Читать книгу Kommissar Terani ermittelt - Bettina Bäumert - Страница 28

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Adam Erdlings Wohnung befand sich mitten in der Stadt. Ein Altbau, der vom Markt her leicht zu Fuß zu erreichen war. Im Treppenhaus roch es nach Bohnerwachs. Ein Geruch, der Leonard an seine Kindheit erinnerte. Bis auf den Straßenlärm, der nur gedämpft ins Innere des alten Gemäuers drang, herrschte eine seltsame Ruhe.

Zu Kai Bergers Leidwesen befand sich Erdlings Wohnung allerdings im dritten Stock. Und … es gab keinen Fahrstuhl.

„Leo, wir sollten ausschließlich Opfer haben, die im Parterre, allerhöchstens im ersten Stockwerk wohnen. Oder wenigstens über einen Aufzug verfügen“, stöhnte er atemlos, während er keuchend und schwitzend neben Leonard die knarrende Holztreppe hochstieg.

„Das sagst du jedes Mal“, schmunzelte Leonard.

Noch bevor sie das ehemalige Zuhause des Verstorbenen erreicht hatten, stieß auch der Chef der Spurensicherung, Lorenz Lehmann, immer zwei Stufen auf einmal nehmend zu ihnen.

„Leo, 'tschuldige, aber ehrlich, ganz habe ich das jetzt noch nicht verstanden. Warum willst du mich eigentlich heute dabei haben? Der Mann hat, aus was für einen Grund auch immer, Erdnüsse zu sich genommen, und das, obwohl er allem Anschein nach keine verträgt bzw. vertragen hat. Er ist auf dem Markt zusammengebrochen, erstickt und das wars dann auch. Punkt. Kein Fremdverschulden“, meinte er nach kurzer Begrüßung. Dabei reichte er Kai sowie Leonard Latexhandschuhe.

Kai hielt die Handschuhe verdutzt hoch.

„Was soll ich jetzt damit? Sagst doch selbst, kein Fremdverschulden.“

Lehmann zuckte lässig mit den Schultern.

„Na was wohl? Muss ich schon dabei sein, wird das auch als Tatort gehandhabt. Und zwar so lange, bis es definitiv keiner ist.“

Bevor Kai zu einer Erwiderung ansetzen konnte, kam ihm Leonard zuvor.

„Ich dachte, kann nichts schaden, bist du dabei, Lorenz. Du hast schon recht. Es gab genügend Zeugen, die das Unglück beobachtet haben. Darunter sogar zwei Mann der Schutzpolizei. Trotzdem … Du weißt schon, Tomson, der Bürgermeister …“

„Und die Frau des Bürgermeisters. Hab schon verstanden“, vollendete Lehmann.

Als Leonard die Haustür öffnete, ertönte ein leises Quietschen.

„Ein Tropfen Öl würde hier nicht schaden“, kommentierte Lehmann.

Kurz darauf standen die Ermittler in einem nur sehr spärlich beleuchteten Flur, dessen einzige Lichtquelle – zumindest im Moment – ein Oberlicht in der Wohnungstür war. Kai tastete nach dem Lichtschaltern.

„Halleluja! Wie alt ist die Wohnung denn?“, stieß er überrascht aus. „Ist noch ein alter Drehschalter. So etwas gab es im Haus meiner Oma. Und das war vor mindestens tausend Jahren. Ist so etwas überhaupt noch zulässig?“

Lehmann grinste.

„Vor tausend Jahren sagst du, Kai? Wie alt bist du dann jetzt?“

Bevor Kai etwas erwidern konnte, erklärte Lehmann.

„Diese Drehschalter gibt es freilich noch. Was denkst du denn? Ist Retro. Manche Leute stehen nun mal voll auf das alte Zeug. Ein Freund von mir hat sich solche Schalter erst in sein Haus einbauen lassen. Die Dinger sind voll im Trend!“

Kai sah den Mann der Spurensicherung verdutzt an. Eine Bemerkung diesbezüglich schluckte er allerdings hinunter.

Leonard schnupperte.

„Riecht nach frischer Farbe“, murmelte er. „Anscheinend wurde hier erst vor Kurzem frisch getüncht.“

Hinter der Eingangstür befand sich eine Garderobe aus dunklem Holz, an der einsam und verlassen eine braune Lederjacke hing. Auf der darunter befindlichen Kommode lagen alte, abgegriffene Zeitungen.

Leonard öffnete die erste Tür auf der linken Seite des Flurs und betrat das Badezimmer. In diesem winzigen Raum mit den schmucklosen weißen Fliesen wurde jeder noch so kleine Platz sinnvoll genutzt. Somit befand sich in unmittelbarer Nähe des WC‘s eine altmodische Badewanne aus Gusseisen. Gleich daneben war das Waschbecken mit einem darunter stehenden, vergilbten Unterschrank angebracht. Auf dem Rand des Waschtisches stand ein Zahnputzglas mit Zahnbürste und einer Tube Zahnpasta. Daneben lag ein kleiner Rest Seife. Im darüber befindlichen Spiegelschrank waren fein säuberlich Rasierzeug, Hautcremes, Deo und diverse Medikamente einsortiert. Neben einigen Mittelchen gegen Erkältung entdeckte Leonard Antidepressiva. Die Arzneimittel verstaute er vorsichtig in eine mitgebrachte Tüte.

