Читать книгу Die letzten Tage der Kelten - Bernhard von Muecklich - Страница 8

Kapitel 3

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Es war schon Mitte Mai geworden, als Fearr und sein Onkel Govanned Celtealls Hof verließen und sich zunächst nach Bebracht, der Hauptstadt der Haeduer, auf den Weg machten.

Dort würden sie sich mit den beiden Haeduerfürsten Dumnorech und Dyffekiach treffen, zwei Brüder aus dem angesehensten Hause des Clans. Celteall hatte beschlossen, eine Allianz zwischen den beiden mächtigsten keltischen Clans herbeizuführen. Govanned sollte als arvernischer Unterhändler diesen Plan in geheimer Mission den beiden Fürsten unterbreiten.

Seit zwei Tagen waren sie nun schon unterwegs, und seit zwei Tagen hatte es nicht aufgehört zu regnen. Schweigend ritten sie nebeneinander über die raue, karge Hochebene, die sich fast bis zur Grenze zu den Haeduern erstreckte.

Fearr hing seinen Gedanken nach und erinnerte sich ein wenig schwermütig an den Abschied von den Seinen. Unwillkürlich umfasste er mit seiner Rechten den Griff des Schwertes, das er am Abend vor seiner Abreise von seinen Eltern geschenkt bekommen hatte. Der ganze Clan hatte sich an diesem Tag im Hause seines Vaters versammelt, um dieses Ereignis gebührend zu feiern.

Alle waren sie gekommen, und Celteall hatte alles auffahren lassen, was der Hof hergab. Die eigens dafür bereitgestellten Tische in der Halle hatten sich förmlich gebogen unter der Last der Fleischstücke von Rindern, Schweinen und Lämmern, und jeder durfte sich an Wein und Korma laben, so viel, wie er wollte – und konnte.

Auch das Gesinde und die Hörigen durften mitfeiern, und auch sie waren großzügig mit Speisen und Korma bedacht worden. Auf der freien Hoffläche waren offene Feuer entzündet worden, über denen sich ein paar Schweine am Spieß drehten. Für diese geknechteten Menschen war es eine der seltenen Gelegenheiten, sich einmal richtig satt zu essen, zu trinken und ausgelassen zu tanzen und so den von harter Arbeit und Unterdrückung geprägten Alltag für ein paar Stunden hinter sich zu lassen.

Auch in der Halle hatte die Stimmung bald ihren Höhepunkt erreicht. Es wurde gezecht, gejohlt, und immer wieder wurde dem scheidenden Arvernerprinzen von allen Seiten zugeprostet.

Die arvernischen Krieger wie auch die der befreundeten Clans prahlten und wetteiferten mit ihren wahren, zumeist phantasievoll vorgetragenen Heldentaten, um sich so, nach uraltem Brauch, die besten Fleischbrocken zu sichern. Das konnte bisweilen sogar zu ernsten und blutigen Zweikämpfen führen, aber im Allgemeinen blieb es bei harmlosen Drohungen.

Fearr musste schmunzeln, als er sich an das Wortgefecht zwischen Mortuach, dem Bruder seiner Mutter, und Lugaid, einem jungen, kadurkischen Baron, erinnerte. Am Ende hatten sie sich so weit in jene gefährlich euphorische Rage geredet, dass sie ihre Schwerter gezogen hatten und willens waren, aufeinander einzuschlagen, nur wegen einer saftigen Schweinelende, auf die beide Anspruch erhoben. Doch schon bald hatten sie sich weinselig in den Armen gelegen und zotige Lieder gegrölt.

Aber dann, ganz unerwartet, war dieser seltsame Harfner erschienen.

Stand mit einem Mal mitten in der Halle vor dem hohen Kamin. Gehüllt in seinen schwarzen Mantel, das bleiche, scharf geschnittene, bartlose Gesicht teilweise umschattet von der tief herabgezogenen Kapuze, stand er einfach so da.

Urplötzlich waren sie alle verstummt. Nur das Pfeifen und Prasseln des Feuers war zu hören.

