Читать книгу Die letzten Tage der Kelten - Bernhard von Muecklich - Страница 12
Kapitel 7
ОглавлениеZwei Tage später befand sich die kleine Streitmacht auf dem Weg nach Magetobriga. Govanned trieb sie unerbittlich in Eilmärschen voran. Schon zu Beginn des Unternehmens hatte er ihnen gesagt, dass das kein Spaziergang werden würde und da die meisten von ihnen noch nie an einer Feldschlacht teilgenommen hätten, sollten sie sich vom ersten Tage an daran gewöhnen, Strapazen klaglos zu ertragen. Dies, so hatte er erklärt, könne man am besten dadurch erlernen, indem man schon auf dem Marsch den inneren Schweinehund überwände und weitermachen würde, selbst wenn man meinte, die Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit erreicht zu haben. Während der ersten Tage ließ er auch kaum rasten und wenn, dann nur kurz, damit die Männer ihre sowieso schon begrenzten Rationen an Essen und Trinken in sich hineinstopfen konnten. Jede Nachlässigkeit wurde von ihm auf das Strengste geahndet. Schlief ein zur Wache eingeteilter Mann ein, prügelte er ihn eigenhändig wach. »Zum Schlafen«, so hatte er sie bei einer solchen Gelegenheit angebrüllt, »findet ihr immer noch genügend Zeit im Grab! Aber wenn ihr diesen Krieg überleben wollt, dann müsst ihr eure Müdigkeit überwinden, denn der Gegner wird sicher ausgeschlafen sein! Gerade während des Marsches ist eine Truppe am verwundbarsten, also haltet gefälligst eure Augen offen, oder der Feind schließt sie euch für immer!« Mit solchen und ähnlichen Worten »ermunterte« er sie immer wieder, wenn er derartige Disziplinlosigkeiten bestrafte. Govanned selbst zeigte niemals auch nur eine Spur von Müdigkeit, die wenigen Minuten, in denen er während der kurzen Ruhepausen einnickte, schienen seine Kräfte genügend zu regenerieren. Oft simulierte er nächtens mit ein paar anderen einen angreifenden Feind, während er tagsüber die Truppe darin übte, eine geeignete, dem jeweiligen Gelände angepasste Kampfposition aus der Bewegung heraus einzunehmen. Er war überall präsent; mal ritt er mit den Reitern voraus, um das Terrain zu sondieren, mal ritt er am Schluss des Zuges, um säumige Nachzügler zum Aufschließen an die Truppe zu »bewegen«. So kamen sie schnell voran und erreichten, nachdem sie nahezu Tag und Nacht unterwegs waren, nach vier Tagen schon die Stelle, an der die Dubh in die Arar mündete. Diese befand sich einige Meilen nördlich der Stadt Cavillon, an der sie in den frühen Morgenstunden vorbeimarschiert waren. Gegen Mittag überquerten sie die Dubh an einer seichten Furt und befanden sich jetzt im Stammesgebiet der Sequaner. Das Aprilwetter war wechselhaft, und es begann gerade wieder zu regnen, was aber auf die Moral der Arverner keine besondere Wirkung mehr hatte; sie waren ohnedies schon völlig vom Flusswasser durchnässt worden. Im Gegenteil, der harte Drill Govanneds während der vergangenen Tage begann erste Früchte zu tragen. Einerseits zeigten sich die Männer mehr und mehr abgehärtet gegen die Qualen, die sie anfänglich während des Marsches erdulden mussten, wie auch die Unwillen des launischen Wetters, was sie so oft hatte murren und fluchen lassen, andererseits stieg ihre Stimmung durch die Erkenntnis, dass sie eine so lange Wegstrecke in einer doch relativ kurzen Zeit zurückgelegt hatten. Das erfüllte sie mit Stolz und ließ sie die Strapazen, die sie bis dahin durchlebt hatten, fast schon wieder vergessen. Außerdem fieberten sie förmlich der Begegnung mit dem Feind entgegen, dem sie nun mit jeder zurückgelegten Meile näher rückten. Die Tatsache, dass es sich bei diesem Feind um Germanen handelte, übte vor allem bei den jungen Kriegern, die noch nie an einer Schlacht teilgenommen hatten – und das war die Mehrzahl in Govanneds Schar –, eine magische Anziehungskraft aus. Sie kannten dieses Volk nur aus den Erzählungen der Alten, und wie oft hatten sie in ihrer Kindheit von ihren Eltern zu hören bekommen, dass, wenn sie nicht gehorchen würden, die schrecklichen Germanen kämen, um sie in ihre dunklen Wälder zu verschleppen. Schon deswegen wollten sie es ihnen jetzt heimzahlen, denn nun waren sie keine kleinen Kinder mehr und Angst hatten sie erst recht nicht mehr. Im Gegenteil, die Aussicht, sich mit diesem Schreckgespenst aus Kindertagen im Kampf messen zu können und dadurch zu besonderem Ruhm zu gelangen, ließ den Gedanken an den Tod, der in der Schlacht lauerte, schnell verfliegen.
