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Kapitel 3
Оглавление»Du solltest nicht hier sein.«
Der Eindringling richtete sich wie ein erschrockenes Kaninchen kerzengerade auf, das etwas gewittert hatte und mit aufgerissenen Augen Ausschau nach einem Raubtier hielt. Langsam drehte der Junge sich zu ihm um, die Sonne fiel durch die Blätter der Obstbäume und ließ dessen ahornroten Schopf wie einen seltenen Edelstein funkeln. Zimtbraune Augen blinzelten ihn verwundert an.
»Wie bitte?«, fragte der Rotschopf. Trotz seiner Haarfarbe besaß sein Gesicht nicht die dafür typischen Sommersprossen, noch die helle Haut. Sein Teint war rosig, leicht gebräunt von der Sommersonne, und ebenmäßig wie ein Gemälde.
»Du solltest nicht hier sein«, wiederholte Vaaks und strich dem Kaninchen auf seinem Arm beruhigend über den Kopf, Fremde machten die Tiere im Garten nervös.
Wie immer sprach er mit monotoner, wenig gefühlsbetonter Stimme. Weder tadelnd noch drohend, er hatte lediglich eine Tatsache festgestellt. »Das hier ist der königliche Obstgarten. Fremde haben hier nichts verloren«, erklärte er dem Eindringling.
Der andere Junge sah von dem Kaninchen zu Vaaks` darüber liegendem Gesicht, und wieder zurück, hin und her, bis er schließlich auf geradezu dreiste Art zu grinsen begann.
»Ich bin Fenjin.« Der Junge sprang auf und wollte ihm die Hand reichen.
Unwillkürlich trat Vaaks zurück, beinahe ängstlich.
Einen Moment lang starrten sie sich beide überrascht an.
Fenjin lachte verlegen und ließ zögernd die Hand fallen. »Ich kam mit meinem Vater zur Festung. Er ist Kaufmann und handelt mit dem König. Bist du ein Prinz?«
Vaaks fand, dass Fenjin zu schnell und ohne Pausen redete. Er antwortete nicht, für ihn schien es offensichtlich, dass er ein Prinz war – auch wenn er sich selbst nicht als solchen bezeichnete –, immerhin standen sie auf dem Rasen des königlichen Gartens.
Fenjin wirkte ein wenig verunsichert, da Vaaks nicht mit ihm sprach. Seine Augen blieben wieder an dem Kaninchen hängen. »Ein süßes Kerlchen. Dein Haustier?«
»Ein Wildtier.«
»Aber du hast es gezähmt.«
»Nein, es ist immer noch wild.«
Das verwunderte den anderen Jungen, er wölbte die Augenbrauen unter den roten Haarspitzen. »Aha…«
»Der König hat die Kaninchen in seinem Garten unter Naturschutz gestellt«, sagte Vaaks, nun klang er doch ein wenig tadelnd. Er ließ das Kaninchen auf dem Boden ab, es hoppelte davon. Als er sich wieder aufrichtete, sah Fenjin dem Tier nach. Vaaks sprach weiter: »Es ist nicht erlaubt, sie hier zu jagen.«
Fenjin fuhr zu ihm herum. »Ich habe sie nicht gejagt.«
»Du hast sie durch die Bäume beobachtet.« Vaaks hatte es gesehen und er ließ es den anderen durch seinen ernsten Blick und Tonfall wissen.
»Nur beobachtet«, erwiderte Fenjin aalglatt und grinste mit einem frechen Funkeln im Blick.
Als Vaaks ihn mit verengten Augen musterte, lachte er auf und hob die Arme, drehte sich einmal um sich selbst, und sagte: »Siehst du: keine Waffen.«
Vaaks musterte ihn eingehend. Einfache aber saubere Kleidung aus Leinen und minderwertigem Leder. Ein Gürtel, an dem weder Steinschleuder noch Dolch hing.
Etwas ernüchtert ließ Fenjin die Arme wieder fallen, die schmalen Schultern gleich mit. Er seufzte. »Ich weiß auch gar nicht, wie man jagt.«
Das machte Vaaks stutzig, er schüttelte den Kopf. »Hat es dir dein Vater nicht gezeigt?«
»Er ist Kaufmann«, lachte Fenjin und winkte ab. »Er hält nichts von Waffen, auch nicht vom Jagen. Und was und wo sollen wir schon jagen? Uns gehört kein Land.«
Das klang folgerichtig, musste Vaaks zugeben. Immerhin war es eine ernste Straftat, zu wildern.
