Читать книгу Kommissar Terani ermittelt - Bettina Bäumert - Страница 23
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ОглавлениеDie Feiertage waren vorüber. Die Glühweinstände allerdings blieben. Denn auch im Februar hatte der Winter den Ort noch immer fest im Griff. Die Temperaturen überschritten weiterhin kaum die Nullgradgrenze. Es blieb frostig. Sun-White-Village hüllte sich unverändert in einen dicken Mantel aus Eis und Schnee.
Obgleich der Zustrom der Touristen zum Ende der Feiertage hin etwas nachgelassen hatte, waren doch noch immer überraschend viele Urlauber in der Stadt. Auch dieser Umstand war in erster Linie und ohne Frage dem nicht enden wollenden Einfallsreichtum der Frau des Bürgermeisters, Smilla Schlinger, zu verdanken.
Die First Lady der Stadt war es leid, ihr Dasein nur im Schatten ihres Gatten und nur als dessen Ehefrau zu fristen. Sie wollte sich in die Öffentlichkeitsarbeit des Ortes tatkräftig mit einbringen. Und genau das tat die schlanke, gepflegte fast Sechzigjährige mit einer Energie, die ihr im Grunde genommen bis dato niemand zugetraut hätte.
Mit ihrem schier unerschöpflichen Ideenreichtum weckte sie nicht nur die Neugierde der Urlaubsgäste. Auch viele Einheimische ließen sich dazu verleiten, ihre Ferien in der Heimat zu verbringen. Wodurch es nicht verwunderlich war, dass die agile, jung gebliebene Dame mit dem zu einem Dutt verknotetem, braunen Haar, innerhalb kürzester Zeit zum Gesprächsstoff Nummer eins in Sun-White-Village versierte.
Smilla Schlinger, vorwiegend in Designer-Kostüme gekleidet und ihren Mann in hochhackigen Schuhen um gut einen halben Kopf überragend, hatte just in dem Moment den Glühweinstand auf dem Markt verlassen, als Serafina mit ihrer Freundin dort eintraf. Wäre Smilla dieses Tatsache bewusst gewesen, wäre sie mitnichten gegangen. Dann hätte der untersetzte, rundliche Bürgermeister Benedikt Schlinger mit absoluter Sicherheit hilflos seinen Schnurrbart gestreichelt, um gleich darauf den Wünschen seiner Angetrauten missmutig zu folgen. Woraufhin Smilla Schlinger – und auch das war ganz und gar sicher – Serafina augenblicklich in ein Gespräch über Esoterik und Mystik verwickelt hätte. Denn, bis dato war es ihr – zu ihrem eigenen größten Ärgernis, allerdings zur beruhigenden Genugtuung ihres Gatten – noch immer nicht gelungen, diese geheimnisvolle Frau persönlich kennenzulernen.
Zum Glück des Bürgermeisters, trafen die Freundinnen erst ein, als Smilla Schlinger und ihr Ehemann bereits gegangen waren. Jetzt tranken Serafina und Ulrike gut gelaunt einen alkoholfreien Glühwein.
„Das Geschäft geht so gut, wie schon lange nicht mehr“, schwärmte Ulrike ein ums andere Mal. Und das bereits, seit sie ihr gemeinsam betriebenes Modegeschäft verlassen hatten.
In ihrem Laden verkauften die Freundinnen vorwiegend nostalgisch anmutende Kleider, die allesamt von Serafina eigenhändig entworfen und genäht wurden.
„Du bist so herrlich glücklich, Ulrike. Und du siehst nicht nur wegen des guten Verkaufs so zufrieden aus.“
Seit der Begegnung mit dem Perfektionisten hatte sich Serafinas Ausdrucksweise im Grunde gravierend verändert. In der Regel sprach sie seit ihrem schrecklichen Erlebnis Namen stets vollständig aus. Das heißt, sie sprach jeden mit seinem Vornamen und seinem Familiennamen an. Einzige Ausnahme blieben ihre langjährige Freundin Ulrike Schneider und Carmen, die gute Seele des Hauses Terani.
Ulrike kicherte verlegen.
„Ach Serafina, ich bin so was von glücklich. Ich bin so richtig, richtig glücklich. Es geht mir wirklich gut. Fridl ist ein so wundervoller Mann.“ Ulrike drehte verlegen die Tasse mit den Glühwein in ihren Händen. „Ich bin doch wirklich und wahrhaftig verliebt.“
Ulrikes sehnlichster Wunsch war, dass auch ihre liebste Freundin endlich den Mann fürs Leben finden würde. Eine Zeit lange hatte sie – und nicht nur sie – angenommen und gehofft, im Grunde doch tatsächlich geglaubt, dieser Mann wäre Leonard Terani. In den letzten Wochen hatte sich Ulrikes Meinung dahingehend allerdings von Grund auf geändert. Leonard war in seine Arbeit vertieft und Serafina ging ihre eigene Wege. Ulrike seufzte leise.
Serafina vergrub ihre Hände tiefer in ihren Muff. Dieses Accessoire hatte sie erst vor Kurzem in allen erdenklichen Farben und Materialien wieder in Mode gebracht. Überraschend für manchen Zweifler wurden diese altmodischen Handwärmer innerhalb kürzester Zeit zum absoluten Renner in Sun-White-Village. Exakt wie es bereits im 17. Jahrhundert bei den höheren Ständen populär war, hatten auch die von ihr kreierten nice-to-have zwei Funktionen. Zum einen als Handwärmer, zum anderen dienten sie gleichzeitig und äußerst zweckmäßig als Handtasche.
