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Liebster Riath,

ich versuche seit drei Tagen, die richtigen Worte zu finden. Es ist nun ein halbes Jahr her, dass du ohne ein Wort des Abschieds nach Hause gereist bist. Mir ist bewusst, dass du eine schwere Zeit durchmachen musst, dass du den Verlust deines geliebten Vaters betrauerst. Er war ein großer Mann, Riath, so wie du es nach ihm sein wirst. Ich bin mir dessen sicher. Als wir uns liebten, und verzeih meine romantische Beschreibung, habe ich gespürt, dass du dich davor fürchtest, in seine Fußstapfen zu treten und dann zu versagen. Du hast dich immer an ihm orientiert und jetzt fragst du dich, wer du ohne ihn bist. Hab keine Furcht davor, der zu sein, der du bist. So übel ist der Mann nicht, den ich gesehen habe. Der wahre Mann, er ist stark und er ist gewiss einzigartig.

Riath, ich weiß nicht, ob du mich vielleicht deshalb an jenem Morgen nicht mehr sehen wolltest und dich davongeschlichen hast, weil ich unsere Seelen, ohne dich zu fragen, verschmelzen ließ. Ich wollte schlicht, dass du siehst, wer ich wirklich bin. Dass wir nicht so verschieden sind, wie ich gerne vorgebe.

Ich muss gestehen, dass ich verletzt war, als ich allein aufwachte, und ich gebe zu, dass ich die letzten Monate trotzig darauf gewartet habe, dass du mir schreibst. Bis mir bewusstwurde, dass es nicht an dir ist, mir zu schreiben, und dass ich, wenn ich von dir hören möchte, selbst zur Feder greifen sollte.

Und das tue ich hiermit. Um dir eigentlich nur eines mitzuteilen.

Mir bedeutet die Nacht mit dir alles, und meine Gedanken sind bei dir, immerzu.

Wenn du auch so fühlst, und sei es nur ein bisschen, lass es mich wissen.

In Liebe und Zärtlichkeit,

dein Kacey.

Die Kerzen warfen tanzende Schatten auf die Zeltwand und draußen zog ein Sturm auf. Riath konnte die schweren Wolken und den bevorstehenden Regen spüren, ebenso den aufkommenden Wind, der das Blätterdach des Waldes rascheln ließ, und die Feuchtigkeit und das Knistern in der dichten lebendigen Aura der Wildnis. Er spürte es als Kitzeln und Kribbeln auf und unter der Haut, als ob er eins mit der Natur wäre. Der Sturm lud sich an ihm auf – und er lud sich an ihm auf. Riath konnte den Umschwung des Wetter immer spüren, vor allem wenn es sich um ein Gewitter handelte.

Außerdem stank es nach nassem Hund. Es stank immer nach nassem Hund, kurz bevor der Regen einsetzte.

Riath strich mit dem Daumen über die Zeilen, das Papier war vergilbt, übersät mit seinen eigenen Fingerabdrücken, die Ränder lösten sich bereits auf, weil er den Brief immer mit sich trug. Und noch immer nicht darauf geantwortet hatte.

»Ha! Jetzt … sitzt … du … in der Falle!« Marks hob die Hände, nachdem er eine Figur auf dem Brett versetzt hatte, und klatschte einmal triumphierend.

Riath sah nicht einmal hin, starrte noch immer gedankenverloren den Brief an.

Hab keine Furcht davor, der du sein, der du bist.

Aber jetzt hasst du mich, dachte er und nagte an der Innenseite seiner Wangen, während er versuchte, das beengte Gefühl in seiner Brust zu deuten.

Er bekam die Schadenfreude seines Getreuen nur am Rande mit. Sie saßen vor dem Bett auf zwei klapprigen Stühlen, ein viereckiger Tisch stand in ihrer Mitte, Marks war ihm und dem Spielbrett zugewandt, ganz konzentriert, während Riath mit überschlagenen Beinen so auf dem eigenen Stuhl saß, dass er auf den Eingang blicken und den Arm über die Rückenlehne legen konnte, als Stütze für seine Hand, mit der er den Brief vor sein Gesicht hielt. Er zeigte Marks nur sein Profil, schien das Spiel kaum zu beachten.

Sein Getreuer lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte vor der breiten, in schwarzes Leder gewandeten Brust die muskulösen Arme, wie ein General, der von einer Anhöhe aus auf ein blutiges Schlachtfeld blickte und den Sieg bereits sicher hatte.

Riath streckte den freien Arm aus, ließ die Hand scheinbar suchend über die Köpfe der hölzernen Spielfiguren gleiten und machte seinen letzten Zug, ohne hinzusehen. »Deine Königin fällt«, sagte er gelangweilt und warf Marks Spielfigur um.

