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Kapitel 6

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Das Gelage im Hause Celtealls hatte seinen Höhepunkt schon längst überschritten, als Verbrol in die Halle geführt wurde. Er hatte einen scharfen Ritt hinter sich und hatte seit zwei Tagen und Nächten keinen Schlaf gehabt. Aber müde war er auch nicht, sondern befand sich in jenem hellwachen Zustand, der sich immer dann einstellt, wenn dem Körper über längere Zeit hinweg der Schlaf entzogen wird. So nahm er das, was um ihn herum geschah, mit einer fast schon schmerzhaften Überdeutlichkeit wahr.

Nicht wenige der Zechenden lagen schon schnarchend unter den Tischen oder mit dem Kopf in den Essensresten auf der Tischplatte. Zwei spärlich bekleidete Mädchen tanzten in tranceartiger Entrückung mit lasziven Bewegungen zu den aufpeitschenden Rhythmen der Flöten und Harfen. Selbstvergessen und ekstatisch bewegten sie sich und schienen nicht zu bemerken, dass raue Männerhände nach ihren Brüsten und Schenkeln griffen. Aus den weniger beleuchteten Ecken des rauchgeschwängerten Saales drangen die eindeutigen Geräusche körperlicher Liebe an Verbrols Ohr. Das Stöhnen und die halb erstickten Seufzer ließen unschwer vermuten, dass sich einige Männer und Mädchen, die vielleicht vorhin noch züchtig beisammen saßen, sich nun für das flüchtige Vergnügen einer Nacht gefunden hatten. In seine Nase drangen die streng riechenden Ausdünstungen der völlig überfüllten Halle, ein Gemisch aus Rauch, Schweiß, vergossener Korma und dem süßlich-sauren Geruch von Erbrochenem.

Dann stand er vor Celteall.

Neben ihm saßen – oder lagen – die Edlen der Arverner, unter ihnen Govanned, Fearr und Lochtaire. Govanned erzählte gerade lallend und lautstark von den Reizen einer unbekannten Schönen, dabei merkte er gar nicht, dass er einen Monolog hielt, denn sein Gegenüber schlief schon längst selig vor sich hin.

Auch Fearr und Lochtaire waren vom eifrigen Trinken ziemlich angeschlagen und starrten nunmehr dumpf in ihre Becher.

In seiner wachen Nüchternheit fühlte sich Verbrol ein wenig fehl am Platz.

Die Wache, die Verbrol hereingeführt hatte, ging zu Celteall und flüsterte ihm ins Ohr, dass ein haeduischer Bote eingetroffen sei.

Jetzt erst schien Celteall Verbrol wahrzunehmen. Er erhob sich leicht schwankend aus seinem Sessel und stierte den unverhofften Gast aus zusammengekniffenen, rot unterlaufenen Augen an. Ein Diener reichte Verbrol ein mit Silber beschlagenes Trinkhorn, welches mit schäumender Korma gefüllt war.

»Stärke dich, mein haeduischer Freund, und sei mir willkommen!«, begrüßte Celteall ihn mit schwerer Zunge. Darauf ließ er sich wieder mit einem lauten Rülpsen in seine Kissen fallen. »Was bringst du uns so Wichtiges aus Bebracht, was nicht bis morgen warten könnte, hm?«

Verbrol schaute sich um und zögerte sichtlich mit der Antwort. »Na, nun, du kannst frei sprechen!«, ermunterte Celteall den Haeduer. »Es gibt niemanden hier, der deine Botschaft nicht hören sollte.« Celteall schaute sich stirnrunzelnd um. »Wenn er noch hören kann!«, fügte er, den Zustand der meisten seiner Gäste bemerkend, hinzu.

Verbrol räusperte sich kurz und berichtete dann mit leiser Stimme in knapper Form, was ihm aufgetragen wurde.

Noch während er sprach, bemerkte er, dass die, die ihm zuhörten, bei jedem seiner Worte aufmerksamer wurden.

Am Ende seines Berichtes waren sie dann vollends nüchtern geworden, und Verbrol stellte besorgte Betroffenheit in ihren Blicken fest, die sie untereinander wechselten.

Lochtaire scheuchte ein Mädchen, welches ziemlich angetrunken war und sich gerade mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß setzen wollte, mit einem derben Klaps auf ihr strammes Hinterteil davon.

Fearr lugte zu seinem Vater. Der zwirbelte sichtlich nervös an seinem Bart und hielt die Augen geschlossen, als ob er das soeben Gehörte noch einmal an seinem Innersten vorbeiziehen lassen würde.

