Читать книгу Kommissar Terani ermittelt - Bettina Bäumert - Страница 21
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ОглавлениеRuth Hauswirt wartete bereits voller Ungeduld vor dem Eingang des Krankenhauses ‚Helfende Hände‘ auf Serafina Renington.
Vor zwei Tagen hatte sich diese nette Frau mit den roten Locken schüchtern bei Ruth vorgestellt. Damals erklärte sie, dass sie den Unfall ihres Mannes miterlebt habe. Anschließend hatte sie sich etwas verlegen erkundigt, ob sie Ruth ihre Hilfe anbieten dürfe. Im ersten Moment wollte Ruth Hauswirt diesen unerwarteten Beistand schon irritiert ablehnen. Als sie allerdings in das offene, freundliche Gesicht Serafinas blickte, nahm sie ihre Unterstützung äußerst erleichtert und dankbar an.
Ruth Hauswirt hatte Angst. Sie hatte fürchterliche Angst.
Ein wirklich tapferer Mensch war sie im Endeffekt noch nie gewesen. Nein, nicht einmal annähernd. Und jetzt machte ihr schon alleine die Vorstellung zu schaffen, auf sich alleine gestellt in diese Klinik gehen zu müssen. Hier kämpfte ihr Ehemann schließlich um sein Leben. Dieser eine Gedanke, er könne es womöglich nicht schaffen, genügte schon, um bei ihr Panikattacken auszulösen.
Ruth Hauswirt atmete tief durch. Erneut sah sie sich nervös um. Insgeheim betete sie darum, dass diese Frau, Serafina, ihr Versprechen auch wirklich einhalten und kommen würde.
Schließlich fürchtete sie sich vor den befremdlichen Geräuschen in diesem Krankenhaus. Sie hasste den penetranten Geruch nach Desinfektionsmitteln und Sterilität. Die Schwestern und Pfleger, die in weißen Kitteln äußerst geschäftig durch stille Gänge huschten, flößten ihr gehörigen Respekt ein. Aber noch weit schlimmeres Grauen überkam Ruth, dachte sie daran, ihren sonst so vitalen und starken Mann reglos und hilflos in einem sterilen Krankenbett liegen zu sehen. Sie hatte Angst vor besorgt drein blickenden Ärzte, die Worte zu ihr sprachen, die sie beim besten Willen nicht verstehen konnte und wollte. Diese Götter in Weiß ließen ihre angeborene Unsicherheit ins Unermessliche wachsen.
Aus diesem Grunde betrat sie jetzt zwar einigermaßen erleichtert, dass Serafina gekommen war, jedoch nur äußerst zögerlich das Vorzimmer zur Intensivstation. In diesem engen Raum, in dem es kein Fenster gab, hatte Ruth mit einem Male das Gefühl, keine Luft zum Atmen zu haben. Voller Panik legte sie ihre Hände auf die Brust. Dabei zwang sie sich, ruhig durchzuatmen. Als kurze Zeit später eine Krankenschwester kam und leise diverse Anweisungen erteilte, war es um Ruths Selbstbeherrschung geschehen. Sie brach in Tränen aus. Heftig schluchzend und zitternd setzte sie sich auf den einzigen vorhandenen Stuhl. Durch ihren Tränenschleier bemerkte sie erleichtert, dass Serafina leise mit der Pflegekraft redete. Kurz darauf nickte die Schwester zustimmend und verließ den engen Raum.
Es dauerte eine geraume Zeit, bis sich Ruth zumindest insoweit beruhigte, sich ihrer schweren, braunen Winterjacke zu entledigen. Darunter trug die kleine, füllige Frau einen cremefarbenen Pullover, dessen einzige Zierte eine Perlenkette war. Einen Moment lang spielte sie nervös damit, bevor sie endlich auch ihre braune Wollmütze ablegte.
Ruth hatte kurze, dunkle, leicht ergraute Haare. Serafina fielen kleine Ohrstecker auf, die allem Anschein nach passend zur Kette gekauft wurden. Ruth lächelte verlegen. Dabei strich sie ihre Haare nervös glatt.
Serafina nickte ihr aufmunternd zu. Dann half sie Ruth dabei, in einen bereitliegenden, grünen Schutzkittel zu schlüpfen. Erst als beide Frauen fertig angezogen waren, betätigte Serafina den Schwestern-Rufknopf. Kurz darauf wurden Ruth und Serafina von einer weiteren Pflegekraft freundlich gebeten, ihr zu folgen. Dabei sah die Schwester Ruth mitfühlend an.
