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LE DERNIER CRI
WIE PAULA ES SCHAFFT, NICHT DAZUZUGEHÖREN
Eines hatte Paula inzwischen begriffen: Französinnen sind immer und überall schick. Ob in der Metro, im Supermarkt, im Café oder in der Schule – Paula sah nur adrett gekleidete, dezent oder auffällig zurechtgemachte Mädchen und Frauen. Selbst die jüngeren, alternativeren unter ihnen schienen ihr »Gegenmodell« überaus ernst und ambitioniert anzugehen. Wie viel Zeit und Kraft hinter einem so legeren, aber doch schicken Outfit steckte! Trotzdem gefiel es Paula, dass das Frausein hier eine wichtige Rolle zu spielen schien. Irgendwie bewegten die sich alle einfach viel eleganter, unbeschwerter und um einiges graziler als in Deutschland. Sie musste sich richtig zusammenreißen, diesen vielfältigen Schönheiten nicht permanent hinterherzustarren. Jede hatte irgendetwas an, das Paula sich unbedingt merken und zu Hause gleich ausprobieren wollte. Plötzlich ging sie in Gedanken ihre gesamte Garderobe durch und überlegte fieberhaft, ob sie nicht auch einen Rock in dieser Länge hatte, den sie mit einem genauso eng anliegenden Rollkragenpulli auf eben diese Art und Weise kombinieren könnte. Meistens hatte sie gleich beim ersten Blick in den Schrank dann wieder aufgegeben: Es war einfach alles nicht schick genug! Sie musste dringend etwas von ihrem Taschengeld sparen und bald mit Marie shoppen gehen. Die würde ihr dann schon zeigen, was eine echte Französin so trägt. Aber bis dahin musste sie mit dem auskommen, was sie vorfand. Pas le choix! (Keine Wahl!)
An einem Samstagabend hatte Paula es sich auf dem Sofa der Gasteltern bequem gemacht und schaute Fernsehen. Claudine hatte gesagt, dass das gut für ihr Französisch sei. Und dass sie dringend etwas Übung brauche, weil ihr einfach die Vokabeln fehlten. Und damit hatte sie bei Paula voll ins Schwarze getroffen. Denn eines war klar: Wenn ihre Familie kommen würde, um sie für den Campingurlaub in der Bretagne abzuholen, wollte sie mit ihrem Französisch mehr als glänzen. Ihre Eltern sollten sehen, dass sie das Geld nicht umsonst für sie gespart hatten! Also saß Paula jetzt allein auf dem großen Familiensofa und sah sich eine langweilige Samstagabendshow an, von der sie so gut wie nichts verstand. Aufgeregtes, affektiertes Geplapper, schöne Frauen und ein kleiner Moderator, der immerzu Witze machte, die sie überhaupt nicht kapierte, obwohl sie die einzelnen Wörter sogar verstand. Das Ganze erinnerte sie an die Muppet Show. Bis Marie plötzlich vor ihr stand, die Fernbedienung an sich riss und das Monstrum ausschaltete. »Ça ne va pas, toi?! On est samedi soir, ma belle!« (Geht’s noch?! Es ist Samstagabend, meine Schöne!) Paula erklärte, was Claudine ihr verordnet hatte, woraufhin Marie nur lauthals lachte und ihr zu verstehen gab, dass sie sich jetzt blitzschnell umzuziehen hatte. Na gut, dachte Paula, dann eben kein Fernsehen, soll mir auch recht sein. Marie hatte etwas sehr Schlichtes, fast Biederes an, fand Paula. Also gab sie sich besonders Mühe, ein halbwegs hippes Outfit zu finden. Am Ende entschied sie sich aber doch wieder für ihre Lieblingskombination, die Jeans-T-Shirt-Turnschuhe-Variante, und fand sich eigentlich ganz sexy. »On y va?!« (Gehen wir?!), sagte sie selbstbewusst zu Marie, die jetzt ungeduldig auf dem Sofa saß. »Désolée, Paula. On ne peut pas y aller comme ça!« (Tut mir leid, Paula. So können wir da nicht hingehen!)
