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Kapitel 4

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Ziemlich unsanft wurde Fearr am nächsten Morgen von seinem Onkel geweckt.

»Habe ich dich aus deinem süßen Traum gerissen, mein Junge? Los, auf die Beine mit dir! Du hast lange genug geschlafen. Ich möchte spätestens heute Abend in Bebracht sein, und es liegt noch ein gutes Stück Weg vor uns!«

Schlaftrunken stand er auf. Sein erster Gedanke galt natürlich Valeria. Govanned schien es erraten zu haben, denn er begann anzüglich zu grinsen.

»Falls du daran denken solltest, dein Techtelmechtel mit der kleinen Römerin von gestern Abend fortzuführen, dann vergiss es. Sie ist heute in aller Frühe mit ihrem Vater und den anderen gen Gergovia abgereist«, sagte Govanned süffisant. Fearr war es, als hätte er einen empfindlichen Schlag in die Magengrube erhalten. Er erbleichte und hatte wohl ziemlich verdattert dreingeschaut, denn Govanned fing lauthals an zu lachen.

»Hast deine erste Lektion in der Liebe gelernt, he? Na, komm schon! Du wirst nicht daran sterben. Draußen, im Hof der Herberge, wirst du einen Brunnen mit kaltem Wasser finden. Das und ein gutes Frühstück danach wird deine Welt wieder zurechtrücken!«, stichelte Govanned.

Fearrs anfängliche Blässe wich der Röte der Scham – und des Zorns. Am liebsten hätte er seinem Onkel ins Gesicht geschrien, dass er sich gefälligst um seinen eigenen Mist zu kümmern habe, vor allem dann, wenn es um seine ureigensten und intimsten Gefühle ging. Doch er besann sich noch rechtzeitig, um dann ohne weiteren Kommentar den Raum fluchtartig zu verlassen. Heftig knallte er die Tür hinter sich zu und ließ einen sich vor Lachen ausschüttenden Govanned zurück.

Am Brunnen angekommen, wusch er sich hastig und ging dann zu dem Mäuerchen an die Stelle, an der er gestern Abend mit ihr gestanden hatte. Zärtlich strichen seine Hände über die Steine, die sie mit ihrem Körper berührt hatte ...

Dann brach es aus ihm heraus, und er fing bitterlich an zu weinen. Doch nach einer Weile hatte er sich wieder gefasst, und sein Schmerz und seine Ohnmacht schlugen in kalte Wut um. Seine erste Regung war es, sich aufs Pferd zu schwingen, ihr nachzureiten und ihr gehörig die Meinung zu sagen. Schon rannte er zu den Stallungen, da gewannen sein Stolz und seine Vernunft doch die Oberhand. Er hielt inne, fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar – und ging dann langsam mit trotzigem Gesichtsausdruck und hocherhobenen Hauptes in die Gaststube. »Dumme Gans«, dachte er bei sich, »was bildet die sich ein, sich einfach so, ohne sich von mir verabschiedet zu haben, aus dem Staub zu machen. Und das nach all den Zärtlichkeiten, die wir beide ausgetauscht hatten! Bestimmt hat sie es nicht ernst mit mir gemeint! Oder etwa doch nicht?« Fearr spürte einen nagenden Zweifel in sich aufkeimen.

»Vielleicht konnte sie ja gar nicht anders! Möglicherweise hat ihr Vater ihr untersagt, mich noch einmal zu sehen!?« So oder ähnlich kreisten seine Gedanken, während er sich zu beruhigen versuchte. In der Gaststube fand er seinen Onkel bei einem opulenten Frühstück sitzend, das aus Brot, Honig, Käse, Milch und Korma bestand.

»Setz dich her zu mir, mein Junge, und lang kräftig zu! Wir haben noch einen langen Weg vor uns, und wenn wir heute Abend in Bebracht sein wollen, werden wir nicht die Zeit haben, noch einmal einzukehren!«, rief Govanned ihm bester Stimmung zu, während er auf einer dick mit Käse belegten Scheibe des noch warmen Brotes kaute.

Fearr setzte sich und begann, missmutig vor sich hin stierend an einem Kanten Brot zu nagen. Govanned schob ihm einen mit Korma gefüllten Holzseidel hin.

»Onkel, was meinst du, weshalb sie ohne ein Wort des Abschieds von mir gegangen ist? Sie war so ... wir hatten uns gestern noch ...« Neuerlich erstarb seine Stimme, und er begann wieder zu schluchzen.

Govanned schnitt sich in aller Ruhe noch eine Scheibe von dem vorzüglichen Bergkäse ab und schob sie sich in den Mund. Während er sie übertrieben langsam und genussvoll verspeiste, überließ er seinen Neffen eine Weile seinem Kummer.

Dann, nachdem er sich mit einem tiefen Schluck Korma gestärkt hatte, begann er umständlich, Fearr in die Geheimnisse des Verliebtseins einzuweihen.

»Also, lieber Neffe«, schloss er nach einer Weile seine Ausführungen, »es wird nicht das letzte Mädchen sein, dem du begegnen wirst in deinem Leben, das kannst du mir glauben! Aber du solltest dieses erste, zarte Erblühen deiner Liebesfähigkeit immer in deinem Herzen bewahren. Und außerdem – wer weiß? Vielleicht triffst du sie ja irgendwann wieder! Aber das bestimmen nur die Götter.«

Das Gespräch mit Govanned hatte Fearrs angeschlagenes inneres Gleichgewicht wieder einigermaßen hergestellt, und so lenkte er seine Gedanken schließlich auf die nun vor ihnen liegende, letzte Etappe ihrer Reise.

Es war schon spät am Nachmittag, als sie endlich ihr Ziel erreichten. Auf der langsam ansteigenden Höhe vor ihnen reckten sich die hohen Mauern und Türme von Bebracht.

Für Fearr, der bislang nur ein paar Mal mit seinen Eltern die arvernische Hauptstadt Gergovia besucht hatte, war der Anblick einer so großen Stadt faszinierend.

Voll Bewunderung wanderten seine Augen entlang der mächtigen Wehranlage, die Bebracht wie ein steinerner Ring umgab, um es vor möglichen Feinden erfolgreich zu schützen. Govanned begann ihm das Bauwerk zu erklären. Fearr lernte, dass diese Verteidigungsanlage eigentlich aus einem inneren und einem äußeren Mauerring bestand.

