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Die Hauptstadt Solitude erblühte in der Mittagshitze. In den weißen Einkaufsstraßen tummelten sich Menschen mit spitzen Ohren, dunklen, geflochtenen Haaren und heller Haut. Knappe Kleider, bunte Stoffe, die Sonne schimmerte auf dem weißen Marmor der Villen, die über den Geschäfts- und Marktvierteln auf ummauerten Hügeln thronten. Auf den runden Mosaiken der Märkte war die Menge dicht gedrängt, es roch nach süßem Honig, gebratenem Fleisch und Kuchen. Fisch gab es am Hafen, wo die Dekadenz des Kaiserreichs aus allen Poren tropfte und sich hinter den Buntglasfenstern der Bordelle einladende Silhouetten abzeichneten.

Gedankenverloren saß Kacey in seiner Kutsche, Ardor schwieg ihm gegenüber, doch er blickte Kacey immer mal wieder besorgt an.

Alles schien so normal, die Bürger auf den Straßen, der weiße Marmor der Stadt, die vielen Gerüche, die lächelnden Gesichter und das Stimmengewirr, Schnauben der Pferde, Klackern der Hufe und das Rattern der Räder auf den gepflasterten Straßen. Und doch brodelte es unter der Oberfläche.

Es genügte ein genauerer Blick in die Seitengassen, auf die Türen der Schenken. »Keine Magier erlaubt«, als handelte sich um Hunde oder menschliches Vieh. Kacey sprangen diese mit roter Farbe bemalten Schilder nun häufiger auf. Natürlich hatte es solche Ablehnung schon immer gegeben, irgendwer hegte immer einen tiefsitzenden Groll, den er an irgendeiner Personengruppe auslassen musste.

Nicht nur unflätige Sprüche gegenüber Magier waren an die Mauern geschmiert, hie und dort konnte man auch Hass gegenüber Ausländern – Luzianern, Menschen mit runden Ohren, Tiervölker – herauslesen. Doch es hatte eine Zeit gegeben, da sich die Räte und die Politiker darum bemüht hatten, diese Hetze von ihren Mauern und Wänden abwaschen zu lassen.

Der Hass auf die Magier nahm zu, ohne genau bestimmen zu können, woher er kam und was die Bürger der Stadt am meisten fürchteten. Immerhin hatten die Magier dem Reich seit Jahrhunderten gedient.

Nun, da sie den Schutz der Völker des Reichs benötigt hätten, wendeten diese sich gegen sie. Vermutlich steckte schlichter Frust auf das eigene, öde Leben dahinter. Und viele schlossen sich wohl auch eher denen an, die wie sie waren. Normalsterbliche hielten zu Normalsterblichen. Warum sollte eine Person, die der Magie nicht mächtig, zu den Magiern halten?

Und doch hatte Riath genau das geschafft, ihm folgten nicht nur Magier.

Es gab Demonstrationen seit der Versammlung, kleine Gruppen hatten sich zusammengefunden, hoben an den Straßenecken die Fäuste in die Luft, riefen Parolen, vor dem Ratsgebäude und dem Gericht gab es einen regelrechten Auflauf. Angst und Wut waberten durch die Straßen.

Es war absolut surreal.

»Die Magie ist eine Gefahr! Die Magie ist unser Untergang. Die Magie will uns beherrschen! Macht die Augen auf, sie übernehmen uns!«, riefen sie im Chor.

»Magier dürfen nicht frei zaubern!«, mischte sich darunter.

»Sperrt die Magier ein!«

Als wären sie tollwütige Raubtiere.

»Magie gehört dem Volk, Magie muss uns dienen, nicht uns unterjochen.«

Kacey bemerkte es nicht, aber seine Hände ballten sich zu Fäusten, drückten bei jeder Parole fester zu, bis seine Nägel in seine Handinnenflächen schnitten. Er biss sich fast die Zähne aus.

Muss hart sein, immer den gütigen Hirten zu spielen, wenn man das Temperament eines Drachen in sich trägt.