Unterdessen hatten auch die Musiker ihr Spiel unterbrochen und blickten mit den wenigen anderen im Saale, die noch einigermaßen bei Bewusstsein waren, gespannt zu Celteall. Die meisten von ihnen wussten zwar nicht, um was es eigentlich ging, aber sie hatten gleichwohl die Veränderung im Verhalten ihres Gastgebers registriert.

Celteall erhob sich langsam und ließ seinen Blick in der Runde schweifen. Als er jedoch feststellte, dass die meisten der Zecher sich schon weitab jedweder Aufnahmefähigkeit befanden, verzichtete er darauf, einige erklärende Worte zu den Anwesenden zu sprechen.

Stattdessen machte er nur eine wegwerfende Handbewegung und schüttelte seinen Kopf.

»Ach, feiert nur schön weiter und lasst euch nicht stören! Aber gleich morgen tritt der Rat zusammen, und ich will, dass alle daran teilnehmen!«, befahl er noch, dann setzte er sich wieder resigniert und versank in ein dumpfes Brüten. Aber noch in derselben Stunde wurden Schnellboten zu allen Klientelstämmen der Arverner gesandt, um die Clanchefs zum Kriegsrat nach Gergovia einzuberufen.

Im Saal hatte die Musik zaghaft ihr Spiel wieder aufgenommen, aber die bis dahin ausgelassene Stimmung wollte sich nicht mehr einstellen. Diejenigen, die dazu noch in der Lage waren, rätselten und debattierten lautstark über das, was sie meinten mitbekommen zu haben, der Rest betrank sich vollends. Auch Fearr und Lochtaire bestürmten Celteall mit allen möglichen Fragen, die sich auf den Inhalt der Botschaft und die möglichen Konsequenzen, die sich daraus für die Arverner ergaben, bezogen. Doch Celteall hüllte sich weiterhin in Schweigen, sodass sie es bald aufgaben, in ihn zu dringen. In dem sicheren Bewusstsein, bald an einem Kriegszug teilnehmen zu können, begaben die beiden Freunde sich irgendwann in der Nacht in ihre Betten und versanken in einen unruhigen Schlaf.

Schon früh am Morgen des nächsten Tages trafen die Clanherren der Arverner im Hause Celtealls ein. Sie waren zwar alle wieder einigermaßen nüchtern, aber bei manchen hatte der gestrige Tag seine Spuren hinterlassen. Auch Fearrs Schädel brummte noch heftig. Als sich alle versammelt hatten und Celteall den Kriegsrat feierlich eröffnet hatte, bat man Verbrol, seine Botschaft noch einmal zu wiederholen. Danach setzte eine hitzige Diskussion über das Für und Wider einer militärischen Teilnahme der arvernischen Stämme an einem Krieg gegen die Sueben ein. Während die Arverner selbst für eine direkte Unterstützung der Haeduer waren – Celteall hatte erst vor kurzem einen Beistandspakt mit Dumnorech geschlossen –, waren es vor allem die Gabaler und Kadurker, die vehement dagegen plädierten.

Da ergriff auf einmal Donnotal das Wort, der Vater Lochtaires und Fürst der Kadurker. Donnotal war ein stämmiger, großer Mann, dessen weingerötetes Gesicht in auffallendem Kontrast zu seinem kurz geschnittenen, schlohweißen Haupt- und Barthaar stand. Er genoss den Ruf eines besonnenen und äußerst tapferen Gefolgsmannes Celtealls, dessen Meinung deshalb von einigem Gewicht im Rate war.

»Ruhe!«, donnerte sein volltönender Bass. »Ruhe, und hört mir zu, ihr alle! Es nutzt keinem etwas, wenn wir unsere Zeit damit vertrödeln, uns gegenseitig entweder der vermeintlichen Feigheit oder der Kriegstreiberei zu bezichtigen. Viele Argumente für und wider einen Krieg gegen die Sueben sind heute schon vorgetragen worden, und es gibt auf beiden Seiten ernst zu nehmende Gründe, die gut abgewogen sein wollen. Fassen wir doch einmal zusammen. Die einen sagen – und dazu zählen auch die Kadurker, die ich zu vertreten habe und denen man bislang keinen Mangel an ihrer Lehenstreue nachsagen konnte –, dass es gerade jetzt in der Saatzeit unklug wäre, weit entfernt von der Heimat mit einem in meinen Augen recht zweifelhaften Verbündeten gegen einen Feind zu kämpfen, dessen genaue Stärken und Absichten doch weitgehend unbekannt sind. Ein Feind«, fuhr er dann mit eindringlicher Stimme fort, »der uns im Übrigen noch nie behelligt hat!«

»Ein Feind, der uns aber in allernächster Zukunft durchaus behelligen könnte, wenn nur ein Bruchteil von dem, was uns Dumnorech übermitteln ließ, zutreffen würde«, höhnte Govanned dazwischen, der sich schon von Anfang an zum Wortführer derer gemacht hatte, die den Krieg wollten und ihm jetzt auf diesen Einwurf hin lautstark Beifall zollten.

