Читать книгу Völkerrecht - Bernhard Kempen - Страница 36

3. Die de minimis-Schwelle (Offenkundigkeit)

Оглавление

Da Rechtsfragen der Anwendung zwischenstaatlicher Gewalt stets politisch hochsensibel und oftmals nicht zweifelsfrei einzuordnen sind, sollte nicht jede völkerrechtswidrige Gewaltanwendung zugleich schon ein Aggressionsverbrechen darstellen. Art. 8 bis Abs. 1 führt deshalb zusätzlich eine sog. Schwellenklausel („threshold clause“) ein: Ein völkerrechtswidriger Akt der Aggression ist im Rahmen des IStGH-Statuts nur strafbar, wenn die Gewaltanwendung aufgrund ihres Charakters, ihrer Schwere und ihres Ausmaßes eine offenkundige („manifest“), also objektiv evidente Verletzung der UN-Charta darstellt. Diese sog. de minimis-Schwelle soll für die Zwecke des IStGH-Statuts die strafrechtliche Relevanz von Aggressionsakten unterhalb einer noch unbestimmten Bagatellschwelle (z. B. vereinzelte Grenzscharmützel, sporadische Gewaltakte) verneinen.

Was könnte z. B. den Charakter der Gewaltanwendung ausmachen? Das Element ist zumindest geeignet, auch die Zwecke der Gewaltanwendung mit zu bewerten: Diente die grenzüberschreitende Waffengewalt z. B. dazu, in einem anderen Staat Völkermord oder andere systematisch durchgeführte internationale Verbrechen (z. B. durch eine → humanitäre Intervention) zu verhindern, könnte man zu der Überzeugung gelangen, dies sei im Lichte der Ziele und Aufgaben der Vereinten Nationen ihrem Charakter nach keine offenkundige und somit strafrechtsrelevante Verletzung der Charta; ebenso könnte dies bei einer unmittelbaren Bedrohung durch einen anderen Staat gesehen werden (unter den Stichworten Präemption und Prävention diskutiert). Die zwischen den Vertragsstaaten auch in Kampala verabschiedeten „understandings“ bestätigen ebenso wie schon der Wortlaut der Regelung („und“), dass die Aggression im Lichte aller drei Komponenten eine offenkundige Charta-Verletzung darstellen muss. Die Elemente der Schwellenklausel müssen also kumulativ vorliegen. Eine offenkundige UN-Charta-Verletzung und damit die mögliche Strafbarkeit für einen aggressiven Staatenakt ist folglich bereits dann nicht mehr gegeben, wenn eine beachtliche wissenschaftliche Minderheit Rechtfertigungsgründe für ihn vorträgt. Die Schwellenklausel enthält damit erhebliche Interpretationsspielräume, die zu einer großen Ungenauigkeit führen; auch dies ist ein Umstand, der dem Erfordernis des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes nicht entspricht.

Völkerrecht

Подняться наверх