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Kapitel 6

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„Ach, verdammt!“

Frauke richtete den Wassereimer schnell wieder auf; ein kleiner Rest war übrig, der größte Teil des Putzwassers hatte sich jedoch über den Teppich ergossen. Sie nahm das Bodentuch und versuchte, den Schaden wieder gutzumachen.

Es war einer dieser Tage.

Um drei Uhr morgens war sie durch betrunkene Randalierer wach geworden, die sich laut unter ihrem Fenster unterhalten hatten. Danach konnte sie nicht mehr einschlafen.

Als sie den Kaffee übergossen hatte, stieß sie gegen den Filter und er fiel auf den Boden; die dunkelbraunen Spritzer bildeten ein unregelmäßiges Muster auf dem abgetretenen Linoleum und dem karamellfarbenen Unterschrank.

Schließlich hatte sie festgestellt, dass die Wasserspülung in der Gästetoilette unaufhörlich lief. Sie hatte die Wasserzuleitung abstellen müssen, was bedeutete, dass man sie jetzt auf-und zudrehen musste, wenn man die Toilette benutzen wollte.

Wenn diese Wohnung leergeräumt und verkauft ist, werde ich mich sinnlos betrinken vor lauter Erleichterung.

Sie ging ins Wohnzimmer und räumte die Aktenordner, die sie durchsehen musste, auf die Seite. Der Rest des Hausrats konnte in den Müll. Sie begann, Umzugskartons auseinanderzufalten und nebeneinander aufzustellen. Sie würde den Kram in den Kisten zwischenlagern.

Als sie gestern das Wohn- und das Schlafzimmer der Eltern gesichtet hatte, war ihr klargeworden, dass sie einen Container bestellen musste. Den ursprünglichen Plan, die Haushaltssachen und Bücher nach und nach im Restmüll zu entsorgen, hatte sie sofort wieder aufgegeben. Das würde Monate in Anspruch nehmen, mal ganz abgesehen von den Beschwerden der Nachbarn, die es nach sich ziehen würde.

Malte hatte angeboten, das günstigste Angebot der Entsorgung für sie herauszufinden und hatte ihr wenige Stunden später bereits einen Link geschickt. Sie hatte den kleinsten Container bestellt, den es gab und sich gleichzeitig gefragt, wovon sie das eigentlich bezahlen wollte. Klar - wenn die Wohnung verkauft war, bekam sie diese Auslage ersetzt, aber bis dahin?

Dann fielen ihr die Scheine im Keller ein. Zur Not konnte sie vielleicht von dem Geld etwas nehmen?

Ihre Geschwister interessierten sich nicht dafür, wovon sie die Wohnungsauflösung bezahlte. Oder ihren Lebensunterhalt. Die kümmerten sich nur um ihre eigenen Probleme.

Es war schon praktisch, eine kleine Rücklage zu haben.

Klein’ ist gut…

Andererseits hatte sie kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, sich bei dem Geld zu bedienen. Es sollte lieber zusammenbleiben. Irgendwann würde jemand vor ihr stehen und es zurückfordern.

Hoffentlich keiner von der Mafia. Dann lieber die Polizei.

Frauke sah auf die Uhr. Sie hatte vor einer halben Stunde angefangen, die Erinnerungsstücke aus der Schrankwand in Kisten zu werfen, und bereits jetzt herrschte so ein Chaos in dem Zimmer, dass sie kaum wusste, wo sie hintreten sollte. Es konnte eben doch nicht alles einfach weggeworfen werden. Da waren Fotos von den drei Geschwistern, als sie klein waren, Bilderrahmen mit Urlaubsfotos, Ehrenurkunden, die Christoph bei den Bundesjugendspielen errungen hatte …

Sie musste die Geschwister fragen, ob sie Interesse daran hatten, und bis die eine Entscheidung getroffen hatten, musste sie die Dinge aufbewahren. Nur war dafür eigentlich kein Platz.

Sie selbst hatte kurz überlegt, ob sie etwas haben wollte: von den Fotos, den getöpferte Krügen und bemalten Tassen. Und hatte zwei Sekunden später gewusst, dass sie nichts aus der elterlichen Wohnung haben wollte. Gar nichts.

Bei ihrem Auszug vor 3 Jahren hatte sie zwei Fotoalben mitgenommen. Mehr wollte sie nicht. So prickelnd war ihre Kindheit nämlich nicht gewesen.

Einige wenige Erinnerungen waren schön: Als sie noch klein war und einmal Urlaub auf dem Bauernhof gemacht hatten. Da war ihre Mutter entspannt gewesen, ja sogar lustig. Der Vater hatte erlaubt, dass sie im Kuhstall spielten und mit dem Bauern auf dem Trecker mitfuhren.