Seine tiefen, unergründlichen dunklen Augen schweiften über die Anwesenden, denen der Bissen buchstäblich im Halse stecken blieb. Ein weises, spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen. Dann, ganz behutsam, hatte er einem weiß gegerbten, weichen Lederfutteral eine Harfe aus schwarzem Holz entnommen, welche mit üppigen Ornamenten versehen war.

»Hier ist ein junger Mann, der heute von Taran in die Welt geschickt wird. Ich bin gekommen, um für ihn zu singen«, sagte er einfach mit leiser, melodischer Stimme. Obwohl die Halle von dem Feuer und dem Licht unzähliger Fackeln hell erleuchtet wurde, schien es, als ob eine bedrohliche Dunkelheit mehr und mehr den Raum ausfüllen würde. Die schmalen, bleichen Hände des unheimlichen Harfners glitten mit fließenden Bewegungen über die Saiten und Spannknöpfe des zweifellos kostbaren Instrumentes, und schnell hatte er es gestimmt.

Und dann wurde die Halle erfüllt von den perlenden, unendlich sanften und entrückten Klängen, die er mit müheloser Leichtigkeit der Harfe entlockte. Und wie hatte er gesungen! Er sang von den Ahnen, den Clans, von den Tieren und von den Bäumen. Mal wurde sein Spiel immer schneller und intensiver, mal verlor es sich in träumerischer Langsamkeit. Aber auch wenn er nicht sang, hatte seine Musik eine wundersame Wirkung auf die wie in Trance dasitzenden Zuhörer, die unter dem Bann der Melodien die eine oder andere in wilden Rhythmen vorgetragene Weise mit dumpfen Schlägen begleiteten, indem sie mit ihren Waffen oder Trinkgefäßen auf die Tischplatte hämmerten. Manchmal ließ die Musik die Menschen lachen, dann wieder weinen, und manchmal regte sie sie einfach nur zum Nachdenken an.

Aber dann verstummte die Harfe, und es herrschte eine erwartungsträchtige Stille. Von jeder Realität entrückt, hatten sie alle ihre Hände um die Becher und Pokale gekrampft, so als sei das die einzige Möglichkeit, den Moment festzuhalten. Zum Bersten gespannt war die Atmosphäre in der Halle.

»Fearr Singetrech – sieh dein Land!« Der Barde hatte begonnen, mit volltönender und fast schon beschwörender Stimme zu sprechen.

»Unser Land, die große Mutter, ist müde! Müde und überdrüssig der stetigen Zwistigkeiten zwischen ihren Kindern, zwischen Clan und Clan. Gegen die eigenen Brüder erhebt ihr euer blutiges Schwert, immer und immer wieder. Weit verstreut in der Welt leben seit Generationen die Kinder Tarans. Sie leben wie die Kinder in den Tag hinein, und wie die Kinder zanken und streiten sie untereinander um Besitztümer, die sie nie gelernt haben zu besitzen! Dünkt euch nur weiter selbstherrlich und selbstvergessen als die stärksten Krieger dieser Erde! Verschanzt euch nur weiter hinter den Mauern eurer mächtigen Städte und Festungen – und eurer Arroganz! Träumt euren Traum von Ruhm, Stolz und Ehre, während das Land und die, die es für euch versklavt und entrechtet bebauen, mehr und mehr dem Siechtum und der dumpfen Agonie anheim fallen. Aber ihr werdet in einem Meer aus Blut und Tränen erwachen, denn im Norden und im Süden beginnt sich eine Gefahr zu erheben, von deren Tödlichkeit und Schicksalshaftigkeit ihr auch nicht das Geringste ahnen könnt!