In regelmäßigen Abständen hatten die Bauleute während des Schichtens der Steine von unten nach oben gewaltige Holzbalken kassettenartig in Längs- und Querrichtung zwischen den beiden Mauern eingelassen. Der so entstandene und von den Balken stabilisierte Zwischenraum wurde nun mit dem angefallenen Bauschutt aufgefüllt. Man hatte durch diese Verfahrensweise ein Höchstmaß an Elastizität des Mauerwerks erreicht, was zur Folge hatte, dass mauerbrechende Belagerungsgeräte nahezu wirkungslos blieben, da ihre Stoßkraft durch den innen liegenden Schuttkern absorbiert wurde. Zum anderen lockerte die Balkenkonstruktion die Massivität des Bauwerks ästhetisch auf, sodass es fast filigran auf den Betrachter wirkte.

Die beiden Arverner waren nun am Fuß der Mauer angelangt und schwenkten gerade zum Südtor ein. Aus belagerungstechnischen Überlegungen waren die Tore nach rückwärts versetzt errichtet worden, sodass eine Gasse entstand, die beidseitig von hohen Mauern flankiert wurde. Ein etwaiger Angreifer musste diese Gasse also zunächst durchqueren, um zu dem aus Holz und Eisen geschaffenen Tor zu gelangen, und konnte so regelrecht von den Verteidigern von den Zinnen und den Tortürmen in die Zange genommen werden.

Aber Bebracht wurde zu dieser Zeit nicht belagert, sondern es herrschte reger Alltagsverkehr, ein stetes Kommen und Gehen von Menschen und Fuhrwerken.

Vor allem waren es Bauern und Händler, die tagsüber ihre Waren auf den Märkten der Stadt feilgeboten hatten und sich nun wieder auf den Weg in ihre heimatlichen Höfe und Weiler begaben. Zum anderen beeilten sich diejenigen, die außerhalb der Stadt ihren Geschäften nachgegangen waren, in ihre Häuser innerhalb der Mauern zurückzukehren, da nach Einbruch der Dunkelheit die Tore für die Nacht geschlossen wurden.

Govanned und Fearr reihten sich in den Strom der Heimkehrenden ein und passierten gerade, ihre Pferde am Zügel führend, unbehelligt die gelangweilt dreinschauende Torwache, als ihnen ein junger Mann auf seinem scheckigen Pony ungestüm entgegentrabte, Fearr dabei anrempelte und zu Fall brachte.

»Was fällt dir ein, du Schwachkopf!«, brüllte ihm Fearr wütend hinterher, während er sich aufrappelte. Der Reiter zügelte augenblicklich sein Pferd und drehte sich provozierend langsam in seinem Sattel um. »Willst du dir Ärger einhandeln, Rotschopf?«, fragte der Fremde und grinste dabei unverschämt. Fearr ballte seine Rechte zur Faust und schüttelte sie drohend gegen ihn. Der junge Mann ließ sich daraufhin seelenruhig und geschmeidig aus dem Sattel gleiten und kam auf ihn zu.

Bald standen die beiden sich gegenüber, der eine gelassen, der andere vor Zorn bebend.

Govanned hatte beschlossen, sich aus der Sache herauszuhalten; er nahm sich stattdessen der Pferde an, führte die Tiere ein wenig abseits, verschränkte die Arme und wartete gespannt den weiteren Verlauf der Dinge ab. Mehrere Passanten, die eine spontane Rauferei als eine willkommene Abwechslung in ihrem ansonsten eher tristen Alltag begrüßten, hatten schnell einen dichten Kreis um die beiden Streithähne geschlossen.

»He, ihr Helden, die Waffen legt ihr aber ab!«, ließ sich Govanned lachend vernehmen und nahm die Schwerter der beiden an sich. Einige der Schaulustigen begannen daraufhin zu murren, weil sie offenbar der Meinung waren, dass es gar nicht so schlecht wäre, wenn ein wenig Blut fließen würde.

»Wie heißt du kadurkisches Großmaul eigentlich und was machst du bei den Haeduern?«, wollte Fearr wissen. Dass er ein Kadurker war, verriet ihm die Kleidung des Fremden, nur wunderte es ihn, was ihn hierher geführt hatte. Die Kadurker waren ein Klientelstamm der Arverner, der weit im Süden von Gergovia um die Stadt Dun Uchell beheimatet war.

»Das Gleiche frage ich dich, edler Arverner! Aber immerhin, ich heiße Lochtaire und bin der Sohn Donnotals, des Fürsten unsres Stammes. Das soll vorerst genügen.«

Fearr musterte daraufhin sein Gegenüber etwas genauer. Lochtaire musste etwa gleichaltrig sein, vielleicht ein bis zwei Jahre älter. Hellgrüne Augen funkelten aus einem fast schon wölfisch anmutenden Gesicht, welches von lockigem, dichtem schwarzem Haar umrahmt wurde. Ein herablassendes Lächeln umspielte seine vollen sinnlichen Lippen.

Jetzt warf er mit einer lässigen Bewegung seinen Umhang ab und zog sein Hemd aus. Dann stand er, sich leicht in den Hüften wiegend, nach vorne gebeugt da, und wartete auf eine Reaktion Fearrs.