Auf dem gefliesten Boden des Krankenhausflurs klapperten die hohen Absätze von Ruths Stiefel, deren Schaft knapp unterhalb ihrer Knie endeten und vom Saum eines dunklen Wollrockes leicht bedeckt wurden, unangenehm laut. Beschämt und mit rotem Kopf, sah sie deshalb immer wieder nervös um sich. Am Zimmer ihres Mannes angekommen holte sie tief Luft.
Rudolf Hauswirt lag in einem Bett, an dessen Seiten Gitter angebracht waren. Er war bis unter beide Achseln mit einem weißen, glatt gezogenem Laken zugedeckt. Seine Armen lagen ausgestreckt auf der Zudecke. Anstelle eines Schlafanzuges trug er ein blass blau gepunktetes Krankenhaushemd. Sein Gesicht wirkte überraschend entspannt, was den Gedanken aufkommen ließ, er wurde friedlich schlafen. Ein wirklich tröstlicher Gedanke, wäre da nicht die Beatmungsmaschine gewesen, deren regelmäßiger Rhythmus an Darth Vader erinnerte. Zudem war Rudolf mittels unzähliger Schläuche und Kabel mit weiteren, befremdlichen und für Ruth beängstigenden Geräten verbunden.
Ruth Hauswirt nahm verunsichert und zitternd auf einem Stuhl neben dem Bett ihres Mannes Platz. Über ihre Wangen liefen Tränen, während sie vorsichtig die schlaffe Hand ihres Gatten in die ihre nahm und sanft streichelte. Serafina stellte sich hinter Ruth. Mitfühlend legte sie eine Hand auf die Schulter der weinenden Frau.
„Sie dürfen nie den Mut und die Hoffnung verlieren, Ruth Hauswirt“, flüsterte sie eindringlich.
„Ich … wir … ich“, Ruth schluckte krampfhaft.
Im Grunde wollte sie reden, wollte sie sich dieser fremden Frau anvertrauen. Im tiefsten Inneren war Ruth Hauswirt sogar überzeugt, dass sie Serafina nur deshalb begegnet war. Einzig, damit sie ihr von all ihren Kümmernissen erzählen konnte. Und auch, um ihr Gewissen zu erleichtern. Ruth war sich absolut sicher, dass Serafina nicht über andere Menschen urteilen würde. Sie würde zuhören und sie würde verstehen. Noch hatte Ruth allerdings keine Kraft und keinen Mut dazu. Nicht heute. Nicht jetzt. Ein anderes Mal … Vielleicht … Nein, ganz sicher, ein anderes Mal. Nur nicht jetzt.
Sie schluchzte leise.
„Wissen Sie, mein Mann war immer sportlich gewesen.“ Sie lächelte und streichelte vorsichtig seine Hand. „Rudolf hat schon am Boston-Marathon teilgenommen. Damals ist er eine sehr gute Zeit gelaufen. Er lag unter vier Stunden. Das ist wirklich gut, hat er gesagt. … Ich habe leider keine Ahnung von so etwas. Ich …“
Ruth weinte. Sie konnte nicht mehr weitersprechen. Serafina nahm die kleine Frau behutsam in die Arme.
„Glauben Sie, er wacht wieder auf? Glauben Sie, dass Rudolf wieder gesund wird?“, sagte Ruth nach einer Weile flehentlich.
„Sie dürfen nie aufgeben, Ruth Hauswirt. Und sie dürfen auch an nichts anderes denken, als daran, dass ihr Mann wieder aufwachen wird und gesund ist. Beten Sie, Ruth Hauswirt. Beten Sie“, beruhigte Serafina die zitternde Frau leise.
Ruth nickte. Voller Liebe betrachtete sie ihren Ehemann.
„An Weihnachten hat er mir diese Kette und die Ohrringe geschenkt. … Serafina? Sie … Sie begleiten mich doch wieder, oder? Darf ich Sie überhaupt darum bitten?“
„Gerne. Ich begleite Sie sehr gerne, Ruth Hauswirt. Solange Sie das möchten und brauchen, werde ich Sie begleiten.“
Frau Hauswirt lächelte dankbar. Liebevoll und voller Hoffnung betrachtete sie ihren Mann.
Serafina sah erstaunt auf. Mit einem Male lag der Duft von Lavendel in der Luft. Bisher hatte sie den Geruch nicht wahrgenommen. Sie lächelte, als sie bemerkte, dass Ruth ein Fläschchen Lavendel-Öl aus ihrer Tasche gezogen hatte. Jetzt träufelte sie sorgfältig einige Tropfen auf ein Taschentuch. Anschließend legte sie es vorsichtig auf das Kopfkissen ihres Mannes.
„Zu Hause haben wir Lavendel-Büschel in unserem Schlafzimmer. Das wirkt beruhigend und es hält im Sommer Mücken fern“, erklärte sie verlegen. „Vielleicht wird Rudolf durch den Duft an Daheim erinnert und … er wacht auf.“