»Sperrt die Magier in die Akademie, wir gehören der Magie nie.«

Oh ja, es brodelte unter der Oberfläche, Kacey spürte regelrecht, wie ihn das Feuer in seinem Magen verbrannte.

Eine Berührung am Arm ließ ihn herumfahren, seine Augen waren wild und eiskalt.

Ardor lächelte ihn zaghaft an, neigte ergeben den Kopf. »Es ist sicher beängstigend, sie zu hören.«

Kacey ließ langsam den Atem entweichen und blickte wieder durch das Kutschenfenster. Einige Demonstranten drehten sich um, als sie an ihnen vorbeifuhren. Die, die ihn sahen, verstummten, schienen sogar genug Respekt zu haben, um sich ein wenig zu schämen, immerhin war er noch immer ein Sohn des Kaisers.

»Beängstigend?« Er schüttelte leicht den Kopf. »Es macht mich so wütend, Ardor.«

»Verständlich.«

Stirnrunzelnd wandte Kacey ihm das Gesicht zu, doch sein Leibwächter blickte nun auch nach draußen. Sein streng geflochtener Zopf lag wie eine Schlange über seiner Schulter und endete an einem der ausgebreiteten Flügel der Harpyie, die auf seinen glänzenden Brustpanzer eingeprägt war.

»Was denkst du über all das?«, wollte Kacey von ihm wissen. »Und sei ehrlich, ich will wissen, was du denkst und fühlst, immerhin … bist du kein Magier.«

Ardor lächelte schwach. »Meine Mutter war es.«

Überrascht hielt Kacey den Kopf schief. »Das wusste ich nicht.«

»Außerdem ist es gleich, ob ich Magier bin oder nicht.« Ardor sah Kacey entschlossen in die Augen. »Mein Prinz, ich will in keiner Welt ohne Magie leben. Sie ist wichtig für uns alle, sie hilft uns, sie rettet uns, sie hat uns vor dem Portal geschützt. Ihr habt uns davor beschützt.«

Ja, er hatte die Welt beschützt… Kacey wandte den Blick wieder nach draußen. Aber hätte Riath nicht Sarsar getötet, wäre aller Ruhm ihm allein zugefallen, denn Sarsar war es gewesen, der das Portal geschlossen und die außer Kontrolle geratene Magie gefangen hatte. Er war es gewesen, der Retter der Welt. Sarsar wäre umgehend, in so jungen Jahren, eine genauso große Legende wie sein Vater geworden.

»Die Magie gehört zu uns, sie ist in allem«, fuhr Ardor fort, nichts ahnend, was in den Gedanken seines Herrn vor sich ging, »wir können ohne sie nicht leben, auch wenn sie uns Angst machen kann. Doch ich würde ja auch nicht die Sonne wegwünschen, nur weil sie eine Ernte verbrannt hat. Oder den Regen, weil er den Fluss überschwemmen ließ. Alles hat zwei Seiten, vielleicht ist das auch gut.«

»Glaubst du, auch Menschen haben diese zwei Seiten?«, fragte Kacey wie in Trance.

Ardor schwieg einen Moment, eher er erwiderte: »Niemand besitzt nur eine einzige Seite.«

Kacey sah ihn an, sein Leibwächter erwiderte den Blick. Sie verstanden sich, und Kacey fühlte sich ein klein wenig wohler.

Der Wagen hielt mit einem Ruck an. Verwundert sah Kacey wieder nach draußen, sie standen auf einer Brücke, hatten ihr Ziel fast erreicht, aber eben nur fast.

Ardor streckte den Kopf auf der anderen Seite hinaus und sprach mit dem Kutscher, Kacey wandte sich bereits zur anderen Tür.

»Eine Straßensperre«, sagte Ardor.