Fenjin schien zu spüren, dass er ihm glaubte. Er strahlte und machte einen fröhlichen Satz auf ihn zu: »Wie heißt du?«
Vaaks lehnte sich nachhinten, als wollte er wieder einen Schritt zurücktreten, entschied sich dann jedoch anders. Etwas an der Art des anderen Jungen faszinierte ihn. Er war so aufgeschlossen, locker und fröhlich, es war beinahe ansteckend.
»Vaaks«, antwortete er und spürte ein Lächeln im Mundwinkel.
Fenjins zimtbraune Augen strahlten noch mehr. »Wollen wir spielen, Vaaks?«
»Was willst du denn spielen?«, fragte Vaaks amüsiert.
»Fangen!«, rief Fenjin aus und tippte ihm auf den Arm. »Du bist!« Damit rannte er lachend an ihm vorbei.
Verwirrt drehte Vaaks sich um und blinzelte dem aufgeweckten Jungen hinterher.
Fenjin winkte ihm. »Komm schon, komm schon! Fang mich, Vaaks, fang mich!«
Vaaks grinste und rannte los. Fenjin neckte ihn, ließ ihn rankommen, rannte um Bäume herum und versteckte sich hinter Büschen. »Vaaks«, rief er lockend, »Vaaks … Vaaks … «
…»Vaaks!«
Er schlug ruckartig die Augen auf.
»Vaaks, hörst du mich?«
Er blinzelte, bis sich seine Sicht klärte und das rote Schimmern im Halbdunkel des Heubodens Formen annahm.
»Hör auf, mich zu rütteln, ich bin wach«, sagte er mit noch dunkler, verschlafener Stimme.
Fenjin nahm die Hände von seinen Schultern und ließ sich neben Vaaks` gemütlichem Bett – das nichts weiter als ein Heuhaufen war – auf den Hintern fallen. »Du hast so tief geschlafen, ich dachte, ich würde dich nie wieder wach bekommen.«
Vaaks setzte sich langsam auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Ich habe geträumt«, gähnte er genüsslich und streckte sich anschließend. Seine breiten Schultern knacksten.
»Wovon?«
»Von unserer ersten Begegnung«, antwortete er trocken, strich sich die dunkelbraunen Locken aus dem Gesicht, um sie zusammen zu binden, und sah aus der Heubodenluke nach draußen. Die Sonne ging hinter den weißen Bergspitzen unter, in deren Schutz die Festung samt Stadt lag. Ziegeldächer und graue Turmzinnen tummelten sich vor der malerischen, bergigen Kulisse, es stieg Rauch von unzähligen Kaminen auf und schlängelte sich träge dem Himmel entgegen.
»Wie lange ist das jetzt her?«, fragte Fenjin. Ein breites Grinsen schwang in seiner melodischen Stimme mit.
Vaaks überlegte mit verengten Augen. »Wie alt waren wir da?«
»Du sieben und ich acht Sommer.« Der Heuboden knackste, als Fenjin sich erhob und sich das Heu aus dem roten, kurzen Haar zupfte.
Vaaks überschlug die Jahre im Kopf. »Zehn Sommer«, flüsterte er, als könnte er selbst kaum glauben, wie lange sie schon Freunde waren. Fenjin hatte sich kaum verändert, er war noch immer eine Frohnatur und noch immer für jeden Streich zu haben. Er war gewachsen, das waren sie beide, aber noch immer war er schlank mit schmalen Schultern und noch schmäleren Hüften. Feingliedrig und groß, die perfekte Statur für einen schnellen Reiter. Oder eben für einen Kaufmannssohn, der in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Kein Krieger, das war Fenjin nicht. Ganz im Gegensatz zu Vaaks, der beinahe wöchentlich neue Hemden und Hosen brauchte, weil sein Körper einfach nicht aufhören wollte, an Masse zu gewinnen. Er wuchs und wuchs, die Schultern gingen in die Breite, alles andere in die Höhe. Riath, einer seiner Brüder, nannte ihn bereits neckend einen Berg. Neben ihm sähe Fenjin mittlerweile wie ein dünner Grashalm aus.
»Und du verlierst heute noch beim Fangen«, neckte Fenjin ihn und trat ihm gegen den Stiefel, womit er ihn aus seinen Gedanken riss. »Genug geschlafen, lass uns gehen, bevor dein Bruder uns wieder zusammen sieht und ich um mein Leben fürchten muss.«
Letzteres sagte er so zynisch, dass Vaaks sich veranlasst sah, zu seufzen.