Donnotal hingegen überging in aller Ruhe diese Unhöflichkeit und setzte gelassen seine Rede fort.

»Die anderen hingegen, zu denen, wie wir gerade deutlich vernommen haben, gerade die jungen Krieger aus Celtealls Clan gehören, berufen sich auf das Waffenbündnis mit den Haeduern und auf die zweifellos bestehende Gefahr einer groß angelegten Invasion der Germanen. Ich sage nun, dass beide Recht haben. Meine Meinung, die mich die Zustimmung für diesen Feldzug verweigern lässt, wird gebildet von der doch eher kargen Information über die tatsächliche Lage. Auch wir sind ja willens, sofort für unsere Freiheit zum Schwert zu greifen, wenn es notwendig wäre, aber dafür müssten wir schon viel mehr über unseren Gegner wissen.«

»Dann rede nicht so viel, sondern mach deinem Ruf Ehre und komme alleine mit uns nach Magetobriga, wenn dein Clan es vorzieht, Rüben zu säen. Dort magst du dann entscheiden, ob du kämpfen willst wie ein Krieger oder lieber wieder zurück zu deinen Bauern reiten willst, um mit ihnen Schweine zu mästen!«, rief Kritognat, ein noch junger arvernischer Heerführer, unbeherrscht dazwischen. Daraufhin zogen einige der gabalischen und kadurkischen Barone zornentbrannt ihre Schwerter und wollten sich auf die um Govanned stehenden Arverner stürzen, die nun ebenfalls blankgezogen hatten und die Stimmung mit wütenden Schmährufen noch mehr anheizten. Es wäre wohl zu einem Blutbad zwischen den Männern gekommen und damit zu einem irreparablen Bruch des arvernischen Stammesverbands, wenn nicht in diesem Moment Celteall, der bislang schweigend den Verlauf der Debatte von seinem Hochsitz aus verfolgt hatte, beherzt mit gezogenem Schwert zwischen die Streitenden getreten wäre. Im gleichen Moment stellte sich auch Donnotal mit ausgebreiteten Armen vor seine Männer. »Auseinander, sage ich! Los, steckt eure Schwerter weg, und zwar alle, sonst, bei Lug, lasse ich meine Wache kommen, und dann könnt ihr euer Mütchen im Kerker kühlen, indem ihr mit euren Hitzköpfen gegen die feuchten, kühlen Mauern rennt! Seit wann dürft ihr die Gesetze des Rates verletzen? Nicht genug, dass ein junger Gockel mit seinem Gekrähe den Älteren in seiner Rede unterbricht, nein, ihr wagt es auch noch, in meinem Haus und während des heiligen Rates die Schwerter gegeneinander zu ziehen!«, brüllte Celteall mit zorngerötetem Gesicht. Die Drohung und die imposante Gestalt des Arvernerfürsten zeigten fast auf der Stelle ihre Wirkung. Kleinlaut wurden die Schwerter wieder in ihre Scheiden geschoben. Fearr und Lochtaire, die an dem Kriegsrat nur als Zuschauer teilnehmen durften – sie waren offiziell noch nicht ratsmündig – und die Eskalation des Zwistes bleich und wie gelähmt miterlebt hatten, atmeten nun erleichtert auf und gaben sich die Hand.

»Stell dir vor, wir müssten unsere Freundschaft wegen ein paar unbesonnener Worte begraben und uns, nur weil einige ihr Recht unbedingt mit Blut verteidigen wollten, irgendwann auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen? Lochtaire, deine Freundschaft ist mit das Wichtigste in meinem Leben geworden, und ich wünsche mir nichts mehr, als dass sie mir erhalten bleibt!«, sagte Fearr ernst.

»Worauf du Gift nehmen kannst! Du wirst mich nicht mehr los, das schwöre ich dir! Aber ich schwöre dir auch, dass das nicht immer angenehm sein wird für dich, mein Freund!«, lachte Lochtaire, und erleichtert wandten sie sich wieder dem Geschehen zu. Mittlerweile hatten die Streithähne wieder ihre Plätze um die Tafel eingenommen, und so mancher saß mit schuldbewusst gesenktem Kopf da. Aber es flog doch noch so mancher böse Blick quer über den Tisch.

