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À LA PARISIENNE

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WIE PAULA ZUM ERSTEN MAL FRANZÖSISCH FRÜHSTÜCKT

Paula konnte sich kaum daran erinnern, jemals so ein Glücksgefühl gehabt zu haben. Voller Energie und mit bester Laune stieg sie am Morgen aus dem Bett: Sie war in der Welt der Mode angekommen, in der Welt des Stils, des savoir-vivre – sie war mitten in Paris. Ihr Leben lang hatte Paula sich vorgestellt, wie es sein würde, einfach Tschüss zu sagen und ihre Mutter mit den Worten »Ich komme doch zurück!« zu trösten, um sich dann umzudrehen und ein eigenes Leben zu beginnen. Sie liebte die französische Kultur, das französische Essen, diese weiche, klangvolle Sprache, die Freundlichkeit der Menschen. Sie liebte die Architektur in Paris, die verwinkelten Straßen, die kleinen Geschäfte mit den herrlich dekorierten Schaufenstern, sie liebte die französische Literatur. Und die Landschaft, den Wein ... sie mochte es, wie sich die Französinnen kleideten – mit einer perfekten Mischung aus Charme und Raffinesse stellten sie ihre Weiblichkeit aus, ohne zu übertreiben. Ein selbstverständlicher esprit für Schönheit, für das Erhabene. Jeder Tag ein kleines Fest, ein Feiertag des Lebens. Denn war nicht letztendlich die Schönheit entscheidend, das Erhabene?! Paula hatte sich nicht umsonst für ein Jahr Frankreich entschieden und sie hatte diesen hohen spitzen Freudenschrei ausgestoßen, als die Lehrerein in der Klasse verkündet hatte, dass sie, Paula Fischer, in eine Gastfamilie nach Paris durfte. Wie sie von ihren Freundinnen beneidet wurde!

Paula hatte ein niedliches, kleines Zimmer mit einer fast antiken Blümchentapete, in die Wände waren Schränke eingebaut und eine Tür führte in ein eigenes kleines Bad mit Dusche. Als sie sich unter das warme Wasser stellte, musste sie unwillkürlich an ihre erste Französischstunde in der Schule denken. Sie war an dem Tag heulend nach Hause gekommen und hatte ihrer Mutter versichert, dass sie nie wieder in den Französischunterricht gehen werde. Diese Striche und Apostrophe, diese komische Aussprache und überhaupt diese komplizierte Sprache, das würde sie nie im Leben begreifen! Als sie damals am Abend mit der ganzen Familie am Tisch saß, versicherten ihre Eltern ihr immer wieder, dass das überhaupt nicht schlimm sei, sie selbst hätten auch nie Französisch gelernt und fänden die Franzosen ohnehin arrogant. Es gäbe bestimmt eine Lösung. Sie könnte zum Beispiel Spanisch lernen! Doch so leicht war Paula nicht zu beruhigen gewesen. Stattdessen begann sie ... zu lernen. Und weil die anderen auch alle ihre Probleme mit dem Französischen hatten, war Paula bald Klassenbeste. Und ihr Ehrgeiz wuchs mit den Aufgaben. Ihr Motto war: Was ich nicht weiß, muss ich lernen. Und genau dafür war sie jetzt hier. Heute war Samstag und sie freute sich auf das erste gemeinsame Wochenendfrühstück. Endlich hatte sie etwas Ruhe und Zeit, um mit ihrer Gastfamilie zu plaudern, und vielleicht konnte sie auch schon einiges über ihre Eltern erzählen. Und wie sie in Berlin lebte und was sie später alles mal machen wollte. Außerdem hatten sie vielleicht eine Idee, wo sie eine schöne kleine Boutique finden könnte. Paula wollte sich unbedingt etwas Neues zum Anziehen kaufen. Und sie würde endlich den berühmten café au lait (Milchkaffee) trinken können! Oder doch lieber eine chocolat chaud (heiße Schokolade)? Paula sah sich schon mit dem bol in den Händen, dieser fantastischen, überdimensional großen Schale, in den Tag hineinträumen. Und danach: »Aux Champs Élysées! Aux Champs Élysées!« Juhu, ein kleiner Einkaufsbummel auf der berühmtesten Straße der Welt! So stand es jedenfalls in ihrem Französischbuch. Ihre Eltern wären um diese Zeit schon dreimal rauf und runter promeniert, wie der Deutsche so schön französisch sagte. Aber nein, Paula musste erst mal das richtige, französische savoir-vivre auskosten! Vielleicht wurde ja auch ein gemeinsamer Ausflug geplant? Ins Schloss, nach Versailles? Pfeifend und strahlend hüpfte Paula in die Küche.

