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Kapitel 23
ОглавлениеMaren hatte schlecht geschlafen. Schon wieder.
Sie tappte in das winzige Bad und ließ das Wasser in der Dusche laufen, bis es angenehm warm war. Dann befestigte sie den Duschkopf am Halter und stieg in die Duschwanne, nur um gleich wieder rauszugehen. Sie hatte das Handtuch vergessen.
„Mist!“
Sie langte in die Duschkabine hinein, um den Wasserstrahl abzustellen - Unnötiger Wasserverbrauch! - tappte Richtung Tür, spürte unter ihren nackten Füßen etwas hartes, kleines - die Zehennägel, die ich mir gestern geschnitten habe, iihh - nahm sich ein frisches Handtuch aus dem Regal, legte es auf das Waschbecken und betrat wieder die Duschwanne. Das Wasser hatte wenig Druck und blieb in der Temperatur nicht konstant. Sie drehte hastig am Regler. Schnell einseifen, bevor es wieder kalt wurde.
Sie drehte das Wasser ab und verteilte Shampoo auf den Haaren. Zu spät merkte sie, dass das gar kein Shampoo war, sondern Duschgel.
Egal. Es schäumte nicht so gut, aber dafür roch es besser.
Was war los? Warum war sie so neben der Spur? Sie überlegte, was sie in dieser Woche noch für Termine hatte. Eigentlich nur das Übliche.
Etwas nagte an ihr, aber was?
Sie kannte dieses Gefühl. Dieses Unterdrücken eines Gedankens, der nach oben ins Bewusstsein wollte und nicht durfte.
Und dann wusste sie es plötzlich:
Es ist das Geld.
Das Geld in den beiden Reisetaschen, verborgen in ihrem Kleiderschrank unter einem Berg schmutziger Wäsche. Langsam ging ihr die Kleidung aus, weil sie die gebrauchten Klamotten immer oben drauf schmiss, ohne etwas wegzunehmen und zu waschen. Sie wollte die Taschen nicht sehen.
Warum musste das Geld eigentlich bei ihr in der Wohnung sein? Warum konnte Frauke es nicht in ihrem eigenen kleinen Zimmer aufbewahren?
Zugegeben, da gab es keinen Kleiderschrank. Frauke wollte das Geld bestimmt nicht offen in der elterlichen Wohnung herumliegen lassen. Ihre Geschwister konnten ja hereinschneien, um sich über den Stand der Entrümpelung zu informieren.
Aber das würden sie natürlich nicht tun. Die hielten sich schön heraus und ließen ihre Schwester alleine schaffen. Die Wohnung von Fraukes Eltern wurde immer deprimierender, je länger ihre Freundin darin arbeitete.
Maren hatte nicht gedacht, dass das möglich war - sie war auch möbliert schon hässlich gewesen - aber es war so. Die Tapete hinter den Schränken war schmutzig, der Boden verfärbt, klebrig und zerkratzt. Maren hatte den pulverisierten - nein: atomisierten Staub gesehen, der unter dem Ehebett gelegen hatte. Das Bett hatte einen geschlossenen Bettkasten gehabt und war seit 40 Jahren nicht bewegt worden.
Es war eklig!
Sie sah ein, dass Frauke das Geld jetzt im Moment nicht bei sich haben konnte. Aber sie, Maren, wollte es auch nicht haben!
Es beschäftigte sie, dieses Geld.
Anfangs hatte sie noch geglaubt, es einfach ignorieren zu können, aber es ging partout nicht. Es war, als würden die Scheine zu ihr sagen: Wir sind hier! Beachte uns!
Und Maren gehorchte.
Sie musste mit Frauke reden. Vielleicht konnte Malte ja Asyl gewähren? Er schien von dem Geld nicht besonders beeindruckt gewesen zu sein.
Komisch eigentlich. Sie hatte immer gedacht, sie wäre anspruchslos. Vom Typ her bescheiden, nie besonders wählerisch, nicht verwöhnt. Aber das bloße Vorhandensein des Geldes ließ sie darüber nachdenken, was man davon alles würde kaufen können.
Endlich einen neuen Laptop, weil der alte in letzter Zeit immer hängenblieb, gerade wenn sie ihn am dringendsten brauchte.
Die Gemeinde müsste mir eigentlich einen zur Verfügung stellen. Gehört doch heutzutage zur Grundausstattung.
