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Adam Erdlings frühes Ableben ging Leonard Terani nicht wieder aus dem Kopf. Dabei lag es auf der Hand, dass der Mann aus freien Stücken und von eigener Hand aus dem Leben geschieden war. Allerdings hatte Adam Erdlings Suizid alte Wunden aufgerissen, wodurch Leonard an einen früheren Klassenkameraden erinnert wurde.

Nicht vom Aussehen her. Identisch erschien eher die Art der beiden, und wie beide gelebt hatten. Zurückgezogen, gefangen in Ängste und Rituale.

Genauso war Edgar, ein Junge aus der vierten Klasse, gewesen.

Er war ein Einzelgänger, der immer für sich geblieben war. Leonard schüttelte unwillig den Kopf. Der Junge hatte sich nie an gemeinsamen Spielen und Unternehmungen beteiligte. Er war nie auf andere eingegangen und, noch schlimmer, er hatte nie gelacht. Kein Wunder also, dass er sehr schnell zum absoluten Außenseiter wurde, mit dem niemand mehr etwas zu tun haben wollte.

Leonard erinnerte sich allerdings auch an ein Erlebnis, bei dem er dem Jungen doch ein klein wenig näher gekommen war. Seinerzeit war Leonard schwer mit seinem Rad gestürzt. Edgar wurde zufällig Zeuge seines Missgeschicks. Er verband notdürftig Leonards Knie, und er begleitete ihn anschließend sogar nach Hause. Eine Tat und Hilfsbereitschaft, die niemand, am wenigsten Leonard, von ihm erwartet hätte.

Auf dem Nachhauseweg versuchte Leonard mit Edgar ins Gespräch zu kommen. Was so gut wie ein Ding der Unmöglichkeit war. Auf Leonards Fragen antwortete der Junge nur widerwillig und einsilbig. Und auf Späße ging er erst gar nicht ein. Er war und blieb ernst. Leonard wollte schließlich genervt wissen, warum er immer so abweisend und mürrisch sei. Gerade heraus, so wie Leonard eben war, wollte er von Edgar wissen, warum er nie lachen würde. Der Junge wich seinem Blick aus. Er sah in die Ferne und meinte leise, dass das Leben eben nicht zum Lachen sei.

Ein paar Tage später fehlte Edgar im Unterricht. Ihre Klassenlehrerin weinte und erklärte, dass Edgar schwer depressiv war und sich das Leben genommen habe.

Leonard stöhnte. Das Tagebuch von Adam Erdling hatte er immer und immer wieder gelesen. Darin äußerte der Mann nicht nur einmal den Wunsch, nicht weiter leben zu wollen. Selbst der Nachlassverwalter, den Leonard kontaktierte, bestätigte die tiefe Traurigkeit seines Mandanten. Nach dem Gespräch mit dem Anwalt hatte Leonard den Eindruck, der Mann hätte das anhaltende Seelenleid seines Klienten in jedem Satz erwähnt.

Als er ihn verließ, war es bereits Mittag. Leonard musste sich sputen. Schließlich war er mit dem Staatsanwalt zum Mittagessen verabredet.

Während sie auf ihre Bestellung warteten, erstattete Leonard Bericht. Tomson sah seinen Freund nachdenklich an.

„Also war es Suizid, Leonard“, seufzte er.

Leonard nickte.

„Winter, Leonard. In dieser kalten und dunklen Jahreszeit leiden sehr viele Menschen unter Depressionen.“

Leonard sah seinen väterlichen Freund erstaunt an. Der Staatsanwalt lächelte milde.

„Ich habe mir sagen lassen, dass das fehlende Sonnenlicht in dieser dunklen Jahreszeit, vielen Menschen aufs Gemüt schlägt. Was die hohe Selbstmordrate in den Wintermonaten zumindest zum Teil erklärt. Dann auch noch die Feiertage, Weihnachten, Silvester … Da werden sowieso viele Menschen traurig. Und nicht zu vergessen, Leonard, der Winter in diesem Jahr war schließlich auch anders als sonst. Strenger und dunkler.“ Er seufzte. „Hoffen wir, dass es endlich wärmer wird. Dann wird alles wieder besser. … Zumindest und Gott sei Dank war das kein Mord, Leonard. Also was grübelst du, mein Freund, noch über einen Fall nach, der gar kein Fall ist?“

Als Leonard wieder ins Büro kam, war er alleine. Kai Berger hatte sich für heute frei genommen, da die Zwillinge zum Kinderarzt mussten. Bei der anstehenden Routineuntersuchung wollte er dabei sein.

Leonard ging schwerfällig zum Kaffeeautomaten. Er dachte an Tomson. Der Staatsanwalt hatte vollkommen recht. Er grübelte tatsächlich zu viel. Und doch konnte er nicht damit aufhören. Jetzt kam ihm auch noch Serafina in den Sinn.

In letzter Zeit traf er sie kaum mehr zu Hause an. Ständig verfehlte er sie. Entweder lag es an ihm, dass er später aus dem Büro kam, oder aber, sie war bis spät abends mit Ulrike im Laden beschäftigt. Und obendrein begleitete sie auch noch immer diese Frau, Ruth Hauswirt, ins Krankenhaus. Leonard rührte nachdenklich Zucker und Milch in den Kaffee.

Für seine Begriffe begleitete Serafina diese Dame schon viel zu lange. Im Grunde hatte er angenommen, die Sache würde sich mit einem Besuch erledigt haben. Jetzt hatte er von Carmen erfahren, und das so ganz nebenbei, dass Serafina diese Frau noch immer unterstützte. Leonard hoffte nur, dass Serafinas Gutmütigkeit nicht von Frau Hauswirt ausgenutzt wurde.