Auch Fearr versuchte sich diesen als besonders gefährlich beschriebenen Feind in seiner Phantasie vorzustellen, und seine Erregung, ihm endlich gegenüberzustehen, wuchs von Meile zu Meile. Nur Lochtaire, der neben ihm ritt, starrte schon eine geraume Zeit ins Leere und wirkte verschlossen und in sich gekehrt. Irgendwann konnte Fearr nicht mehr an sich halten und stellte den Freund kurz entschlossen zur Rede.
»Würdest du die Güte haben, mir mitzuteilen, was du seit Tagen in dich hineinfrisst? Ich bin nicht erst seit gestern dein Freund und ich sehe es dir doch an, wenn dich etwas bedrückt. Komm, sprich mit mir, vertraue dich mir an!«
Eine Weile noch verharrte Lochtaire in seinem brütenden Schweigen, dann aber wandte er sich zu Fearr und sah ihn nachdenklich mit gerunzelter Stirn an.
»Na gut! Ich schäme mich meines Vaters!«, sagte er mit leiser Stimme. »Im Gegensatz zu ihm schätze ich nämlich die Bedrohung durch diese Nebelriesen als sehr viel ernster ein.«
»Und wie kommst du darauf?«
»Hast du schon jemals etwas von den Kimbern und Teutonen gehört?«
»Ja, aber das ist lange her! Cunlean erzählte einmal davon.«
»Nun, mein Großvater hat mir, als ich noch klein war, öfter von den Kimbern und Teutonen erzählt, die zu seiner Zeit auf ihrem Weg nach Süden einige Jahre kreuz und quer durch unser Land gezogen sind.«
»Aber die Teutonen waren doch Kelten, so jedenfalls lehrte es mich Cunlean«, wurde er von Fearr unterbrochen.
»Ja, schon, wenigstens zum größten Teil. Aber eben nicht die Kimbern. Deren Heimat war die neblige Küste des kalten Nordmeeres. Wahre Hünen sollen das gewesen sein und noch wilder im Kampf, als man es uns gewöhnlich nachsagt. Auf jeden Fall sind sie zunächst den Rhoiden entlang in das Gebiet der Allobroger und Vocontier gezogen, welches, wie du weißt, schon seit langem zum römischen Reich gehört. Als sie dort siedeln wollten, haben ihnen die Römer jedoch die Landnahme verweigert und ihnen den Krieg erklärt. Nachdem die Germanen dann so ziemlich jede Legion, die gegen sie gesandt wurde, vernichtet hatten, zogen sie wieder nach Norden und begannen ein paar Jahre scheinbar ziellos unser schönes Land zu durchstreifen. Nicht dass es dabei zu größeren Auseinandersetzungen mit unseren Stämmen kam, nein, sie waren einfach nur lästig, da die Landstriche, auf denen sie sich immer nur kurzfristig häuslich eingerichtet hatten, danach völlig kahl gefressen waren. Aber dann sind sie plötzlich doch wieder gen Süden gewandert und erneut in die römische Provinz eingefallen, wobei sie sich wohl geteilt haben mussten, denn während die Teutonen im Gebiet der Salyer zurückgeblieben waren, zogen die Kimbern weit in den Norden Italiens ein. Wieder verweigerte Rom ihnen den Verbleib in ihrem Land und schickte Truppen gegen die unheimlichen Barbaren. Und wieder wurden diese Truppen restlos vernichtet. Bis dann ein Konsul, ein gewisser Marius, den Oberbefehl bekam, neue Legionen aushob – die Götter wissen, woher er sie noch bekam – und sich den beiden Stämmen nacheinander in den Weg stellte. So konnte er zuerst die Kimbern bei Vercailla, wo immer das sein mag, und danach die Teutonen bei Aquae Sextiae, das liegt im Salyergau, so vernichtend schlagen, dass wohl keiner von ihnen je die Heimat wieder gesehen hat.«
»Immerhin zeigt das aber doch, dass die Germanen zu besiegen sind! Deshalb verstehe ich deine Sorgen, mit Verlaub gesagt, noch weniger. Willst du mir etwa damit sagen, dass die Sueben im Gegensatz zu ihren unglücklichen Brüdern nicht zu besiegen seien?«
»Fearr, natürlich sind auch sie zu besiegen, aber wie ich schon gesagt habe, hatten die Römer dazu Jahre gebraucht und dabei nahezu all ihre wehrfähigen Männer verloren.«
»Willst du damit andeuten, dass die Römer stärker seien als wir?«, fragte Fearr entrüstet.