Da hatte Kacey die Tür bereits aufgestoßen und stieg hinaus. Der Saum seiner Robe war schwer, er trug an jenem Tag nichts aus Seide oder Damast, sondern aus ungewohnt schwerer Wolle. Dunkelblaue Stoffbahnen umschmeichelten seinen Körper, streckten ihn ein klein wenig. Rücken und Arme waren ausnahmsweise bedeckt, das Gewand besaß einen hochstehenden Kragen, der seine Kinnpartie betonte, die wie gemeißelt aussah. Das Innenfutter war aus goldenem Samt, die Knöpfe mit Kristallen versehen, seine Kette mit dem Mondanhänger lag außen auf seiner Brust, und vom Saum bis zu den Knien war der Rock seiner Robe mit goldenen Sternen bestickt.

Am Ende der Brücke sah er die Rücken tausender Bürger, die den Richtplatz unterhalb des Palastes belagerten und alle zum Galgen blickten. Dort wurde niemand gehängt, das Podest diente an jenem Tag lediglich als Bühne.

Adror stieg ebenfalls aus der Kutsche und trat hinter Kacey, seine Anwesenheit ließ ihn sich beschützt fühlen, sodass erst gar keine Nervosität aufkam, sondern nur grenzenlose Wut.

Da stand dieser grimmige Alte, mit dem Kacey bereits bei der Versammlung Schwierigkeiten bekommen hatte, und schwang Reden über die Bösartigkeit der Magier.

»Sie sind eine Gefahr! Sie sind wider der Natur. Biester, Monster, immer ihren Fähigkeiten ausgeliefert! Sie streben nur nach Macht, sie wollen uns unterjochen, die Stadt und dann das Land an sich reißen! Wehrt Euch, bevor es zu spät ist, macht endlich die Augen auf. Nun fordern sie die Abschaffung der Gesetze! Lasst euch nicht blenden, gute Bürger von Solitude, die Akademie ist ein Dämonenhort! Ein Schandfleck! Sie sollte zum Gefängnis werden, zu einem Ort, wo wir die Magier kontrollieren können, sonst passiert uns das, was in Zadest geschah. Es bedarf nur einen einzigen Magier, uns alle zu versklaven!«

Sie hörten ihm zu, fraßen ihm aus der Hand.

Kacey presste die Lippen aufeinander, schüttelte verdrossen den Kopf. Er spürte, wie die Magie in ihm erwachte, prickelte und zwickte, wie ein plötzlicher Hustenreiz in der Kehle.

»Ich sollte umkehren«, knurrte er durch die Fänge. »Bevor es eskaliert.«

»Darf ich mir eine persönliche Meinung erlauben, mein Prinz?«

»Jederzeit.«

Ardor trat ein Stück näher. »Ich beschütze Euch, seit der Kaiser Euch aufnahm, und obwohl Ihr fremd wart, habt Ihr Euch nie der dreisten Machenschaften der Politik des Reichs unterjocht. Ihr wart immer stark, mein Prinz, nie auf den Mund gefallen. Ihr habt Euch nie umgedreht.«

Das stimmte wohl, er hatte sich seinen Platz erkämpft, er hatte frei bei Versammlungen gesprochen, sich Freunde und Feinde gleichermaßen gemacht, hatte sich nie sprachlos machen lassen, ganz im Gegensatz zu den letzten Tagen und Wochen, als es sich angefühlt hatte, als hätte er gar nichts mehr im Griff, als die Politiker ihn mit ihrem Hass gegen die Magie überrascht und überrumpelt hatten.

Undankbare Bastarde, sie waren alle Nichts ohne die Magie. Wenn er sie unterjochen wollte, hätte er das längst tun können, mit der göttlichen Magie, die in ihm eingeschlossen war.

Er hätte es einfach tun können.

»Es geht nicht nur um mich.« Er wusste nicht, ob er es Ardor erklärte, oder sich selbst daran erinnern wollte. »Ein falscher Schachzug von mir und alle Magier des Reichs werden leiden.«

Diese Verantwortung lag schwer auf seinen Schultern, denn er liebte seine Schützlinge, sie beteten ihn an. Er wollte sie nicht enttäuschen. Sie sollten ihn lieben und immer auf ihn vertrauen.