Er holte tief Luft. Im neuen Jahr war mit einem Male alles ganz anders geworden. Jeder, er selbst eingeschlossen, schien nur noch irgendwelchen Wichtigkeiten hinterher zu rennen. Aus was für einen Grund auch immer, waren plötzlich alle mehr, als sonst beschäftigt. Weit mehr, als im gesamten Jahr zuvor. Belastend war für ihn allerdings auch die Tatsache, dass Serafina mit ihm reden wollte. Und er war einfach nicht darauf eingegangen. Dabei war sie extra deshalb, eben um mit ihm zu reden, in sein Büro gekommen.

Viel zu spät war ihm so richtig bewusst geworden, dass sie mit ihm über Adam Erdling reden wollte. Über sein Schicksal, diesen Unfall, der sie im gleichen Maße wie ihn belastete.

Und was hatte er getan?

Er verließ mit Kai zusammen das Büro, um sich in einen Fall zu stürzen, der gar kein Fall war. Denn eines war so sicher, wie das Amen im Gebetbuch (um es mit den Worten seiner Mutter auszudrücken), es war eindeutig Suizid gewesen. Dieser Mann, Adam Erdling, hatte schlicht und ergreifend nicht mehr leben wollen.

Leonard ließ sich stöhnend auf seinen Stuhl fallen. Oh ja, er hatte gewaltige Schuldgefühle. In letzter Zeit hörte er nicht mehr wirklich zu. Bekam er überhaupt noch konkret mit, welche Belange und Sorgen seine Freunde und Mitarbeiter hatten?

Da war zum Beispiel Elvira, die Großtante Serafinas. Leonard hatte die alte Dame schon eine ganze Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen. Genauso wenig, wie auch die Gothic, Amalia Kirchner. Bis vor einem halben Jahr hatte sie noch in seinem Haus gewohnt. Ohne Amalia hätte sich Serafina mit Sicherheit nicht so schnell von ihrem Erlebnis mit dem Perfektionisten erholt. Zumindest hatte Leonard noch mitbekommen, dass die Gothic die Feiertage bei ihrer in den USA ansässigen Familie verbringen wollte. Seit einiger Zeit besuchte sie allerdings schon wieder Carmen. Und das meist mit Elvira zusammen.

Als Leonard seine Tasse nehmen wollte, guckte er verdutzt um sich. Er hatte seinen Kaffee doch tatsächlich am Kaffeeautomaten stehen lassen. Kopfschüttelnd stand er auf.

Serafina.

Sie brauchte keine Hilfe mehr. Sie kam sehr gut alleine zurecht. Von ihren schrecklichen Erlebnissen mit dem Perfektionisten hatte sie sich sehr gut erholt. Ein paar seltsame Angewohnheiten waren jedoch geblieben. Allem voran sprach sie Namen stets vollständig mit Vor- und Familiennamen aus. Wie gesagt, Hilfe brauchte sie keine mehr. Weshalb sich Amalia Kirchner jetzt um Elvira kümmerte, und somit Charlotte Charles unterstützte. Beide Gothic-Frauen lebten zusammen mit Elvira im zauberhaften Haus der alten Dame.

Leonard lächelte. Elvira würde im Juli, so Gott wollte, ihren fünfundneunzigsten Geburtstag feiern. Und Leonard war überzeugt, dass Gott die liebenswerte Dame, die mehr und mehr in ihre eigene Jugend zurückfiel, noch eine Weile bei ihnen lassen würde.

Als er einen Schluck von seiner Tasse nahm, verzog er das Gesicht. Sein Kaffee war kalt und er hatte zu viel Zucker hinein getan.

Wieder im Hier und Jetzt tauchte erneut Adam Erdling vor seinem geistigen Auge auf.

Leonard hatte sich von Kai Berger und Lorenz Lehmann mit der Bemerkung verabschiedet, dass er auf dem Heimweg noch zum Psychologen von Village wollte. Nicht nur sein bester Freund Kai hatte ihn daraufhin völlig entgeistert angesehen. Auch Lehmann konnte nicht verstehen, warum Leonard mit dem Arzt reden wollte.

„Du willst was!?“, hatte Kai gerufen und Lehmann hatte trocken gefragt, was sich Leonard eigentlich davon versprechen würde. „Es war Selbstmord, Leo“, meinte er. „Da gibt es nix anderes zu verstehen, als dass der Typ nicht mehr wollte.“

Leonard ließ sich von seinem Vorhaben trotzdem nicht abbringen. Den Arzt traf er allerdings nicht mehr an. Dafür eine überaus hilfsbereite Arzthelferin. Sie erkundigte sich freundlich, ob sie ihm weiterhelfen könne. Auf Leonards Frage nach einem Patienten mit dem Namen Adam Erdling, belehrte sie in liebenswürdig aber bestimmt, dass sie über mögliche Patienten keine Auskunft erteilen dürfe. Allerdings könne sie ihm getrost sagen, dass ihr ein Klient mit diesem Namen völlig unbekannt sei. Schließlich verfüge sie über ein sehr gutes, um nicht zu sagen überdurchschnittlich gutes Namensgedächtnis. Trotz allem könne er gerne sein Glück bei Doktor Luv selbst probieren. Leonard glaubte ihr, weshalb er auch keine Veranlassung sah, einen Termin mit Nat Luv zu vereinbaren.

Eine geraume Zeit starrte er in seine leere Tasse. Mit Blick zur Uhr nahm er kurz darauf seine Jacke, Schal und Mütze und verließ das Büro.

Kommissar Terani ermittelt

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