»Dass er dich nicht mag, liegt allein daran, dass er niemanden leiden mag.«
Fenjin schnaubte herablassend, aber nicht über Vaaks, sondern über seine Behauptung. Er wandte sich ab und ging zur Leiter. Als er sich auf die erste Sprosse schwang, konterte er: »Von allen Personen bist du derjenige, der ihn am Schlechtesten kennt, glaub mir.« Vaaks runzelte verständnislos seine Stirn, aber Fenjin ging nicht weiter darauf ein. Traurig sah er Vaaks in die kastanienbraunen Augen. »Er hält mich für unwürdig, dein Freund zu sein. Er bewacht dich!«
»Du irrst dich, er kann mich nicht mal richtig leiden. Und er mag dich, er kann es nur nicht zeigen.«
Fenjin verdrehte die Augen, als wollte er sagen: »Hast du eine Ahnung.« Doch er ließ das Thema fallen, sie hatten es schon zur Genüge diskutiert.
»Jetzt komm, spute dich, mein Prinz.« Fenjin grinste herausfordernd. »Oder willst du wieder Letzter sein? Ich habe allmählich das Gefühl, du findest Gefallen daran, zu versagen.«
Vaaks` Augen blitzten seinem Freund schelmisch zu. »Vielleicht habe ich dich über all die Jahre ja auch immer gewinnen lassen.«
Fenjin zog anzüglich eine Augenbraue nach oben. »Aha! So ist das also. Wollte der pflichtbewusste Prinz mir etwa den Hof machen?« Er legte keck den Kopf schief und blinzelte so übertrieben wie eine Bühnendarstellerin.
Vaaks nahm eine Handvoll Heu und warf sie nach ihm.
Lachend duckte Fenjin sich hinter die Leiter.
»Von wegen!« Vaaks stand auf. »Ich wollte dich nur nicht wie ein Mädchen weinen sehen!«
Als er auf die Leiter zu ging, ließ Fenjin sich geschickt hinabrutschen und lachte unten im Stall voller Dreistigkeit. »Ha! Schon wieder entwischt.«
Als Vaaks amüsiert zu ihm hinabsah, verlor sich augenblicklich sein Lächeln.
Fenjin runzelte verwirrt die Stirn, doch bevor er nachfragen konnte, was Vaaks den heiteren Moment vermiest hatte, landete eine Hand auf seiner Schulter, und er fuhr erschrocken herum.
»Warum so ängstlich, Fenjin?«, fragte der dunkelhaarige Stallbursche. Argwöhnend sah er von Fenjin zu Vaaks und wieder zurück. »Hab ich euch bei etwas erwischt, hm?«
Vaaks` Miene blieb hart, er mochte den Kerl nicht sonderlich, aber er gehörte zu Fenjins Freunden.
»Klay!« Fenjin schlug sich die Hand flach auf die Brust, als wollte er sein Herz dort halten. »Hast du mich erschreckt, ich dachte schon, es wäre…«
»Die Großfresse, die Vaaks Bruder nennt?« Klay sah mit seinen bösen, kleinen Augen zu Vaaks auf und zog herausfordern seine dunklen Brauen in die Höhe. »Hat man deinen irren Bruder endlich an die Leine gelegt? Oder ihn im Fried eingesperrt, weil man der Öffentlichkeit seine unansehnliche Fresse nicht zumuten kann? Ich habe ihn hier nicht mehr gesehen, seit diesem … hässlichen Gerücht«
Vaaks sprang vom Dachboden, er wollte nicht vor dem Großmaul die Leiter runter klettern. Direkt neben Klay kam er auf und starrte diesem hart ins Gesicht. »Kein Wort über einen meiner Brüder«, warnte er ohne die Stimme zu erheben oder zu drohen. Es war schlicht ein gut gemeinter Rat.
Klay verengte die Augen, schätzte ab, wie weit er gehen konnte. Er war ein Widerling, ein richtiger Kotzbrocken. Vaaks wusste nicht, warum Fenjin mit ihm befreundet war. Aber vermutlich aus dem Grund, weshalb die halbe Festungsstadt mit ihm befreundet war. Er sah gut aus und war beliebt bei den jungen Damen. Er musste also auch eine charmante Seite besitzen, diese hatte Vaaks nur leider nie gesehen.
»Hört auf! Lasst uns in die Schenke gehen«, versuchte Fenjin, die Stimmung aufzulockern.
