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Kapitel 10
ОглавлениеDas silberne Licht des Mondes fiel in die Höhle und schimmerte in den feuchten Pfützen, die sich auf dem kahlen Gesteinsboden gesammelt hatten.
Cohen lehnte im Schatten neben dem Eingang am kalten Felsen, ohne etwas zu spüren, und blickte hinaus in die stille Nacht. Wobei sie nicht gänzlich still war, ein Wolf heulte den Vollmond an, Mäuse raschelten im Unterholz, und die schweren Flügelschläge gewaltiger Raubvögel pochten in der Luft.
Die Höhle roch nach Raubtier, vielleicht nach Bären, ein penetranter, starker Geruch nach Urin und Pelz, doch sie schien verlassen, die Spuren der einstmaligen Bewohner waren schon mehrere Monate alt.
Auch wenn Cohen jetzt ein Geist war – was auch immer dies bedeutete – besaß er noch immer seine ausgeprägten Jägerfähigkeiten, darunter das Lesen von Spuren, die sonst niemand wahrnehmen würde, und das Spüren von anwesenden Tieren. Nur eines fehlte und vermisste er schrecklich … die Verbindung, die er zu dem Blutdrachen besessen hatte. Dieses starke, geistige Band, das es ihm ermöglichte, das Flüstern des Drachen im Kopf zu hören, aber auch ihn über eine unbegrenzte Entfernung hinweg zu spüren. Er fühlte sich, als fehlte ein großer Teil von ihm, und es war nicht sein sterblicher Körper oder das Fühlen von … einfach allem, das ihm fehlte.
Du bestehst aus Erinnerungen, hatte Bellzazar ihm erklärt. Wenn Cohen darüber nachdachte, machte das sogar reichlich Sinn. Geister hatten keine Form, nicht nach seinem Wissen, er hingegen war das Abbild eines Mannes und eines Lebens, das nicht allzu lang her schien.
Aber warum fühlte er den Blutdrachen nicht mehr? Er erinnerte sich an das Gefühl des starken Bandes zwischen ihnen, die unerschütterliche Anziehung, die sie immer zueinander geführt hatte, doch er konnte sie nicht fühlen.
Ausatmend lehnte er den Kopf an die Felswand und betrachtete den monderhellten Wald vor der Höhle, ohne zu wissen, wo er sich eigentlich befand. In welchem Land er gestrandet war, in welcher Richtung Nohva lag. Wie viel Zeit vergangen ist.
Sein Körper saß im Schatten, von draußen konnte ihn niemand sehen, aber er hatte den einzigen Eingang im Blick. Er fragte sich, wo Desiderius gerade war, was er tat, wie es ihm ergangen war.
Ob … er ihn vermisste.
Friedlich schlief das schwarze Wolfskind in Cohens Schoß, er ließ die Finger durch das struppige Fell gleiten. Der Leib des Welpen war ganz warm. Die einzige Wärme, die Cohen fühlen konnte.
Was für eine Ironie, er konnte nur denjenigen spüren, den er verabscheuen wollte, für … einfach alles. Fast so groß war die Ironie, dass er ihn beschützen musste. Nicht um seinetwillen, sondern wegen Desiderius.
Cohen atmete tief durch und blickte auf den Fellknäuel in seinem Schoß herab. Der Welpe sah nicht annähernd so niedlich aus wie man sich ein Wolfskind vorstellte. Nein, denn dies war kein normaler Wolf, er war ein Abbild der Höllenhunde, ein Wesen aus der Unterwelt. Mit glanzlosem Fell, das ihm stellenweise ausfiel, vernarbten Ohren und Schnauze, stets zurückgezogenen Lefzen, als zeige er durchweg, auch im Schlaf, seine abgebrochenen Reißzähne. Spitze Knochen stachen unter einer schuppigen, dünnen Haut hervor. Kein niedlicher Welpe, sondern ein Monster.
Und doch konnte Cohen an ihm nichts hässlich finden. Es war Bellzazar. Und Bellzazar war eben einfach … Cohen seufzte wieder schwer … er war eben einfach Bellzazar.