»Ich will versuchen, das, was sich soeben in dieser Halle abgespielt hat, zu vergessen, und ich halte es eurer unerfahrenen Jugend zugute, dass ihr euch zu diesem Frevel habt übermannen lassen!«, sagte Celteall mühsam beherrscht. »Dankt den Göttern, dass kein Blut geflossen ist! Und dankt Donnotal und mir, dass wir eingegriffen haben! Wer seid ihr schon? Kritognat und ihr anderen jungen Heißsporne – habt ihr je in einer richtigen Schlacht gekämpft, he? Nein! Außer bei euren lächerlichen Zweikämpfen und vielleicht in den Betten eurer Dirnen habt ihr euch noch nicht als große Helden erwiesen! Und von dir, Govanned, der du schlachterfahren bist, von dir hätte ich ein solches Verhalten am wenigsten erwartet! Anstatt diese Herrchen hier in ihrem Übermut zu zügeln, unterstützt du ihre blinde Arroganz auch noch! Also, ich will, dass ihr euch alle, auch du, mein Bruder, bei Donnotal für eure Unverschämtheit entschuldigt! Was dich und deine Leute betrifft, Senno«, und dabei wandte er sich an den jungen Gabalerfürsten, »so fällt es mir ziemlich schwer, meinen Männern zu befehlen, sich bei euch zu entschuldigen, denn du hast, anstatt Besonnenheit zu zeigen, als Erster zum Schwert gegriffen. Aber sei gewiss, dein Vater wird es erfahren, und dann, lieber Neffe, mögen dir die Götter beistehen.« Senno sank bei diesen Worten förmlich in sich zusammen, denn er wusste nur zu gut, was ihm blühte, wenn sein Vater Mortuach, der Bruder von Camariacha, Celtealls Frau, davon erfahren würde. Durch eine Krankheit ans Bett gefesselt, hatte Mortuach seinen Sohn gebeten, an seiner statt der Einladung seines Schwagers zu dem großen Fest zu folgen, und so hatte Senno wie selbstverständlich auch seines Vaters Platz im Rate eingenommen.

»Ich bin dir dankbar, Celteall, für deine Bemühungen, dass hier kein Blut vergossen wurde, und für deine Worte des Friedens!«, erwiderte Donnotal herzlich. »Aber auch ich möchte mich für das ungebührliche Verhalten meiner Männer in deiner Halle entschuldigen. Hinzu kommt, dass ich trotz allem ein gewisses Verständnis gerade für die habe, die zum Kriege drängen. Auch wir waren einst jung, Celteall, und begierig, unsere Tapferkeit in der Schlacht unter Beweis zu stellen. Es ist schon lange her, dass unsere Stämme Krieg geführt haben, und so ist es nur verständlich, dass unsere jungen Krieger danach lechzen, ihre Schwerter im Kampf zum Ruhme der Arverner zu erproben. Vielleicht habe ich das vorhin bei meinen Ausführungen nicht bedacht. Ich schlage deshalb also vor, dass eine kleine, schlagkräftige Truppe, bestehend aus Kriegern, die sich freiwillig dazu gemeldet haben, nach Magetobriga aufbricht, um sich dort vor Ort einen Eindruck von der Lage zu verschaffen. Sollte es sich wirklich um eine Invasion in den von Dumnorech geschilderten Ausmaßen handeln, könnten wir immer noch kurzfristig unsere gesamte Streitmacht zu den Sequanern entsenden. Ich selbst werde hundert ausgewählte Leute stellen, die von meinem Sohn Lochtaire angeführt werden.«

Nach einem Moment verblüfften Schweigens schlugen alle Versammelten zustimmend und begeistert auf die Tische. Donnotal hatte mit seiner Rede, wie so oft schon in der Vergangenheit, die erhitzten Gemüter beruhigt und einen gangbaren Kompromiss gefunden. So war beiden Seiten gedient, und keiner hatte letztendlich das Gesicht verloren. Fearr bemerkte nur, dass Donnotal seinem Vater verstohlen zuzwinkerte, was in der allgemeinen Euphorie jedoch von keinem wahrgenommen wurde.

Nach einer kurzen Diskussion, die die genaue Anzahl an Männern und die Organisation des aufzustellenden Expeditionscorps zum Thema hatte, wurde einmütig beschlossen, dass die Truppe so bald als möglich, das hieß in spätestens zwei Tagen unter der Führung Govanneds gen Magetobriga aufbrechen sollte, insgesamt dreihundert Mann, davon hundert zu Pferde.

Fearr wurde ebenfalls dazu eingeteilt – er sollte die arvernischen Reiter befehligen.

Es war sein erstes Kommando – und sein erster Krieg.

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