Ein Adler schickt sich an herniederzustoßen, um seine Klauen in das Fleisch unseres Landes zu senken. Schon wetzt er seinen Schnabel zum tödlichen Hieb, während die schwarzen Wölfe des nebligen Nordens mit geifernden Lefzen dem Flug des Adlers entgegenstürmen, die sichere Beute durch die Nacht witternd. Und dann wird der Große Eber waidwund darnieder liegen, wehrlos den Jägern zum Fraße ausgeliefert! Der Eber, der dich, Sohn des Celteall, ansah!«

Der Harfner hatte seine Rede beendet, und doch hingen die Worte seiner fürchterlichen Prophezeiung noch lange wie blanke Schwerter über den Anwesenden, die nunmehr mit vor unsäglichem Schrecken geweiteten Augen regungslos zu Fearr hinüberstarrten. Fearr selbst war vollständig gefangen von der übermächtig auf ihn wirkenden, hageren Gestalt im schwarzen Mantel, die ihn während der ganzen Zeit aus ihren weit aufgerissenen, dunklen Augen, aus denen ein überirdisches Leuchten strahlte, fixiert hatte.

Fearr hatte dann versucht aufzustehen und zu dem seltsamen Gast zu gehen, aber es wollte ihm nicht gelingen, denn seine Knie gaben zitternd nach, als er versuchte, sich aufzurichten. Schließlich stand er leicht wankend und vornübergebeugt vor seinem Stuhl, sich dabei an der Tischkante abstützend. Mehrmals öffnete er seinen Mund, um den Harfner um eine Erklärung seiner Worte zu bitten, aber die Stimme hatte ihm versagt.

Der Sänger war unterdessen wieder vor seiner Harfe auf die Knie gesunken. Noch einmal hatte er seinen Blick auf Fearr gerichtet. »Fearr Singetrech! Unendliche Bürde wurde dir von den Göttern auferlegt!«, sagte er daraufhin mit leiser, tonloser Stimme. »Dereinst wird dein Schicksal mit dem Schicksal unseres Landes verknüpft sein. Bewahre das Land vor Adlern und Wölfen! Und heile den Eber!«

Fearr war bei diesen letzten, eindringlichen Worten des Barden auf seinen Sessel zurückgetaumelt, als hätte er einen heftigen Stoß vor die Brust erhalten. Vor seinen Augen hatte sich alles zu drehen begonnen, und mit einer fahrigen, Hilfe suchenden Armbewegung stieß er seinen vollen Becher um und der Wein ergoss sich über den Tisch.

»Nein, nein, nein – ich verstehe das alles nicht«, hatte er immer wieder geflüstert. Doch dann waren in seinem Gehirn plötzlich die Bilder jener kürzlich mit Cunlean erlebten Nacht lebendig geworden.

Die Waldlichtung!

Der Eber!

Auf einmal hatte er eine tiefe, klare Ruhe in sich verspürt, und sein Blick richtete sich auf die noch immer in atemloser Spannung dasitzenden Männer und Frauen in der Halle seines Vaters.

Er sah die großen, fragenden Augen und die offenen Münder. »Es ist wahr«, hatte er bei sich gemurmelt, »sie sind Kinder! Große, unschuldige Kinder!«

Dann, wie unter einem inneren Zwang, schaute er in die unvermittelt hoch auflodernden Flammen des Kamins.

Alles um ihn versank in schemenhaftes Dunkel. Nach einer Weile vermeinte er ein riesiges Rad im Feuer zu erkennen, welches sich unerträglich langsam, aber dennoch unaufhörlich drehte. Er sah lange Trecks von Ochsen gezogenen lederbeplanten Karren und Menschen, die mit ihrem Vieh und all ihrem Hab und Gut in schier endlosen Zügen über unbekanntes Land wanderten. Dann wechselte das Bild und er schaute auf brennende Städte und verbrannte Felder. Und er erlebte die unsägliche Kakophonie der Schlachten. Er sah die Krieger seines Volkes, grell bemalt und nackt kämpfend, wie ein Orkan gegen steinerne Mauern und stählerne Heere anrennen.

Fremde Heere, fremde Städte, fremde Menschen.

Namenlos!

Und nur von dem Willen getrieben, weiterzukämpfen und weiterzuziehen – ruhelos und rastlos.

