Читать книгу Geliebter Wächter - Billy Remie - Страница 14

Kapitel 8

Оглавление

»Ah, meine Kinder!« Der König lächelte aufgesetzt und stand von seinem Stuhl am Kopfende der langen Tafel auf, breitete die Arme aus und kam auf sie zu, als wollte er sie umarmen. »Früchte meiner Lenden! Der Stolz meines Geschlechts.«

Letzteres sagte er so abfällig, dass sie allesamt in einer Reihe vor den Türen stehen blieben, die hinter ihnen von den hinauseilenden Wachen geschlossen wurden.

Vaaks sah sich über die Schulter und hatte ein mulmiges Gefühl im Magen, als sie sich schlossen und die Familie unter sich war.

Ihnen hätte bewusst sein müssen, dass ihr Vater das Chaos auf dem Reitplatz noch ansprechen würde.

»So.« Der König stützte sich mit einem Arm auf eine leere Stuhllehne und sah ihnen nach einander ernst in die Gesichter. »Verratet mir doch bitte, wann auch nur einer von euch gedenkt, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen?«

Vaaks war danach, nach links und rechts zu blicken, um die Mienen seiner Geschwister zu erkennen, er stand zwischen Xaith und Sarsar, May neben Sarsar, und Riath neben Xaith. Niemand wagte, sich unter dem Tadel ihres Vaters zu bewegen.

Hinter Desiderius saß Wexmell auf seinem Stuhl an der Tafel – übereck immer rechts zum Königsstuhl – und mahlte nachdenklich mit den Kiefern, als würde der Tadel ebenso ihm gelten.

Niemand sagte ein Wort. Sie mögen sich untereinander necken und reizen, aber in solchen Momenten, wenn Ärger drohte, hielten sie immer wie die Glieder einer schweren Eisenkette zusammen. Nichts und niemand würde einen von ihnen dazu bringen, einen anderen von ihnen anzuschwärzen. Selbst wenn es berechtigt wäre.

Der König verengte seine grünen Augen, stieß sich von der Tafel ab und schlenderte mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf sie zu. Dann ging er die Reihe ab, ganz langsam, wie ein General vor seinen Truppen, und sah jedem von ihnen tief in die Augen, während er sich grübelnd auf die schmale Unterlippe biss.

Er begann bei May, die mit geschürzten Lippen zu Boden starrte, wie ein ausgeschimpfter Bengel. Dann ging er an Sarsar vorbei, der seinen Blick ungerührt und unschuldig erwiderte, ein leichtes Lächeln zuckte dabei im Mundwinkel ihres Vaters. Als er weiter ging blieb er kurz vor Vaaks stehen, der unwillkürlich die Augen senkte, aber stolz Haltung wahrte. Xaith hingegen starrte dem König geradezu herausfordernd ins Gesicht. Es war, als wären sie das Spiegelbild des jeweils anderen. Nicht, weil sich ihre Gesichter ähnlich gewesen wären, sondern weil in ihrem Blick ein und dieselbe Sturheit stand. Riath machte es sich leicht, er senkte weder Blick noch Kopf, sah ihren Vater aber auch nicht an, sondern starrte an ihm vorbei an die Wand hinter der Tafel, ohne sich zu rühren.

Bis auf das Knistern des Feuers war es einen Augenblick lang totenstill, während der König stehen blieb und sie noch einmal der Reihe nach musterte.

Vaaks hasste diese Anspannung, das Warten auf den Tadel, auf die Strafe. Er musterte seine Umgebung, doch es gab nicht viel zu sehen. Der Speisesaal der Festung war nichts Besonderes. Er war lang und schmal, wie die dunkle Tafel mit den roten, samtbezogenen Stühlen, die exakt in der Mitte des Raumes stand. Auf der rechten Längsseite, wenn man durch die massiven Doppeltüren eintrat, knisterte ein Feuer im offenen Kamin, ein paar Jagdtrophäen hingen in Reihen an den Wänden, Elche mit großen Geweihen, legendäre Bären und auch Ebersköpfe. Auf den Holzbodendielen lag ein langer, roter Teppich. Ansonsten war der Raum leer.

»Wisst ihr eigentlich, wie unreif ihr euch verhaltet?«, fragte der König, ohne eine Antwort zu erwarten. Seine Augen sprühten grünes Feuer, er war wahrlich erbost. »Ich möchte den Tag erleben, da ihr so standhaft und einig wie jetzt gerade auch dort draußen steht. Aber stattdessen zeigt ihr euch stets streitlustig und beweist, wie sehr ihr alle gegeneinander aufbegehrt. May!«

Vaaks` Schwester zuckte zusammen, als der König sie ansprach. Sie reckte stolz das Kinn und erwiderte seinen Blick.