Weder gut noch böse, weder schön noch hässlich. Nicht irdisch, und deshalb nicht mit etwas Irdischem zu vergleichen. Göttlich und dämonisch zugleich. Einst das mächtigste aller Wesen, nun schutzlos und winzig in seinem Schoß.
Das Tor zu Cohens Vergangenheit. Das Tor zu unzähligen Welten, Reichen und Geistern. Gott der Toten, Fürst der Unterwelt, Märtyrer. Er schien so viel zu sein, doch im Moment war er nur ein winziges Haarbüschel, verletzlich und angreifbar.
Er hatte das selbst aus sich gemacht, um am Ende doch seinen Bruder zu retten. Er hatte alles geopfert, seine ganze Macht, um den Einen zu schützen, den er liebte.
Ein wenig Ehrfurcht hatte Cohen vor ihm wegen dieser Entscheidung, aber nicht genug, um ihm andere Dinge zu verzeihen.
»Ich wünschte, du könntest in dieser Gestalt bleiben«, flüsterte er und kraulte Bellzazar hinter den Öhrchen, deren Spitzen erschöpft eingeknickt waren. »Es ist einfacher, dich in dieser Gestalt nicht zu hassen.«
Der Welpe schnaufte schwer im Schlaf, als hätte er ihm zugehört und würde bedauernd seufzen.
Andererseits wünschte Cohen, er könnte Bellzazar dazu befragen, was Cohen jetzt genau war.
Natürlich ein Geist. Aber was bedeutete es? Man wacht ja nicht einfach auf, bemerkt, dass man als Geist wiederauferstanden ist, und findet sich einfach damit ab.
Cohen fand sich nicht damit ab, er wüsste gern, was es genau bedeutet, ein Geist zu sein. War er ein Schatten, ein …
Er »zerdachte« wieder.
Als ihm Bellzazars Bezeichnung in den Kopf kam, musste er leise über sich selbst lachen. »Zerdenken«. Ob es dieses Wort überhaupt gab? Nun, wenn nicht, so beschrieb es dennoch genau das, was er gerne mal tat.
Er hob die Hand und betrachtete sie eine Weile im Mondlicht. Sie war nicht durchsichtig, sie war nicht blau, sie sah aus, wie er sie in Erinnerung hatte, er fühlte sie, wie er sie immer gefühlt hatte, als Teil von sich, obwohl sein Körper …
Ein kalter Hauch rieselte seinen Nacken hinab über den Rücken und er schloss die Augen, um den Gedanken zu vertreiben. Es behagte ihm ganz und gar nicht, dass er sich vermutlich irgendwo selbst ausgraben konnte.
Oder hatte Desiderius ihn wohlmöglich verbrannt und seine Asche im Wind verstreut?
Was war … aus seinem Körper geworden?
Bei den Göttern! Cohen rieb sich das Gesicht und verscheuchte die Überlegung, da sie ihm schwer aufs Gemüt schlug. Es kam ihm unwirklich vor, hier zu sitzen, und sich darüber klar zu werden, dass er hier ohne seinen Körper saß. Dass er … ohne diesen existieren konnte.
Und was mit seinen eigenen Überresten geschehen ist.
Ein schrecklicher Gedanke, den niemals jemand durchdenken sollte.
Er hoffte, dass man ihn verbrannt hatte, dass seine Asche im Wind verstreut worden ist, denn er würde vermutlich durchdrehen, wenn er seine Leiche ausgraben könnte.
Oder auch nur vor seinem eigenen Grab zu stehen.
Der Wolf rieb seinen Kopf an Cohens Bauch und witterte mit geschlossenen Augen, als träumte er von einem köstlichen Mahl. Nachdenklich blickte Cohen auf ihn hinab und versuchte, ihn mit Streicheleinheiten wieder zum Schlafen zu bringen. Er sorgte sich, der Kleine sah so schwach aus, als würde er jeden Augenblick seinen letzten schweren Atemzug tun. Und damit auch der König von Nohva.
Und was geschähe wohl, würde das Symbol der Einheit und Freiheit sterben? Was geschähe mit Nohva – und dem Rest ihrer Welt? Wer würde die Krone erben? Würde der Frieden fortbestehen?
