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LODY, BACK UND MANNATANN
WARUM PAULA SCHON WIEDER NICHTS VERSTEHT
Paula war aufgeregt, sie wollte nichts falsch machen. Schließlich wollte sie ein Jahr in dieser Familie verbringen und wie man ja weiß: Der erste Eindruck zählt. Marie, die Tochter der Gastfamilie, stellte eine geschnittene Melone auf den Tisch und setzte sich. »Sers-toi!«, forderte Claudine Paula auf und Paula nahm sich ein Stück Melone mit den Fingern, bevor sie die Platte weitergab und dann wartete, bis alle sich etwas genommen hatten. Ihr entging nicht, dass die anderen Messer und Gabel nahmen und die Melone nicht mit den Fingern anfassten. Auch sie schnitt sie also ganz langsam mit dem Messer auf und steckte sich dann mit der Gabel kleine Stückchen in den Mund. Etwas merkwürdig, ein Essen mit einem Stück Melone zu beginnen, und noch merkwürdiger, dass die anderen Brot zur Melone aßen. Hoffentlich gab es noch etwas Ordentliches zu essen, denn Paula hatte wirklich Hunger.
Claudine begann die Konversation, indem sie Paula ein Kompliment machen wollte. »On aime bien Lody.« (Wir haben Lody sehr gern.) Paula schaute sie etwas irritiert an, aber nickte höflich. Wer um Himmels Willen war Lody? »Oui«, stimmte Bernard zu, »on aime bien Lody! Elle est grande, elle va vite, elle est fiable ... elle est – parfaite!« (Ja wir haben Lody sehr gern. Sie ist groß, sie ist schnell, sie ist zuverlässig ... sie ist perfekt!) Er lächelte. Paula lächelte zurück. Dass Claudine nicht eifersüchtig wurde, wenn er so von dieser Lody schwärmte! »Et toi?« (Und du?), fragte er Paula freundlich. »Tu aimes Lody?« (Magst du Lody?) Paula nickte eifrig; »Oui! Oui, oui, bien sûr« (Ja! Ja, ja, klar), antwortete sie schnell, hoffentlich fragte sie keiner nach Details. Bernard lächelte. Die Familie redete noch eine Weile über Lody, bis sie auf ein anderes Thema zu sprechen kam.
Claudine wollte Paula etwas näher kennenlernen und testete ihren kulturellen Hintergrund. Nachdem sie ein Kartoffelgratin und ein riesiges Stück Fleisch auf den Tisch gestellt hatte, wandte sie sich an die junge Deutsche und fragte: »Tu aimes Back?« (Magst du Back?) Paula war wieder irritiert. Während der Vater das Fleisch aufschnitt und Marie ihr das Kartoffelgratin reichte, lächelte Paula höflich zurück. »Back, comme ›back‹ en anglais?« (Back, wie »back« im Englischen?), fragte sie höflich. »Non, Back« (Nein, Back), erwiderte Claudine und betonte das Wort noch etwas härter. »Ça vient du mot allemand ›Backen‹, c’est à dire cuisson?« (Kommt das vom deutschen Wort »Backen«? Also Backen?) Paula war stolz, dass ihr das französische Wort für »das Backen«, cuisson, so schnell eingefallen war. Sie nahm sich etwas von dem leckeren Kartoffelgratin und reichte die Platte an Claudine weiter. Die war sprachlos. »Je ne sais pas« (Ich weiß nicht), sagte sie. »Je n’ai jamais entendu ça.« (Das habe ich noch nie gehört.) Der Vater schüttelte den Kopf. »Non, je ne crois pas.« (Nein, ich glaube nicht.)