Aber später, als Jugendliche, da wurde es anstrengend.

Die Mutter war depressiv geworden und hatte schließlich überhaupt nicht mehr die Verantwortung für die drei Geschwister wahrgenommen. Sie zog sich zurück, wenn es ihr zu viel war. Was andauernd der Fall war.

Der Vater war oft nicht da. Wenn er da war, musste man mit wütenden Ausbrüchen rechnen, wenn auf der Arbeit etwas nicht so gelaufen war, wie er wollte. Sehr viel später hatte sie begriffen, dass er enorm unter Druck gestanden haben musste.

Trotzdem: sie nahm ihm übel, dass er es nicht schaffte, Meinungsverschiedenheiten zuzulassen - oder sie gar als Bereicherung zu empfinden, wie z.B. Maltes Eltern es taten. Er konnte sich nicht in andere hineinversetzen, machte seine Wünsche und Bedürfnisse zum Maßstab.

Frauke hatte in der Zeit der Oberstufe viel Zeit bei Malte zuhause verbracht, obwohl er mehrere Klassen über ihr war. Er war ziemlich schüchtern gewesen und fühlte er sich wahrscheinlich geschmeichelt, dass sie sich für ihn interessierte.

Malte selbst fand seine Eltern nicht besonders cool. Frauke jedoch war fasziniert davon, dass sie mit ihrem Sohn diskutierten - und sogar zugaben, wenn sie im Unrecht waren. So, wie diese Leute miteinander umgingen - das kannte sie nicht von ihrer eigenen Familie.

Gut, Malte wuchs alleine auf. Er hatte zwar eine jüngere Schwester gehabt, aber die war mit vier Jahren gestorben. Ob er mit seiner Schwester später besser klargekommen wäre als Frauke mit ihrem Bruder und ihrer Schwester?

Es klingelte an der Haustür. Sie ließ Malte und Maren herein, die stirnrunzelnd das Chaos im Wohnzimmer betrachteten.

„Wollen wir erst mal einen Tee trinken?“

Maren deutete auf eine Papiertüte in ihrer Hand.

„Wir haben Stückchen mitgebracht.“

Da Frauke noch nicht gefrühstückt hatte, war es ihr recht. Sie war etwas nervös, denn ihre beiden Freunde waren gekommen, um mit ihr das Geld zu zählen. Anschließend würde Maren es mitnehmen in die Einliegerwohnung, die sie inzwischen bezogen hatte.

Maren stand Schmiere, während Frauke und Malte die Geldbündel in zwei grüne Reisetaschen umpackten. Im Haus blieb alles ruhig. Oben in der Wohnung blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Geld auf Fraukes Bett auszubreiten.

Sie mussten mehrmals von vorne anfangen zu zählen.

„Frauke, kannst du dich nicht mal konzentrieren!“ protestierte Maren. Frauke sollte nur eine Strichliste führen, aber angesichts der vielen Scheine war sie damit offensichtlich überfordert. Schließlich schickten sie Frauke in die Küche, um Kaffee zu kochen, Malte zählte und Maren schrieb auf.

„Vierhundert-vierundachtzigtausend-sechshundert Euro“ verkündete Malte schließlich.

Frauke bekam rote Flecken im Gesicht. Sie spürte ihr Herz klopfen und musste sich zwingen, weiter zu atmen.

„Mein Gott. Das ist fast eine halbe Million! Was soll ich denn jetzt bloß machen?“

Malte zuckte mit den Achseln. „Erst mal gar nichts. Du hast noch keinen Hinweis gefunden, oder?“

„Das hätte ich doch erzählt! Nein, ich habe keine Ahnung, wie mein Vater an das Geld gekommen ist.“

„Glaubst du, deine Mutter wusste davon?“

Frauke machte eine hilflose Geste. „Sie war dement. Selbst wenn sie es einmal gewusst hat - kurz vor ihrem Tod hat sie sich nicht einmal daran erinnert, dass meine Eltern seit 20 Jahren in dieser Eigentumswohnung lebten. Sie hat gedacht, sie wäre in einer Ferienwohnung und wollte zurückgehen nach Hause. Damit meinte sie ihr Elternhaus in Korbach.“

„Krass“ sagte Maren mitleidig. „Weißt du, von daher gesehen war es vielleicht ganz gnädig, dass … na ja, dass sie durch den Unfall gestorben ist.“

Frauke, die vor und nach der Beerdigung jeden Gedanken an das Schicksal ihrer Eltern unterdrückt hatte, fühlte, wie ihr die Tränen kamen. Die Traurigkeit stieg von der Mitte ihres Körpers nach oben in den Kopf.