Cohen wusste es nicht, er hatte aufgehört, sie zu beobachten, es war zu schmerzhaft gewesen, nicht bei ihnen sein zu können. Desiderius mit Wexmell, wie glücklich sie waren, wie sie ihre Söhne und Cohens Sohn aufzogen. Er wäre gern ein Teil davon gewesen.
Sein Sohn … wie alt er jetzt wohl war? Wie sah er aus? Wie war er wohl?
Ein heißer Schmerz fuhr plötzlich durch Cohens Bein, durchbrach seine melancholischen Gedanken und ließ ihn erschrocken keuchen. Er wollte aufspringen, aber als er an sich hinabsah, hielt er verwundert inne.
Der Welpe hatte sich in seinem Schenkel verbissen und saugte genüsslich wie an der Zitze seiner Mutter, die kleinen Vorderpfoten gegen ihn gedrückt, als wollte er ihn von sich schieben.
Cohen runzelte die Stirn, bewegte sich aber nicht, er hatte das Gefühl, dass es wichtig für Bellzazar war, damit er überlebte. Zögerlich legte Cohen die Hand auf Bellzazars Kopf und ließ ihn trinken.
Natürlich trank er nicht Cohens Blut, denn Cohen konnte nicht mehr bluten, er besaß keinen Leib. Aber irgendetwas trank Bellzazar von ihm, etwas, das ihn müde werden ließ, je mehr ihm davon abgesaugt wurde.
Magie?
Vielleicht. Vielleicht war es das, aus was er jetzt bestand. Statt Fleisch und Blut, besaß er nun einen Leib aus Magie. Vielleicht waren Seelen pure Magie. Vielleicht lebte in jedem Lebewesen Magie, in Form einer unsterblichen Seele.
Das ergab für Cohen sogar einen Sinn. Und damit könnte er sich abfinden. Zumindest wüsste er dann, aus was er bestand und was er jetzt war.
Er war Magie. Er war eine Erinnerung an ein vergangenes Leben in einem Körper aus Magie.
Das waren Geister: Erinnerungen und Magie.
Das war er nun. Eine Seele, befreit von ihrer sterblichen Hülle, aber immer noch existent.
Etwas entspannter lehnte er sich zurück, als hätte Bellzazar ihm mit dem Aussaugen seiner Magie auch seine schlechten Gedanken und Sorgen getrunken, ihn davon befreit. Cohen streichelte dem Wolf über die Ohren, während dieser sich von ihm nährte.
»Nein! Also das nenne ich aufopferungsbereit!«
Cohen fuhr erschrocken herum, als in den Schatten die klangvolle, schöne Stimme ertönte. Sie kam aus dem Inneren der Höhle.
Doch wie konnte das sein? Cohen hatte die Höhle ausgekundschaftet, es gab nur einen Weg hinein und hinaus, nur eine Höhlenöffnung.
Bellzazar zog die stumpfen Reißzähne aus Cohens Schenkel und knurrte. Die Wunde, die er hinterlassen hatte, fühlte sich seltsam kalt und taub an, schmerzte aber nicht sonderlich und konnte nicht bluten.
Als sich Schritte aus der Dunkelheit näherten, stand Cohen auf. Er nahm den Welpen auf einen Arm und hielt sich mit der freien Hand an der unebenen Höhlenwand fest, während er mit argwöhnendem Blick in die Schatten starrte. »Wer ist da?«
Bellzazars Knurren wurde lauter, doch es klang nicht aggressiv, viel mehr … genervt.
Mit einem leisen Lachen trat die Gestalt in das Licht des Mondes. Sie war durch einen bodenlangen, weiten Umhang umhüllt, und sie kam nicht allein. Eine etwas schmälere, kleinere Gestalt folgte ihr auf dem Fuße, die ebenfalls das Gesicht unter einem Umhang verbarg.