Vaaks sah ihn an und trat einen Schritt zurück. »Ich muss gehen, bevor sie sich sorgen.«
Klay höhnte, auf seine Mistgabel gestützt: »Muss das Möchtegern-Prinzchen sich füttern und den Arsch abwischen lassen? Ist dir der Wein der Bauernschenken nicht gut genug?« Seine Stimme wurde ernst, geradezu wütend. »Was kommst du eigentlich immer hier runter? Bleib auf deiner Festung und bade in goldenen Wannen.«
Vaaks rollte innerlich mit den Augen, Klay hatte eine völlig falsche Vorstellung. Aber was wollte er auch erwarten, er musste sich Klay nur kurz in seinen lumpigen, alten und dreckigen Leinenkleidern ansehen, um zu wissen, woher dessen Neid herrührte. Sie waren gleich alt, aber nur einer von ihnen musste Mist schaufeln. Dass Vaaks dafür andere Pflichten besaß, das wollte niemand sehen.
»Hör auf, Klay.« Fenjin schlug dem neidischen Stallburschen gegen den Arm. »Vaaks ist nicht so, das weißt du.«
Klay hörte das Pfeifen des Stallmeisters und sah sich über die Schulter, dann stieß er schnell die Gabel ins Heu, als würde er arbeiten. »Ich kenne seine Brüder«, murrte er verbittert, »Riath hält sich für den größten Hecht im Teich, und Xaith glaubt, er sei eine Art Gott. Der Weißhaarige hält uns nicht mal für würdig genug, uns zu beachten, ich glaub, er war noch nie in der Stadt. Und das Mädchen? Die Schwester…«
»Wage es nicht…«, fiel Vaaks ihm ins Wort.
Klay lächelte zynisch. »Sie hält sich für männlicher als all ihre Brüder zusammen. Vielleicht hat sie ja recht.« Herausfordernd musterte er Vaaks` Körper. »Man hört ja so einiges. Lässt die Weiber links liegen – vielleicht wärst du ja lieber selbst das Weibchen, hmmm?«, höhnte er und schielte dann zu Fenjin.
Vaaks ballte die Fäuste, doch er hielt seine Wut zurück. Der Streit würde nur eskalieren, wenn er darauf einging.
Fenjin schüttelte den Kopf. »Lass Vaaks in Ruhe, Klay, er kann auch nichts dafür, dass die Fräuleins dich stehen lassen, sobald er den Raum betritt!«
Wütend fuhr Klay zu ihm herum, aber Fenjin entwaffnete ihn mit einem neckischen Lächeln. Freundschaftlich schlug er dem Stallburschen noch einmal auf den Arm. »Sei nicht so ein Griesgram, nur weil du hier schuften musst und wir auf dem Heuboden ein Nickerchen machen konnten.«
Klay entspannte sich, er schüttelte mit einem Schnauben den Kopf. Dann nickte er Vaaks zu, der ihn noch immer argwöhnisch beobachtete. »Wenn der Prinz mir einen Becher Wein spendiert, werde ich ihm verzeihen, dass er vom König höchstpersönlich aufgenommen wurde, während wir anderen Nichtblaublüter unsere Hände blutig arbeiten.«
Es war ein unterschwelliger Seitenhieb. Klay deutete die Tatsache an, dass Vaaks nur der Ziehsohn von König Desiderius war, und nicht sein Fleisch und Blut.
Lange starrte Vaaks ihn reglos an, ehe sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete und er gemeinsam mit Klay und Fenjin zu lachen anfing.
Klay war ebenso, er konnte gar nicht anders, er wurde als mürrischer Bastard geboren, wie er sich selbst immer betitelte. Wenn er schlechter Laune war, suchte er sich gern einen Sündenbock, den er für sein Leid verantwortlich machen konnte. Das Leid des einfachen Lebens.
Klay hatte ja keine Ahnung, dass Vaaks manchmal gerne mit ihm tauschen würde. Mistgabeln schwingen, statt auf dem staubigen Platz gegen seinen eifrigen Bruder Riath zu bestehen, der alles daran setzte, der beste Schwertkämpfer, der beste Bogenschütze und der beste Reiter weit und breit zu werden, um dem König zu imponieren. Riath wollte stets dafür sorgen, dass alle wussten, dass er der stärkste und geschickteste Prinz war, dass er seine Brüder alle übertrumpfte und besiegen konnte. Dafür trainierte er hart. Und seine Verbissenheit zahlte sich aus, er war wirklich gut, und er wusste das. Er war sich auch nicht zu schade, sich in diesem Ruhm lächelnd zu sonnen.
