Читать книгу Kommissar Terani ermittelt - Bettina Bäumert - Страница 20
12
Оглавление„Leonard. Also wirklich. Langsam wird das alles auch für mich … Wie soll ich sagen? Unheimlich“, begann Staatsanwalt Frederik Tomson, kaum, dass seine Frau Margarete das Wohnzimmer verlassen hatte.
Frederik Tomson am Neujahrstag seine Aufwartung zu machen, war für Leonard Terani zu einer geliebten Gepflogenheit geworden. Margarete, die fürsorgliche, mollige Ehefrau des Staatsanwaltes von Sun-White-Village, hatte kurz zuvor ein Tablett mit Glühwein und selbst gebackenen Plätzchen bereitgestellt. Sie besaß ein gutes und großzügiges Herz, weshalb sie mit der Frau des Bürgermeisters, Smilla Schlinger allerlei Backwerk ins nahegelegene Seniorenheim bringen wollte. Verabschiedet hatte sie sich allerdings erst, nachdem sie ‚ihre‘ beiden Männer gut versorgt wusste.
Jetzt saß Leonard Terani nachdenklich in einem der bequemen Sessel im gemütlich eingerichteten Wohnzimmer des Ehepaares.
Sein väterlicher Freund hingegen durchquerte bereits zum wiederholten Male den Wohnraum. Und das mit großen, energischen Schritten. Gerade eben hatte er erneut die Terrassentür erreicht. Bevor er eine Kehrtwendung machte, fuhr er mit beiden Händen über seinen kahlen Kopf. Dabei ging sein Blick in den Garten. Allerdings, ohne auch nur das Geringste der weißen Pracht, die noch immer alle Beete und den Rasen bedeckte, wirklich wahrzunehmen.
Auf seinem Rückweg zur Sitzecke, sah er Leonard überaus kummervoll an. Kurz darauf blieb er ungewöhnlich abrupt vor ihm stehen.
„Diese Serie an Unglücksfälle, die in letzter Zeit über Village hereingebrochen ist, tut der Stadt, tut uns nicht gut“, begann er, wobei er seinen Zeigefinger schulmeisterlich hob. „Geht das so weiter – und Gott möge uns davor bewahren, bleiben die Touristen aus. Bald wird sich niemand mehr in unseren Ort trauen. Von was, Leonard, von was sollen die Menschen hier dann leben? Die meisten Einnahmen stammen nun einmal aus dem regen Fremdenverkehr dieser Stadt der unterschiedlichsten Nationalitäten.“
Leonard sah seinen Freund nachdenklich an.
Sehr zum Leidwesen der Gattin des Staatsanwaltes, die davon träumte, eines Tages mit ihrem Mann eine Weltreise zu machen, dachte Frederik Tomson noch immer nicht an den wohlverdienten Ruhestand. Leonard konnte mitnichten sagen, ob nicht gerade diese Vorstellung, Frederik müsse Village für längere Zeit verlassen, ihn davon abhielt, in Pension zu gehen. Oh ja, die Verbundenheit seines Freundes mit dem Ort und seinen Bewohnern, war Leonard nur allzu gut bekannt. Aus diesem Grunde zeigte er sich bei den klagenden Ausführungen des Staatsanwaltes auch nicht sonderlich beeindruckt. Gedanklich suchte er allerdings noch immer vergeblich nach einer Erklärung, wo genau der Zusammenhang mit den ausbleibenden Touristen und den Unfällen liegen sollte.
„Es ist …“, fuhr der Staatsanwalt fort, nachdem er tief Luft geholt hatte. „Es ist, als ob ein Fluch … Nun, du weißt, ich glaube natürlich keineswegs an derlei Dinge. Der Bürgermeister allerdings …“
Leonard sah amüsiert auf. Ihm war durchaus bewusst, dass weder Frederik Tomson, noch der rundliche, untersetzte Bürgermeister Benedikt Schlinger abergläubisch waren. Die Ehefrau des Bürgermeisters allerdings umso mehr.
Smilla Schlinger hatte die Berichte über Leonards vergangenem Fall, in dem Serafina von Wahrträumen geplagt wurde, regelrecht verschlungen. Die Dame Schlinger glaubte nicht nur an übernatürliche Dinge, sie war auch felsenfest überzeugt, dass es Flüche und all diese unerklärlichen, unheimlichen Begebenheiten doch tatsächlich geben würde. Nach dem vierten Unglücksfall innerhalb kurzer Zeit und infolge, war sie kaum mehr zu halten gewesen. Für Smilla stand fest:
Diese Geschehnisse in Sun-White-Village gingen nicht mit rechten Dingen zu.
