistisch. »Deshalb bezweifle ich sehr stark, dass Celteall zum jetzigen Zeitpunkt, eben weil Saatzeit ist, uns auch nur einen Mann schicken würde.

»Außerdem«, setzte er sarkastisch hinzu, »sind die Arverner keiner unserer Klientelstämme!«

»Verdammt, ein Feind steht im Land, der alle Stämme des Keltenlandes in absehbarer Zukunft bedrohen wird. Das ist es, was wir Celteall deutlich machen sollten, falls er unser Ersuchen ablehnt!«, erregte sich Virdomar.

Dyffekiach, der sich während der ganzen Zeit eher bedeckt gehalten hatte, bat nun ums Wort.

»Ich sehe da noch eine andere Lösung des Problems. Bislang hat offenbar noch keiner von den betroffenen Stämmen mit den Sueben gesprochen. Wir könnten doch eine Abordnung, bestehend aus Vertretern der Sequaner, Haeduer, Lingonen, Leuker und Helveter zu Herzog Ariovist entsenden und uns so Klarheit über seine wahren Pläne verschaffen. Es besteht doch immerhin die Möglichkeit, dass die Germanen mit friedlichen Absichten zu uns gekommen sind!«, stellte er seine Ansicht in den Raum. Einige Sekunden lang schauten ihn daraufhin die anderen völlig entgeistert an. Dann fingen sie an zu lachen. »Nun sag uns nur noch, dass die Sueben uns um Schutz und Heimstatt anflehen werden, und ich rühre mein Lebtag keine Frau und keinen Wein mehr an!«, prustete Eporedorech lauthals.

»Na, so weit wird es, Lug sei Dank, wohl nicht kommen«, sagte Dumnorech immer noch lachend. »Aber im Ernst, Dyffekiach, dein Friedenswunsch in allen Ehren, aber glaubst du ernsthaft, dass die Germanen mit sich verhandeln ließen? Das haben sie noch nie getan! Die nehmen sich, was sie wollen, ohne zu fragen! So zumindest lehrt es uns die Erfahrung aus der Vergangenheit. Nein, mein Bruder, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Dumnorech legte kurz den Finger an die Nase und dachte angestrengt nach. »Viriota, hole mir Verbrol, sofort!«

Der Herbeigerufene erschien praktisch auf der Stelle. Er war Dumnorechs bester und zuverlässigster Krieger.

»Verbrol! Du reitest sofort nach Gergovia, suchst Fürst Celteall auf und übermittelst ihm folgende Botschaft! Hör jetzt genau zu: Ein starkes suebisches Heer ist über die Vogesen gezogen und stößt gerade nach Magetobriga vor. Die Haeduer haben beschlossen, den Sequanern Waffenhilfe zu leisten und werden spätestens in vier Tagen nach Vesontio ziehen. Wir bitten die Arverner, mit allen waffenfähigen Männern, die sie aufbieten können, nach Magetobriga zu marschieren. Wir werden auf der Höhe von Vesontio dann zu ihnen stoßen. Bei Lug, sie sollen jeden Mann, der eine Waffe tragen kann, nach Magetobriga schicken, mach ihnen das klar!« Die letzten Worte sagte er schon fast beschwörend.

Verbrol wiederholte die Botschaft und stürmte dann aus dem Raum. Kurze Zeit später verlor sich das Getrappel der Hufe seines Pferdes in der Dunkelheit. Noch andere Boten wurden instruiert und weggeschickt, dann löste sich die nächtliche Versammlung auf.

Auf allen Höhen im Land loderten die Signalfeuer auf und riefen die Haeduer zur Heeresfolge.

Die letzten Tage der Kelten

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