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Kapitel 1

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Für einen Moment war es wieder ruhig, nur sein flacher Atem erzeugte ein Geräusch. Es hatte sich angefühlt, als hätte ihn etwas aus einem tiefen Schlaf gerissen. Einem sehr langen Schlaf, der mit lieblichen und friedvollen Träumen erfüllt gewesen ist. Nun erdrückte ihn eine seltsame Schwere.

Sie war ihm nicht fremd, er konnte sich noch an sie erinnern. An diese ganz spezielle Schwere. Und doch war es so lange her, dass sie ihm unangenehm auffiel. Es fühlte sich an, als würde ein Baumstamm auf ihm liegen.

Nur das Leben barg eine solche Schwere in sich.

Er war sich beinahe sicher, sollte er den Kopf heben und an sich hinabblicken, würde er einen umgestürzten Baum oder gar einen Felsen auf sich liegen sehen.

Doch er wusste instinktiv, dass nichts Greifbares ihn niederdrückte. Es war eine unsichtbare Macht, die dort Einzug erhalten hatte, wo sie kein Gewicht haben sollte.

Blinzend hob er die trägen Lider, die Sonne strahlte ungehindert auf sein Gesicht und blendete ihn. Es dauerte einen Moment, bis er sich an das Licht gewöhnt hatte. Dabei war ihm auch das nicht fremd.

Hier … hier war es selten Nacht. Und wenn es Nacht wurde, war der Himmel ein dunkelblaues Meer aus funkelnden, winzigen Diamanten und zwei silbrigen Mondkugeln, die so groß waren, dass sie den Nachthimmel zu dominieren schienen, wie zwei Berge in einem ebenen Tal. Regenschauer aus Sternen erhellten die Nächte und spiegelten in dem ruhigen Fluss, der sich durch das unberührte wilde Land zog, in dem kein Leben existierte. Nur Frieden und Leichtigkeit und … Erinnerungen.

Sehnsucht. Einsamkeit. Das lange Warten darauf, mit denen vereint zu sein, die man zurückgelassen hatte.

Aber vor allem Leichtigkeit. Ein Gefühl, das er immer in vollen Zügen genossen hatte. Stets lag er im hohen Gras unten am Flussufer, lauschte dem leisen Plätschern des Wassers und dem Rascheln des Windes in den hohen Wiesen. Zeit hatte hier kein Gefühl, keine Bedeutung. Er liebte das, die Ruhe und das Fehlen von unvollkommenem Leben. Kein Hass, keine Angst, kein Kummer.

Kein Argwohn, keine Niedertracht.

Das Warten machte ihm nicht viel aus, er wusste nicht recht, wie viel Zeit vergangen war. Manchmal kam es ihm wie Jahre vor, manchmal nur wie ein einziger Augenblick. Wenn er sich die Lippen leckte, glaubte er noch seinen letzten Kuss darauf zu schmecken.

»Wir sehen uns bei Sonnenaufgang.«

Ja, das würden sie. Wenn die Zeit dafür reif war, würden sie sich hier treffen. Im urigen Abbild ihrer geliebten Heimat, für die sie ihre Leben und ihre Liebe geopfert hatten. Die Heimat, nur ohne Leben, ohne Zivilisation. Nur die Heimat und sie und alle, die sie Brüder, Familie und Geliebte nannten …

Es hätte so friedlich bleiben sollen, doch nun weckte ihn diese seltsame Schwere, wie er sie nur aus dem Leben kannte. Melancholie durchströmte ihn. Auch das war ein Gefühl, das ihn durch das Leben begleitet hatte, ihm hier aber fremd geworden ist. Nun war er zurück, der stetige Hauch Traurigkeit, der Kummer, den er nie ablegen konnte.

Ein Beben ging durch seinen Körper, eine Erschütterung, die aus dem Boden kam und direkt in ihn fuhr. Sein Innerstes fühlte sich aufgewühlt an, als hätte ein Schmiedehammer auf sein Bewusstsein geschlagen, um ihn auf grauenhafte Art zu wecken.

Seine Augen standen nun offen. Wobei er nur aus dem einem etwas sah.

Und da wusste er, dass etwas nicht in Ordnung war.

Er setzte sich auf, die Gräser um ihn herum waren braun wie Stroh und raschelten im sanften Wind. Befürchtend sah er sich um, suchte nach den anderen.

Hinter ihm befand sich der Rand eines tiefen Mischwaldes, die Bäume warfen lange Schatten auf die Wiese. Ein Tisch, Stühle und Bänke aus Baumstämmen waren in den Schatten aufgestellt. Die anderen saßen wie üblich dort und spielten Karten. Lachten, zankten, liebten sich. Brüder im Leben, Brüder im Kampf, Brüder im … Tod. Sie schienen keine Veränderung wahr zu nehmen.