Klay streckte Vaaks seine schmutzige Hand entgegen. »Was meinst du, Ziehsohn des Königs, gibst du mir einen Becher aus und lässt deine goldenen Hallen einen Abend für einen Bauern wie mich sausen?«
Vaaks rang mit sich, er wusste, dass seine Antwort für sein Verhältnis mit den »normalen« Kindern entscheidend war, aber …
»Wie wäre es, wenn ich dir einen Wein spendiere!«
Sie fuhren alle drei zu der Stimme herum. Ein großer Schatten bewegte sich in einer leeren Pferdebox hinter ihnen und trat in das goldene Abendlicht, das von draußen auf die Stallgasse fiel. Blondes Haar schimmerte im Sonnenuntergang, der dazugehörige Junge war fast so groß wie ein ausgewachsener Hüne, breite Schultern, sehr schmale Hüfte, beinahe überproportionierte Armmuskeln unter einem stramm sitzenden Hemd aus robustem, dunklem Eberleder. Markantes Gesicht, das ihn hart aber ebenso anmutig aussehen ließ, das Haar an den Seiten kürzer, das Deckhaar lang und zurückgekämmt, als bliese ihm ein starker Wind ins Gesicht. Lodernde, entschlossene Augen in der Farbe dieses seltsamen, benebelndem Getränks. Absinth. Augen in der Farbe von Absinth.
Ein königlicher Samtumhang, außen schwarz und innen purpurn, ließen jeden Fremden erkennen, wer er war.
Der Blonde ging direkt mit wogendem, selbstsicherem Gang auf Klay zu, der seine Sprache, aber nicht seine trotzige Miene verloren hatte. »Und wie wäre es mit einem ganzen Fass, das ich dir dann in deinen armen, knochigen Arsch schieben werde!«
»Halt!« Vaaks drängte sich zwischen die Beiden, in der Luft knisterte übergroßer, männlicher Stolz. »Riath!«
Sein Bruder baute sich auf, seine grünen Augen loderten angriffslustig, aber Vaaks blieb vor Klay stehen. »Du solltest etwas mehr Respekt zeigen, Stallbursche! Oder muss ich dir erst Respekt einflößen, du Großmaul!«
Vaaks wollte ansetzen, um zu beschwichtigen, als…
»Oh nein, jetzt habt ihr den Hahn geweckt! Und er plustert sich wieder angeberisch auf«, mischte sich eine weitere Stimme ein. Abschätzig, trocken und durch und durch gelangweilt, mit einem samtweichen Unterton, der ihr beinahe etwas Sanftes verlieh.
Vaaks gefror bei dieser Stimme das Blut in den Adern, während sein Herz sofort in Raserei verfiel.
Nein, nicht er. Alle, nur nicht er. Nicht hier, nicht jetzt.
Klay und Fenjin traten unwillkürlich einen Schritt zurück und senkten umgehend sehr schweigsam die Köpfe.
Vaaks kannte das, so verhielten sich die Menschen stets in der Gegenwart seines Bruders. Sie wichen vor ihm zurück oder senkten ergebend die Köpfe, fühlten sich sichtlich unwohl, fast bedroht, allein durch seine Anwesenheit. Nur hinter seinem Rücken wurde gelästert, was er natürlich wusste.
»Wer hat dich denn aus deiner Gruft gelassen?«, verspottete Riath Xaith. »Kommst du nicht für gewöhnlich erst bei Nacht heraus, wie all die anderen Schreckgestalten?«
Wenn Xaith die Bemerkung kränkte, ließ er es sich nicht anmerken. Sein stets durch und durch müder Blick ließ kaum eine Gefühlsregung erkennen, als würde ihn alles und jeder zutiefst langweilen. Der Umgang mit anderen Lebewesen ermüdete ihn, so sagte er selbst.
Wobei er mit Tieren auf einer Ebene umgehen konnte, wie es kaum ein anderer vermochte. Nicht wie ein Jäger, der seine Tiergefährten als Freunde betrachtete, sondern mehr wie ein Meister. Es schien, als könnte Xaith Tiere an sich binden, sie geradezu beherrschen. Auf eine wirklich gruselige Art und Weise.
Seine zwei Raben waren vermutlich die einzigen Geschöpfe, die so etwas Ähnliches wie seine Freunde waren. Wobei man sie wohl eher als Untertanen bezeichnen konnte. Und sie begleiteten ihn stets, auch in diesem Moment. Gagat, der schwarze Rabe mit den roten Augen, saß an seinem angestammten Platz auf Xaiths linker Schulter, und Petalit saß auf seinem angewinkelten rechten Arm. Petalit war ein besonderer Rabe, denn er war weiß, selbst seine Augen, als hätte Xaith ihm jegliche Farbe ausgesaugt.