Der betrachtete nicht ohne Neid den durchtrainierten Körper Lochtaires und war sich einen kurzen Moment hinsichtlich seiner Erfolgsaussichten in diesem Zweikampf gar nicht mehr so sicher; doch dann konzentrierte er sich wieder auf seinen Gegner. Beide starrten sich an und begannen sich zu umkreisen, bis Lochtaire plötzlich die Initiative ergriff. Halb von unten herauf sprang er Fearr geschmeidig wie eine Katze an und hatte ihn, ehe der völlig Überraschte reagieren konnte, in den Schwitzkasten genommen. Der Überraschungsmoment währte jedoch nicht lange, und Fearr versuchte sich nun mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus seiner misslichen Lage zu befreien. »Ich muss ihn zwischen die Beine treten!«, schoss es ihm noch durch den Kopf, aber wie er es auch anfing, es wollte nicht gelingen. Irgendwie schaffte er es dann doch, Lochtaire geschickt zu Fall zu bringen, sodass sie sich nun beide im Schmutz wälzten, wobei Lochtaire seinen Griff um Fearrs Hals beibehalten konnte. Er verstärkte ihn sogar, und Fearr merkte, dass seine Kräfte mehr und mehr schwanden und er Atemnot bekam. Seine Anstrengungen, sich aus dem immer enger werdenden Schraubstock des gegnerischen Armes zu befreien, wurden immer schwächer ... da ließ ihn Lochtaire unvermittelt los und sprang blitzschnell auf die Beine. Heftig atmend und mit einem offenen Lachen reichte er dem verdutzt dreinschauenden Fearr die Hand, die dieser, eine Finte vermutend, nur sehr zögerlich ergriff. Lochtaire jedoch zog den am Boden Liegenden mit einem Ruck auf die noch immer wackeligen Beine und versetzte ihm einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. »Wollen wir es gut sein lassen, ja?«, sagte Lochtaire gutmütig und streckte ihm erneut die Hand entgegen. Obwohl seine Wut auf den frechen Kadurker noch nicht gänzlich verflogen war, verblüffte ihn dessen ritterliche Geste zutiefst, und so ergriff er die ihm dargebotene Rechte. Durch die natürliche Unbekümmertheit Lochtaires angesteckt, verzog sich nun auch Fearrs Mund zu einem verstohlenen Lächeln, welches sich bald in ein befreiendes Lachen wandelte.

Die Schaulustigen zerstreuten sich allmählich, enttäuscht von der ihrer Ansicht nach viel zu kurzen Vorstellung.

»Also, jetzt könntest du mir doch eigentlich verraten, wer du bist!«, sagte Lochtaire, nachdem sie sich wieder einigermaßen unbeobachtet fühlten.

»F-Fearr Singetrech heiße ich. Ich bin der Sohn Celtealls«, stotterte Fearr verlegen.

»Oh, oh! Dann bist du ja der Sohn meines Lehensherrn! Nun, ich hoffe, dass du es mir nicht übel nimmst, dich besiegt zu haben. Wenn du erlaubst, mein Fürst, dann lass uns jetzt unseren kleinen Zwist mit einem Krug gute Korma beilegen, zu dem ich dich selbstverständlich herzlich einladen werde!«, sagte Lochtaire mit einem verschmitzten Blick aus seinen grün schimmernden Augen.

»Na, ihr zwei!«, rief nun Govanned dazwischen. »Ihr werdet mich doch wohl nicht vergessen, wenn ihr auf eure neue Bekanntschaft trinkt!«

»Mein Onkel Govanned«, stellte Fearr seinen Onkel vor.

»Aber bevor ihr in ein Gasthaus geht, solltet ihr euch zunächst einmal reinigen! Ihr seht aus und riecht wie die ... na ja, lassen wir das«, sagte Govanned und rümpfte vieldeutig seine Nase. Fearr und Lochtaire schauten sich betreten an und dann an sich herunter.

Der Schmutz der Straße klebte an ihnen, eine übel riechende Mischung aus Staub und tierischen Exkrementen. Wortlos gingen sie zu einem nahe gelegenen Brunnen und säuberten sich, so gut, wie es eben ging. Dann beschlossen sie, eine Schänke aufzusuchen.

»Ich war zwar gerade auf dem Weg zu einem Mädchen, aber das kann jetzt warten«, erklärte Lochtaire und zwinkerte seinem neuen Gefährten vergnügt zu.

Fearr musste sich eingestehen, dass ihm dieser kadurkische Edeling zunehmend sympathischer wurde.

Lochtaire führte seine neuen Bekannten zielsicher durch ein paar Gassen zu einem Gasthaus, welches auf den ersten Blick einen sauberen Eindruck vermittelte.

»Hier bei Carilo können wir unbesorgt einkehren. Er hat, das ist gewiss, die beste Korma in Bebracht.«

Govanned hatte es sich wohl in der Zwischenzeit anders überlegt, denn er machte keine Anstalten, den Schankraum zu betreten. Vielmehr legte er seine Arme um die beiden jungen Männer und bestieg dann sein Pferd.

»Trinkt ihr nur hier in aller Ruhe eure Korma und lernt euch kennen! Ich störe dabei nur, denke ich. Derweil werde ich schon zu Dumnorech und Dyffekiach reiten und uns bei ihnen ankündigen«, sagte er schmunzelnd, wendete sein Pferd und ritt davon.

»Ich werde deinen Neffen nachher wohlbehalten zu Dumnorechs Haus bringen, Govanned!«, rief Lochtaire dem Davonreitenden nach. Dieser winkte bestätigend und war kurz darauf in einer Seitengasse verschwunden.

Carilos Schänke war hoffnungslos überfüllt, trotzdem konnten sich die beiden neuen Freunde ganz hinten in einem schummerigen Eckchen zwei Plätze an einem wackeligen, kleinen runden Tisch ergattern. Während sie sich ihren Weg durch die dicht an dicht sitzenden und stehenden Gäste bahnten, wurde Lochtaire von vielen mit großem Hallo begrüßt und bekam auch des Öfteren einen freundschaftlichen Knuff gegen die Schulter.

Sie saßen noch nicht richtig, da kam ein ziemlich dicker, glatzköpfiger Mann mit einem dichten, schwarzen Vollbart zu ihnen und stellte unaufgefordert einen bauchigen Tonkrug sowie zwei hölzerne Humpen vor ihnen ab. Er wischte sich mit einem fleckigen Tuch über die schweißnasse Stirn und schaute seine neuen Gäste aus seinen hellen, verschmitzten Schweinsäuglein erwartungsvoll an.

»Wollen die jungen Herren vielleicht ein Stück von dem herrlichen Wildschweinbraten probieren? Oder lieber ein Hähnchen? Dazu bekommt ihr feldfrisches Gemüse?«, fragte er mit seiner tiefen Bassstimme.

»Fearr, koste von dem Wildschwein, sage ich dir! Du wirst es nirgendwo besser zubereitet bekommen!«, riet Lochtaire Fearr zu, und als dieser zustimmend nickte, wandte er sich wieder dem Schwarzbärtigen zu. »Also gut, Carilo! Zwei große Portionen von deinem Schwein, wir haben einen mächtigen Hunger!«, sagte er zu dem Wirt.

»Wird gemacht, junger Herr. Aber bis dahin lasst euch diesen Krug Korma munden, er geht auf meine Rechnung! Immer nach meiner Devise: Gute Gäste soll man verwöhnen. Übrigens, erwartest du noch jemand, hm?«, lachte Carilo und zwinkerte Lochtaire dabei verschwörerisch zu. Als dieser verneinte zuckte er mit den Achseln und eilte davon.