Mon Dieu (mein Gott), was war denn jetzt schon wieder falsch? Marie erklärte ihr, dass sie in eine Bar an der Bastille gehen würden, mit Freunden, von denen sie auch ein paar noch nicht kannte. Und deshalb war es umso wichtiger, dass sie beide wirklich gut aussahen. Marie nahm Paula ungeduldig an der Hand, schleppte sie mit auf ihr Zimmer und zog einen dunklen Rock, einen enganliegenden, weitausgeschnittenen Pulli und einen Seidenschal hervor. »Voilà!« Es wurde kein Widerspruch geduldet und innerhalb von Sekunden hatte Paula an, was Marie für sie ausgesucht hatte. »Tu sais, les Françaises sont toujours élégantes.« (Weißt du, Französinnen tragen immer einen Hauch von Eleganz.) Paula sah in den Spiegel und war schockiert: Sie sah aus wie eine Stewardess! Adrett und langweilig. »Non, je ne veux pas ça!« (Nein, das will ich nicht!), entgegnete sie ihrer Gastschwester jetzt umso energischer und riss sich die Klamotten wieder vom Leib. »Alors, je reste ici!« (Dann bleib ich eben hier!) Paula war genervt. Sie hatte die Schnauze gestrichen voll und überhaupt keine Lust mehr auf diese komische Schnösel-Bar. Marie blieb ruhig, redete eine Weile auf Paula ein und eine knappe Stunde später standen die beiden vor dem Bateau îvre am Place de la Bastille. Paula fühlte sich wohl in ihren Lieblingsjeans und war wieder bester Stimmung. Als ihr Marie dann alle Freunde vorstellte, war sie allerdings mehr als irritiert: Die Mädchen steckten entweder im kurzen Schwarzen oder in hautengen Leggins und die Jungs in Hemden mit Pullovern. War sie hier im Club der Gleichgesinnten gelandet? Mit einem ultrageheimen Kleidercode? Paula beschloss, Marie auszuquetschen, sobald sie wieder zu Hause waren. Aber erst mal bestellte sie sich ein großes Bier und versank dann genüsslich in dem melodiösen Stimmenwirrwarr. »Nice look«, flüsterte ihr kurz darauf Pierre ins Ohr, den Marie vorhin in der Metro schon als typischen französischen Charmeur eingeführt hatte. »Merci«, entgegnete Paula kurz und trocken und wandte sich siegessicher dem süßen, schüchternen Aurélien zu ihrer Linken zu.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Das Klischee stimmt: Kleidung war und ist in Frankreich ein großes Thema. Französische Frauen gehen regelmäßig und leidenschaftlich gern shoppen! Sie verabreden sich mehrfach in der Woche ausschließlich dafür, tauschen sich viel und gern über neue Moderichtungen aus und lassen jede Menge Geld in diversen Boutiquen. Es gehört einfach zum Lebensgefühl der femme française, der französischen Frau, dass sie sich in diesem Bereich einen gewissen Entfaltungsraum bewahrt hat. Ein bisschen nach dem Motto: Das Äußere stärkt das Innere.
Obwohl Paula immer wieder und ebenso leidenschaftlich beobachtet, dass sich die Frauen in Frankreich viel eleganter und weiblicher kleiden als in Deutschland, hat sie trotzdem noch überhaupt keine Ahnung, worin diese französische Eleganz eigentlich besteht. Für sie ist das nach wie vor eine vollkommen fremde Welt. Und am Ende überwog dann an besagtem Samstagabend die Wohlfühllaune und nicht der französische Schick. Sie hat also angezogen, was sie zu Hause in Berlin an einem Samstagabend tragen würde: ihre bequemen Lieblingsklamotten. Ganz egal, wohin und mit wem. Und das war in dem Fall ein kleiner Fehler.
Was können Sie besser machen?
Paula ist zu Gast bei den Bouchards und wird von deren Tochter Marie spontan zu einem Samstagabend mit Freunden mitgenommen. Da wäre es durchaus angemessen gewesen, kurz nachzufragen, welches Outfit für diesen Abend das passende wäre. Stattdessen hat Paula einfach nur ausgewählt, worauf sie Lust hatte, ohne dabei auf ihre Gastgeberin einzugehen. Paula hätte sich letztendlich nur ein wenig einfühlen müssen in die Stimmung des Abends und hätte dann vielleicht sogar unter ihren eigenen Sachen etwas Geeignetes gefunden.
FRANKREICH UND MODE ...
... das ist wie Deutschland und Bier! Das eine ist ohne das andere nicht zu denken. Die Haute-Couture- und Prêt-à-Porter-Modenschauenin Paris sind nach wie vor richtungweisend, die Trends, die hier gesetzt werden, verbreiten sich in der ganzen Welt, und französische Modemacher genießen eine unangefochtene Anerkennung.