Dann, wie von einem fahlen Blitz erhellt, ein Gesicht. Ein schmales, glatt rasiertes Gesicht, mit tief eingegrabenen Zügen, etwas verlebt wirkend, mit leicht schütterem Haar. Das Gesicht schien ihn mit kalten Augen zu mustern. Nur für einen kurzen Moment war es in den Flammen zu sehen, dann – nichts mehr.

Das feine, träumende Spiel der wunderbaren Harfe war es dann, das die noch unter dem Bann des Geschehenen Stehenden allmählich wieder sanft in die Realität geleitete. Es hatte zwar noch eine geraume Weile gedauert, aber dann hatten sie wieder zu ihrer alten lautstarken Fröhlichkeit zurückgefunden. Vielleicht klang es ein wenig lauter und greller, wie um das, was sie eben erlebt hatten, zu überspielen. Fearr hatte überdies während des restlichen Abends sehr wohl die verstohlenen und scheuen Seitenblicke, mit denen sie ihn immer wieder bedachten, bemerkt. Der schwarze Sänger hatte indes wieder hinter seiner Harfe gekauert und spielte mit geschlossenen Augen seine Weisen, so, als ob nichts geschehen wäre, und niemand, noch nicht einmal Fearr, hatte es gewagt, ihn im Nachhinein ob seiner düsteren Prophezeiung zu befragen. Auch Fearr selbst wurde von keinem danach mehr darauf angesprochen.

Fearr saß gedankenverloren und immer noch ein wenig benommen auf seinem Sessel und starrte blicklos ins Leere. Ihm zumindest war für diesen Abend jegliche Lust am Fröhlichsein vergangen.

Zu fortgeschrittener Stunde, es war schon lange nach Mitternacht, war sein Onkel auf Fearr zugetreten und hatte ihm bedeutet, ihm zu folgen. Govanned hatte ihm dann den Arm um die Schulter gelegt und ihn in das Privatgemach seines Vaters geführt. Als sie den Raum betraten, der von den kleinen, flackernden Flammen in den Kohlebecken nur spärlich beleuchtet wurde, erkannte er die Gestalten seines Vaters und seiner Mutter, die mitten im Raum standen und sich schattenhaft vor dem großen, kostbaren Wandteppich abhoben.

Das fein gemeißelte Gesicht seiner Mutter war ihm zugewandt, voller Liebe schaute sie ihren Sohn an. Auch in seines Vaters Augen erkannte er Liebe und Wohlwollen, wenngleich auch eine Spur von Besorgnis.

Celteall hatte dann seinen Arm um die Hüften seiner Frau gelegt und schaute Fearr lange mit unergründlicher Miene intensiv und prüfend in die Augen. Das unstete Licht ließ die Furchen im Gesicht seines Vaters noch tiefer erscheinen. »Wie grau und alt Vater doch geworden ist«, hatte er in diesem Moment mitleidsvoll denken müssen. Und tatsächlich wirkte Celteall neben seiner Frau, die sich trotz ihres reifen Alters – sie mochte die vierzig überschritten haben – eine jugendliche Frische und zeitlose Schönheit bewahrt hatte, grau und gebeugt von der Last der Verantwortung für den Clan.

Die Stimmung im Raum erhielt zunehmend etwas Ernstes, Feierliches.

»Mein Sohn«, brach Celteall irgendwann das Schweigen, »du hast die Worte des Barden gehört. Du magst sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht verstehen, denn selbst für mich bleibt vieles von dem, was uns der Sänger kündete, im Dunklen. Aber eins wurde doch für alle deutlich, dass dir, Fearr, eine große, wenn sicherlich auch leidvolle Aufgabe für die Zukunft zugedacht wurde. Vielleicht wirst du einst unser Volk einigen und unsere Feinde besiegen, wer weiß!?«

»Ja, dunkel waren seine Worte«, hatte seine Mutter dann weiter gesprochen, »aber was immer sie bedeuten mögen, für dich – wie für uns, und wo immer sie dich auch hinführen werden, sei eines eingedenk, dass deine Eltern wie auch dein Clan immer hinter dir stehen werden.«

Celteall hatte unterdessen sein langes, breites Schwert, welches bis dahin über der Feuerstelle an der Wand gehangen hatte, an sich genommen. Mit leicht zitternden Händen hatte er es dann umständlich seinem Sohn an den Gürtel genestelt.