Jetzt hatten die Bouchards wirklich ein interessantes Gesprächsthema gefunden, denn sie waren auf einmal ganz vertieft und tauschten schnelle Sätze über »Back«, cuisson (das Backen) und Deutschland aus. Dass sie sich so für deutsches Backen interessierten, wunderte Paula. Das hätte sie ihnen gar nicht zugetraut. Paula beschäftigte sich währenddessen mit dem rohen Fleisch, das ihr Bernard auf den Teller gelegt hatte. »Mais tu aimes Back?« (Aber du magst Back?), wurde sie nun von Claudine gefragt. Der Braten war innen fast dunkelrot und mit jedem Schnitt lief noch mehr Blut auf den Teller. Paula ekelte sich fürchterlich. Sie stocherte möglichst elegant in dem Fleisch herum und lächelte Claudine an. »Je ne sais pas, Madame.« (Ich weiß es nicht, Madame.) Was waren denn das für Fragen?! Bei allen Essensregeln schienen ihr die Bouchards nicht gerade kulturell versiert. »Mais le nom Back, ça veut dire quelque chose?« (Aber das Wort Back, hat das eine Bedeutung?), insistierte nun Claudine. Paula versuchte, das Stück Fleisch aus ihrem Mund in der Serviette verschwinden zu lassen. Aber da es Stoffservietten waren und alle Augen auf sie gerichtet, spülte sie es schnell mit einer großen Menge Wasser hinunter. »Je ne sais pas« (Ich weiß es nicht), antwortete sie. Claudine und Bernard warfen sich einen bedeutenden Blick zu. Claudine ahnte Schlimmes. »Mais tu connais Back?« (Aber du kennst Back?), fragte sie jetzt ganz langsam. Paula ließ das Fleisch liegen und konzentrierte sich auf die Kartoffeln. Was für einen Hunger sie hatte! Sie überlegte kurz. Woher sollte sie Back kennen? »Je ne pense pas« (Ich glaube nicht), antwortete sie. »C’est qui?« (Wer ist das?), fragte sie neugierig. Das würde man ihr ja wohl schnell erklären können. Doch Madame und Monsieur schauten nur betreten auf ihre Teller. Marie lächelte sie vergnügt an. Sie schien nicht länger das einzige schwarze Schaf der Familie zu sein. Paula ahnte, dass hier etwas komplett schieflief, aber sie wusste nicht so recht, wie sie das Rätsel lösen sollte. »Qui veut encore de la viande?« (Wer möchte noch Fleisch?), fragte Claudine nun eifrig. »Paula?« Paula schüttelte etwas zu schnell den Kopf. »Non! Non!«, rief sie entsetzt aus und schob ein leises Merci nach. Es war mehr als offensichtlich, dass ihr das Fleisch nicht geschmeckt hatte. Claudine schaute pikiert. Bernard griff ein: »Si tu n’aimes pas quelque chose, tu nous le dis!« (Wenn dir etwas nicht schmeckt, dann sag uns das!) »Oui, merci«, antwortete Paula erleichtert und lächelte ihn an. Claudine warf ihrem Mann einen bösen Blick zu. »Elle était très bonne, ta viande« (Es war sehr gut, dein Fleisch), sagte er schnell zu seiner Frau. »Mais si on ne connaît pas Back, peut-être on n’aime pas la viande non plus!« (Jemand, der Back nicht kennt, der mag vielleicht auch kein Fleisch). Jetzt lächelte Claudine wieder. Marie warf ihrem Vater einen vorwurfsvollen Blick zu. »Arrête!« (Hör auf!), sagte sie empört mit Blick auf Paula. Paula ahnte, dass gerade über sie gesprochen wurde und lächelte freundlich zurück. »Marie, tu peux faire passer la salade?« (Marie, kannst du bitte den Salat herumreichen?), fragte Claudine ihre Tochter, die mürrisch aufstand und den Salat holte, um ihn weiterzugeben. Das Interesse an Paula schien versiegt. Die Bouchards unterhielten sich eine Weile und Paula stopfte den Salat mit viel Brot in sich hinein. Zu ihrem großen Glück kam jetzt noch ein Käseteller.
»J’aimerais bien aller à Mannatann« (Ich würde so gerne nach Mannatann fahren), sagte Marie schließlich in Gedanken versunken und etwas traurig. Paula hatte auch Lust, etwas zu unternehmen. »Cet après-midi?« (Heute Nachmittag?), fragte sie erfreut. Was auch immer das sein mochte, Mannatann. Paula war offen für alles Neue. Jetzt starrten sie alle drei an, als hätte sie ein Salatblatt im Gesicht kleben. Paula verteidigte sich schnell: »Je ne sais pas, mais j’aimerais bien faire une petite excursion.« (Ich weiß nicht, ich würde sehr gerne einen kleinen Ausflug machen.) Und musste mit ansehen, wie alle in schallendes Gelächter ausbrachen.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Während wir versuchen, englische Wörter auch möglichst englisch auszusprechen, französieren die Franzosen ausländische Namen und Wörter bis zur Unkenntlichkeit. Wenn die Franzosen also ein deutsches oder ein englisches Wort in ihren französischen Sprachfluss einbetten, ist es oft nicht wiederzuerkennen. In diesem Fall ist »Lody« die französierte Form von la Audi, l’Audi, was französisch ausgesprochen wie Lodi klingt, aber den Audi meint, das Familienauto draußen vor der Tür. Die Bouchards wollten Paula als Deutsche das Kompliment machen, dass sie deutsche Autos mögen, besonders ihren Audi, der noch nie zur Reparatur musste. Dadurch dass Paula das Wort »Lody« nicht mit »Audi« zusammenbringen konnte, war ihr einfach nicht klar, um was es in der Konversation überhaupt ging. Genauso wie bei dem Wort »Back«. Damit ist keineswegs eine Backware, womöglich ein Krapfen oder ein Berliner, gemeint, genauso wenig wie das englische Wort für »zurück«, sondern vielmehr der weltbekannte Komponist Johann Sebastian Bach. Denn wenn das ch am Ende eines Wortes steht, wird es im Französischen wie ein k ausgesprochen. Wie der Name Bach im Original ausgesprochen wird, das interessiert sie reichlich wenig. Bereits in der Grundschule lernen französische Kinder den Komponisten unter dem Namen Jean-Sébastien Bach (gesprochen Back) kennen und würden wiederum niemals verstehen, wer »Bach« ist, würde man ihn im Original aussprechen. Natürlich waren die Bouchards schockiert, dass Paula den deutschen Komponisten nicht kannte. Denn wenn man auch nicht die Bach’schen Werke herunterbeten kann, so hat man doch zumindest den Namen schon einmal gehört. Spätestens als Marie zu lachen anfing, war klar, dass hier eine Reihe sprachlicher Missverständnisse vorliegen musste. Denn der kleine Ausflug nach »Mannatann« wäre doch sehr aufwendig geworden, schließlich hatte Paulas Gastschwester von New York, Manhattan, geträumt.