Sie hätte es der Mutter gegönnt, in ihren letzten Jahren noch einmal glücklich zu sein. Sie hätte ihr gegönnt, die Erinnerung an das Schöne in ihrem Leben zu behalten, und sich nicht selbst zu verlieren.

Ihre Mutter hatte am Schluss die Bekannten und Freunde nicht mehr erkannt; selbst ihre Mann Kurt siezte sie manchmal.

Das einzig Gute an der Situation war gewesen, dass der Vater in dieser Zeit weicher geworden war. Nicht mehr so aggressiv, nicht mehr so aufbrausend.

Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass das vielleicht mit dem Geld im Keller zu tun hatte. Sie hätte ihn gerne danach gefragt. Allerdings bezweifelte sie, dass er zu so einer Art Gespräch bereit gewesen wäre. Oder fähig.

War es wirklich gnädig, dass die Mutter so früh gestorben war? Nein. Es war einfach vor der Zeit. Ihre Eltern hätten gerne noch gelebt. Beide.

Und es hatte sie aus der Bahn geworfen. Sie konnte sich nicht mehr konzentrieren, grübelte, führte imaginäre Auseinandersetzungen mit ihrem Vater, machte ihrer Mutter Vorwürfe…

Für sie wäre es viel besser gewesen, sie hätte ihr Studium abschließen können, und sich dann in aller Ruhe mit ihren Eltern auseinandersetzen, falls sie dazu den Wunsch verspürt hätte.

Ihre Mitstudenten lebten ein völlig anderes Leben. Sie waren so sorglos.

Sie mussten sich nicht mit der Vergangenheit beschäftigen. Nur sie wurde mal wieder gezwungen, etwas zu tun, was sie sich nicht ausgesucht hatte.

Angefangen beim Abbruch ihres Psychologiestudiums bis hin zur Auflösung dieser verdammten Wohnung. Sie versuchte ja mit aller Kraft, die Erinnerungen an früher nicht hochkommen zu lassen. Aber es klappte nicht.

Frauke kehrte in die Gegenwart zurück. Sie räusperte sich und stand auf.

„Ich muss an die Luft!“ sagte sie.

Malte, der sie beobachtet hatte, nickte. „Wir sollten das Geld zu dritt in deine alte Wohnung bringen.“

Maren stimmte sofort zu. „Ich gehe auf keinen Fall alleine mit einer halben Million Euro durch Wetzlar, da könnt ihr Gift drauf nehmen!“

Die drei zogen ihre Jacken an und machten sich auf den Weg.

Frauke hatte den Eindruck, als würde jeder auf der Straße sie anstarren. Als sie endlich in der Wohnung angekommen waren, sagte Maren:

„Ich kann doch nicht einfach eine halbe Million in den Flur stellen. Sollten wir die Taschen nicht irgendwo … verstecken?“

Malte fragte sachlich:

„Hast du dreckige Wäsche? Dann leg sie oben auf das Geld. So sieht es auf den ersten Blick wie eine Tasche für die Wäscherei aus.“

Frauke sah Malte überrascht an. Sie hatte gar nicht gewusst, dass er so patent war. Viele Frauen neigten dazu, ihn zu übersehen - mit seinen etwas engstehenden Augen, der großen Nase und seiner Schüchternheit war er nicht besonders anziehend. Aber als Kumpel war er einfach klasse.

„Lecker“ bemerkte Maren trocken. „Meine Unterhosen werden jeden Dieb abhalten, da bin ich mir sicher.“

Frauke sah zu, wie Maren die beiden Taschen hinter den Vorhang schob, der normalerweise Eimer und Besen vor den Augen von Besuchern verbarg.

„Danke, dass ihr mir geholfen habt“ sagte sie erleichtert. „Ich weiß nicht, was ich ohne euch machen würde.“

„Ich finde das echt spannend“ sagte Maren mit einem Grinsen.

Als Malte sie ärgerlich ansah und mahnend eine Bewegung zu Frauke hin machte, wurde sie sofort wieder ernst.

„Entschuldigung, Frauke. Die Umstände sind für dich wirklich nicht schön. Aber wenigstens musst du dir keine Sorgen um die Rechnungen machen, die jetzt reinkommen.“

„Glaubst du nicht, die Scheine sind nummeriert oder so was?“ fragte Frauke zweifelnd.

„Du lebst doch schon seit zwei Jahren von dem Geld! Das hättest du längst gemerkt, wenn es registriert gewesen wäre.“

Malte nickte. „Ganz recht. Mach dir keine Gedanken, Frauke. Das wird sich alles finden. Ich finde, du hast es schwer genug. Da ist es doch nur gerecht, wenn du wenigstens keine Geldsorgen hast.

Aber Frauke beschloss, das Geld auf keinen Fall zu benutzen.

Nur wenn es gar nicht anders ging.

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