Aber sie hatte, als Pfarrer Keller etwas verlegen erklärt hatte, dass sie nicht genug Geld dafür in den Haushalt eingestellt hatten, gleich nachgegeben und erklärt, sie könne gerne ihren privaten Laptop für die Arbeit benutzen. Und damit war die Gelegenheit vorübergegangen und keiner sprach mehr von der Ausstattung des Arbeitsplatzes für die neue Gemeindepädagogin. Denn jetzt war sie ja nicht mehr neu.
Warum muss ich immer so nachgiebig sein? Warum poche ich nicht endlich mal auf meine Rechte?
Ein lautes Geräusch durchdrang die Wohnung. Maren fühlte, wie Adrenalin in ihre Blutbahn einschoss. Sie war gerade dabei, sich zu föhnen und schlug vor Schrecken mit dem Fön gegen ihren Schädel.
„Au!“
Es war die Wohnungsklingel.
Sie stolperte aus dem Bad, griff nach dem Bademantel, der an einem Garderobehaken hing, und schlüpfte schnell hinein. Sie hatte sich noch gar nicht richtig abgetrocknet. Wer konnte das sein?
Als sie die Tür geöffnet hatte, fiel ihr die Kinnlade herunter.
Ihre Eltern standen vor der Tür und sahen sie erwartungsvoll an.
„Was macht ihr denn hier?“ stammelte sie.
„Wir wollen doch gerne mal sehen, wie du jetzt wohnst. Du meldest dich ja nicht!“ sagte ihre Mutter vorwurfsvoll.
Sie gab Maren einen Kuss auf die Wange und schob sie sanft zur Seite, um eintreten zu können und ihr Vater folgte auf dem Fuß. Er musterte seine Tochter kritisch.
„Du bist ja ganz nass! Trockne dich doch erst einmal ab. Müsstest du nicht längst beim Frühstück sitzen? Ihr habt doch eure Dienstbesprechung.“
Maren versuchte sich zu erinnern, in welchem Zustand ihr Wohn- und Schlafzimmer gerade war. Am Besten, sie lotste ihre Eltern in die Küche.
„Kommt hier herein, bitte. Soll ich euch einen Kaffee machen?“
„Du müsstest doch wissen, dass wir nur Tee trinken“ sagte ihre Mutter indigniert. „Wir haben schließlich 25 Jahre lang in einem Haus gewohnt. Bis du es für nötig gehalten hast, auszuziehen.“
„Dann … dann setze ich Wasser in einem Topf auf“ sagte Maren schnell. Den Wasserkocher hatte sie ja Frauke gebracht.
„Geh dich abtrocknen, Kind, ich mach’ das schon“. Die Mutter sah sich prüfend in der Küche um.
„Hier sieht es nicht so aus, als ob du dir regelmäßig eine warme Mahlzeit kochst“ sagte sie.
Maren nahm einen Kleiderhaufen vom Stuhl - die alte Unterwäsche musste nochmal herhalten - und beeilte sich, zurück ins Bad zu kommen. Sie sollte ihre Eltern nicht allein lassen, immer steckten sie ihre Nasen in Dinge, die sie nichts angingen.
Das war auch der Grund, warum Frauke nicht in eine WG mit ihr ziehen wollte. „Solange du es nicht schaffst, deinen Eltern die klare Ansage zu machen, dass sie sich aus deinem Leben raushalten sollen, werde ich garantiert nicht mit dir zusammen wohnen!“
Frauke war manchmal knallhart. So wollte Maren nicht sein. Als sie, notdürftig abgetrocknet, und ohne ihr Gesicht eingecremt zu haben, in den Flur zurückkam, waren ihre Eltern nicht mehr in der Küche, sondern in ihrem Schlafzimmer.
Ihr Vater stand über den Schreibtisch gebeugt und ihre Mutter kniete vor dem geöffneten Kleiderschrank und zog ihre Schmutzwäsche hervor.
„Was machst du da?“ rief Maren erschrocken. „Lass meine Wäsche in Ruhe!“ Sie spürte, wie ihr der Angstschweiß aus den Poren trat.
„Was ist denn das für ein Ton?“ sagte ihr Vater. „Deine Mutter will dir nur helfen.“
In Maren stieg Panik auf. Sie konnte bereits eine der beiden grünen Reisetaschen sehen. Sie ging rasch zum Schrank, hockte sich neben ihre Mutter und fing an, die Wäschestücke wieder zurück zu schieben.
