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Kapitel 1

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»Fearr!«

Die Stimme seiner Mutter. »Fearr, bring das Pferd in den Pferch und komm ins Haus! Dein Vater will dich sehen!«

Das bedeutete zunächst nichts Gutes. Der Junge zügelte sein Pferd, sprang ab, tätschelte den starken Hals und führte es in die neben den Stallungen liegende Koppel. Ausgefressen hatte er nichts, soviel wusste er. Was also konnte sein Vater von ihm wollen? Seine Mutter, eine Frau von schlankem, hohem Wuchs, lehnte neben der Tür. Als er an ihr vorbeiging, strich sie ihm mit einer zärtlichen Geste durch das ungebändigte rote Haar.

Vor dem offenen Kaminfeuer im Inneren der dunklen, holzgetäfelten Halle, deren relativ niedriges und offen liegendes Dachgebälk von dem Rauch über die Jahre hin nahezu schwarz geworden war, saß sein Vater auf einem Sessel aus Bronze und Leder. Fearrs Augen hatten sich bald an das Dämmerlicht des Raumes gewöhnt, und er bemerkte die Gestalt eines zweiten Mannes, der mit verschränkten Armen links neben der Feuerstelle stand.

Es war sein Onkel Govanned. Die Atmosphäre kam ihm irgendwie gespannt vor. Auf dem großen, mit kunstvoll verschlungenen Schnitzereien versehenen Tisch in der Mitte der Halle fiel ihm ein in ein Tuch eingeschlagener, länglicher Gegenstand ins Auge.

»Mein Vater! Onkel Govanned!«

Fearrs Vater erhob seinen Blick und sah seinen Sohn wohlwollend, aber doch durchdringend an.

»Machst du Fortschritte mit dem Gaul? Seit du ihn geschenkt bekommen hast, scheinst du dich ja um nichts anderes mehr zu kümmern.«

»Na ja, er ist halt noch jung und wild und ...« Fearr musste schlucken. Was sollte das Gefrage nach dem Pferd? Noch gestern hatte Vater ihn wegen seiner Fertigkeit, die er beim Zureiten des Tieres zeigte, gelobt.

Jetzt war sein Onkel an ihn herangetreten und hatte ihm die Hände auf die Schulter gelegt. Govanned war von gleicher kräftiger Statur wie sein Bruder Celteall, Fearrs Vater. Er war nur ein paar Jahre jünger und hatte im Gegensatz zu Celteall schwarze, schon leicht angegraute Haare, die ihm bis auf die Schulter fielen.

Seine dunklen Augen hatten einen faszinierenden, manchmal fast schon fanatischen Blick. Bekleidet war er mit einem einfachen Kittel aus hellem Leinen und einer bunt karierten Hose aus einem dicht gewebten Wollstoff in den Farben des Stammes der Arverner.

An den Füßen trug er halbhohe Stiefel aus fein gegerbtem Wildleder, deren Spitzen nach oben gebogen waren. Ein dunkelblauer, wollener Kapuzenmantel, der am Halsansatz von einer fein ziselierten, prächtigen Goldfibel zusammengehalten wurde und bis zu den Waden reichte, lag ihm um die breiten Schultern. Ein aus massivem Gold gearbeiteter, daumendicker Halsreif vervollständigte das äußere Erscheinungsbild des Arvernerfürsten.

»Mach das Bündel auf und sage uns, was du siehst«, sagte er mit leiser, eindringlicher Stimme zu seinem verständnislos dreinschauenden Neffen. Fearr schlug mit vor Erregung zitternden Händen das Tuch umständlich auf und legte ein in einer schmucklosen Holzscheide steckendes, kurzes Schwert frei.

»Nun, das ... das ist ... ist ein ziemlich kurz geratenes Schwert ...«, stotterte er zögerlich, sich der Dümmlichkeit seiner Antwort aber gleichzeitig bewusst werdend.

»Ja, in der Tat, das ist das ziemlich kurz geratene Schwert eines immer länger werdenden Armes, der sich begehrlich nach unserem Land reckt«, bellte Govanned. Fearr starrte seinen Onkel hilflos an. Dann wandte er sich zu seinem Vater um.

»Das, was du da siehst, ist eine römische Klinge, mein Sohn«, erklärte Celteall sanft.

»Was dein Onkel meint«, fuhr er weiter fort, »ist, dass du endlich lernen solltest, mit einem Schwert umzugehen. Immer häufiger erreichen uns beunruhigende Nachrichten aus dem Süden, dass die Römer Gelüste zeigen, ihren Machtbereich auf unser Land auszudehnen. Früher oder später, so glaube ich, werden sie versuchen, ihre Legionen gegen uns in Marsch zu setzen. Fearr, du bist mein Erbe und wirst dereinst die Verantwortung über unseren Clan zu tragen haben. Jagen und Pferde zuzureiten war bislang dein Lebensinhalt. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, dass du die Welt kennen lernst, die sich jenseits der dir bekannten Wälder und Felder unserer Heimat befindet. Deine Mutter und ich haben deshalb beschlossen, dass du für die nächste Zeit bei deinem Onkel leben sollst. Du wirst ihn auf seinen Reisen begleiten und dadurch Gelegenheit haben, die Stämme unseres Volkes kennen zu lernen. Des Weiteren wirst du in dieser Zeit von Govanned in allen Kampftechniken unterwiesen, auf dass du dir einen Namen erringst in den Reihen der Krieger unseres Clans. Ich will, dass du, wenn du meine Nachfolge antrittst, meinem, unserem Namen Ehre machst.«

Celteall betrachtete seinen Sohn liebevoll aus seinen wasserblauen, melancholisch blickenden Augen. Dann erhob er sich aus seinem Sessel, ging auf Fearr zu und umarmte ihn innig.