Claudine, ihre Gastmutter, stand wie eine Eins an der sauberen Holzplatte und schnitt das lange Baguette in viele kurze Stücke. Sie warf Paula ein schnelles »Bonjour, Paula, bien dormi?« (Guten Morgen, Paula, gut geschlafen?) zu. »Eh oui!«, kam es noch ziemlich holprig aus Paulas Mund. Wie im Film, schoss es ihr durch den Kopf. Sie sah wirklich aus wie Catherine Deneuve! Diese Eleganz, schon so früh am Morgen – wow! Paula war hingerissen von Claudines perfekter Anmut. Eva machte sich nie so schick und von Manni, ihrem Vater, ganz zu schweigen. Das musste sich unbedingt ändern, beschloss Paula. »Je peux vous aider?« (Kann ich Ihnen helfen?), fragte sie, ganz beflügelt von der Grazie ihrer Gastmutter. »Non, non, c’est presque prêt!« (Nein, nein, ist fast fertig!). Mit ein paar blitzschnellen Handgriffen waren Butter, Konfitüre und fünf Joghurts auf den Tisch gestellt, die Kaffeemaschine in Gang gesetzt und Teller und Tassen bereitgestellt. Paula kam mit dem Gucken kaum hinterher. Sie wollte gerade anbieten, Käse und Wurst aus dem Kühlschrank zu holen, da saßen ihre Gastgeschwister auch schon mit einem müden »Bonjour, tout le monde« (Guten Morgen, zusammen) am Tisch und gossen sich den dampfenden Kaffee in die – wie Paula jetzt bedauernd feststellen musste – ganz normal großen Tassen. »Assieds-toi, Paula!« (Setz dich, Paula!), rief Claudine jetzt leicht hektisch. »Du lait et du sucre?« (Milch und Zucker?), donnerte es hinterher und Paula antwortete mit einem schnellen »Oui, oui!«, obwohl sie gar keinen Zucker im Kaffee mochte. Aber sie wollte Claudines Morgenrhythmus um keinen Preis unterbrechen. Diese schenkte den Kaffee jetzt umso dynamischer ein, goss Milch aus der Packung nach, versenkte darin ein Stück Würfelzucker und gab Paula die Tasse zurück. Das also war der französische café au lait? Paula war mehr als enttäuscht. Jetzt bloß keine Flappe ziehen, sondern schön in Ruhe essen. Nur war das mit der Ruhe so eine Sache. Marie und Stéphane bestrichen fast synchron und in Windeseile ihre Minibaguettehälften mit Butter und Marmelade, schlürften dazu ihren Kaffee und wirkten irgendwie geistesabwesend. Claudine aß überhaupt nichts. Gar nichts? Klar, die Catherine-Deneuve-Figur bekam man schließlich nicht von hellem Baguette und hochprozentigem Käse. Apropos, wo waren eigentlich die vielen Sorten, die gestern Abend noch so andächtig reihum gereicht wurden? Paula traute sich nicht zu fragen, weder nach dem Käse noch nach irgendwelchen Wochenendplänen. Keiner sagte hier ein Wort, jeder aß für sich – und das in Rekordzeit. »Bon, je vous laisse« (Ich muss los), nuschelte Marie in die steife Morgenstille, sprang auf und verschwand. »Moi, aussi« (Ich auch), machte Stéphane es ihr nach. Paula blieb verdutzt sitzen, während Claudine sich bereits ans Abräumen machte. Und wo war eigentlich der Hausherr? Der frühstücke am Wochenende nie, wurde Paula sogleich unterrichtet und dann kurz nach ihren Wochenendplänen gefragt. »Äh, alors, faire du shopping, peut-être.« (Vielleicht einkaufen gehen.) »Très bonne idée, amuse-toi bien, Paula!« (Sehr gute Idee, viel Spaß, Paula!) Und schnurstracks war der Tisch wieder komplett freigeräumt, bis auf Paulas Teller und Tasse und ein paar vergessene Joghurts. »Tu as fini?« (Bist du fertig?). »Oui, oui«, log Paula, die in der kurzen Zeit gerade mal zwei Baguettehälftchen geschafft hatte, ein weiteres Mal. Aber auf den Champs Élysées würde es ja hoffentlich ein gutes Schinken-Käse-Sandwich geben – für die vielen Touristen, die noch nicht richtig gefrühstückt hatten. Und eigentlich war es ja gar nicht so schlecht, für ein paar Monate aufs Frühstück zu verzichten, dachte Paula. Vielleicht würde sie dann am Ende aussehen wie die Tochter von Catherine Deneuve?!