»Du wirst mich nicht erkennen«, sagte die Erstere mit einer Stimme, die Cohen weder als weiblich noch männlich erkennen konnte, mehr wie ein Junge, der noch nicht in den Stimmbruch gekommen ist, »aber wir kennen uns.«
Zwei bleiche Hände erschienen, die im Mondschein weißleuchteten, und lüfteten die Kapuze. Wellendes, dunkles Haar kam zum Vorschein, dicke und seidenglatte Strähnen, ein sanftes, kindliches Gesicht, große Augen und ein verschmitzt lächelnder Mund. Das Bild einer Frau, die jeden Griesgram zu Liebesgedichten verführt hätte. Doch die Augen waren so verrucht wie ein gewitzter Straßenjunge, der einen Freier anlacht, um ihn erst zu verführen, und dann den Beutel vom Gürtel zu schneiden.
»Mein Name ist Levidetha. Ihr könnt mich Levi nennen«, erklärte die Frau, »du hast mich einmal in einer anderen Gestalt gesehen. Vor vielen Jahren. Du erinnerst dich vielleicht an die Schlacht an den Violetten Küsten. Ich habe die Schwarze Stadt für euch geflutet.«
Cohen blinzelte. Für einen Moment kam es ihm absurd vor, denn ihnen hatte eine uralte Gottheit geholfen, eine Riesenseeschlange, die eine Welle über das Land geschickt hatte, um die Stadt von Dämonen zu befreien …
»Ihr … Ihr seid…«, stammelte er und war froh über die Wand, an der er sich abstützen konnte. Er drückte Bellzazar an sich und starrte die Fremde mit offenem Mund an. »Ihr seid … seid die Göttin der Meere.«
»Gottheit«, korrigierte sie und vollführte eine Drehung. Als sie Cohen wieder ansah, war ihr Gesicht plötzlich das eines dunkelhaarigen Jungen mit sanften Zügen und vollen wollüstigen Lippen. »Ich bin ein echter Gott, also bin ich weder weiblich noch männlich. Zumindest nicht in dem Sinne, wie ihr Sterblichen ihn kennt.«
Es war seltsam, Cohen war zwar ein Geist, dennoch spürte er, dass er zu taumeln begann. Zwar hatte er durch Bellzazar immer die Nähe zu etwas Göttlichem gekannt, aber direkt vor einem anderen Gott zu stehen, mit ihm zu reden, als wäre er eine sterbliche Person, war in diesem Moment zu viel für seinen einfachen Verstand. Zumal er zu Lebzeiten stets an andere, neuere Götter geglaubt hatte, bei deren Verbannung er letztlich geholfen hatte.
Aber er wusste, was Levi war. Ein Wesen, das lange vor seinen Göttern in dieser Welt existiert hatte. Ein Wesen, das noch vor dem ersten sterblichen Leben hier zuhause gewesen ist.
Cohen stieß ausatmend gegen die Wand, ihm war es, als würde ihm gleich schwarz vor Augen werden. Ob vor Unglauben oder weil Bellzazar sich von ihm genährt hatte, wusste er nicht zu sagen.
Er hatte auf einmal starken Schwindel im Kopf.
»Kein Grund, sich zu fürchten«, wollte Levi ihn beruhigen und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Doch Bellzazar knurrte auf seinem Arm, und der Gott lächelte mit schiefgelegtem Kopf. »Schon gut«, sagte er zu dem Welpen und strich ihm über den Kopf, »sei nicht immer so grantig, mein süßer Zazar.«
Sein süßer Zazar…? Cohen zog die Augenbrauen hoch und kam sich mit einem Mal äußerst fehl am Platz vor. Tiefe Zuneigung lag in der Art, wie der Gott mit Bellzazar sprach und ihm über das Köpfchen strich. Es war, als störte man die beiden in ihrer Zweisamkeit, wenn man sie betrachtete.
Cohen blickte an Levi vorbei, der dem unwilligen Bellzazar das Fell zwischen den Ohren zerzauste, und musterte die zweite Gestalt in ihrem schwarzen Umhang. Sie rührte sich nicht und wollte auch nicht ihr Gesicht lüften.