»Du scheinst hier bekannt zu sein, was?«, fragte Fearr anzüglich, als Carilo verschwunden war.

»Na ja, es ist die einzig annehmbare Schänke in dieser Stadt, und außerdem findest du hier ab und an ganz hübsche Mädchen, musst du wissen«, erklärte Lochtaire mit einem spitzbübischen Lächeln.

»Wie heißt sie denn?«, wollte Fearr wissen.

»Wer? Wen meinst du?«, Lochtaire sah sein Gegenüber mit Unschuldsmiene an.

»Nun, du warst doch auf dem Weg, ein Mädchen zu besuchen, als wir uns ›trafen‹, oder?«

»Ach, du meinst Cambia!«, antwortete Lochtaire gedehnt. »Willst du sie kennen lernen? Das träfe sich gut, denn sie hat eine ausgesprochen hübsche Schwester. Wollen wir nach unserem Essen bei ihnen vorbeischauen? Sie wohnen nicht weit von der Stadt entfernt. Glaube mir, du wirst es nicht bereuen!«, versuchte der Kadurker Fearr mit verheißungsvollem Unterton von seiner Idee zu begeistern, und seine Augen sprühten dabei vor Unternehmungslust.

»N... nein, danke!«, schlug Fearr das verlockende Angebot nach einem kurzen Moment des Überlegens jedoch aus. »Weißt du, ich ... ich liebe ... nun ja, wie soll ich sagen? Es gibt da ein Mädchen, die mir nicht aus dem Sinn geht.« Fearr errötete bei seinen Worten.

»Nein, wie aufregend! Nun sage mir, wer mag das Zauberwesen sein, das das Herz eines tapferen Arvernerprinzen umgarnen konnte?«, fragte Lochtaire übertrieben ernst.

»Valeria Mutia heißt sie und ist die Tochter eines reichen Kaufmannes aus Massilia. Aber eigentlich wohnt sie in Rom!«, erklärte Fearr eifrig, die leise Ironie, die in der Frage Lochtaires mitschwang, nicht bemerkend.

»So, so! Ein saftiges italienisches Olivchen, hm? So richtig feurig, richtig stolz? Na, mein Freund, dass du dich daran nicht verbrennst!«

»Wie meinst du das?«, brauste Fearr auf.

»Lebt sie in Gergovia?«, konterte Lochtaire, die Emotion Fearrs nicht beachtend, sachlich mit einer Gegenfrage und sah ihn dabei mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Natürlich nicht!«, bestätigte Fearr unwillig. »Ihr Vater treibt im ganzen Land Handel, und so müssen sie von einer Stadt zur anderen reisen.«

»Aha, dann hast du sie vermutlich nur einmal gesehen, nicht wahr?«

»Ja! Und dabei haben wir uns versprochen, für immer zusammenzubleiben«, sagte Fearr trotzig.

»Das habt ihr euch wirklich versprochen? Mein Fürst, du erstaunst mich immer mehr! Du sprichst Latein? Ich meine, du musst ja ihrer Sprache mächtig sein, denn sie wird sich kaum dazu herabgelassen haben, die Geheimnisse unseres barbarischen Gekrächzes – denn das ist es, was die Römer von unserer Sprache halten – zu enträtseln.«

»Lochtaire, du magst mir in deinen Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht in vielem voraus sein, aber der Liebe scheinst du noch nicht begegnet zu sein, denn dann wüsstest du, dass zwei, die sich lieben, keiner Worte bedürfen, um sich ihres Zusammenbleibens zu versichern!«, entgegnete Fearr altklug dem Spott des Kadurkers.

»Verzeih mir meine Unwissenheit, o Sohn des Celteall! Aber ich bin eben nur ein ungebildeter kadurkischer Bauernsohn, der mit den feinen Gepflogenheiten und der Bildung, die am arvernischen Hofe üblich sind, nicht vertraut ist. Also erleuchte mich Unwissenden, indem du mir verrätst, wo, beim Lug, deine hochedle Freundin dann ist?«, lenkte Lochtaire in scheinbarer Unterwürfigkeit ein, dabei seinen Sarkasmus aber nicht verhehlend.

»Ich habe sie erst gestern auf der Reise hierher kennen gelernt. Sie ist ... Sie musste ganz früh heute Morgen mit ihrem Vater weiterziehen. Wichtige Geschäfte in Gergovia!«, sagte Fearr und wirkte dabei kleinlaut und merklich verunsichert.

»Aber du hast gewiss eine wundervolle Nacht verlebt, nicht wahr?«, flötete Lochtaire mit zuckersüßer Stimme, seinen Spott nur mühsam verbergend.

»W ... w ... was? Ja, ich habe recht gut geschlafen«, beantwortete Fearr unschuldig und gleichzeitig verständnislos die respektlose Frage Lochtaires.

Dieser konnte nunmehr nicht mehr an sich halten, als er mit dieser krassen Naivität des jungen Arverners konfrontiert wurde, und schlug sich fortwährend auf die Schenkel vor Lachen.

»Würdest du mir vielleicht den Grund deiner Heiterkeit nennen, damit ich mitlachen kann?«, fuhr ihn Fearr nach einer Weile boshaft an.

Lochtaire wurde unvermittelt ernst.

»Ich wollte dich beileibe nicht kränken, mein Freund«, sagte er dann begütigend, »Aber ich sehe schon, dass ich dir dennoch einiges über Frauen erzählen muss. Ich sollte dir vielleicht sagen, dass es mir einmal ähnlich erging. Ich war damals mit meinem Vater in Massilia. Sie war eine Griechin und entstammte einer vornehmen Familie, die schon seit der Gründung der Stadt dort lebte. Du weißt, dass Massilia von Griechen gegründet wurde? Gut. Also ... Übrigens, warst du schon vor Valeria in ein anderes Mädchen verliebt?« Lochtaire sah Fearr prüfend an. Fearr wollte ihm daraufhin erst heftig erwidern, dass ihn das nichts anginge, besann sich dann aber eines Besseren und begnügte sich nur mit einem stummen Kopfschütteln. Die Augen verlegen auf die Tischplatte gerichtet, begann er nervös mit seinem Zeigefinger nasse Figuren aus den Tropfen vergossener Korma zu zeichnen. In diesem Moment kam Carilo an den Tisch und stellte zwei gut gehäufte Teller ab. »Esst lieber, anstatt Trübsal zu blasen!«, löste sein fröhlicher Bass die peinliche Stille zwischen den beiden mit der nur Wirten eigenen Einfühlsamkeit auf.