Was ist diesmal schiefgelaufen?

Von wegen französisches Frühstück! Franzosen schenken dem Frühstück grundsätzlich wenig Aufmerksamkeit. Denn sie speisen lang und ausgiebig am Abend. Unter der Woche nehmen sie morgens nur wenig zu sich, und das oft im Stehen oder nebenbei. Gefrühstückt wird gern mal schnell am Tresen eines Cafés; das Croissant wird tatsächlich gern in den Kaffee getunkt, das ist aber auch das Einzige, was vom deutschen Klischee des französischen Frühstücks bleibt. Am Wochenende gibt es dafür immerhin frisches Baguette mit etwas Butter und Konfitüre und dazu Obst, Joghurt oder Müsli. Die jüngeren Franzosen werfen gern ein paar Céreales (aus dem Englischen cereals, also Getreideproukte aller Art) in eine Schüssel mit Milch. Das klassische deutsche Käse-Wurst-Frühstück existiert allerdings nicht. Das Frühstück, das in Cafés oder Bars angeboten wird, besteht immer nur aus zwei kleinen Baguettehälften mit Butter und Konfitüre oder einer »Süßigkeit« (wahlweise Croissant Natur oder mit Schokolade), einem Espresso oder café crème (Kaffee mit heißer Milch) und einem Glas Orangensaft. Frühstück wird nur bis mittags angeboten und nicht wie vielerorts in Deutschland bis 14 oder 15 Uhr. In Frankreich verabredet man sich mit Freunden viel eher zum Mittag- oder Abendessen und weniger zum Frühstück. Das ist von allen dreien die »kommunikationsärmste« Mahlzeit in Frankreich, was Paula natürlich nicht wissen konnte. Meist essen die Familienmitglieder noch nicht einmal zusammen. Während Mittag- und Abendessen oft an Familientraditionen gebunden sind und stets gemeinsam eingenommen werden, kann beim Frühstück grundsätzlich jeder machen, was er will. Paula hatte sich auf ein üppiges, deutsches Frühstück und eine ausgelassene Plauderstimmung eingestellt. Stattdessen wurde sie mit der eher hektischen und wortkargen Form des französischen Frühstückens konfrontiert und hatte Mühe, sich darauf einzustellen. Denn auch am Wochenende gilt in vielen französischen Familien die Regel, dass tagsüber jeder seinen Erledigungen und Verabredungen nachgeht und man sich dann abends zum gemeinsamen Abendessen trifft. Wer nicht daran teilnehmen kann, sollte das unbedingt mitteilen, da ein unangekündigtes Fernbleiben sonst als Affront empfunden werden könnte.