Wer oder was war sie? Eine seltsame Aura ging von ihr aus. Nicht bedrohlich, eher warm und … leuchtend, wie der erste Sonnenstrahl nach einer kalten, langen Nacht, obwohl keinerlei Licht von ihr ausging.
Als bemerkte sie sein Starren, drehte die Gestalt leicht den Kopf in seine Richtung, doch unter der Kapuze lag nur eine tiefe Schwärze.
Levi blickte sich über die Schulter und dann wieder Cohen ins Gesicht. Die Miene des Gottes wurde plötzlich sehr ernst und seine unheilvolldrohende Stimme ließ Cohen ihn wieder ansehen. »Bellzazar ist in Gefahr, jemand ist hinter ihm her.«
Cohen runzelte verwirrt die Stirn. »Wer?«
Levi schüttelte den Kopf. »Das ist schwer zu erklären, aber ich brauche deine Hilfe, Cohen. Er wird Hilfe nötig haben.« Der Gott sah hinab auf Bellzazar, der nun mit wachen Augen aufmerksam dem Gespräch folgte, als könnte er alles ganz genau verstehen. Levi sprach ganz direkt zu ihm: »Ich weiß nicht, wer dir nach dem Leben trachtet, aber es wurde etwas in unsere Welt beschworen. Etwas Mächtiges, etwas Fremdes, Zazar, ich kann es spüren. Und es sucht nach dir, in allen Welten.«
Cohen mischte sich ungeduldig ein: »Warum?« Er wollte das nicht glauben. Er wollte nicht schon wieder in solch eine Geschichte hineingezogen werden.
Levi sah ihn an, zwei große, wässrige Augen in einem funkelnden Blau. »Wenn Bellzazar stirbt, stirbt auch der König von Nohva. Deshalb.«
Cohen war danach, die Augen zu schließen und sich einfach auf den Boden zu setzen, weil er einfach nicht wahrhaben wollte, was er gerade gehört hatte.
Nach allem, was sie durchgemacht hatten, gab es noch immer Verrat in dieser Welt. Niedertracht.
Wer, bei den verfluchten Göttern, sollte den Mann töten wollen, der den Krieg beendet hatte? Aus welchem Grund?
Und, verdammt noch mal, was war dieses fremde Etwas, das hinter Bellzazar her war, wenn sogar ein Gott sich sorgte?
Bellzazar war das mächtigste Wesen, das Cohen kannte. Wenn er in Gefahr war …
Bei den Göttern, mit was hatten sie es dieses Mal zu tun?
Als hätte er seine Gedanken erraten, legte Levi ihm eine Hand auf die Schulter. Eine Wärme durchflutete ihn, die ihn stutzig machte. Es war, als wäre ihm die Berührung vertraut.
»Wir haben es mit einem sterblichen Feind zu tun, Drachenreiter«, beschwichtigte Levi ihn, »auch wenn er sich übler Tricks bemächtigt, bleibt der Feind ein ganz gewöhnlicher Sterblicher.«
»Dann findet ihn und haltet ihn auf!«, herrschte Cohen den Gott an. Er verstand das Problem nicht, Levi war doch ein verfluchter Gott!
Doch Levi lächelte lediglich bedauernd. »Es steht mir nicht zu, so sehr in die Welt der Sterblichen einzugreifen. Das ist Zazars Aufgabe, nicht die meine. Außerdem … hat sich der Schuldige gut versteckt. Es könnte jeder sein, der diese fremde Macht in unsere Welt ließ. Das Gefüge ist dadurch undicht geworden, überall entstehen Risse, das Wetter spielt verrückt und die Erde bebt. Unsere Welt bricht zusammen, wenn wir die Beschwörung nicht rückgängig machen.«
Cohen schüttelte verwirrt den Kopf. »Moment! Was… wie… wo…« Er hatte so viele Fragen, dass er gar nicht wusste, wo er anfangen sollten.
Ihre Welt brach zusammen…?!
Leise lachend strich Levi ihm über die Wange, wie eine Mutter ihrem ängstlichen Kind, um ihm Mut zu machen. Und obwohl Cohen dessen Hand zur Seite schlagen wollte, wurde er unter der Berührung ganz ruhig.