Lange Zeit hatte Frankreich eine Art Vormachtstellung in der Modewelt. Designer und ihre Labels wie Yves Saint Laurent, Christian Dior, Givenchy, Coco Chanel oder Christian Lacroix haben mit ihrer luxuriösen, handgefertigten und maßgeschneiderten Modekunst den Lebensstil und die Kultur des 20. Jahrhunderts stark mitgeprägt. An den Schnitten und Entwürfen dieser Haute Couture, die im ausgehenden 19. Jahrhundert in England ihren Anfang nahm, orientierten sich viele andere Designer und entwickeln bis heute auf dieser Basis ihre eigenen Stile. Schon lange haben sich auch in anderen Ländern Mode-Hotspots entwickelt; Trendsetter sind jetzt ebenso Berlin, Mailand, Tokio, London und New York.
In den 1930er-Jahren entwickelte sich in Paris die Prêt-à-Porter-Mode, die, im Gegensatz zur maßgeschneiderten Haute Couture, tragfertig in Standardgrößen auf den Markt kommt. Diese »Stangenware« ist für uns längst zum Standard geworden, und auch viele große Haute-Couture-MeisterInnen entwickeln großartige Mode, die industriell in alle Welt exportiert wird.
Zur Zeit Ludwigs XIV. schaute das ganze modebewusste Europa auf Frankreich. Man kopierte in Europa französische Kleiderschnitte, Frisuren und selbst die Sprache. Ende der Zwanzigerjahre gelang es den Modemachern der Haute Couture (Coco Chanel, Christian Dior u. a.) dann sogar, die Mode in den Rang der Kunst zu erheben und ein neues gesellschaftliches Bewusstsein für diese Ausdrucksform zu schaffen. Heute ist die revolutionäre Kreativität von Coco Chanel nicht mehr wegzudenken. Ohne sie gäbe es zum Beispiel das zeitlose »Kleine Schwarze« nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es Christian Dior, der die französische Mode wiederbelebte. Er entwarf weite blumenartige Röcke mit enger Taille, die die weiblichen Formen stärker unterstreichen sollten. Zu seinem »Nachwuchs« gehörte auch Yves Saint-Laurent, der schon mit jungen Jahren sein eigenes Modehaus gründete. Zu seinen legendären Kreationen zählt der elegante und sachlich anmutende Hosenanzug für Frauen aus dem Jahr 1967 – ein nicht unwesentlicher emanzipatorischer Schritt in der Modeszene.
Im Allgemeinen verfolgen die französischen Frauen diese Mode-trends mit großem Interesse und einer nicht enden wollenden Leidenschaft. Sie integrieren sie in ihre Alltagsgarderobe, wobei die individuelle Kreativität zu Gunsten eines aktuellen, einheitlichen Stils ein wenig in den Hintergrund rückt. Man ist zwar gern modisch schick, aber eben auch gern genauso schick wie alle anderen.
Pariserinnen wird man nur selten mit zu engen Pullis oder in unvorteilhaften Jeans sehen. Doch dafür ist der Pariser Chic wesentlich standardisierter, als die Mode in Berlin, wo persönlicher Style immer auch bedeutet, sich extravagant und gern mal anders als die anderen zu kleiden. Sei es, dass man praktische »Funktionskleidung« oder auch schräge Vintagemode wählt – in Berlin kann man sich kleiden, wie man mag. In Frankreich dagegen haben die einzelnen Gesellschaftsschichten ihre ganz eigenen Kleidercodes und pflegen diese bewusst und mit Stolz. Wer einmal begriffen hat, worin diese bestehen, findet sich plötzlich viel einfacher zurecht – im Land der unerschöpflichen Modeschöpfer!
In Deutschland findet man französische Labels und Designer oft in den besseren Kaufhäusern oder in speziellen Boutiquen in größeren Städten. Marken wie Comptoir des Cotonniers, Maje, Sessun oder Ba&sh bieten Mode, die den Übergang zwischen hochwertiger Alltagskleidung und elegantem Abend-Outift markiert. Es geht darum, jederzeit für alles vorbereitet zusein, sprich: immer schick, aber nicht overdressed, weiblich aber nicht zu sexy, für den Büroalltag und den Restaurantbesuch am Abend gleichermaßen angemessen gekleidet zu sein.