Brunchen, wie es in Deutschland üblich ist, ist erst seit Kurzem in Frankreich angekommen und verbreitet sich langsam in der jüngeren Generation, die viel gereist ist. Da hier ein Trend zu erkennen ist, wurde bereits versucht, ein französisches Wort zu erfinden, das das englische Wort »Brunch« ersetzen könnte. Aber Bezeichnungen wie grand petit déjeuner haben sich nicht durchsetzen können – man redet also auch in Franreich von Brunch. Rechnen Sie in einem normalen Pariser Café allerdings nicht damit, dass dort der Brunch schon Einzug gehalten hat.

Was können Sie besser machen?

Paulas Verwirrung und Enttäuschung sind durchaus nachvollziehbar. Sie wollte ihr erstes Wochenende in Paris mit einem herrlichen Start in den Tag beginnen und sich mit ihrer Gastfamilie in Ruhe austauschen. Dass das viel eher abends und weniger morgens geschieht, konnte sie nicht wissen. An der Situation selbst hätte sie allerdings nichts ändern können. Hier prallen unterschiedliche Gewohnheiten aufeinander, die verschiedene Erwartungen nach sich ziehen. Damit sollte man sich arrangieren, will man nicht immer aufs Neue enttäuscht werden. Wer Kontakte, ob privater oder beruflicher Natur, in Frankreich pflegen und intensivieren möchte, sollte sich dafür grundsätzlich eher das Abendessen aussuchen – bei gutem Rotwein und kräftigem Fleisch sind die Franzosen um ein Vielfaches gesprächiger!

MAHLZEIT!

Das Frühstück (petit déjeuner) fällt bescheiden aus und besteht meist nur aus einer Tasse Kaffee und einem Croissant. Oft wird nicht einmal der Tisch dafür gedeckt, man frühstückt, wenn man aufsteht und Hunger hat, und wartet nicht auf die anderen. Die Madame des Hauses deckt sich selbst nicht einmal einen Teller, sondern krümelt überall hin. Gefrühstückt wird zum Kaffee, Tee oder zur chocolat chaud oft nur eine tranche de pain (meist ein gegrilltes Stück Brot) oder eine brioche (ein weiches, süßes Brötchen).

Das Mittagessen (le déjeuner) findet zwischen 12.30 und 15 Uhr statt. Hier wird ausführlich geschlemmt, vor allem im Urlaub. Während der Arbeitszeit bleibt die Mittagspause meist auf eine Stunde beschränkt, damit man rechtzeitig zum Abendessen zu Hause ist.

Die Zwischenmahlzeit: Wer zwischen dem Mittagessen und dem Abendessen etwas zur Überbrückung braucht, ist in Frankreich nicht gut dran. Dafür gibt es nicht einmal eine offizielle Bezeichnung. Bei Kindern nennt man diese Zwischenmahlzeit un goûter, was so viel heißt wie »Nascherei«. Meistens handelt es sich dabei also um etwas Süßes. Une goutte bezeichnet den »Tropfen« und goûter heißt »probieren« – es geht also um kleinste Mengen. Unter Erwachsenen ist es eher unüblich, regelmäßig un goûter einzunehmen.

Das Abendessen (le dîner) beginnt gegen 20 Uhr. Während es in Gebieten, in denen viele Touristen unterwegs sind, kein Problem ist, bereits vor acht Uhr in einem Restaurant etwas zu essen zu bekommen, kann dies im Hinterland und in touristisch wenig erschlossenen Regionen durchaus zum Problem werden. Das Abendessen ist den Franzosen heilig, meist essen kleine Kinder vorab, damit die Erwachsenen für die nächsten zwei Stunden ungestört am Tisch sitzen können. Le dîner besteht meistens aus einer bestimmten Speisenfolge, einem Menü. (Mehr dazu im Infokasten »Le menu – die Speisenfolge auf einen Blick« in Kapitel 13.)

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