»Aber käme ein Schweigen nicht einem Schuldeingeständnis gleich?«

Kacey schüttelte den Kopf, jedoch nicht zur Antwort, sondern aus purem, emotionalem Frust. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht.«

Er besah die Menge, betrachtete den Hassredner auf der Bühne, hörte das Jubeln, als wäre er ein gefeierter Barde oder Theaterdarsteller.

Vor einem Jahr noch hatten die Elkanasai Kacey so angesehen, hatten ihm auf dem Markt Blumen überreicht, ihm Obstkörbe geschickt, wollten von ihm berührt werden, hatten ihn wie einen gefeierten Helden empfangen und die Leiter des Ruhms hinaufgehoben.

Nun stand er ganz oben und sah zu, wie einige Magierhasser an besagter Leiter sägten.

Er stieß ein Grunzen aus und schritt auf die Menge zu. Wie erwartet verstummten sie überrascht, als er ihnen auf die Schultern klopfte und sich mit Ardor auf dem Fuße durch die Menge kämpfte. Bald spürte man, dass etwas vor sich ging, sodass sich die Bürger von selbst umdrehten und ihn erblickten. Eine Straße tat sich auf, verwundertes Schweigen breitete sich wie eine Welle über die Menge aus.

Während der Alte auf der Bühne weiter rief: »Wir dürfen nicht zulassen, dass Gesetze für Magie außer Kraft gesetzt werden! Wir müssen sie verschärfen! Wir würden ja auch einer Bestie die Reißzähne ziehen, bevor wir ihr erlauben, unter uns leben! Ich warne Euch, ich flehe Euch inständig an, macht die Augen auf, wir werden bluten! Und wenn es soweit ist, werden die Mächtigen uns den Magiern zum Fraß vorwerfen, um ihre eigene Haut zu retten!«

»Mylord!«, rief Kacey von unten. Er war nicht so dumm, die Stufen an der Seite des Galgens zu erklimmen und sich auf Augenhöhe mit diesem Mann zu begeben. Nein, er blieb beim Volk, wenn auch dicht vor der Bühne.

Die Menge trat vor ihm zurück, als wollte sie sagen, dass sie nichts mit ihm zu tun hatten, doch da er nicht nur Magister, sondern auch Sohn des Kaisers war, hörte er keinerlei Hass von hinten, nur betretenes Schweigen.

Zuerst tauchte Überraschung auf dem alten Gesicht auf, dann wurden seine Lippen ärgerlich dünn.

Oh ja, das hatte Kacey sehen wollen. Er lächelte und breitete in aller Unschuld die Arme aus. »Darf ich mich auch dazu äußern?«

»Im Namen der Magier?«, rief der Hassredner wütend.

»In meinem eigenen Namen«, entgegnete Kacey ruhig. »Ich bin Magier.«

»Ihr!« Anklagend deutete der Alte mit einem knorrigen Finger auf Kacey, seine Falten schienen tiefer zu werden vor Zorn. »Ihr habt gegen die Gesetze verstoßen und kommt doch einfach davon! Nur weil Ihr ein Prinz seid…«

»Ich werde eine saftige Strafe für mein Vergehen zahlen«, warf Kacey ruhig ein. »Ich habe mein Verbrechen zugeben und mich erklärt, der Rat – nicht der Kaiser – entschied, dass in Anbetracht der Situation, mildernde Umstände gelten. Ich habe mit meinem Zauber Leben geschützt.«

»Ihr wollt unsere Wachen aussperren, damit niemand weiß, was für dämonische Dinge hinter euren Toren vorgehen!«

»Welch schrecklicher Vorwurf. Nun…« Kacey neigte das Haupt. »Das Alptraumfeld ist lediglich ein Schutz für die Bewohner der Akademie, jeder aus der Stadt, der Hilfe braucht, ist willkommen.« Dann drehte er sich zu der Menge um. »Ich weiß, dass Veränderung Angst macht, gerade in diesen Zeiten, da viele Gerüchte heiß gekocht werden. So biete ich im Namen der Akademie gerne öffentliche Führungen an, damit sich alle davon überzeugen können, dass in der Akademie lediglich die in Friedenszeiten erlaubten Zauber gelehrt werden. Desweitern empfangen wir natürlich noch immer gern Kranke, um ihre Leiden zu lindern. Unsere Tore stehen offen, wir bevorzugen es lediglich, Eindringlinge fernzuhalten, wie es jedes Haus tut.«