»Nein, Fearr, stärker als wir sind sie nicht, aber wesentlich besser organisiert. Ich hatte einmal die Gelegenheit, sie kämpfen zu sehen. Es war vor etwa knapp drei Jahren in Vienna, und die Allobroger versuchten gerade wieder einmal, sich von ihrem Joch zu befreien. Als die Legion dann eisenklirrend heranmarschierte, bekam selbst ich Angst! In dicht gestaffelten Kadern kamen sie, Schild an Schild, alles niederwalzend, was sich ihnen in den Weg stellte! Nein, die kämpfen völlig anders, als wir es gewohnt sind! Außerdem sind es Berufssoldaten mit eiserner Disziplin und langjähriger Ausbildung. Die Stärke unserer Stämme ist der Mut, aber großes Durchhaltevermögen ist ihnen nicht gegeben.«
Fearr konnte sich zwar nichts Genaues unter einem Berufssoldaten vorstellen, aber die Erklärung dafür konnte zunächst warten. Viel brennender interessierte ihn der Grund, weshalb Lochtaire die Sueben als so gefährlich einschätzte, denn das hatte dieser bislang noch nicht deutlich machen können.
»Ja, was hat das nun mit den Sueben und uns zu tun, das ist mir immer noch nicht ganz klar geworden?«
»Wieso hörst du mir eigentlich nicht richtig zu?«, fragte Lochtaire seinen Freund nun ein wenig gereizt. »Weshalb, glaubst du, habe ich dir die Geschichte der Kimbern und Teutonen erzählt, he? Erkennst du nicht, dass wir mit einer ähnlichen Situation, wie sie sich damals den Römern darstellte, konfrontiert werden? Allerdings mit zwei entscheidenden Unterschieden. Erstens kommen die Sueben nicht als Bittsteller in unser Land, wie seinerzeit ihre unbedarften nördlichen Vettern, sondern als zu allem entschlossene Eroberer, die genau wissen, was sie wollen, und zweitens habe ich nicht gesagt, dass diese Germanen nicht weniger diszipliniert in der Schlacht kämpfen würden, als wie ich es dir von den Römern berichtet habe. Du scheinst das nicht begriffen zu haben: Marius hatte damals nur deshalb den Sieg davontragen können, weil er zunächst aus den zahllosen Niederlagen gelernt hat und das Durchhaltevermögen seiner Soldaten an das seiner Gegner anglich und dann auch noch das große Glück hatte, dass die Kimbern sich von den Teutonen getrennt hatten und so ihre Kampfkraft entscheidend geschwächt worden war. Nein, Fearr, glaube ja nicht, dass der Suebe ein leichter Gegner für uns sein wird! Bei denen, so sagt man, werden schon die Kinder mit der Waffe in der Hand geboren, und was sie sich einmal genommen haben, dass halten sie eisern fest. Unsere Clans hingegen können großen Mut in der Schlacht zeigen und kämpfen wie rasende Wildkatzen, aber das hält nur kurz an, denn dann sind die Kräfte erschöpft und die Lust am Kämpfen verflogen. Sieger ist dann gewöhnlich derjenige, dessen Kräfte am zweitschnellsten erlahmen. Die Germanen hingegen – wie übrigens auch die Römer – pflegen uns in aller Ruhe an ihren Schildmauern unsere Kräfte austoben zu lassen, um uns dann, wenn unseren Kriegern die Puste ausgegangen ist, in aller Seelenruhe abzustechen. Und deshalb, mein Freund, fürchte ich, dass dieses Abenteuer unser letztes werden könnte.«
»Wie kamen die Sueben eigentlich dazu, in das Gebiet der Sequaner einzufallen?«, fragte Fearr, schon wesentlich kleinlauter geworden.