Fearr wusste nicht, wie ihm geschah. Eine derartige Gefühlsäußerung seines Vaters hatte er noch nie erlebt. Bislang hatte Fearr seinen Vater als den unnahbaren Clanherren der Arverner erlebt, der noch nicht einmal dem eigenen Sohn irgendwelche Privilegien zubilligte.

Im Gegenteil, zunächst waren die Belange des Clans für ihn von Bedeutung. Selbst der geringste unter den Knechten am elterlichen Hof fand Gehör bei seinem Vater. Nur seiner Frau gegenüber erlaubte er sich, zärtliche Regungen zu zeigen.

Celteall griff zu seinem silbernen Becher.

»Schenk uns nach, Fearr, und füll auch dir eine Schale Wein ein!«

Zum ersten Mal durfte er Wein trinken. Fearr fühlte sich zunehmend in einer feierlichen Stimmung. Aber irgendetwas Endgültiges, Schicksalsträchtiges haftete dieser Stunde an. Einerseits lockte ihn die Aussicht, fremde Länder zu sehen, andererseits saß die Geborgenheit der ihm gewohnten Umgebung noch tief in ihm.

»Es fällt mir nicht leicht, dich jetzt ziehen zu lassen, glaube es mir«, führte Celteall weiter aus. »Gerade jetzt bräuchte ich dich hier. Es gibt Unruhen im Clan.«

Fearrs Vater schaute in sein Trinkgefäß.

»Trinken wir auf das ewige Rad!«, begann er die uralte Weiheformel.

»Wo immer es uns auch hinführen mag – Taran wird unseren Weg begleiten!«, setzte Govanned, seinen Becher erhebend, hinzu.

»Taran ist bei uns! Taran begleitet unseren Weg!«, vollendete Fearr murmelnd den Spruch und schüttete mit seinem Vater und seinem Onkel etwas Wein auf den Boden. Dann tranken sie gemeinsam ihre Becher in einem Zuge leer.

»Fearr, mein Junge, vergiss nicht, dass du, bevor du uns verlassen wirst, auf jeden Fall noch Cunlean aufsuchen solltest«, ermahnte Celteall seinen Sohn nachdrücklich. Fearr wurde es warm ums Herz, als er den Namen hörte. Cunlean, der Druide, lebte fernab von jeglicher menschlichen Behausung am Rande eines ausgedehnten Eichenwaldes. Er liebte diese selbst gewählte Abgeschiedenheit, die er nur mit Cardho, seinem Gehilfen und Nachfolger, teilte. Es kam zwar ab und zu vor, dass er einen Schüler annahm, aber das war äußerst selten, denn Cunlean wählte den Kandidaten nach strengen Prüfungen an dessen geistigen und menschlichen Fähigkeiten aus. Auch Fearr hatte das Glück, einer dieser Auserwählten gewesen zu sein. Er erinnerte sich noch sehr gut an den Tag, als Cunlean spät am Abend im Hause Celtealls erschienen war. Der Junge war sofort von der erhabenen, fast mystischen Aura, die die Persönlichkeit des Druiden umgab, fasziniert. Mit geduldiger Leichtigkeit hatte er den Knaben in ein kompliziertes Frage-und-Antwortspiel verwickelt. Am nächsten Morgen schon wanderte Fearr mit dem Druiden zu dessen einsamer Klause, wo er nahezu ein Jahr verbringen durfte. Während dieser Zeit lernte er unglaublich viel.

Cunlean unterwies ihn in den Traditionen und dem Glauben seines Volkes. Während ausgedehnter Wanderungen machte Cunlean seinen Schützling mit den ewigen Gesetzmäßigkeiten der Natur vertraut. Er lernte die Tiere und Pflanzen seiner Heimat zu benennen und mit ihnen umzugehen. Dabei wies der Druide immer wieder darauf hin, dass jegliches Lebewesen ein Kind der Großen Mutter sei und deshalb, wenn es auch noch so klein und unbedeutend erscheinen würde, mit größtem Respekt und höchster Achtung zu behandeln sei.

Nächtens dann, am flackernden Herdfeuer, erzählte Cunlean von seinen Reisen in fremde Länder, wo Menschen lebten, die eine völlig andere Kultur und Sprache hatten als das Volk der Kelten. Am meisten hatten den Jungen allerdings die Erzählungen von den großen Meeren, die im Norden und Süden das Land umspannten, interessiert. Noch heute träumte Fearr davon, einmal an den Gestaden jener unendlich in den Horizont reichenden Wassermassen zu stehen und dem Geräusch der sich an den Felsen brechenden Wellen zu lauschen.

»Ja, Vater, gleich morgen früh werde ich zu ihm reiten«, sagte er und nahm einen herzhaften Zug aus seinem Becher. Ganz im Stillen weihte er diesen Schluck seinem alten Lehrer. Dann versuchte er wieder dem Gespräch, was sich zwischen seinem Vater und Govanned entwickelte, zu folgen. Vieles von dem, was die beiden besprachen, war für ihn unverständlich, was wusste er auch schon von den Rankünen der Politik zwischen den Stämmen. Irgendwann, wohl ausgelöst durch den ungewohnten Genuss des schweren, roten Weines, übermannte ihn eine tiefe Müdigkeit, und er nickte auf seinem Stuhl von einer Minute zur anderen ein.

Die letzten Tage der Kelten

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