»Komm Fearr, lass uns auf unsere Freundschaft trinken! Ich weiß, ich sollte mein loses Mundwerk öfters im Zaume halten, aber ich schaffe das einfach nicht! Aber meiner ehrlich empfundenen Freundschaft magst du ab heute vertrauen! Und glaube mir, das habe ich noch zu niemandem gesagt.« Seltsamerweise wusste Fearr in diesem Moment, dass Lochtaire genau das meinte, was er sagte, und dass er heute in diesem schillernd zynischen Kadurker einen Freund fürs Leben gefunden hatte. Den Einzigen, wie sich erst sehr viel später herausstellen sollte.

Die beiden tranken ihre Humpen in einem Zuge leer und machten sich dann über das Essen her, welches tatsächlich hervorragend schmeckte.

Während des Mahles erfuhr Fearr, vielleicht ein wenig unverbrämter als weiland von seinem Onkel, bis ins kleinste Detail all das, was es über Liebe und Mädchen im Allgemeinen – und über Römerinnen und Griechinnen im Speziellen zu erfahren gab. Am Ende seiner Ausführungen angekommen, leerte Lochtaire seinen Humpen, wischte sich über den Mund und schaute Fearr mit einem hintergründigen Lächeln an.

»Hast du jetzt nicht doch Lust bekommen, Cambia und ihrer Schwester einen kleinen Besuch abzustatten?«, schlug er ihm vor.

Aber Fearr schüttelte ablehnend den Kopf. Einerseits wollte er mit den neuen Erkenntnissen, mit denen er von Lochtaire konfrontiert worden war, allein sein, zum anderen musste er an seinen Onkel denken, der sicherlich schon auf ihn wartete.

»Es ist schon spät geworden, und Onkel Govanned wird sich schon Sorgen um mich machen!«

»Beruhige dich, mein arvernischer Freund – ich werde dich zum Hause Dumnorechs begleiten. Morgen, wenn du willst, werde ich dich dort abholen und dir die Stadt zeigen. Vielleicht denkst du im Hinblick auf den morgigen Tag auch noch mal über Cambias Schwester nach ... Heda! Carilo! Wir wollen dir deine abscheuliche Brühe, die du Korma nennst, sowie das Stück Leder bezahlen, das du uns serviert hast!« Die letzten Worte rief er dem zwischen den Gästen beflissen hin und her wuselnden dicken Wirt zu. Nachdem sie die Schänke wieder verlassen hatten, führte Lochtaire Fearr durch enge, verwinkelte Gassen in den nördlichen Teil der Stadt. Während im übrigen Stadtgebiet die Häuser vorwiegend rund gebaut waren und sehr eng zusammenstanden, herrschte hier ein freizügiger, mehr rechteckig angelegter Baustil vor. Zumeist handelte es sich um große Häuser mit Nebengebäuden für Vieh und Gesinde. Auf eine der imposantesten Wohnanlagen in diesem Viertel steuerte Lochtaire zielstrebig zu. Am Tor angekommen, klopfte er an, und eine noch sehr junge Frau, offensichtlich eine Dienstmagd, öffnete ihnen.

»Ich bringe den Neffen des Fürsten Govanned, der in diesem Hause Gast ist!«, erklärte er. Dann umarmten sich die neuen Freunde.

»Bis morgen, Fearr!«, verabschiedete sich Lochtaire. Ein kurzes Winken, dann hatte ihn die Dunkelheit verschluckt.

Die Magd führte ihn über den gepflasterten Hof zum Haupthaus. Es war ein prachtvolles, zweistöckiges Gebäude, dessen Fachwerk auf einem fast mannshohen Sockel aus Naturstein errichtet worden war. Die Gefache zwischen dem symmetrisch konstruierten Gebälk waren weiß verputzt. Die großen Fenster hatten zu Fearrs Erstaunen Glasscheiben, und außerdem war das Haus mit Schieferschindeln gedeckt. Das alles zeugte von dem offensichtlichen Reichtum des Besitzers. In die steinernen Pfosten, an denen die Angeln der zweiflügeligen, mit Bronzefiguren verzierten Eingangstür befestigt waren, sowie in den Sturz darüber hatte man Nischen gehauen, in denen die Schädel der im Krieg erschlagenen Gegner aufbewahrt wurden. Für Fearr war das allerdings ein gewohnter Anblick, da jeder keltische Krieger seinen Feind, so dieser sich als tapfer im Kampf erwiesen hatte, auf diese Weise ehrte. Durch diese makaber geschmückte Tür trat er nun in die mit breiten Schieferplatten ausgelegte Vorhalle. Die in schmiedeeisernen Halterungen gesteckten Kienspäne leuchteten den Raum nur spärlich aus. An den rau verputzten, weiß getünchten Wänden hingen dicke, bildreiche Wollgobelins. Der Raum war nur spärlich, dafür aber geschmackvoll möbliert, was ihn dadurch aber heller und größer erscheinen ließ. Jeweils in den vier Ecken des Raumes stand ein bronzener, mit Leder bespannter Lehnstuhl, dessen Beine sich bogenförmig überkreuzten. Unter dem Gobelin an der rechten Wand stand ein langes, bronzenes Sofa auf acht sich nach allen Seiten hindrehenden Rädchen. Darüber war wie zufällig ein Bärenfell geworfen. Fearr zählte drei Türen, die in kunstvoll geschnitzten, breiten Eichenzargen eingelassen waren. Links und rechts neben den Türen war ein bronzener Dreifuß aufgestellt worden, der jeweils eine große, langbauchige Vase umschloss, die rundum mit rot und schwarz glänzenden Motiven verziert war. Nie zuvor hatte Fearr eine solche Töpferkunst bewundern können, und er beschloss, den Hausherrn bei nächster Gelegenheit über die Herkunft der Keramiken zu befragen.