»Also an diesem unerfreulichen Zustand sind paradoxerweise die Sequaner selber schuld«, antwortete Lochtaire und lachte dabei kurz und bösartig auf. »Kurz bevor wir aufgebrochen sind, hat mir mein Vater nämlich seine persönliche Meinung über diese Invasion kundgetan. Wie du weißt, haben und hatten die Sequaner immer schon irgendwelche Händel mit ihren Nachbarn. Vor rund zehn Jahren sind sie dann auf die Idee gekommen, die Sueben um Waffenhilfe gegen die Leuker zu ersuchen, wohl weil sie nach allem, was sie sich mit den Clans aus ihrer näheren Umgebung geleistet haben, keinen anderen Dummen haben finden können. Den Sueben kam das sehr entgegen, hatten sie doch nun einen triftigen Grund, doch einmal bei ihren Nachbarn auf der anderen Rheinseite vorbeizuschauen. Aber es blieb nicht bei dem einen Mal. Die Sequaner, von dem ersten Erfolg sichtlich angetan, luden die Germanen nun immer öfter zu solchen kleinen Kriegszügen ein, und dabei werden sie zunehmend Geschmack an unserer Lebensart gefunden haben. Kurz, ich glaube, dass Herzog Ariovist, der offenbar ein sehr pragmatisch denkender Mann sein muss, den Sueben geraten hat, die ewigen Rheinübergänge lästig zu finden, wo es doch so viel praktischer für alle Beteiligten ist, wenn man sich gleich in direkter Nachbarschaft mit seinen Schutzbefohlenen befände. Und weil es bei uns so schön ist, wird er diese Idee auch bei den mit den Sueben befreundeten Stämmen erfolgreich verbreitet haben, und nun sind sie mit ihren Familien und all ihrem Hab und Gut ein letztes Mal über den Rhein gezogen, um bei uns eine neue Heimat zu finden. Da das Gebiet der Sequaner aber naturgegeben viel zu klein für so viele Menschen ist, werden sie sich kurz entschlossen haben, sich nicht mit langwierigen Kleinkriegen und Verhandlungen aufzuhalten, sondern gleich das ganze Keltenland für sich zu erobern. Und weil Herzog Ariovist dazu noch ein weitsichtiger Mann ist, hat er sich für dieses hohe Ziel zunächst einmal mit seinen späteren Nachbarn, den Römern, verbündet und von ihnen den Titel ›Freund des römischen Volkes‹ erhalten. Du siehst Fearr, die Germanen machen keine halben Sachen, und deswegen glaube ich, dass unsere Erfolgsaussichten für diese Auseinandersetzung ziemlich dürftig sein werden. Die Wölfe werden den Eber hetzen!«
Fearr zuckte bei der letzten Bemerkung seines Freundes unmerklich zusammen, erwiderte aber zunächst nichts darauf. Eine Weile noch ritten sie so nebeneinander her und hingen schweigend ihren Gedanken nach.
An diesem Tag ließ Govanned zur allgemeinen Überraschung schon früh am Nachmittag einen geeigneten Lagerplatz an der Arar suchen, damit die Männer sich nach den Gewaltmärschen der letzten Tage einmal richtig ausruhen könnten. Es lagen nur noch knapp zwei Tagesmärsche nach Vesontio vor ihnen und Govanned war mit den Leistungen seinen Krieger sehr zufrieden, sodass er ihnen diese Ruhepause gerne gönnte. Außerdem wollte er vermeiden, mit einer erschöpften Truppe vor dem Feind zu erscheinen.