„Was machst du?“ schimpfte ihre Mutter. „Sei froh, dass ich dir die Wäsche waschen will!“
„Das ist lieb von dir, aber ich … ich komme sehr gut klar. Wirklich!“
„Du hast doch überhaupt keine Waschmaschine. Und keinen Trockner. Morgen um die Zeit hast du die Sachen sauber und gebügelt wieder zurück.“
„Nein, Mama!“
Beide Eltern sahen sie entgeistert an.
„Was ist denn los mit dir? Bist du krank?“ fragte ihre Mutter.
In Maren arbeitete es fieberhaft. „Also gut, ich gebe dir meine Wäsche mit. Aber ich packe sie selbst in die Tüten!“
„Ich wollte diese Reisetaschen da nehmen. Die kenne ich gar nicht“ sagte ihre Mutter und deutete auf den Wäschehaufen, unter dem die Taschen versteckt waren.
„Die gehören mir auch nicht“ sagte Maren hastig. „Ich habe hier irgendwo eine große Ikea-Tasche …“
Sie fing an, eine Kiste zu durchwühlen, die neben dem Schreibtisch stand.
Verdammt! Ausgerechnet heute Morgen müssen die beiden auftauchen.
Sie hatte vorgehabt, am Vormittag die letzten beiden Kisten zu leeren und endlich auch mal sauberzumachen.
„Das ist doch kein Zustand, Maren“ sagte ihr Vater. „Nichts gegen deine Freundin, aber ich habe schon schönere Wohnungen gesehen. So kannst du doch nicht leben!“
Das war ungerecht. Frauke konnte nichts dafür, wie die Wohnung aussah. Und sie war eine der ordentlichsten Frauen, die Maren kannte.
Nein - die ordentlichste.
„Es gefällt mir sehr gut hier“ sagte sie trotzig. Aus der Küche drang das zischende Geräusch von kochendem Wasser, das überlief und verdampfte.
Sie reagierte nicht darauf. Sie würde sich keinen Zentimeter wegbewegen, bis ihre Wäsche in Tüten verstaut und die Schranktüren geschlossen waren.
Ihre Mutter erhob sich mühsam und blickte sie vorwurfsvoll an.
„Ich würde ja Tee kochen, aber ich weiß nicht, wo du die Beutel aufbewahrst. Und dann bist du wieder sauer, nur weil ich die Packung suche!“
„Ich komme gleich, Mama“ sagte sie mit einem schlechten Gewissen. „Setzt euch doch “ - verdammt, das Bett ist nicht frei und Papa sitzt auf dem einzigen Stuhl - „in die Küche und wartet einen Augenblick, ich bin gleich da“.
Ihr Vater, der die Post auf ihrem Schreibtisch gemustert hatte, stand auf. „Komm, Doris, wir sind hier, glaube ich, nicht willkommen.“
Ihre Eltern schauten erwartungsvoll zu ihr hinüber. Normalerweise hätte sie ihnen jetzt versichert, dass sie hier sehr willkommen waren und sich anschließend entschuldigt, dass die Wohnung nicht besser in Schuss war.
Aber etwas in Maren hinderte sie daran, diese Sätze zu bilden. Ihr schlechtes Gewissen verstärkte sich. Während sie noch überlegte, was sie Versöhnliches sagen könnte, stieß ihre Mutter aus:
„Du kannst mir die schmutzige Wäsche bringen. Du weißt ja, wo wir wohnen.“
Mit einem verletzten Blick in Richtung Maren ging sie zur Wohnungstür; ihr Vater folgte. Die Tür fiel mit einem lauten Krachen ins Schloss und Maren hörte, wie ihre Mutter „Ach!“ ausstieß. Sie hatte, solange Maren denken konnte, ihre Tochter ermahnt, keinen Lärm zu verursachen, leise und rücksichtsvoll zu sein.
Ihre Eltern waren verschwunden.
„Puh!“
Maren ließ sich auf das Bett fallen.
Das war knapp gewesen!
Sie hatte immer noch ein schlechtes Gewissen. Aber eines stand fest:
Sie würde ihre Wäsche nicht von ihrer Mutter waschen lassen. Nie wieder.
Ich werde die verdammte Wäsche nehmen und zu Frauke bringen. Die hat eine Waschmaschine. Fertig.