Was können Sie besser machen?
Paula hätte sich schneller und aktiver in die Kommunikation einbringen und einfach ehrlich zugeben können, dass sie ein Wort nicht versteht. Dann wäre schneller klargeworden, dass es sich um ein sprachliches Problem, nicht um ein inhaltliches handelt. Aber Paula war in dieser Situation einfach sehr unsicher und noch dazu mit dem Fleisch beschäftigt. Vielleicht hilft es schon zu wissen, dass Franzosen Fremdwörter französieren, es also durchaus sein kann, wenn man ein Wort nicht versteht, dass es sich um ein nicht ursprünglich französisches Wort handelt. Über unsere deutsche Art, englische, spanische oder französische Fremdwörter möglichst »original« auszusprechen, machen sich die Franzosen wiederum gerne lustig. Man gilt schnell als Angeber oder Snob, wenn man in seinen französischen oder deutschen Redefluss plötzlich ein paar betont englische oder spanische Worte einfließen lässt, selbst wenn es sich um Namen wie Ashton Kutcher oder Charlize Theron handelt. Und wirklich gelingen tut es den meisten, zugegebenermaßen, auch nicht. Man denke nur an die englischen Zugansagen in einem deutschen ICE, die immer wieder Gelegenheit zum Lachen bieten. Wir Deutschen bemühen uns zwar redlich, englische, französische, italienische oder spanische Wörter im Original auszusprechen, bei japanischen, chinesischen oder sogar schon russischen Begriffen hört das allerdings sehr schnell auf. »Moskau« sprechen wir Deutschen schließlich nicht »Moskva« aus. Die Franzosen sind im Grunde nur konsequent, wenn sie einfach alles in ihre Sprache »eingemeinden«. Obwohl man Namen wie Richard Gere (etwa: Riescha Scher) dann nicht wiedererkennt. Auf Verbesserungsvorschläge zur »richtigen« Aussprache werden sie nicht wirklich reagieren: »Ach so, Sie meinen den Audi!« – »Ja, sag ich doch! Lody!«
FRANZOSEN UND ENGLISCH
Das Vorurteil, dass Franzosen kein Englisch sprechen, trifft auf die jüngeren Generationen kaum noch zu. Von den jungen Franzosen sprechen viele Englisch, Spanisch oder Deutsch. Allerdings sagen sie oft von sich, dass das Fremdsprache lernen nicht so ihre Stärke sei. Auch, wenn sie dann ganz gut sprechen und viel verstehen, brauchen sie oft eine Zeit, bis sie sich wirklich trauen, in der fremden Sprache zu sprechen, denn das bedeutet, auch Fehler zu machen. Der Anteil der Franzosen, die in der Schule Deutsch als Fremdsprache wählen, ist leicht zurückgegangen. Viele entscheiden sich eher für Spanisch, da das Spanische als lateinische Sprache die einfachere Wahl für sie ist und in einem größeren Teil der Welt gesprochen wird.
Die Generation, die heute sechzig aufwärts ist, hatte meist schlechten Englischunterricht und traut sich oft einfach nicht, in der Fremdsprache zu sprechen. Außerdem sind viele Franzosen der Meinung, dass man in Frankreich auch Französisch zu sprechen habe. Daher vielleicht das verquere Bild. An der Aussprache kann es allerdings tatsächlich hapern, sodass man manchmal nicht gleich merkt, wenn ein Franzose englisch spricht. Es klingt häufig wie ein Französisch, das man nicht versteht. Das liegt auch daran, dass in Frankreich Begriffe, Namen oder Objekte einer anderen Sprache nicht in der Originalsprache ausgesprochen, sondern »französisisert« werden. Wenn Sie es schaffen, ein paar Worte Französisch anzuführen, ist das in jedem Fall der kommunikationsfreudigere Weg. Doch wenn Sie auf die englische Sprache angewiesen sind, wird Ihnen nicht jeder weiterhelfen können, mal klappt’s, mal nicht. Am besten verstehen Franzosen sich gegenseitig beim Englischsprechen und haben mit einer eher »originalen« Aussprache ihre Probleme. Aber bemühen Sie sich deswegen bitte nicht extra um eine französische Aussprache des Englischen!