»Was bist du doch geistreich, Bruder.« Xaith grinste kühl und schlenderte herein, dabei streichelte er den weißen Raben mit einem Finger unter dem Schnabel. Petalit schien es zu genießen. »Dass mich deine Worte kalt lassen, dürfte dir Aufschluss darauf geben, wie gleich mir deine Meinung und du im allgemeinen als Person bist.«
Riaths kantiges, männliches Gesicht wurde steinhart, er hasste Abweisung in jeglicher Form, selbst von Xaith. Dieser lächelte Riath an und genoss seinen Triumph sichtlich.
Vaaks kannte Xaith schon sein ganzes Leben. Natürlich, sie waren Brüder, wenn auch nicht blutsverwand und nicht einmal der gleichen Rasse angehörig – denn Vaaks war ein Mensch, der von Luzianern, von Blutsaugern, großgezogen wurde –, so gehörten sie doch derselben Familie an, wenn auch nur symbolisch. Das machte sie zu Brüdern, von Anfang an. Und doch besaß sein Bruder eine undurchdringlich düstere Aura, die ihn immer wieder fasziniert blinzeln ließ, als sähe er ihn zum ersten Mal.
Aber Xaith war auch eine … besondere Erscheinung. Und das nicht, weil er besonders groß war, dazu aber elegant schlank, was ihm einen beneidenswert drahtigen Körper verlieh, der sich hervorragend zum Meucheln eignen würde. Oder zum Tanzen.
Er wäre sicher ein begnadeter Tänzer.
Seine Brust und sein Bauch waren flach, seine Gliedmaßen lang, schlanke Muskelstränge lagen unter seiner straffen, rosigen Haut, seine Schultern waren nicht nennenswert breit, aber durch seine lange Körperform machte er das wieder wett. Doch vor allem waren seine Augen beeindruckend. Diese lodernden, gelbgrünen Augen mit den geschlitzten Pupillen, die einem die Seele aus dem Leib zu brennen schienen, wenn man nur lange genug hineinsah. Vaaks hatte schon immer ein Prickeln im Nacken verspürt, wenn sein Bruder ihm nur etwas länger in die Augen sah. Xaiths Haar war etwa so lang wie der Zeigefinger eines ausgewachsenen Mannes, es war schwarz und erinnerte an das Federkleid eines Vogels, wenn es sich bewegte. Es hing ihm stets verwegen in der Stirn und unterstrich seine besonderen Augen. Sein Gesicht war vergleichsweise schmal, besaß aber scharfe Kanten, genau wie sein Vater, der König. Die Wangenknochen, die lange Nase und das spitze, lange Kinn hatte Xaith eindeutig vom König vererbt bekommen. Nur sein Mund war schöner, wie Vaaks zugeben musste. Die Lippen blass, mit einem sanften Schwung, nicht zu schmal, aber auch nicht zu voll. Ein richtiger Kussmund, würden die Damen sagen. Doch aufgrund seiner roten Punkte und den vielen Kratern in seinem Gesicht war Xaith nicht gerade ein Frauenschwarm. Er hatte mit seiner unreinen Haut schwer zu kämpfen, das wusste Vaaks, und es tat ihm leid. Ihm persönlich fiel es gar nicht wirklich auf, Xaith bestand aus mehr als aus seinem Makel, Vaaks sah meistens ohnehin nur dessen Augen, wenn er ihm einen Blick zuwarf. Wie könnte man etwas anderes sehen? Und doch wurde Xaith ausgestoßen, obwohl so viel mehr in ihm steckte, als seine äußere Erscheinung erkennen ließ.
Nicht, dass nur sein Makel daran Schuld trug, dass er ein Einzelgänger und Sonderling war. Wie man an Fenjin und Klay sehen konnte, war es vor allem seiner kalten Ausstrahlung zu verdanken, dass er gemieden wurde. Es schien allerdings so, als legte er Wert darauf, gefürchtet zu werden.
Das sagte auch seine Kleidung. Sie schrie geradezu: »Bleibt weg von mir, ich bin ein Sonderling.«
Xaith trug stets einen Mantel aus schwarzem Leder, ganz gleich wie heiß oder kalt es war. Den Kragen aufgestellt, die Front offen. Darunter trug er ein schwarzes Hemd, das er lässig bis zum Bund seiner dunkelbraunen Lederhose offen ließ und damit seine haarlose, makellose Brust preisgab, als wollte er beweisen, dass nur sein Gesicht einen Makel besaß.