Bald war ein geeigneter Platz in Ufernähe gefunden, und die Männer begannen, das Lager für die Nacht herzurichten. Ein Trupp Reiter wurde in den nahen Wald geschickt, um etwas für das Abendessen zu erjagen. Wieder andere machten sich zu Fuß in dieselbe Richtung auf, um Feuerholz zu sammeln. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen, und hie und da ließ sich sogar die Nachmittagssonne sehen. Nachdem zunächst die Pferde mit Wasser und Hafer versorgt worden waren, wurden die Feuer entfacht, und die Männer hängten ihre nasse, klamme Kleidung, nachdem sie sie im Fluss gründlich ausgewaschen hatten, davor zum Trocknen auf. Danach sprangen sie, die eisige Kälte des Wassers nicht achtend, selber in den träge dahinfließenden, klaren Fluss, der an dieser Stelle auch nicht besonders tief war, um sich ausgiebig von dem Schweiß und dem Dreck der letzten Tage zu befreien. Alle waren dankbar für die lang ersehnte Rast, und es herrschte eine ausgelassen fröhliche Stimmung. Als gegen Abend die Jäger wieder mit reicher Beute ins Lager kamen, wurden sie mit großem Hallo begrüßt, und die Stimmung der Männer erreichte einen ersten Höhepunkt, als sie sahen, dass die Strecke von acht Wildschweinen durch ein paar Rehe und etliche Hasen komplettiert wurde, was die nächtliche Speisefolge zumindest nicht langweilig aussehen ließ. Es dauerte dann auch nicht mehr lange, da stieg allen der verlockende Duft gebratenen Wildbrets in die Nase, und das Glücksgefühl der Männer stieg ins Unermessliche, als Govanned ihnen auch noch erlaubte, zwei der auf dem Fouragekarren mitgeführten Fässer mit Korma zu öffnen. Er ermahnte sie noch, nicht zu viel davon zu trinken, damit sie morgen ausgeschlafen und mit klarem Kopf den Weitermarsch antreten könnten, dann teilte er die Nachtwachen ein und machte einen Rundgang durch das Lager. An jedem Feuer nahm er eine Weile Platz, aß und sprach mit seinen Schützlingen, ermunterte sie, wenn es notwendig war, und nahm wie selbstverständlich an ihren bisweilen derben Späßen teil. Auch Fearr saß mit Lochtaire um eine der Feuerstellen und nagte lustlos an einer Wildschweinrippe. Die Rollen schienen vertauscht zu sein: Während Lochtaire fröhlich dem saftigen Braten zusprach und unablässig deftige Anekdoten und Witze zum Besten gab, wirkte Fearr verschlossen und abweisend. Seit diesem Gespräch vorhin war ihm eine Menge durch den Kopf gegangen, und er spürte eine unerklärliche Nervosität in sich aufsteigen, die mehr und mehr Besitz von ihm nahm. Irgendwann stand er wortlos auf und suchte seinen Schlafplatz auf, den er sich etwas abseits von den Feuern ausgesucht hatte. Er rollte sich in sein Plaid ein und starrte, auf dem Rücken liegend, zum sternenklaren Nachthimmel. Eine Flut von Fragen und Empfindungen durchraste sein Gehirn und sein Körper war wie gelähmt.
»Die Wölfe hetzen den Eber!« Da war es wieder! Die Worte Cunleans drangen in sein Ohr und auch die des schwarzen Sängers. Jetzt begann alles, was er bisher erfahren und erlebt hatte, einen tieferen Sinn zu bekommen und sich zu einer Schrecken erregenden Vision zu verdichten.
Die Germanen im Norden – die Römer im Süden! Beide Völker waren hoch gerüstet, streng diszipliniert und hoch motiviert. Dazwischen sein eigenes Volk – die Kelten, aufgesplittert in zahllose untereinander heillos zerstrittene Clans.
Seine strudelnde Erinnerung versetzte ihn mit einem Mal in die Schmiede des alten Adderic in Gergovia, in der er so viele Stunden verbracht hatte, um dem Meister bei der Kunst des Schwertfegens zuzuschauen. Das war es! Sein Volk war das glühende, nach allen Seiten Funken sprühende Stück Eisen, welches zwischen dem germanischen Hammer und dem römischen Amboss schwebte. Wenn das Werkstück richtig geführt und bearbeitet wurde, konnte ein scharfes Schwert entstehen. Wenn aber nicht, dann wurde das verdorbene Metall entweder eingeschmolzen oder, wenn es durch die Schläge und eine übermäßige Hitze porös geworden war, einfach weggeworfen. Fearr erkannte in diesem Moment in seltener Klarheit, dass die Auseinandersetzung mit den germanischen Wölfen einerseits und mit den römischen Adlern andererseits unausweichlich sein würde und das künftige Schicksal der Kelten nachhaltig bestimmen sollte. Hielten die Kinder Tarans den Schlägen stand, würden sie zu einer starken Nation zusammengeschmiedet werden, so nicht, würden sie namenlos dem Untergang anheim fallen. Er beschloss deshalb, sich viel mehr Wissen über die beiden fremden Völker anzueignen; dabei wurde ihm schmerzlich bewusst, dass es auch noch vieles über sein eigenes Volk für ihn zu lernen gab. Irgendwann jedoch übermannte ihn ein gnädiger, traumloser Schlaf.