»Das ist vielleicht etwas zu viel für einen einfachen Sterblichen – oder dessen Seele.« Levi ließ die Hand wieder fallen. »Aber du wirst verstehen, dass der Schuldige nie zu Rechenschaft gezogen wird, wenn er Erfolg hat. Denn wenn Zazar«, als er dessen Namen nannte, legte er dem Wolf eine streichelnde Hand auf den Kopf, »vernichtet wird, stirbt der König von Nohva mit ihm, doch niemand wird je erfahren, dass der König gezielt ermordet wurde.«
Cohen wurde bleich, er verstand. Er verstand zu gut. Es war der perfekte Verrat, niemand würde einen Mord erahnen, niemand würde einen Komplott vermuten.
»Und Ihr wisst nicht, wer …«
»Jemand, der einen Vorteil daraus zieht und gleichzeitig eine große magische Macht besitzt. Wer es auch ist, er hat sich gut abgeschirmt, ich kann ihn in all dem Chaos nicht aufspüren. In der Welt geht einiges vor sich, die Magie scheint sich zu erheben – gegen alles Sterbliche. Ich werde sehen, was ich herausfinden kann. Aber das lass meine Sorge sein. Du hast eine andere Aufgabe, Drachenreiter.«
Cohens Augen wurden schmal und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Was für eine Aufgabe? Ich muss zurück, ich …«
Das geheimnisvolle Lächeln des Gottes ließ ihn innehalten. Es war, als wüsste er etwas über Cohen, das dieser über sich selbst noch nicht wusste.
»Du wirst bleiben«, sagte Levi mit einer ärgerlich selbstgerechten Stimme, »um Bellzazar zu schützen, um ihn zu begleiten, um ihn zu nähren, wenn es nötig ist. Denn du weißt, wenn ihm etwas zustößt, stirbt auch der Mann, dem du einst dein Herz geöffnet hast. Du kannst gar nicht anders.«
Cohen starrte ihn mit brütendem Schweigen ins Gesicht, weil er sich bis ins Mark darüber ärgerte, dass Levi die Wahrheit sprach. Verdammt, er wollte doch bloß zurück an dieses Flussufer und alle Zeitalter der Welt durchdauern, ohne Sorgen, ohne Kummer, nur in Frieden.
Doch wer Frieden wollte, musste auch etwas dafür tun. Und Cohen war niemand, der sein eigenes Wohl über das Wohl eines ganzen Landes stellte.
Wenn das Schicksal noch einmal von ihm verlangte, für Desiderius zu kämpfen würde er es tun, selbst wenn er dafür an Bellzazars statt an Desiderius` Seite stehen sollte.
»Aber nun, lass uns tun, weshalb wir gekommen sind«, Levi trat zur Seite und winkte die andere Gestalt näher, »sorgen wir für eine schnelle Erholung.«
Cohen wich vor ihnen zurück und drückte Bellzazar so fest an seine Brust, dass dieser einen erstickten Laut von sich gab. Plötzlich war sich Cohen nicht so sicher, ob er diesen zwei Fremden wirklich trauen konnte. »Was habt ihr mit ihm vor?«
Die verhüllte Gestalt schwebte auf ihn zu, unter dem Umhang kamen zwei nackte Arme hervor, deren Haut so weiß wie Alabaster war, die Finger lang und feingliedrig wie junge Äste eines Baums.
»Es wird ihm helfen«, wollte Levi Cohen erklären. »Wir geben ihm göttliche Macht …«
Doch Cohen schüttelte wild den Kopf. »Nein, bleibt weg…«
Zu spät, die Gestalt hatte die weißen Finger auf Bellzazars winzigen Leib gelegt und sofort erschien ein warmes Glimmen unter ihren Händen, das sich auf den Wolf ausbreitete und ihn müde die Augenlider senken ließ. Auch Cohen wurde von dem Licht erfasst und sank schläfrig auf die Knie. Es fühlte sich nicht nach einer Erschöpfung an, er fühlte sich leicht und friedlich, sodass er gemeinsam mit Bellzazar ganz sanft in einen tiefen Schlaf sank…