»Junge, ich glaub, dass da ist nicht gut.«

Er sah sich weiter um. Der … der andere saß wie üblich allein am Flussufer und starrte in die sanfte Strömung.

Sie beide blieben immer allein, suchten die Einsamkeit. Trauerten einer verflossenen Liebe nach.

Der andere Einsame deutete mit einem Fingerzeig ins Wasser. Er folgte der Bewegung mit seinem Blick, sah das silbrige Schimmern darin, als ob einer der zwei Monde sich darin spiegeln würde, obwohl die Sonne schien.

Verwundert stand er auf. Etwas an dem Schimmern zog ihn an. Instinktiv näherte er sich dem Flusswasser. Das Gras wurde niedriger, spärlicher und wurde von einem sandigen Grund vertrieben. Er fühlte sich wie eine Motte, angezogen vom Licht. Obwohl er nicht genau benennen konnte, was das Funkeln in ihm auslöste, ging er weiter, konnte der Anziehung nicht widerstehen. Das Schimmern hatte ein Seil ausgeworfen, das sich um ihn geschlungen hatte und unaufhaltsam zu sich zog. Er konnte nicht weichen, nicht die Richtung ändern. Eine höhere Macht zog ihn zum Fluss.

Er ging an dem anderen Einsamen vorbei, der neugierig zu ihm aufsah, ihn aber nicht aufhielt. Immer weiter und weiter, bis er knietief im Wasser stand.

Er konnte es nicht spüren, nicht die Nässe, nicht die Kühle. Direkt vor dem Schimmern blieb er stehen. Das Wasser sprudelte, als hätte sich ein Loch aufgetan, aus dem es abfloss. Tatsächlich kam das Schimmern aus einem langen Riss im Fluss, der stetig größer wurde. Wie eine brechende Eisfläche.

In der Nähe des Risses war das Gefühl der Schwere deutlicher, die Melancholie nahm zu, die Erinnerungen wurden lebendig.

Der andere Einsame stand auf einmal hinter ihm, so groß, dass er den Himmel verdunkelte. »Du bist noch nicht fertig.«

Und dann, ganz unvermittelt stieß er ihn hinein. Ein kräftiger Stoß traf ihn in den Rücken, der ihn vorwärts katapultierte.

Er war zu überrascht, um es zu verhindern. Mit einem erschrockenen Laut krachte er durch die Flussoberfläche, Wasser füllte seine Lunge, und ein Sog erfasste ihn, der ihn in den Riss zog, bis er von einem Strudel silbrigen Lichts umhüllt wurde.

Er hatte das Gefühl, zu fallen und hilflos mit den Armen zu rudern. Er konnte nichts sehen und ihm wurde übel, als er durch das Nichts geschleudert wurde, wie ein Staubkorn durch einen Sandsturm.

Es war, als ob er noch einmal sterben würde.

So überraschend wie der Fall begonnen hatte, endete er auch. Durch einen heftigen Aufprall wurde sein scheinbar endloser Sturz gebremst. Der Schmerz setzte ihn für einen Moment blind und taub seiner Umgebung aus. Keuchend rang er nach Luft. Erinnerungen strömten auf ihn ein. Erinnerungen an Zeit, an Atmung, an Schmerz und Schwere.

Ein Schatten glitt über sein Gesicht und er zwang die Augen auf. Er spürte, dass sich nur eines bewegte, die andere Augenhöhle fühlte sich hart, leer und vernarbt an. Die Luft in seinen Lungen brannte, er hustete.

Fassungslos starrte er in das Gesicht, das über seinem ragte und auf ihn hinab starrte.

Er erkannte die vertrauten Züge. Er kannte sie nur zu gut.

»Faszinierend«, sagte der Mann mit samtweicher aber gleichwohl monotoner Stimme, »das muss doch weh getan haben.«

»Wo … wie …?« Mehr brachte er nicht heraus, war zu verwirrt von all den Eindrücken. Dem Geruch des Waldes, nach Moos und feuchten Blättern, dem Lichtspiel aus Schatten und Sonne unter dem dichten Blätterdach, dem Gesang der Vögel und dem Mann, der über ihm stand.

Dieser schüttelte den Kopf, verzog bedauernd die blassen Lippen und ging neben ihm in die Hocke, um sich zu ihm hinab beugen zu können. Lässig legte er einen Arm über sein Knie und sagte mit einer natürlich angeborenen Verschlagenheit: »Unwichtig. Du bist hier. Und ich könnte gerade etwas Hilfe gebrauchen.«

Geliebter Wächter

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