»Ich übergebe dir zum Anlass der heutigen Ereignisse das Schwert deiner Ahnen. Eigentlich hättest du es erst am Tag meines Todes erhalten sollen, aber ich bin, durch die Worte des Barden gemahnt, zu dem Entschluss gekommen, es dir heute schon zu schenken. Seit Generationen wird diese Waffe in unserer Familie schon an den jeweiligen Nachfolger des Clanherrn der Arverner vererbt. Das Schwert versinnbildlicht die Seele unseres wehrhaften Volkes, und sein Träger soll es zum Schutze seines Clans benutzen. Das Schwert wird dir auch dann noch zur Seite stehen, wenn du von allen deinen Freunden verlassen sein solltest. Dem Schwert kannst du immer vertrauen, dem Menschen kaum. Und du darfst es nie verlieren, es sei denn, du fändest den Tod in der Schlacht. Das ist das Erbe des arvernischen Volkes – und du bist seine Hoffnung!«

Celteall hatte diese Mahnung mit leicht bewegter Stimme ausgesprochen, und zum ersten Mal in seinem Leben sah Fearr, dass sein Vater Tränen in den Augen hatte, dass er sich am Ende sogar abwandte und hemmungslos weinte.

Fearr wusste mit dieser Situation nicht umzugehen, und so senkte er hilflos den Blick und betrachtete die Klinge des Schwertes, welches er, während sein Vater noch sprach, aus der roten Lederscheide gezogen hatte. Und wie er so voll Ehrfurcht und Bewunderung mit seinen Fingern den filigran verschlungenen Linien und Mustern folgte, die auf die bläulich schimmernde Klinge auf beide Seiten eingeätzt waren, umfasste seine Mutter mit ihrer Rechten die blanke Schneide und zog ihre Hand entschlossen und ohne ein Anzeichen von Schmerz bis zu dem vergoldeten, reich verzierten Knauf hinunter.

Ihr Blut war in zwei Rinnsalen über seinen Handrücken geflossen – dann umschloss ihre Hand seine um den Griff liegende Faust. In ihrem Gesicht lag ein überirdischer Glanz und ihre Augen strahlten ihn entrückt an, während ihr Blut wie Feuer auf seiner Haut brannte.

»Ich bitte die Große Mutter, dass sie dich auf all deinen Wegen beschützen möge«, hatte sie nur gesagt.

Ein rauer Ausruf Govanneds ließ ihn abrupt in die verregnete Wirklichkeit zurückkehren. Rasch parierte Fearr sein Pferd durch und lenkte es an die Seite seines Onkels, der von einer leichten Anhöhe herab das Gelände beobachtete. Aus dem lichten Kiefernwald zu ihrer Linken mühten sich vier von Mauleseln gezogene, hochrädrige und mit Planen bedeckte Karren auf dem schlammigen Weg voran.

Govanned spähte noch einen Augenblick nach vorne, dann spuckte er neben seinem Pferd auf den Boden.

»Römer!«, zischte er verächtlich. »Verfluchtes Händlerpack.« Fearr schaute nun auch genauer hin. Der Zug wurde von bewaffneten Reitern begleitet, deren Tracht sie zweifelsfrei als Angehörige des Stammes der Haeduer auswies. Seit alters her webten die Frauen bunte Muster, zumeist Streifen oder Karos, in die Kleidung. Diese Muster waren bei jedem keltischen Stamm individuell festgelegt und dienten als äußeres Erkennungsmerkmal der Clanzugehörigkeit ihrer Träger. Dabei hatten gerade die Farben eine besondere Aussagekraft, da jede Farbe eine eigene Bedeutung hatte. So durften die Farben Rot und Schwarz nur von den reichsten und mächtigsten Stämmen verwendet werden, da Rot die Macht und die Größe des beherrschten Gebietes und Schwarz den Reichtum des Stammes symbolisierte. Die arvernischen Farben zum Beispiel waren Blau, Schwarz und Rot, die der Haeduer Rot, Schwarz und Grün, wobei hier das Rot dominierte. Fearr hatte als Kind schon diese Dinge von seiner Mutter lernen müssen, und so war es ihm nicht schwer gefallen, die Stammeszugehörigkeit der Reiter zu identifizieren.