»Ihr nutzt Führungen, um uns hinters Licht zu führen!«, behauptete der Alte, sodass Kacey Mühe hatte, nicht die Augen zu verdrehen. »Lasst Euch nicht von diesem weichen Gesicht irreleiten, gute Bürger! Die Magier werden einfach ihre faulen Zauber verstecken. Ihr angeblicher Schutzzauber dient dazu, Überraschungsbesuchen vorzubeugen. Führungen? Von wegen, geplante Kontrolle, damit sie an jenen Tagen, wenn sie die Tore für uns öffnen, ihre wahren Machenschaften verschleiern!«

Kacey betrachtete die unschlüssige Menge, viele nickten grimmig. Seine Augen streiften den Rand des Platzes, dort standen Wachen mit Speeren, gelbgrübe Wappen des Kaiserhauses zierten ihre halbnackten Körper, die nur durch Brustpanzer und Lendenleibchen geschützt waren. Sie lehnten lässig an Wänden oder auf ihre Waffen gestützt und grinsten hämisch.

Das Gift war bereits bis zur Stadtwache vorgedrungen, sie wirkten nicht, als wollten sie eingreifen, eher, als wären sie von dem Schauspiel amüsiert.

»Wir haben einen fremdländischen Kaiser auf unseren Thron gelassen!«, fuhr der Mann fort. »Nun seht, wohin es führt! Die Wirtschaft wäre beinahe zusammengebrochen, gute Männer verloren Heim, ihre Familien landeten auf der Straße…«

Er sprach davon, dass reiche Villenbesitzer, die durch den Sklavenhandel ihre Kammern mit Silber gefüllt hatten, ihre rechte Strafe bekommen hatten.

»Und nun soll die Magie frei von Gesetzen sein? Das ist ein falsches Spiel! Der Kaiser will seine Feinde schwächen, er will die Magier nutzen, um uns zu dezimieren! So kurz vor den Wahlen will er nur seine Gegner vernichten!«

Kacey hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste, als die Menge in Aufruhr geriet. »Der Kaiser ist derzeit nicht anwesend, aber ich bin sicher…« - er musste die Stimme erheben, klang wütender als beabsichtigt - »dass mein Vater sich der Angelegenheit annehmen und eine Lösung finden wird, die für beide Seiten angemessen ist. Liebe Mitbürger!« Er wartete einen Moment, bis er die volle Aufmerksamkeit hatte. Dann sagte er ernst, eindringlich: »Vergessen wir an dieser Stelle nicht, dass ich schon vielen von Euch geholfen habe. Denkt daran, die Magier bewahren viele Geheimnisse, sind Eure Freunde, Eure Retter in der Not. All das tun wir aus Nächstenliebe, doch als wir Eure Hilfe brauchten, habt Ihr uns sogar verboten, dass wir uns selbst schützen. Ein Mädchen wurde getötet! Sie hätte Eure Tochter oder Schwester sein können.«

Zurückhaltung und Unsicherheit erschienen in den Gesichtern vor ihm. Er erkannte einige von ihnen, reiche Bürger, die zu ihm kamen, um sich heilen zu lassen oder um Tinkturen und Tränke zu kaufen, die ungewollte Schwangerschaften oder Geschlechtskrankheiten … heilten. Jene Gesichter wandten sich ab, zogen sich hinter ihre Vordermänner zurück, denn er betrachtete sie ganz besonders intensiv.

Kacey wandte sich zu dem Alten, der verbissen mit den Zähnen knirschte. »Und vergessen wir nicht, dass der Kaiser immer noch die Entscheidungsfreiheit besitzt, und ich bin sicher, niemand hier möchte wegen Volksverhetzung angeklagt werden.« Er legte vernichtend den Kopf schief, drehte sich um, verneigte sich vor dem Volk und umrandete die Menge mit erhobenem Kinn und weit ausholenden Schritten.