„Der Mann war entweder von Haus aus unheimlich ordentlich, oder er hat noch einmal gründlich sauber gemacht, bevor er starb. War ihm wahrscheinlich vollkommen klar, dass nach seinem Ableben Fremde in seine Wohnung kommen würden“, bemerkte Lehmann, wobei er aus der schräg gegenüberliegenden Küche kam. „Sage dir, bei mir daheim herrscht gerade hier, in der Küche das reinste Chaos. Aber, ich sage dir, da ist alles akkurat dort, wo es hingehört. Nicht einmal dreckiges Geschirr steht in der Spüle. Der Typ kann einem richtig Angst machen.“

Lehmann schüttelte angewidert mit dem Kopf und Leonard schmunzelte. Lorenz Lehmann, so wusste Leonard, war noch nie ein Mensch gewesen, dessen Wohnung blitzsauber war. Seit er allerdings einen Hund hatte, noch dazu eine nicht gerade kleine Promenadenmischung, aus der sich ganz deutlich ein Bernhardiner hervorhob, bekam der Gute seine Junggesellenbude gar nicht mehr in den Griff.

„He Leute! Ich hab da was!“, rief Kai.

Er kam aufgeregt aus dem am Ende des Flurs gelegenem Wohnzimmer. In einer Hand hielt er das vermisste Notfallset, in der anderen den gesuchten Allergiker-Ausweis.

„Mann, das macht einen ganz nervös. Ich sage euch, der Mann war ein Pedant! Alles picobello aufgeräumt. Gläser … Akkurat in einer Reihe. Der Typ hat mit Sicherheit ein Lineal zu Hilfe genommen, damit auch wirklich alles in einer Reihe steht. Da steht nicht ein Glas auch nur ein bisschen anders. Nicht einen Millimeter. Beängstigend, sage ich da nur“, setzte er schaudernd hinzu.

Lorenz Lehmann nickte zustimmend. In dem Punkt war er mit Kai Berger völlig einer Meinung. Der Mann, Adam Erdling, konnte unmöglich normal gewesen sein. Der Mann hatte eindeutig eine Macke.

Leonard stieß die Tür neben dem Badezimmer auf und kam ins Schlafzimmer. Kai und Lehmann folgten ihm. Kaum im Zimmer schnappten alle drei nach Luft. Diese Luftnot lag nicht nur an der Enge des Raumes. Die Einrichtung war … bedrückend.

Ein überaus wuchtiger, altmodischer Kleiderschrank aus dunkler Eiche nahm die gesamte Wand hinter der Tür in Anspruch. An der mittleren Schranktür dieses Ungetüms hing, fein säuberlich über einen mit Stoff bezogenem Kleiderbügel, ein dunkler Anzug nebst weißem Hemd. Auf der anderen Seite, dem Schrank gegenüber stand ein großes Bett, das genauso alt, unmodern und aus schwerer Eiche wie der Kleiderschrank war. Die darauf befindliche, mit weißem Bettzeug bezogene Bettdecke, lag ordentlich zusammengefaltet exakt in der Mitte. Auch das identisch bezogene Kopfkissen war akribisch mittig ausgerichtet.

„Lineal“, brummte Kai. „Ich sage euch, der Typ hat selbst sein Bett mit dem Lineal gemacht.“

Lehmann grinste zustimmend.

„Und alles schwarz-weiß. Keine Farbe. Irgendwie wirkt das steril und kein bisschen wohnlich. Und dann ist auch noch alles picobello aufgeräumt. “

Leonard trat näher ans Bett. Auf dem Kopfkissen lag ein Zettel. Darauf stand in großen, säuberlich aneinandergereihten Druckbuchstaben:

ICH WOLLTE ES SO.

Kai Berger stöhnte genervt.

„Na klasse! Was wollte der Kerl denn? Sterben? Und dann auch noch so brutal, indem er erstickt? Mann, wenn man nicht mehr leben will, gibt es auch noch andere Möglichkeiten. Schließlich gibt es auch solche, bei denen man wesentlich weniger leiden muss.“

Lehmann schwieg und auch Leonard erwiderte nichts. An diesem pedantischem Bild aus Bett, Bettzeug und streng an die Wand ausgerichtetem Nachttisch, auf dem auch die Lampe genau mittig stand, störte etwas. Und zwar, das Kissens. Ein Teil davon zeigte nach oben, womit die gesamte, streng eingehaltene Symmetrie mutwillig unterbrochen wurde. Leonard hob das Kissen hoch. Darunter lag ein Notizbuch. Während sich Kai und Lehmann weiter umsahen, blätterte er schweigend darin.