Da es immer noch in Strömen regnete, hatten sich die Fremden die Kapuzen ihrer Sagos tief in die Gesichter gezogen, sodass nur ihre Bartspitzen zu sehen waren.

Bald waren sie herangekommen, und der Führer der Wagenkolonne ließ mit einer Armbewegung den Zug anhalten, da er die beiden einsamen Reiter offenbar bemerkt hatte. Dann trabte er den beiden Arvernern entgegen. Kurz vor ihnen zügelte er sein Pferd und hob die Hand zum Gruß.

»Ich bin Cassital, Sohn des Mannan. Meine Männer und ich eskortieren den römischen Kaufmann Cornelius Mutius nach Gergovia. Außerdem führe ich Botschaften des Vergobreten und des Fürsten Dumnorech mit mir, die für euren Fürsten Celteall und den hohen Rat der Arverner bestimmt sind«, wies er sich mit einem breiten Grinsen aus. Der Haeduer war ein sympathischer, noch relativ junger Mann, mit markanten Zügen und gutmütigem, offenem Blick.

»Ich bin Fürst Govanned, der Bruder Celtealls. Ich grüße dich! Mit mir reitet mein Neffe Fearr. Wir sind auf dem Wege nach Bebracht, um Dumnorech und Dyffekiach im Auftrag unseres Herrn unsere Aufwartung zu machen«, erklärte Govanned seine Mission.

Ihr Gespräch wurde von einer ungeduldigen Stimme, die in einer für Fearr unbekannten Sprache von den Wagen herüberrief, unterbrochen.

Cassital verdrehte die Augen, schaute zum Himmel und schüttelte entnervt den Kopf.

»Amici sunt!«, brüllte er, sich dabei dem Rufer zuwendend, gereizt zurück.

»Das war Mutius. Ich sagte ihm, dass ihr Freunde seid. Ihr müsst wissen, dass dieser Römer uns schon den ganzen verdammten Weg über mit seiner Ungeduld und Arroganz auf die Nerven gegangen ist.«

Dann spuckte auch er aus.

Fearr versuchte den Römer näher zu betrachten, aber außer dessen feister, bartloser Mund- und Kinnpartie konnte er wegen der Kapuze nichts erkennen. Wohl aber nahm er zu seiner Überraschung eine zarte, weibliche Gestalt wahr, die neben Mutius auf dem Kutschbock des ersten Wagens hockte und ihm ebenfalls einen kurzen Blick hinüberwarf. Cassital musste seinen Blicken gefolgt sein, denn er zeigte wieder sein breites Grinsen.

»Das ist Valeria Mutia, die hübsche Tochter dieses Irren«, erklärte er. »Es wird bald Nacht«, fuhr er dann fort, »Dort, hinter den Hügeln, gibt es ein Dorf mit einer netten, kleinen Herberge. Begleitet uns doch, wenn ihr mögt, denn allzu weit werdet ihr bei diesem Sauwetter ohnehin nicht mehr kommen.«

Govanned nickte zustimmend, und dann galoppierten die drei zu den Wagen.

In knapper Form stellte Cassital seine neuen Begleiter vor, dann folgte eine hitzig geführte Diskussion in jener seltsamen Sprache. Fearr verstand kein einziges Wort, und außerdem mochte er die ölige und weinerliche Stimme des Römers nicht sonderlich. Endlich wandte sich Cassital zu ihnen um.