An der Treppe, die den Hügel zum Palast hinaufführte und sich mit hunderten Stufen durch wunderschöne, sorgfältig gepflegte, sonnengeflutete Gartenanlagen schlängelte, nahmen zwei Wachen Haltung an und versperrten ihm den Weg.

Er blieb stehen, trat aber nicht zurück. Hinter ihm legte Ardor legte eine Hand an sein Gladius, aber Kacey hob einen Finger, um ihm Einhalt zu gebieten.

»Ich möchte in den Palast.« Es war ein Befehl, er sah die beiden Wachen nacheinander warnend an.

Ihre dunklen Augen zeigten ein regelrechtes Feuer, sie wollten offensichtlich ihre Macht demonstrieren.

»Der Palast ist derzeit wegen der Unruhen geschlossen, bis der Kaiser zurückgekehrt ist«, sagte der Rechte mit triefender Selbstgerechtigkeit.

Kacey blickte gelangweilt von einem zum anderen, wie von selbst wanderte seine rechte Augenbraue in einem steilen Bogen nach oben. »Ich bin ein Prinz dieses Reiches, ihr habt mir zu dienen, und ich verlange unverzüglich, dass ihr den Weg freigebt!«

Sie schnaubten, warfen sich Blicke zu. »Könnt Ihr das beweisen?«, fragte der Rechte und musterte Kacey geringschätzig. »Denkt Ihr, Ihr seid der einzige Mann, der heute behauptet, er gehöre zur Kaiserfamilie? Ich fürchte, Prinz Lexi ist etwas jünger als Ihr.«

»Oder wollt Ihr etwa behaupten, Ihr wäret der junge Prinz Faith?«, fügte der andere hinzu.

»Oder der Kaiser selbst?«

Sie lachten dunkel in sich hinein.

Oh ja, was waren ihre Scherze doch geistreich…

Kacey hörte sich unbeeindruckt den Spott an, wartete darauf, dass die beiden fertig wurden. Sie wussten sehr gut, wer er war.

»Sieht mir mehr aus wie eine dekadente Hure«, meinte der Linke und blickte Kacey mit purer Herablassung an. »Ich vermute, irgendeinem alten Ratsmitglied juckts gerade in der Hose und die Knabendirne wurde bestellt, ihm unter dem Tisch Erleichterung zu verschaffen.«

Sein Freund grinste dreckig und packte sich in den Schritt. »Wenn ich nicht auf Weiber stehen würde, hätten wir vielleicht doch noch eine Möglichkeit gefunden, Euch durchzulassen.«

»Hütet Eure Zungen«, warnte Ardor mit tiefer, vibrierender Stimme und packte den Griff seiner Waffe so fest, dass sein Gürtel und die Scheide knirschten. »Ihr sprecht mit Prinz Kacey Airynn, zeigt Respekt vor seinem Amt!«

Ihre Augen wurden dunkel, jede Erheiterung verschwand. »Er ist nur der Bastard des Kaisers«, konterte der Linke und spuckte das Wort Bastard dabei aus wie Gift.

Kacey blieb äußerlich genauso unbeeindruckt wie zu Beginn des Gesprächs. Bevor Ardor die Adern an den Schläfen platzten, sagte er gelassen zu den Wachen: »Tretet beiseite oder ich muss euch dazu bringen.«

»Was wollt Ihr tun? Magie einsetzen?« Das Lächeln kehrte zurück. »Damit pisst Ihr Euch nur selbst ans Bein, Magiehure. Nur zu, zaubert, die Menge wird es sehen wollen.« Der Linke nickte mit seinem spitzen, langen Kinn an Kacey vorbei.

Obwohl er wusste, was hinter ihm geschah, drehte er sich um. Die Versammlung löste sich langsam auf, der Hassredner war verschwunden, aber es waren genügend Zeugen anwesend, die neugierig herüberblickten.