Der König schritt auf sie zu und sagte anklagend: »Deinen Bruder vor versammelter Mannschaft lauthals auszulachen zeugt nicht gerade von Größe! Sich auf seine Kosten zu amüsieren und an seinem Versagen zu laben! Habe ich dich dazu erzogen, deine Geschwister bloß zu stellen? Wäre das einer zukünftigen Königin würdig?«

May schrumpfte zusammen. »Nein, Vater«, sagte sie jedoch mit gefasster Stimme.

»Und Riath!« Der König wandte sich an seinen stolzen Sohn, ging die Reihe erneut ab und baute sich vor Riath auf, Nase an Nase, wobei Riath ihn in Körpergröße fast eingeholt hatte. »Wo fange ich an? Ich verstehe deinen Drang danach, immer alles an dich reißen zu wollen. Ich verstehe, woher dein Wunsch kommt, mir zu beweisen, was in dir steckt. Aber das ändert rein gar nichts an der Tatsache, dass dich dieses Verhalten nur zu einem trotzigen, unkontrollierbaren Bengel macht! Ich verrate dir etwas, mein Sohn, ein Mann weiß, was er sich zutrauen kann und was er sich nicht zutrauen kann. Ein Mann kennt immer seine Grenzen und geht nicht darüber hinaus. Das unterscheidet ihn von einem Jungen, der sich noch die Hörner abstoßen muss und seine Grenzen erst austestet. Dass du das wildeste Pferd ausgesucht hast, nur auf Grund der Tatsache, weil du allen beweisen wolltest, dass du der beste Reiter bist, obwohl du das nicht bist, hat für mich nichts mit einer reifen Entscheidung zu tun.«

Vaaks schielte an Xaith vorbei zu Riath. Dem jungen Prinzen war deutlich seine Erschütterung anzusehen. Blass und laut schluckend wich er dem harten Blick des Königs aus. Für Riath war der Tadel doppelt schlimm, denn es gab nichts, was er sich mehr erhoffte als den Stolz und die Anerkennung des Königs.

»Und nun die andere Sache«, fuhr der König fort, wobei seine Stimme nun anfing vor Zorn zu beben. »Die Art, wie du mit Untertanen sprichst. Dein Streit mit dem Stallburschen…«

Riath sah verblüfft auf, doch damit war er nicht allein, auch Vaaks und Xaith runzelten jeweils ihre Stirn.

»Ich weiß es von einem anderen Jungen, der euch belauscht hat«, der König grinste wölfisch, »ich habe meine Spione überall!« Er zwinkerte.

Wexmell schnaubte amüsiert hinter seinem Rücken.

»Hältst du es für angebracht, deine Untertanen – dein Volk! – zu bedrohen, um dir Respekt zu verschaffen? Ist es das, was du ihnen vermitteln willst? Das ihnen Gewalt droht, wenn sie dir nicht zu Füßen liegen? Ist das das Bild, das du abgeben willst? Ein Tyrann, das willst du sein? Der sich nur durch Angst und Schrecken seinen Respekt verdienen kann?«

Riath schüttelte den Kopf. »Nein! Dieser Stallbursche hat einen falschen Ton gegenüber Vaaks angeschlagen und Xaith beleidigt…«

»Tu nicht so, als läge dir etwas daran, meine Ehre zu verteidigen«, murmelte Xaith angewidert.

Der König musste ihn nur ansehen, damit er wieder verstummte und sich raushielt.

Vaaks hatte den Drang, auch etwas zu sagen, die Schuld auf sich zu nehmen, aber er wusste, dass er auch nur einen ernsten Blick einsacken würde.

Mit noch immer strenger Miene wandte der König sich wieder Riath zu. »Du setzt so viel daran, ein guter Prinz zu sein, übersiehst dabei aber das Wesentliche. Deine Untertanen sind die Pfeiler, auf denen du stehst, Riath. Gewinne ihren Respekt, nicht ihre Furcht. Denn aus Angst entsteht Wut, und aus Wut entsteht Hass. Selbst wenn dieser Bursche deine Mutter oder mich beleidigt, selbst wenn er auf deine Brüder spuckt und sich weigert, ihnen mit angemessenen Sitten zu begegnen, musst du versonnen bleiben. Das hätte Größe bewiesen. Das hätte mich wirklich beeindruckt. Statt Drohungen und Gewalt, musst du einen anderen Weg finden, einen Streit zu schlichten. Dein Verhalten spitzt Konflikte lediglich weiter zu. Behandle auch die Bauern und deine Bediensteten, als seien sie von Adel, zeig ihnen Respekt, sie dienen dir schließlich.«

Auf den Vortrag hin herrschte betretenes Schweigen im Speisesaal. Der König starrte Riath weiterhin an, bis dieser schuldbewusst den Kopf senkte und auch seine stolzen Schultern hinabsanken, als hätte ihm jemand einen Sack Mehl um den Nacken gelegt.