»Ich habe Mutius gerade davon überzeugen müssen, dass ihr keine Wegelagerer seid. Der gute Mann hatte wieder einmal Angst um sein Leben und, was für ihn noch schlimmer ist, um den Verlust seiner Waren«, sagte er resigniert. »Folgt uns also in Frieden!«

Der kleine Zug setzte sich wieder in Bewegung, und Fearr lenkte sein Pferd wie zufällig neben den ersten Wagen. Verstohlen lugte er zum Kutschbock hinauf, hoffend, dass dieses zarte, fremde Wesen ihn noch einmal anschauen würde. Nicht nur, dass er zum ersten Mal in seinem Leben Römer zu Gesicht bekommen hatte, nein, der kurze Blick des Mädchens vorhin hatte ihn völlig verwirrt.

Aber nun schien sie ihn nicht weiter beachten zu wollen, denn sie hielt den Blick züchtig gesenkt. Auch Fearr bemühte sich daraufhin, teilnahmslos nach vorne zu sehen. Doch als er sich gerade anschickte, den Sattel nachzugurten, bemerkte er, dass sie ihn scheu aus den Augenwinkeln heraus dabei beobachtete. Er richtete sich wieder auf und tat so, als wäre nichts geschehen. Wieder verging so eine gute Weile, dann fühlte er sich auf einmal unverhohlen angestarrt. Mit einem aufgesetzten Lächeln wandte er sich ihr zu, und was er da sah, nahm ihn schlagartig in Bann und trieb eine brennende Röte auf seine Wangen.

Das noch sehr kindliche Antlitz wurde von einem Paar großer, schwarzer, mandelförmiger Augen beherrscht, die den hellbraunen Teint ihrer Haut noch unterstrichen. Unter der feinen, schmalen und leicht gebogenen Nase wölbten sich volle, sinnliche Lippen, die ihr einen leicht schmollenden Gesichtsausdruck verliehen. Sie hatte kleine, wohlgeformte Hände, deren Nägel zu Fearrs großem Erstaunen rot bemalt waren. Das Ganze hatte nur wenige Augenblicke gedauert, dann wandte sich Fearr abrupt ab und bemühte sich, wie gänzlich unbeteiligt zu wirken. Doch eine neue, unbekannte Erregung hatte von ihm Besitz ergriffen, und wie um jenes merkwürdige und unbekannte Gefühl abzuschütteln, gab er seinem Tier energisch die Sporen und preschte zu seinem Onkel, der neben Cassital an der Spitze der Kolonne ritt. Schweigend legten sie die restlichen zwei Meilen bis zum Dorf zurück und nahmen in dem rauchigen, aber durchaus behaglichen Gasthof Quartier.

Die Tiere waren bald versorgt und die Karren untergestellt. Im Vorbau des Stalles hatte sich die haeduische Begleitmannschaft ein Feuer gemacht, über dem sie ein Lamm brieten.

An einem der wenigen, aus groben Brettern gezimmerten Tischen im Inneren der niedrigen Gaststube saßen Mutius und seine Tochter, sowie Cassital, Govanned und Fearr um zwei wohlgefüllte Tonkrüge, die mit köstlicher Korma gefüllt waren. Der Duft von frisch gebackenem Brot und würzig gebratenem Schweinefleisch drang aus der Küche in den heute offenbar nur spärlich besuchten Schankraum.

Neugierig und ein wenig misstrauisch wurden die Fremden von den wenigen Einheimischen, die immer wieder flüsternd ihre Köpfe zusammensteckten, begutachtet. Anscheinend verirrten sich nur selten Fremde in diese abgelegene Gegend im haeduischen Grenzland.