Das war nicht gut, denn wenn die Bürger sahen, dass sich selbst die Stadtwache gegen Kacey stellte, obwohl er der Sohn des Kaisers war, würden auch sie sich nicht länger scheuen, ihm zu trotzen.

Er verlor seinen Schutz, seine Unantastbarkeit.

Kacey wandte das Gesicht wieder zu den beiden Wachen um, sie grinsten voller Häme, während er sich keiner Gefühlsregung hingab.

»Ich brauche keine Magie, um mir den Weg freizuräumen.« Die hatte er nie gebraucht und er sprach von mehr als einer Treppe, die er hinaufsteigen wollte. »Entweder, ihr tretet beiseite und hofft, dass ich diesen Vorfall vergesse, oder ihr verantwortet euch vor dem Kaiser selbst.« Er hob die Arme zu einer ratlosen Geste. »Falls ihr dazu dann noch in der Lage seid, denn mein Leibwächter trägt die Waffe nicht nur zur Zierde und er hat schon viele echte Kämpfe gewonnen. Ihr seht mir etwas jung aus, um im Krieg gedient zu haben, sagt, hat einer von euch beiden den Speer auch nur ein einziges Mal in einem Kampf um Leben und Tod geführt?«

Sie mahlten mit den Kiefern. Kacey wartete, aber je länger sie an ihm vorbeistarrten, je zufrieden lächelte er.

»Dachte ich mir. Und wem wird man wohl Glauben schenken, einem Prinzen und seinem Leibwächter, die sich vor zwei korrupten Wachen verteidigen mussten? Oder zweien… stummen Leichen?« Er trat näher, senkte die Stimme zu einem Raunen. »Und was wird wohl aus Euren Familien, wenn der Kaiser Euch für Feinde seiner eigenen Familie hält?«

Ihre Nasenflügel blähten sich, während sie überlegten. Unter ihren Spangenhelmen wirkten ihre Gesichtszüge beinahe identisch, bis auf die Augen des Linken, die zu nahe beisammenstanden.

Kacey sah aufmerksam von einem zum anderen, faltete die Hände wie ein Lehrer, der eine komplizierte Frage gestellt hatte und nun darauf wartete, dass sie ihm jemand richtig beantwortete.

Ohne ein Wort traten sie auseinander.

Kacey lächelte falsch. »Kluge Entscheidung.«

Sie blickten demonstrativ geradeaus, als er durch sie hindurchschritt. Er musste die Robe raffen, damit er nicht auf den Saum trat, als er die Stufen nahm.

»Erlaubt Euch nicht zu viel, Prinz«, spuckte der Rechte noch aus, »das Eis, auf dem Ihr wandelt, wird dünner. Nicht jeder ist Euch wohlgesonnen.«

Kacey blickte nicht zurück, genauso wenig wie Ardor.

*~*~*

Seit Desith seinen kleinen Bruder Lexi vor dem Reich diskreditiert hatte, verkroch dieser sich voller Scham in seinem Zimmer im Palast.

Desith war mit Prinz Vynsu von Carapuhr vermählt, er stand mit seinem Gemahl als nächstes in der Erbfolge für das eisige Königreich. Lexi hätte Kaiser werden können, doch Desith hatte mehr oder weniger dem Rat der Fünf geschworen, einen blutigen Krieg anzuzetteln, sollten sie es wagen, Lexi zum Kaiser zu wählen. Demnach wurde nun der jüngste Sohn des Kaisers, Prinz Faith, darauf vorbereitet, sich eines Tages zur Wahl zur stellen.

Kacey hatte nicht den Eindruck, dass Lexi deshalb eifersüchtig auf seinen kleinen Bruder war, im Gegenteil, er war noch mehr um dessen Wohlergehen besorgt als je zuvor, verbrachte jede freie Minute mit ihm, während die Kaiserin das Reich für ihren Gemahl hütete.

Kacey hatte Ardor im Flur des Palastes positioniert, während er selbst eine Weile im Türrahmen lehnte und die beiden Brüder beobachtete.