„Aber verzeih“, lächelte Ulrike entschuldigend. „Du hast heute wieder diese Frau – wie war doch gleich der Name? Ach ja, du hast Ruth Hauswirt ins Krankenhaus zu ihrem Mann begleitet. Darüber wolltest du doch mit mir reden, oder nicht? Wie geht es denn dem Mann?“
Serafina nahm eine Hand aus dem Muff und nippte vorsichtig von ihrem Heißgetränk. Über den Rand der Tasse sah sie Ulrike nachdenklich an. Ja, das war richtig. Im Grunde genommen wollte sie mit Ulrike über diese seltsame Frau sprechen. Über ihr Gefühl, das sie stets in Ruths Gegenwart hatte, und das sie nicht wirklich einzuordnen wusste.
Als sie Ruth Hauswirt das erste Mal ins Krankenhaus begleitete, war nicht zu übersehen gewesen, wie überfordert die arme Frau mit der Gesamtsituation war. Außerdem hatte Serafina den Eindruck gewonnen, dass eine schwere Last auf Ruths Seele drücken würde. Etwas, und da war sich Serafina absolut sicher, das nicht alleine darauf zurückzuführen war, dass Ruths Ehemann noch immer im Koma lag. Serafina hatte das Gefühl, Ruth Hauswirt würde einzig und alleine ihre Begleitung in Anspruch nehmen, um seelischen Ballast loszuwerden. Zu einem Gespräch fehlte der armen Frau allerdings noch immer der Mut. Weshalb sich Serafina weiterhin in Geduld übte. Sie wollte Ruth Hauswirt nicht drängen. Mit der Zeit kamen ihr jedoch Zweifel. Sie überlegte, ob Ruth nicht gerade auf ein Zeichen von Seiten Serafinas hoffte. Und genau deshalb, wegen dieser Überlegung, wollte sie mit ihrer Freundin reden. Sie hoffte auf eine Entscheidungshilfe.
Gerade in dem Moment, in dem Serafina Ulrikes Rat einholen wollte, hatte sie das Gefühl, eine riesige Welle eisiger Kälte würde über sie zusammen schwappen. Serafina konnte plötzlich nicht mehr richtig atmen.
Verunsichert stellte sie ihre Tasse auf den Tisch. Ihre Hände vergrub sie zitternd in ihrem Muff. Dabei sah sie verwirrt und suchend um sich.
Um den Glühweinstand drängten sich die Besucher dicht an dicht. Und sie alle waren, der Kälte wegen, dick eingepackt. Obendrein hatten nicht wenige ihre Mützen tief in die Stirn gezogen, wodurch es zum größten Teil auch unmöglich war, Gesichter zu erkennen. Und doch wurde Serafinas Blick von einem dunklem Augenpaar festgehalten. Irritiert sah sie darin Angst. Aber auch eine tiefe, abgrundtiefe Traurigkeit und gleichzeitig eine unbändige Stärke und Entschlossenheit.
Auch Ulrike erstarrte. Und das, weil ihre Freundin so erschreckend blass geworden war.
Plötzlich hustete jemand, wodurch Serafina abgelenkt wurde und die rätselhaften Augen verschwanden. Dieser Husten kam von einem Mann am Nebentisch und wurde immer heftiger. Sein Gesicht lief bereits beängstigend rot an. Er hatte deutliche Schwierigkeiten, Luft zu bekommen. Plötzlich riss er mit vor Angst weit geöffneten Augen seinen Schal vom Hals. Noch bevor seine Umgebung realisieren konnte, wie ernst die Lage tatsächlich war, verdrehte er die Augen und glitt zu Boden.
In diesem Moment schoben sich bereits äußerst energisch zwei uniformierte Männer durch die Reihen erstarrter und wie gelähmt wirkender Passanten. Einer der Ordnungshüter kümmerte sich augenblicklich um den am Boden liegenden Mann. Hastig öffnete er dessen Kleidung, während sein Kollege den Notarzt verständigte. Noch während er den Arzt verständigte, drängte er höflich, jedoch resolut Schaulustige zurück.
Erst in diesem Augenblick, in dem sich die Lage scheinbar entspannte, da Helfer anwesend waren und ein Arzt in Kürze hier sein würde, hatte Serafina das Gefühl, die seltsame Kälte würde nachlassen. Und mit einem Male nahm sie den Duft von Lavendel wahr. Dieser Geruch war überraschend intensiv. In dem Moment, in dem sie sich umdrehte, um nach der Ursache dieses Duftes zu suchen, bemerkte sie in der Menge ein liebevolles, zugleich aber auch sehr trauriges Lächeln. So schnell diese Vision aufgetreten war, so schnell war sie auch wieder verschwunden.
„Serafina!“
Ulrikes entsetzter Schrei holte Serafina wieder vollkommen zurück in die Realität. Noch sichtlich durcheinander sah sie ihre völlig verängstigte und aufgelöste Freundin an.
„Serafina … Ich denke … Ich glaube … Der Mann … Er ist tot“, stammelte Ulrike, wobei ihr Tränen über die Wangen kullerten. „Oh mein Gott. Der Mann ist vor unseren Augen erstickt und wir haben nichts getan. Wir haben ihm nicht geholfen. Wir standen nur erstarrt da!“