Der römische Kaufmann wirkte, nachdem er von Cassital erfahren hatte, wer die beiden Arverner waren, ausgesprochen aufgeräumt und wissbegierig. Später lud er sie sogar ein, für diese Nacht seine Gäste zu sein. Neugierig bestürmte er Govanned mit Fragen über das Volk der Arverner, und Cassital dolmetschte geduldig das Gespräch zwischen Mutius und dem Arverner, der, immer noch misstrauisch, nur zögerlich Antwort geben wollte. Fearr hingegen nahm keinen Anteil an dem lebhaften Gespräch, sondern hatte nur Augen für die ihm gegenüber sitzende junge Römerin. Jetzt, wo er sie ohne den sie vermummenden Mantel ansehen konnte, kam sie ihm noch zauberhafter vor. Immer wieder fiel eine widerspenstige Locke ihres dichten, blauschwarzen Haares, welches ihr ohnehin schon ausdrucksvolles Gesicht umrahmte, über ihr rechtes Auge, die sie dann, die Unterlippe schürzend, einfach wegpustete.

Und auch sie musste ihn unentwegt anschauen, und obwohl keiner der Sprache des anderen mächtig war, fand doch ein stummer Dialog zwischen den beiden jungen Menschen statt, der keines Dolmetschers bedurfte.

Auf einmal bemerkte Fearr ein übermütiges Funkeln in ihren Augen, und ein seltsames Lächeln spielte um ihre Lippen. Dann erhob sie sich und schwebte in ihrem langen, gefältelten Kleid durch den Raum, der Ausgangstür zu. Den Türgriff schon in der Hand haltend, drehte sie sich noch einmal zu ihm um, und ihr verschwörerisches Augenzwinkern bedeutete ihm allzu offensichtlich, ihr zu folgen, dann war sie auch schon aus der Pforte geschlüpft.

Er nippte noch ein-, zweimal an seiner Korma, dann stand er langsam auf, reckte sich noch ein wenig und folgte ihr, sich dabei betont lässig zeigend. Keiner der anderen, die an dem Tisch saßen, schien das Fortgehen der beiden bemerkt zu haben, zu sehr waren sie in ihr Gespräch vertieft.

Draußen hatte es inzwischen aufgehört zu regnen. Es dämmerte bereits und laue Abendluft lag über den Feldern und es roch nach Gras und Erde. Fearr schaute sich nach ihr um, aber es war nichts von ihr zu sehen. Mit pochendem Herzen ging er ein paar Schritte um das Haus, und dann sah er sie, wie sie anmutig an dem das Grundstück begrenzenden Mäuerchen lehnte.

Ein sachter, warmer Wind spielte mit ihrem Haar. Ihr langes, weißes Kleid, das um die Hüften lose mit einem schmalen, silberfarbenen Gürtel zusammengehalten wurde, umfloss ihren Körper so, dass ihre frühreifen weiblichen Formen vorteilhaft zur Geltung kamen. Wie versteinert stand Fearr, völlig gefangen von diesem traumhaften Bild, eine lange Zeit einfach nur da und starrte das Mädchen mit offenem Mund an. Er musste wohl eine ziemlich komische Figur abgegeben haben, denn Valeria fing auf einmal an zu lachen und begann, auf ihn einzureden. Mit Zeichen machte sie ihm verständlich, zu ihr zu kommen, was Fearr dann auch erleichtert tat. Er stellte sich neben sie, und so verharrten sie eine Ewigkeit lang nebeneinander, bis er plötzlich das zarte Tasten ihrer schmalen Finger spürte, die versuchten, einen Weg zwischen die seinen zu finden. Er musste sich mit aller Macht dazu zwingen, seinen Blick auf die Heidefläche, die sich vor ihnen erstreckte, zu konzentrieren, denn er merkte, dass seine Knie weich wurden bei dem ungewohnten intensiven Gefühl, das in ihm entstand, als sie das Innere seiner Hand zärtlich streichelte. Dann, ganz unvermittelt, hatte sie ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Er schnupperte an ihrem Haar, das einen herrlichen und geheimnisvollen Duft verströmte, der sich mit dem erregend natürlichen Körpergeruch des Mädchens, das an der Schwelle zur Frau stand, zu einer betörenden Mischung vereinigte. Unendlich sanft legte Fearr seinen Arm um ihre schmale Schulter und zog sie sacht zu sich heran.

Es war Nacht geworden.

Die letzten Tage der Kelten

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