„Frederik, weder du noch der Bürgermeister glauben an Derartiges“, warf Leonard ein. „Wir wissen schließlich beide, wer hinter all diesem Aberglaube steckt. Damit brauchst du nicht hinter dem Berg halten. Auch dem Allerletzten im Ort dürfte mittlerweile bekannt sein, dass Smilla Schlinger im höchsten Maße abergläubisch und empfänglich für mystische Begebenheiten ist. Somit ist dieser Sportunfall für die Lady natürlich ein gefundenes Fressen. Denk nur an das heruntergekommene Haus draußen, vor der Stadt. Smilla ist nach wie vor überzeugt, dass es dort spuken würde. Sie lässt sich nicht einmal durch handfeste Beweise von ihrer vorgefertigten Meinung abbringen. Und du weißt, es waren definitiv Jugendliche und keine Geister, die sich nachts dort herumgetrieben und eingenistet hatten. Ehrlich, es wird Zeit, dass der Stadtrat endlich einmal in die Gänge kommt und das alte Gemäuer abreißen lässt. Ich mein ja nur, bevor Smilla noch vollkommen verrücktspielt.“
Staatsanwalt Tomson lächelte gequält.
„Ja, ich weiß. Ist schon geplant. Trotzdem. Smilla behauptet weiterhin stur, es würde dort spuken. Vor Kurzem hat sie dort sogar farbige Lichter gesehen. Ihrer Überzeugung nach stammte dieses Licht natürlich nicht von dieser Welt.“
Tomson ließ sich aufstöhnend in seinen Sessel fallen. Minutenlang hüllte er sich in nachdenkliches Schweigen. Dabei starrte er versonnen auf den Beistelltisch und seiner bereitliegenden Pfeife. Gewohnheitsmäßig griff er danach, setzte sie umständlich in Gang und sog gierig den Rauch ein. Noch immer angespannt lehnte er sich im Sessel zurück.
„Leonard“, er räusperte sich. „Waren das auch wirklich alles ‚nur‘ Unfälle?“, murmelte er gepresst.
„Frederik, es waren Unglücksfälle. Bei keinem dieser Desaster war Fremdeinwirkung im Spiel. Dieser Sturz in den Bergen, an den du jetzt bestimmt denkst, war ein böses Missgeschick. Der Mann ist ausgerutscht. Bei diesem Wetter kein Wunder. Der Fels unter dem Schnee ist noch immer vereist. Das war nur ein kleiner Moment Unachtsamkeit, und schon ist es passiert. Tragisch, dass der Mann über einen Steilhang in die Tiefe stürzte. Er war sofort tot. Gut, dass er wenigstens nicht leiden musste. ... Dann war da noch dieser Fahrradunfall. Eine junge Dame hat sich mit ihrem Freund gestritten. Anschließend ist sie betrunken mit dem Rad nach Hause gefahren. Ehrlich, bei ihrem Blutalkoholspiegel war es sowieso ein Wunder, dass sie überhaupt so weit gekommen ist. Sie war schon fast zu Hause. Tragisch, ja, aber hätte sie ihren Sturz überlebt, hätte sie mit Sicherheit bleibende Schäden davongetragen. … Und dann war da noch dieser Autounfall. Frederik, bei den verschneiten und glatten Straßen auch kein Wunder. In letzter Zeit passieren sehr viele Verkehrsunfälle. Dieser eine war eben dramatisch, weil er tödlich endete. … Wie ich dich kenne, denkst du jetzt sicher an den Silvesterlauf“, führte Leonard geduldig aus.
Der Staatsanwalt stöhnte.
„Diese Herzgeschichte … Es war ein so wundervoller Tag. Alles lief höchst erfreulich. Sogar das Wetter war auf unserer Seite und hat mitgespielt. Schneefall gab es erst nach der Veranstaltung. Wirklich, sogar Petrus war auf unserer Seite. Aber dann … Du hättest übrigens den Sieg für deine Abteilung geholt, wenn … Der Mann, Leonard? Er lebt noch?“
Leonard sah bedrückt den Rauchringen aus Frederiks Pfeife hinterher.
„Rudolf Hauswirt. Ja, er lebt noch. Allerdings ist er weiterhin nicht ansprechbar. Er liegt im Koma. Die Ärzte wollen sich mit einer Prognose noch nicht festlegen. Mal sehen, was die nächsten Tage bringen.“
Frederik Tomson sog nachdenklich an seiner Pfeife.
„Leonard, du weißt, dass du alles getan hast, was du tun konntest. Mit ziemlicher Sicherheit wäre der Mann ohne deine Hilfe schon nicht mehr am Leben.“
Leonard schüttelte mit dem Kopf.
„Lag nicht an mir. Dieser Fremde, dieser Psychologe war nicht unerheblich daran beteiligt. Gott sei Dank hat er sich dann auch noch um Frau Hauswirt gekümmert. Ich muss ehrlich sagen, mit ihr war ich etwas überfordert.“
Der Staatsanwalt nickte verständnisvoll.
„Nat Luv. Der Mann heißt Nat Luv, Leonard. Er hat erst vor Kurzem eine Praxis für Psychotherapie aufgemacht. Hier in Village. Dachte immer, die Leute in unserer Stadt brauchen so etwas nicht. Einen Seelenklempner. Scheinbar aber doch. Seine Praxis muss sehr gut gehen. Er ist äußerst beliebt. Vor allem Jugendliche suchen den Mann gerne auf. Bevor du jetzt fragen musst, woher ich das alles weiß: Margarete. Und die hat es natürlich von Smilla“, setzte Tomson verlegen hinzu.