Hinzu kam sein Gang. Gleitend, kein bisschen federnd. So selbstbewusst und beinahe anpirschend wie ein Raubtier. Er schien es nie eilig zu haben, als ob es in seiner Macht läge, einfach die Zeit anzuhalten, sollte er drohen, zu spät zu kommen.
Vaaks war sich nie sicher, ob Xaiths düsteres, abgebrühtes Gehabe nur Fassade war oder sein wahres Gesicht zeigte. Wobei er oft das Gefühl hatte, dass diese Frage nicht so leicht zu beantworten war. Vermutlich traf beides und nichts zu.
Als Xaith langsam nähertrat, sank Vaaks das Herz in den Magen, weil niemand vorausahnen konnte, was sein Bruder im Schilde führte.
Wenn er nur hier war, um mit Riath zu zanken, würden Fenjin und Klay glimpflich davonkommen.
Doch wenn er nur hier war, um mal wieder Vaaks` Freunde zu vergraulen, konnte es heikel werden, denn Klay war ein Großmaul, der sich nicht zurückhalten konnte, und Xaith demonstrierte gern seine Macht. Er wurde schnell wütend – und das nicht auf solch vorhersehbare Weise wie Riath.
Vielleicht war dies sogar Xaiths einziger Antrieb. Vaaks hatte oft das Gefühl, dass Xaith schlicht Spaß daran hatte, Vaaks` Freunden Angst einzuflößen. Dass er gefürchtet sein wollte und die Einsamkeit bevorzugte.
Im Stall ging Xaith nun auf Riath zu, umrundete den Rücken seines breitschultrigen Bruders mit einem intensiven, musternden Blick aus seinen gelbgrünen Drachenaugen und stellte sich dann ganz beiläufig zu Vaaks, als stünde er zum ersten Mal nicht nur im wörtlichen Sinn an dessen Seite.
»Was würde Vater wohl davon halten, wüsste er um deine zweifelhaften Umgangsformen mit unseren Untergebenen?«, fragte Xaith Riath und warf sich ein paar Kerne aus seiner Manteltasche in den Mund, den Rest verfütterte er an Gagat und Petalit. »Ich glaube, das würde ihm gar nicht gefallen«, grinste er verschlagen mit vollem Mund, als freute er sich bereits auf den Moment, wenn der König hiervon erfuhr.
Riath bewegte genervt den Kopf hin und her. Es war kein richtiges Schütteln, die Geste unterstrich lediglich sein leichtes Augenrollen. »Es geht hier nicht um mich, mir gefällt es nun mal nicht, wie respektlos dieser Stalljunge mit unserem Bruder spricht.« Er nickte zu Klay, der mit seinen kleinen Augen unsicher umherblickte. Zorn zuckte in seiner Mimik, aber er war klug genug, den Mund zu halten.
Xaith konterte gelangweilt: »Er ist nicht unser Bruder.«
Ganz gleich wie oft er es sagte, es milderte den Stich in Vaaks` Brust nicht, wenn diese Worte seinen Mund verließen. Unwillkürlich sah Vaaks den strohbedeckten Stallboden vor sich, weil sich sein Blick gesenkt hatte. Obwohl Xaith ihn noch nie als Bruder ansehen wollte, war es für Vaaks immer wieder aufs Neue erschütternd, es so trocken und endgültig von ihm zu vernehmen.
Xaith hätte ebenso gut sagen können, Vaaks gehöre nicht zu seiner Familie.
Fenjin legte von hinten eine Hand um Vaaks` Schulter, da er wusste, was er in diesem Moment fühlte. Er spendete ihm stumm Trost. Vaaks sah sich flüchtig über die Schulter, sein Freund lächelte aufmunternd, und er lächelte flüchtig zurück.
»Doch, das ist er!«, beharrte Riath und wollte wieder auf Klay zugehen, der hinter Vaaks und Xaith stand. »Und dieser Bursche hat ihn gefälligst wie einen Prinzen zu behandeln. Ebenso wie uns! Beuge dein Haupt – und höre auf, mich anzustarren, als könntest du es mit mir aufnehmen, das kannst du nämlich nicht!«
»Vielleicht kann er es ja doch, wenn er sich traut«, warf Xaith mit einem gewitzten Augenfunkeln ein. »Ich finde, du solltest ihm eine Chance lassen. Jeder Mann sollte das Recht haben, sein Können unter Beweis zu stellen.«
Riath starrte den Stalljungen mit seinen stechendgrünen Augen nieder. »Soll er es versuchen.«
Xaith drehte sich zur Seite und sah gelangweilt zwischen Riath und Klay hin und her, seine Raben schlugen mit den Flügeln, als wollten sie den Streit anfeuern.