Die Magd hatte unterdessen die mittlere Tür geöffnet und bedeutete ihm, einzutreten. Fearr gelangte in einen lang gestreckten, hallenartigen Raum, dessen hohe Decke von sechs massigen runden Holzsäulen getragen wurde. Die Stirnseite wurde von einem bis fast zur Decke reichenden, aus rohem Felsgestein errichteten Kamin beherrscht. Im flackernden Halbdunkel nahm er einige Frauen und Männer wahr, die gerade bei einem reichhaltigen Abendessen um einen langen Tisch versammelt waren. Am Kopfende der Tafel mit dem Rücken zum Kamin saß ein vornehm gekleideter Mann mittleren Alters, offenbar der Hausherr, zu seiner Rechten, auf dem Ehrenplatz gewahrte er seinen Onkel Govanned. Fearrs Eintreten ließ die Anwesenden ihr Mahl und ihre angeregte Unterhaltung unterbrechen und ihn erwartungsvoll ansehen.

»Ah, da kommt unser jugendlicher Held ja endlich von seinem kleinen Abenteuer in der Stadt zurück! Komm her und begrüße unsere Gastgeber!«, rief ihm Govanned fröhlich zu und winkte ihn mit einem halb abgenagten Hühnerflügel in der Hand zu sich heran.

Fearr gehorchte, und als er bei ihm angelangt war, stand Govanned auf und wandte sich, seinen Neffen an der Schulter fassend, zunächst dem Hausherren zu. »Fearr, verneige dich vor Fürst Dumnorech, der uns seine Gastfreundschaft so freigebig gewährt hat.« Fearr tat es und ergriff die ihm dargebotene Rechte. Er blickte in ein offenes Gesicht, beherrscht von schwarzen, klugen Augen, die ihn aufmerksam und wohlwollend musterten. Auch das schulterlange Haar war schwarz, mit einigen grauen Strähnen durchzogen, genauso wie der dichte Oberlippenbart. Sein einfacher, leinener Kittel war mit einer kostbaren Pelzborte verbrämt.

Um seinen Hals trug er einen kunstvoll aus Gold geschmiedeten Torques. Lässig fiel ihm sein in den Farben seines Clans gewebter Plaid über die rechte Schulter, der von einer handtellergroßen, mit Email eingelegten, runden Silberfibel gehalten wurde.

»Sei mir herzlich willkommen in meinem Hause, Sohn des Celteall!«, sagte er freundlich. »Lass mich dir nun die anderen Gäste vorstellen.« Dumnorech erhob sich und begann ihn herumzuführen. Als Erstes begrüßte er den Mann, der zur Linken Dumnorechs saß, ein verwegen aussehender blonder Hüne mit hellblauen Augen und einem Schnurrbart, dessen lange Enden bis weit unters Kinn reichten.

»Dies ist mein Schwager Orgetrech, ein Fürst der Helveter.«

Fearr zuckte bei dem kräftigen Händedruck des Fürsten ein wenig zusammen.

»Freut mich, dich einmal kennen zu lernen, junger Arverner! Weißt du, ich kenne deinen Vater recht gut, denn wir haben schon in einigen Schlachten Seite an Seite gekämpft«, hörte Fearr ihn mit sonorer Stimme sagen.

Dann stand er vor einer Frau, von deren Ausstrahlung er sofort fasziniert war. Sie mochte Mitte dreißig sein und schien das weibliche Ebenbild Dumnorechs zu sein. Lange schwarze Haare, die ein elfenhaft bleiches, ebenmäßiges Antlitz umrahmten, fielen ihr bis fast zur Hüfte. Eine einzelne weiße Strähne, die ihr Haar, über dem linken Auge beginnend, der Länge nach durchzog, gab ihr etwas Geheimnisvolles.

»Troucissa, meine Schwester«, hörte er Dumnorech wie durch einen Nebel sagen. Verlegen umfasste er vorsichtig ihre schmale, feingliedrige Hand. Der Zauber ihrer seltsamen, violetten Augen nahm ihn vollständig gefangen. Doch schon gingen sie weiter. Auch die Züge des nächsten Mannes hatten starke Ähnlichkeit mit denen des Hausherrn, allerdings war sein kurzes, gelocktes Haar hellbraun, und er trug einen gestutzten Vollbart.

»Mein Bruder Dyffekiach.« Fearr war irritiert von dessen gelangweiltem Blick – er schien geradezu an ihm vorbeizusehen – und dem schlaffen Händedruck, mit dem er ihn wortlos bedachte. Dann, zum Schluss, am anderen Ende der Tafel, eine schöne, reife Frau, deren volles, rötlich blondes Haar am Hinterkopf von einem feinen, mit Goldfäden durchwirkten Netz zusammengehalten wurde.

»Darf ich dich nun mit Viriota bekannt machen, meiner geliebten Frau und Schwester des edlen Orgetrech.«

»Sei willkommen, Fearr, und fühle dich bei uns zu Hause«, sagte sie mit warmer Altstimme, seine Rechte dabei mit beiden Händen umfassend.

Dumnorech geleitete ihn zu einem Stuhl neben seinem Onkel, und die vorhin unterbrochene Unterhaltung zwischen den Gastgebern und ihren Gästen wurde allenthalben wieder aufgenommen.