„Also ehrlich, ich könnte hier auf gar keinen Fall schlafen“, sagte Lehmann nach einer Weile. „Dieses Antiquariat nimmt einem die Luft zum Atmen.“

Leonard sah irritiert auf.

„Jaaa“, sagte er gedehnt. „Es scheint tatsächlich so, dass Herr Erdling den Freitod gewählt hat“, äußerte er bedrückt, wobei er das Buch hochhielt. „Das hier ist ein Tagebuch. Der letzte Eintrag ist auf zwei Tage vor seinem Tod datiert: ‚Bin es leid, ohne Familie leben zu müssen‘“, las er laut vor. Dann klappte er die Seiten zu.

Kai und Lehmann sahen ihn fragend an, weshalb Leonard kurz und in groben Zügen das wiedergab, das er eben gelesen hatte.

Demnach starben Adam Erdlings Eltern vor knapp zwei Jahren. Geschwister hatte er keine. Da sich kurz darauf auch noch seine Ehefrau von ihm trennte, stand er plötzlich vollkommen alleine da. Warum sie ihn verlassen hatte und was für Schwierigkeiten in ihrer Ehe dazu geführt hatten, erwähnte Adam Erdling nicht. Nach dieser Trennung ging es ihm immer schlechter. Zwar hätten sich seine Freunde redlich um ihn bemüht, allerdings war er der Überzeugung, dass ihn niemand wirklich verstehen konnte. Niemand hätte das nachempfinden können, das er fühlte. Nicht einer von seinen Freunden hätte auch nur annähernd eine Vorstellung von dem, was in ihm vorging. Einzig ein gewisser Fritz habe seinen Seelenschmerz verstanden.

Leonard stöhnte.

„Diesen Fritz erwähnt Herr Erdling öfter. Der Mann war wohl nicht einmal mehr fähig gewesen, vor die Tür zu gehen. Folglich konnte er am gesellschaftlichem Leben nicht wirklich teilnehmen. Den Eintragungen zufolge war es dieser Fritz gewesen, der dem armen Mann indirekt dazu verholfen hatte, wieder unter Leute gehen zu können. Er hatte Erdling zu einem Psychologen geschleppt. Von diesem Arzt bekam er dann Medikamente. Und mithilfe dieser Pillen ging es auch wieder aufwärts.“

Kai schüttelte mit dem Kopf.

„Also gut, wenn es ihm wieder besser ging, was war das dann auf dem Markt? Ich meine, nach dem, das da steht, schlussfolgert man doch, dass er sich wieder gefangen hatte? Und er war schließlich mit Freunden unterwegs.“

Leonard hob das Buch in die Höhe.

„Schon, trotz allem hat er hier drin deutlich geäußert, dass er nicht mehr leben wollte. Das Leben sei für ihn viel zu schwer geworden.“

Kai schüttelte erneut mit dem Kopf.

„Oh Mann, gibt es arme Teufel“, stöhnte er.

Lehmann hob einen Zettel hoch.

„Der hier hing am Anzug. Erdling möchte genau in dem Teil beerdigt werden.“ Mit dem Kopf zeigte er zum Schrank. „Er möchte einen einfachen Holzsarg haben. Tja, und dann hat er noch die Anschrift seines Nachlassverwalters hinterlassen.“ Mit einem Seufzer sah er seine Kollegen an. „De facto also eindeutig Suizid. Noch ein Selbstmord in Village. Halleluja, war da nicht erst vor Kurzem schon einer gewesen?“

Kai Berger verzog säuerlich sein Gesicht.

„In Großstädten bringt sich andauernd jemand um. Da ist so etwas nichts Ungewöhnliches.“

Lehmann hob erstaunt seine Augenbrauen. Bevor er allerdings etwas erwidern konnte, redete Kai weiter.

„Hier in Village sind wir das nur nicht gewohnt. Ich will damit sagen … egal …“ Er räusperte sich kleinlaut. „Steht in dem Buch vielleicht noch etwas? Ich meine, nicht nur der Vorname dieses Freundes, sondern auch der Familienname? Andererseits wird sich darum der Nachlassverwalter kümmern müssen. Ist nicht mehr unser Bier.“

„Da steht nur Fritz. Mit mehr kann ich leider nicht dienen“, murmelte Leonard. Während er das Tagebuch sorgfältig in eine Tüte packte, meinte er. „Vielleicht haben wir Glück, und der Mann ging hier in Village zum Psychologen.“

Kai sah Leonard entrüstet an.

„Leo? Hallo! Der Typ wollte sterben. Wozu willst du jetzt noch wissen, zu welchem Psychologen er gegangen ist? Hallo! WIR müssen gar nichts mehr klären! Hast doch selbst gelesen: ER WOLLTE ES SO“, setzte er eindringlich und jedes Wort einzeln betonend hinzu.

Lehmann nickte bekräftigend.

Kommissar Terani ermittelt

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