Doch Klay rührte sich nicht, er stand wie angewurzelt da und ballte die Fäuste, bis die Haut an seinen Knöcheln weiß wurde. In seinem Gesicht stand ein Zorn, der ihn feuerrot anlaufen ließ. Zwiegespalten zwischen Wut und dem Wissen, dass es Konsequenzen haben würde, sollte er sich mit einem Prinzen messen und diesen verletzen. Vielleicht dachte er auch darüber nach, was es für ihn und seinen Stolz bedeutete, sollte Riath ihn innerhalb eines Atemzugs von den Beinen fegen.
Die Anspannung im Stall stieg greifbar an, während das schweigsame Anstarren anhielt.
»Hört auf!« Vaaks kam endlich zu sich, nachdem er sich an die knisternde Aura gewöhnt hatte, die seinen Bruder Xaith stets umgab, und schob sich zwischen alle. Einzeln sah er sie an, Klay, Xaith, dann Riath. »Es war nur ein Spaß! Klay hat es nicht so gemeint. Und er ist mein Freund« - das entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber das war gleich in diesem Moment – »ich will gar nicht, dass er mich anders behandelt. Wir haben nur gescherzt.«
Riath hob den Kopf, er starrte Klay noch immer fest ins Gesicht, als wollte er ihn auffressen, aber Vaaks konnte unter der harten Fassade sehen, dass sein Bruder einigermaßen besänftigt war, wenn auch nicht sonderlich glücklich.
»Du hast großes Glück«, murrte Riath an Klay gewandt, »dass Vaaks ein gutes Herz hat.« Seine Augen zuckten zu Xaith, dann wieder zurück. »Aber ich behalte dich im Auge, Stallbursche. Und ich dulde kein schlechtes Wort über meine Brüder. Verstanden?«
Klay rang mit sich, Fenjin musste ihm erst einen Ellenbogen in die Rippen rammen, damit er leicht den Kopf senkte und murmelte: »Jawohl, mein Prinz.«
Das stimmte Riath milde, er mochte untertäniges Gehabe. »Ich meine es ja nicht böse, ich finde lediglich, dass du dir zu viel rausgenommen hast.«
Klay starrte angestrengt zu Boden. »Ihr habt recht, mein Prinz.«
Xaith stieß ein durch und durch abfälliges Grunzen aus. Alle sahen ihn an, Vaaks` Blick flehte inständig, dass er es dabei belassen sollte. Xaith verdrehte die Augen zum Heuboden. »So leicht zu beschwichtigen, wer soll dich einmal ernstnehmen.« Er schien enttäuscht, dass der Konflikt im Keim erstickte.
Riaths markante Gesichtsmuskeln zuckten ärgerlich. »Kannst du nicht irgendwen anderes mit deiner Anwesenheit gruseln?«
»Gern.« Geradezu erhaben glitt er zwischen ihnen allen hindurch und schlenderte auf das Tor der Ställe zu, das den Blick auf die Koppel preisgab. »Im Übrigen«, sagte er im lässigen Tonfall über die Schulter, »erwartet Vater euch an den Koppeln. Und zwar … oh … ich glaube, das war vor einer Stunde. Hm. Hoffen wir, dass unser Vater so leicht zu beschwichtigen ist wie du, mein geschätzter Bruder.«
Vaaks und Riath wurden beide bleich, sie sahen sich an, beide innerlich über Xaith fluchend, dann eilten sie ihm nach. Sie rannten an Xaith vorbei, der es wie immer nicht eilig hatte.
Fenjin entschuldigte sich halbherzig bei Klay, der beschämt zurückblieb, und holte schnell zu Vaaks auf. Wo Vaaks hinging, folgte auch Fenjin. So war es seit zehn Jahren.
Xaiths Blick bohrte sich in Fenjins und Vaaks` Rückseiten. Vaaks konnte es spüren, wie ein kaltes, bedrohliches Prickeln, das ihm den Rücken hinabrieselte. Auch das war seit zehn Jahren konstant: wo Vaaks und Fenjin waren, war Xaith nie weit.