Fearr indes fiel es schwer, den Gesprächen der anderen zu folgen, zu sehr nahm ihn die Präsenz Troucissas, die ihm nun gegenübersaß, gefangen. Auch sie schien sich für das, was um sie herum gesprochen wurde, nicht sonderlich zu interessieren, vielmehr sah sie ihn unentwegt und schweigend an, und auch Fearrs Blicke schweiften immer wieder zu ihr. Zerstreut führte er seinen Becher zum Mund und beantwortete dann fahrig einige belanglose Fragen Dumnorechs, die seinen Interessen und seinen Plänen für die Zukunft galten. Als dieser sich danach wieder den anderen widmete, versuchte auch er krampfhaft und nur mit halbem Ohr lauschend, den wortreichen Ausführungen Orgetrechs zu folgen. Dieser berichtete gerade über die Absicht seines Volkes, die angestammte Heimat zu verlassen und in das Gebiet der Haeduer zu ziehen, um dort in den fruchtbaren und zumeist unbewohnten Ebenen eine neue und bessere Existenzgrundlage für sich zu schaffen, da der karge Boden der heimatlichen Bergtäler für die Ernährung der immer weiter anwachsenden Bevölkerung nicht mehr ausreichte. Vehement warb er um die Hilfe und die Freundschaft aller benachbarten Stämme und schilderte blumig die Vorteile, die dieses Unterfangen allen Beteiligten brächte. Fearr, der kaum etwas davon verstand – vielleicht auch nicht verstehen wollte –, begann sich zunehmend zu langweilen. Gleichzeitig keimte in ihm das drängende Verlangen auf, endlich ein paar Worte mit seinem noch immer in beharrliches Schweigen gehüllten Gegenüber zu wechseln. Wieder schaute er sie an. Sie hatte ihre Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt und erwiderte hintergründig lächelnd seinen Blick über den Rand ihres Bechers, den sie mit beiden Händen etwa in Augenhöhe hielt. Wie zart doch ihre Hände sind, dachte er bei sich, und für einen flüchtigen Moment beneidete er das Trinkgefäß, das gerade von ihren Lippen berührt wurde. Linkisch versuchte er, ihr zuzutrinken. Und tatsächlich, sein Herz begann rascher zu schlagen, erwiderte sie seinen Toast mit einer unmerklichen Gebärde. Mit einem Male schienen nur noch Troucissa und er im Raum zu sein. Und dann hörte er ihre Stimme, nicht in seinem Ohr, sondern in seinem Geist. Er hörte sie kristallklar, und er ergab sich dem sanften Zwang ihrer Fragen. Seine Gedanken und Erinnerungen flossen zu ihr, und auch er fand Zugang zu ihren Empfindungen. Er hatte kein Zeitgefühl mehr, aber irgendwann verebbte der intensive Gedankenaustausch, und er fand sich jäh wieder in die Realität zurückversetzt.

Jetzt erst bemerkte er, dass etwas zärtlich an seinem Bein auf und ab strich. Es war ihr Fuß. Er wagte nicht, sich ihr zu entziehen, so gebannt stand er noch unter dem Einfluss des gerade Geschehenen. Außerdem erregte ihn diese physische Berührung aufs angenehmste.

Da zog sie ihren Fuß zurück. Erste Gesprächsfetzen drangen an sein Ohr, denen er entnahm, dass gerade eine Allianz zwischen den Haeduern, Arvernern und den Helvetern in Erwägung gezogen wurde. Ungläubig suchte sein Blick wieder den ihren, aber da hatte sie sich schon den anderen zugewandt und sich, als ob nichts gewesen wäre, in die Konversation eingeschaltet.

Halbherzig und in seinem Innersten zutiefst verstört, versuchte auch er, wieder am Gespräch teilzunehmen. Später in der Nacht zogen sich die Frauen zurück. Es wollte ihm nicht gelingen, das Erlebte zu verarbeiten, zudem er sich zu seinem großen Erstaunen eingestehen musste, dass das Antlitz Valerias in seinem Herzen zunehmend verblasste, während das Troucissas mehr und mehr Raum gewann.

Auf einmal fühlte er sich nur noch müde und versuchte, sich krampfhaft an seinem Becher festhaltend, seine Lider offen zu halten. »Es scheint, dass unser junger Krieger hier den Reden der Alten überdrüssig ist«, lachte Dumnorech, die Schläfrigkeit Fearrs bemerkend. »Die Magd wird dir dein Zimmer zeigen!« Fearr hörte sich einen Gutenachtgruß murmeln und folgte dem Mädchen, dankbar, der rauchgeschwängerten Halle entrinnen zu können. Draußen auf dem Hof hielt er einen Moment inne und atmete die kühle Nachtluft in tiefen Zügen ein. Er sah zum Firmament empor und betrachtete eine Weile den rötlichen Vollmond, der sich immer wieder zwischen den vorbeiziehenden Wolken sehen ließ.

Die Magd war unterdessen zu einem der kleinen Häuschen gelangt, die den Hof an der linken Seite des Herrenhauses umstanden, und öffnete ihm die Tür. Fearr trat ein und fand sich in einem Raum mit niedriger Decke, in dem das Kaminfeuer schon stark herabgebrannt war. Die tanzenden Flämmchen in den auf zwei bronzenen Dreibeinen stehenden Kohlebecken spendeten flackerndes Licht. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Halbdunkel und dann sah er – sie. Er wollte zunächst seinen Augen nicht trauen – aber es war wirklich Troucissa, die mit untergeschlagenen Beinen auf dem mit Fellen bedeckten Bett hockte. Sein erster Gedanke war, dass die Magd sich möglicherweise im Zimmer geirrt haben mochte, doch als er sich gerade für sein Eindringen entschuldigen wollte, bemerkte er ihre einladende Handbewegung, mit der sie ihn zum Bleiben aufforderte.

Sie hielt ihm eine Schale Wein hin.

»Setz dich bitte her zu mir, Fearr, und lass uns reden«, lud sie ihn mit sanfter Stimme ein. Er fühlte, wie ihr Zauber ihn umwob und ihn nahezu willenlos werden ließ. Und so ging er mit mechanischen Schritten zu ihr und setzte sich mit überkreuzten Beinen ihr gegenüber. Er beschloss, sich dem Traum, in dem er sich befinden musste, gänzlich hinzugeben.

Merkwürdigerweise war die bleierne Müdigkeit vollständig von ihm gewichen, im Gegenteil, seine Sinne waren hellwach, und er nahm seine Umwelt in einer geradezu euphorischen Intensität wahr, wie er es nur einmal, bei der Begegnung mit dem Eber, erlebt hatte.

Und dann begannen sie zu reden. Sie redeten von der Welt und den Göttern, vom Leben und von den Menschen. Sie fragte ihn vieles über sein bisheriges Leben, seine Erlebnisse, Gefühle und Empfindungen. Zu seinem eigenen Erstaunen musste er feststellen, wie weit sein Erinnerungsvermögen in die Kindheit zurückreichte, ja sogar bis zurück in das rotwarme Dunkel des Mutterleibes. Er erzählte ihr Dinge und Träume, die er bislang nie gewagt hätte, mit anderen zu teilen. Und er erzählte auch von dem Großen Eber – und dem Raubvogel, den er danach gesehen hatte. Wissend lächelte sie ihn an, während er von dieser Begebenheit berichtete, und strich ihm dann zärtlich über die Stirn.