Marks fiel das Grinsen aus dem Gesicht. Er klappte wie eine Holzpuppe nach vorne und starrte ungläubig auf das Brett, als hätte Riath ihm vor seinen Augen ins Essen gespuckt.

»Aber…«, stammelte er fassungslos, »…aber… wie… hast … Das kann doch gar nicht sein! Du hast nicht mal hingesehen!«

Riath faltete den Brief mit einer Hand zusammen und steckte ihn wieder unter sein Hemd, wo er seitjeher verborgen lag. »Du wirst immer besser.« Er stand auf.

Marks‘ Blicke folgte ihm, sein Kiefer stand noch immer offen und seine Arme waren zu einer stummen, verständnislosen Geste erhoben. »Wie

»Es ist Melecays Lieblingsspiel.« Riath ging zum Tisch, auf dem ein Krug mit Wein und Kelche aufgebahrt waren, und schenkte ihnen ein. »Das Spiel der Könige. Es heißt, niemand hatte ihn je geschlagen.« Er schnaubte, stellte den Krug wieder ab. »Lügen, wenn du mich fragst. Aber selbst wenn nicht…«- mit beiden Kelchen ging er zurück, setzte sich und überreichte Marks einen davon - »…muss ich dieses Spiel blind können, denn er kann es auf jeden Fall.«

Marks nahm den Kelch entgegen und lehnte sich im Sitzen zurück. »Du versuchst noch immer, wie er zu denken.«

»Falsch«, Riath nippte an seinem Wein, dann zeigte er mit einem ausgestreckten Finger und dem Kelch in der Hand auf seinen Berater, »ich versuche klüger und schneller zu denken als er.«

»Und glaubst du wirklich, dass ein Brettspiel uns dabei hilft?« Marks schwenkte nachdenklich den Wein direkt unter seiner Nase, sein Gesicht wurde grimmig.

Riaths Blick schweifte ab. »Nein, aber es kann auch nicht schaden, immerhin spielen wir gegen ihn. Es ist gut zu verstehen, wie er denkt.« Er würde diesem Mistkerl einfach in allem trumpfen. In allem. Dazu brauchte er nicht mehr, als sein Denken zu verstehen.

Im Augenwinkel krampfte sich Marks‘ Hand um seinen Kelch zusammen, sodass die Knöchel weiß hervortraten und die Sehnen wie gespannte Stricke unter der Haut aussahen. »Wie kannst du hier nur so ruhig sitzen und nichts tun, ich drehe bald durch.« Er riss sich zusammen und fuhr sich mit den Fingern über die Augen, lehnte sich wieder nach vorne, als ob er Halt an der Tischkante suchte und sich darauf stützen musste. »Ich schlafe unruhig, wälze mich umher, wandere ziellos herum. Ich will endlich etwas tun, endlich zurückschlagen. Aber du … du sitzt hier und spielst Spiele und trinkst Wein. Das macht mich wahnsinnig.«

Riath sah ihn mit schiefgelegtem Kopf besserwisserisch an, er blinzelte liebreizend. »Und glaubst du nicht auch, dass es ebenso unsere Feinde wahnsinnig macht?«

Marks runzelte die Stirn, doch aus seiner Miene war herauszulesen, dass er verstanden hatte.

»Sie erwarten, dass ich den nächsten Zug mache, sie sind darauf vorbereitet, Marks.«

»Aber wir haben doch nicht viel Zeit, Melecay, Eagle, Kacey, Xaith. Alles überschlägt sich!«

»Vertrau mir«, säuselte Riath schmunzelnd, er war die Ruhe in Person. »Ich habe alles unter Kontrolle.«

Marks nagte dennoch nervös an der Innenseite seiner Wange. »Ich weiß, dass du das hast, aber mein Geist ist unruhig, Abwarten liegt mir nicht im Blut.«

»Dann solltest du lernen, zu meditieren und innere Ruhe zu finden, denn die wirst du in den nächsten Tagen brauchen.«

Marks starrte ihn an, als ob er ihn zum Tode verurteilt hätte. »Was hast du vor?«

»Ich habe einen Plan und werde heute Nacht mit seiner Ausführung beginnen.« Riath hob den Kelch an die Lippen und trank gemächlich, während Marks` neugieriger Blick auf seiner Wange brannte und sein Getreuer wie ein Jagdhund auf der Stuhlkante saß, bereit dazu, wie ein abgeschossener Pfeil der Beute hinterher zu jagen. Riath ließ sich Zeit mit dem Schlucken, weil er ein Arschloch war.

Er wandte Marks das Gesicht zu. »Aber du wirst ihn hassen.«

Sein Gegenüber wirkte nicht überrascht, eher gelangweilt. Er seufzte, dabei schien sein Oberkörper wie ein ausgehöhlter Erdhaufen in sich zusammen zu sacken. »Wann habe ich je einen deiner Pläne gemocht?«

Riath grinste verschlagen.

Geliebter Unhold

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