»Und du!« Der König sah von Riath zu Xaith und trat vor ihn. »Wenn ich dir auftrage, deine Brüder zu holen, dann tust du das umgehend und nicht erst zwei Stunden später! Wage es nicht, hinterhältige Spielchen mit ihnen oder mir zu treiben, das dulde ich in diesem Haus nicht!«

Xaith sah ihm einen Moment lang einfach nur in die Augen, als wartete er darauf, ob sein Vater den Tadel vielleicht zurücknahm, wenn er nur weiterhin so tat, als wäre er sich keiner Schuld bewusst.

Schließlich zuckte er mit den Achseln. »Wie Ihr wünscht, Vater.«

Der König verzog zynisch die Lippen und verengte seine Augen, ging aber weiter. Vor Vaaks blieb er stehen, blickte ihn ebenso streng an. »Vaaks, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du jemanden davon unterrichten sollst, wohin du gehst, bevor du die Festung verlässt?«

Vaaks senkte ergeben den Kopf. »Vergebung, Vater. Ich habe es vergessen.«

Das war eine kleine Notlüge, denn er hatte niemandem davon erzählt, dass er sich mit Fenjin in der Stadt traf, weil Xaith ihn dann begleitet oder zumindest verfolgt hätte, um ihm die Zeit mit Fenjin zu vermiesen. Er hatte doch nur … einen Mittag ohne einen Streit zwischen seinem besten Freund und seinem Bruder verbringen wollen. Nur einen Nachmittag, an dem Xaith nicht Fenjins Herz brach.

Der König zog eine Augenbraue hoch, er wusste, dass Vaaks log, doch er ging nicht näher darauf ein. Vielleicht später, aber dann nicht vor allen anderen. »Die Familie geht immer vor, mein Junge«, sagte er zu Vaaks, »und wenn du es noch einmal vergisst, dann bleibst du für drei Mondzyklen auf der Festung, ohne Besuch von Fenjin!«

Vaaks riss beinahe unmerklich die Augen auf. Drei Monate ohne Fenjin eingesperrt auf der Festung waren wirklich eine ernstzunehmende Strafe für ihn. Solange konnte er nicht ohne Fenjin sein, der Rotschopf war der Einzige, bei dem er sich wirklich entspannen konnte. Nicht, dass er seine Familie nicht mochte, er liebte sie alle, aber sie waren … anders als er. Riath, der große Krieger, May, die nicht weniger große Kriegerin, Sarsar, der Belesene, Xaith, der mächtige Hexer. Sie alle waren etwas Besonderes, und Vaaks hatte oft das Gefühl, mithalten zu müssen. Wobei dieser Eindruck nur in seinem Kopf stattfand, seine Familie nahm ihn, wie er war. Trotzdem war er nicht gerade der Interessanteste von ihnen. Bei Fenjin fühlte er sich einfach … normal. Er musste niemandem etwas beweisen, musste nicht mit ihm mithalten. Fenjin gab ihm das Gefühl, besonders zu sein. Wenn auch nicht für die ganze Welt, so jedoch für ihn.

Der König ging weiter und blieb vor Sarsar stehen. »Und du …« Er runzelte die Stirn und überlegte, als suche er nach einem Gedanken.

Sarsar blickte ihn ungerührt an und wartete.

Der König zuckte mit den Achseln. »Guten Appetit!«

Sarsar neigte den Kopf. »Danke.«

Es gab nichts, wofür man ihn tadeln müsste. Es sei denn, es würde dem König missfallen, dass Sarsar in der Bibliothek saß und alte Schriftrollen studierte. Es gab nichts, was Sarsar lieber tat.

»Kommt!«, der König wandte sich ab und winkte sie an den Tisch. »Esst! Ihr solltet heute alle früh zu Bett gehen.«

Doch nach dem Tadel hatte niemand besonders großen Hunger. Außer Xaith, der sich keiner Schuld bewusst zu sein schien, und Sarsar, der sich nichts zu Schulden kommen gelassen hatte, stocherten alle mit hängenden Köpfen in ihrem Essen, während Wexmell versuchte, ein zwangloses Gespräch ins Leben zu rufen.

Am stillsten war es auf Riaths Platz. Aber wie könnte es auch anders sein, er hatte von ihnen allen den härtesten Tadel abbekommen. Doch das war nichts Neues, seitjeher bekam er den meisten Ärger. Es war, als würde er, je mehr er versuchte, die Anerkennung seines Vaters zu erhaschen, dessen Zorn auf sich ziehen.

Mitleidvoll schielte Vaaks zu seinem Bruder, der schräg auf der anderen Seite der Tafel saß und auf seinen Teller starrte. In seinen grünen Augen schimmerte es.

Geliebter Wächter

Подняться наверх