Leonard setzte sich gerade.
„Wie geht es Smilla eigentlich? Soweit ich mitbekommen habe, hat sie den Lauf abbrechen müssen.“
Der Staatsanwalt lachte.
„Ihr geht es schon wieder besser. Ihre Knie, weißt du. Das hat ihr jeder von uns schon im Voraus prophezeit. Trotzdem musste dieses närrische Ding noch an den Start.“
Obwohl seine Worte einen nicht zu überhörenden Vorwurf beinhalteten, schmunzelte er anerkennend.
„Eines muss man ihr lassen. Ideen hat die Frau. Sie hat diesen Tag wirklich hervorragend organisiert. Die Besucherzahlen haben alle Erwartungen übertroffen.“
Leonard lächelte und nahm eines von Margaretes bereitgestellten Plätzchen. Als er sich das Gebäck genüsslich in den Mund steckte, fuhr der Staatsanwalt erschrocken von seinem Sitz hoch.
Zu spät.
Leonard riss bereits völlig entgeistert die Augen auf. Mit Tränen in den Augen und wild schluckend, würgte er die Masse, die zudem in seinem Mund immer mehr zu werden schien, hinunter.
Frederik grinste und lehnte sich gemächlich in seinem Sessel zurück.
„Ehrlich, Leo, ich wollte dich noch warnen. Aber … du warst schneller. Meiner Margarete sind diese Schokoladendinger nicht wirklich gelungen. Und außerdem dachte ich, du kennst schließlich ihre Backkünste. Folglich hätte ich nie im Leben angenommen, dass du zu- greifen würdest“, erklärte er schmunzelnd.
Um den ekligen Geschmack loszuwerden, spülte Leonard kräftig mit Glühwein nach.
„Nicht wirklich gelungen?! Das ist die Untertreibung des Jahres!“, jammerte er und schnappte nach Luft. „Ich nahm an … wenigstens die Plätzchen … Was um alles in der Welt hat sie da gemacht?! Schmeckt wie Salz, vermischt mit Schokolade.“
„Richtig“, brummte Frederik zustimmend. Er amüsierte sich noch immer königlich, da Leonard weiterhin verstört guckte und verkrampft schluckte. „Ehrlich gesagt habe ich mir nicht getraut, ihr das zu sagen. Ich meine, dass sie anstelle von Zucker Salz erwischt hatte. Im Gegensatz zu dir habe ich es allerdings geschafft, eines dieser Dinger ohne großes Theater hinunter zu würgen. Ach Leonard, du weißt doch, meine Margarete möchte backen, und sie tut das auch gerne, nur …“, setzte er zerknirscht hinzu.
Der Kommissar wusste nur zu gut und aus eigener Erfahrung, dass Backen mit Sicherheit nicht zu Margaretes Stärken zählte.
„Deine Frau hat die Dinger doch hoffentlich nicht mit ins Altenheim genommen? Denn ganz offensichtlich hat sie nichts davon probiert?“, erkundigte er sich besorgt.
„Das heißt Seniorenheim, Leonard. Und nein, Margarete hat wirklich nichts davon gekostet. Sie achtet zur Zeit auf ihre Figur. Weshalb auch immer. Denke mal, Smilla ist daran nicht ganz unschuldig.“ Er seufzte tief. „So etwas kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Was soll ich denn mit einem Hungerhaken von Frau? … Aber keine Angst, die Kekse, die sie mitgenommen hat, habe ich heimlich mit ähnlichen Dingern aus dem Supermarkt vertauscht.“ Er lächelte verlegen. „Du hast von dem Rest erwischt, den ich nicht mehr austauschen konnte.“
Leonard sah seinen Freund anerkennend an.
„Na das nenne ich mal Liebe.“
Frederik Tomson stand auf und entsorgte die Unglückskekse im offenen Feuer des Kamins.
„Meine Frau wird sich freuen, Leonard, dass sie dir so geschmeckt haben und du gleich alle Plätzchen verdrückt hast“, feixte er. Gleich darauf wurde er wieder ernst. „Um noch einmal auf die Unfälle in Village zu kommen, Leonard. Mir lässt das alles keine Ruhe. Nur einmal so gefragt … Serafina?“
Jetzt verschluckte sich Leonard an seinem Glühwein. Er hustete und hatte Mühe, nicht laut loszulachen.
„Serafina? Sie hat gestern Abend kurz mal angedeutet, dass sich die Unfälle hier häufen würden. Allerdings war Silvester. Wir haben ins neue Jahr gefeiert, unsere freie Zeit genossen … Übrigens möchte sie den verunglückten Sportler im Krankenhaus besuchen. Sie hat das Gefühl, seine Frau würde dahingehend Hilfe benötigen. Du weißt, wie sie ist. In der Hinsicht ist sie sehr sensibel. ... Sollte allerdings etwas Unheimliches, etwas, an das du auf gar keinen Fall glaubst, passieren, werde ich dich selbstverständlich auf der Stelle informieren“, fügte er spöttelnd hinzu.