»Cunlean und der schwarze Sänger haben Recht, Fearr«, sagte sie dann und schaute ihm intensiv in die Augen, wobei er regelrecht spürte, wie sein ganzes Ich zu ihr hinüberfloß und sich mit dem ihren zu einer pulsierenden Einheit verschmolz. »Ich bin eine Priesterin der Großen Mutter, und schon lange vor unserer Zeit wurde uns geweissagt, dass uns, wenn die Tage dunkel werden und der Adler sich gegen den Eber erhebt, ein Mann geboren würde, der die Kinder des Taran mit der Großen Mutter versöhnt und sie geeint gegen die Heere des Adlers führen wird. Du, Fearr Singetrech, wirst dieser Mann sein, dessen bin ich jetzt, nachdem ich so vieles von dir erfahren habe, sicher. Du bist in deiner Unschuld der süßen Versuchung Roms begegnet, aber du bist ihr nicht erlegen, was mir beweist, dass deine Wurzeln fest in der mütterlichen Erde ruhen. Ich bin die Inkarnation der Großen Mutter, und durch mich wirst du zum Mann geboren.«

Irgendwann waren die zuckenden Flammen in den Kohlebecken mit einer sich kräuselnden Rauchfahne verloschen. Nur das Feuer im Kamin flackerte und warf irisierende Schatten an die Wände.

Sie hatten schon eine geraume Weile in ihrem kontemplativen Schweigen verharrt, als Troucissa sein Gesicht mit einer unendlich zarten Geste zwischen ihre Hände nahm. Und sie fing sehr leise an zu singen. Sie sang das Lied der Eberesche, dem Baum des immer währenden Sommers, deren rote Beeren die Liebe und deren Blätter die vielfältige Hoffnung verkörperten. Ihr Kleid war ihr, während sie ihn streichelte, über die Schultern geglitten, und er sah den Ansatz ihrer vollen, weißen Brüste. Mit einer fließenden Bewegung hatte sie sich ihres Kleides vollends entledigt. Danach zog sie ihm gleichfalls das Hemd aus, was er in diesem Moment als völlig natürlich empfand und es ihr nicht wehrte. Bald knieten sie nackt auf dem Bett. Immer noch die zauberhafte Melodie summend, führte sie seinen Kopf zwischen ihre Brüste und wiegte ihn sanft wie einen Säugling. Dann legte sie ihre schlanken wohlgeformten Beine über seine Oberschenkel und verschränkte sie hinter seinen Hüften. Ihre duftenden Lippen näherten sich den seinen, und in dem Moment, wo sie sich trafen, spürte Fearr das fordernde Spiel ihrer Zunge, die sich schon bald ihren Weg zwischen seinen sich nur zögerlich öffnenden Lippen und Zähnen gebahnt hatte und nun begann, seine Zunge zu umtanzen. Gleichzeitig hatte sie sein Glied umfasst und es, mal leichter und mal kräftiger massierend, in ihrer Hand wachsen lassen. Dabei schaffte sie es virtuos, seine immer wieder durchbrechende Begierde zu zügeln, seine Erregung hingegen zu halten und, wenn nötig, zu steigern. Sie ließen sich Zeit, und Fearr lernte, seinen Höhepunkt hinauszuzögern und damit auf die Bedürfnisse der Frau einzugehen, die doch so unendlich vielschichtiger geartet seien als die des Mannes. Sie lehrte ihn, dass der Körper sowohl der Frau als auch der des Mannes der Lust dienlich sei, dass aber der Same des Mannes sich nur in den Schoß der zukünftigen Mutter eines gemeinsamen Kindes ergießen sollte. Ein wirklicher Mann, so sagte sie ihm, achte die Frau und das Geheimnis ihrer Gebärfähigkeit, die dem Manne versagt bliebe. Nur die Frau ist die Trägerin neuen Lebens. Die Lust hingegen, so sagte sie ihm, ist die sinnenerregende Fortsetzung eines Dialoges zwischen Mann und Frau, nur dass die Körper die Sprache ersetzen würden, sodass, jeder für sich, eine tiefe Befriedigung im Gemeinsamen erleben könne. Wenn aber beides zusammenkommen würde, die Lust wie auch der Wille zu neuem Leben, dann erst sollten zwei Menschen beginnen, die Verantwortung eines gemeinsamen und beschwerlichen Lebensweges zu übernehmen.

Sie zeigte ihm aber auch einfühlsam die mannigfaltigen Wege und Möglichkeiten auf, die ein Mann kennen sollte, um eine Frau körperlich zu befriedigen. Fearr erwies sich als ein gelehriger Schüler, denn auch Troucissa begann heftiger zu atmen und sich an seinen Lenden zu reiben.

Dann ließ sie sich mit einem Mal, Fearr dabei mit sich ziehend, ganz langsam nach hinten sinken. Sie klammerte ihre Schenkel um seine Hüften und presste ihre Lippen auf die seinen zu einem tiefen, nicht enden wollenden Kuss. Wie von selbst war er in sie gedrungen. Bewegungslos verharrten sie so eine kleine Unendlichkeit. Fearrs anfängliche zitternde Erregung war längst schon einer ihn bis zur letzten Nervenfaser durchdringenden, konzentrierten Beherrschtheit gewichen. Gleichzeitig fühlte er eine ungeheure, nie gekannte Kraft in sich aufkeimen, die sich ins Unendliche zu steigern schien.

Auf einmal begann sie sich unter ihm zu bewegen, erst ganz sanft kam sie ihm entgegen, dann immer fordernder. Beider Atem ging immer schneller, und ihr Stöhnen wandelte sich schon bald in ein rhythmisches Schreien. Plötzlich spürte er ein rot glühendes Brennen in seinen Lenden, welches sich mit quälender Langsamkeit die Wirbelsäule hinauf zu seinem Gehirn schraubte, wo es sich zu einem immer größer werdenden, roten Feuerball aufblähte ... Und dann explodierte der Feuerball unter gleißenden Blitzen, und Fearr wurde in ein dunkelrot waberndes Nichts katapultiert, in dem er schwerelos dahinschwebte. Doch er war nicht allein, denn vor ihm schälte sich die Gestalt Troucissas aus dem Nichts und verschmolz mit ihm zu einer Einheit. Er hörte ihre Stimme. »Fearr, Nichts bedingt das Alles, Gut bedingt Böse, das Weibliche beinhaltet das Männliche! Das ist das Gesetz des ewigen Rades. Ich bin die Große Mutter, aus der alles kommt und in die alles wieder eingehen wird! Ich werde immer bei dir sein, denn ich habe dich geboren!«

Im Kamin waren die letzten Flammen erloschen, und es war nur noch rote Glut.

Die letzten Tage der Kelten

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