Sie saßen auf einer Decke auf der Empore, die zur Terrasse hinausführte, Sonnenlicht stahl sich durch die dicken Säulen in den hellen Raum, der mit Seide, Samt und Damast, mit verzierten, herrschaftlichen Möbeln und teuren Vasen, Kunstwerken und Gemälden eingerichtet war.

Lexi trug eine traditionelle Toga, die auf einer Seite durch eine goldene Spange in Form eines Jaguarkopfes zusammengehalten wurde und seinen schnell heranwachsenden Körper betonte. Er war schlank, aber nicht dünn, seine Arme muskulös, seine Brust eine sanfte Hügellandschaft. Aschblondes Haar, blaue Augen und blasse Sommersprossen auf aristokratischen Gesichtszügen. Wie sein Vater und seine Brüder war er als Mensch geboren, nur Kacey trug das Blut seines Großvaters und deren Vaters in sich und war als Luzianer geboren.

Das entfremdete ihn manchmal von der kaiserlichen Familie – und dem gesamten Reich.

Faith war noch ein Kind, braunes Haar und Augen wie die Mutter, sehr schüchtern und genau wie sein größerer Bruder Lexi wollte er in diesem Alter nur selten sprechen. Dafür schien er aufzublühen, wenn sein Bruder – und Held – bei ihm saß, mit ihm ein Buch las oder mit Holzfiguren spielte.

Im Palast war es friedlich, idyllisch. Wehende, durchsichtige Vorhänge, Säulen, keine Fenster nur offene Tor- und Türbögen, die Decken waren hoch, die Wände schienen voreinander zu fliehen, sanfte Stufen und weißer Marmor.

Überall dieser weiße Marmor.

Und inmitten all diesem Prunk diese beiden goldenen Prinzen, wie sie zusammen auf einer Decke saßen und völlig versunken versuchten, ein kompliziertes Holzpuzzle zu lösen. Diese zwei Jungen wurden geboren und hatten alles, Reichtum, Anerkennung, zwei liebende Eltern, das Volk kniete vor ihnen.

Kacey spürte warme Zuneigung zu seinen beiden Brüdern, doch was niemand ahnte, war der tiefsitzende Neid, den er auf ihre Kindheit hatte.

Und da war noch ein anderes Gefühl, eine äußerst fremde Empfindung, die wie eine Frühlingsbrise in ihm flüsterte. Er fragte sich, wie es wäre, eigene Söhne zu haben. Sie heranwachsen zu sehen, sie zu formen, ihnen ein Reich zu Füßen zu legen, ihnen alles zu ermöglichen, was er nicht gehabt hatte.

Eigene Söhne würde Kacey jedoch nie bekommen, obwohl er sicher war, dass er eine Leihmutter finden würde, und auch wenn die Magie es ermöglichte, durch magische Phiolen den eigentlichen Akt mit einer Frau auszulassen, so wollte er sein eigen Fleisch und Blut nicht mit einer Frau teilen, die er nicht liebte. Eine fremde Frau, die seine Söhne mit erzog.

Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Er zeigte es nach außen hin nicht gerne, wahrte immer ein freundliches Gesicht, ahmte die Gutherzigkeit seines Großvaters nach, weil er geliebt werden wollte, aber es gab auch einen Teil in ihm, der schlicht nicht teilen konnte. Weder fantasierte Söhne noch die Liebe und Begierde eines Mannes oder den Platz auf der Empore der Magister.

Lexi hob den Kopf und sah sich suchend um, als hätte er instinktiv gespürt, dass sie nicht mehr allein waren. Und als sich ihre Blicke trafen, lächelte Kacey gütig und warm.

»Kacey!« Lexi schien überrascht.

Faith ließ sein Spielzeug fallen. »Kacey!«, rief er mit seiner piepsenden Stimme. Als er aufsprang, zerstörte er das komplexe Holzpuzzle, das wie ein Gebäude unter einem Sturm zusammenbrach.

Schmunzelnd trat Kacey ein und breitete die Arme aus. Der Kleine warf sich an ihn, schlang die dünnen Arme um ihn, und Kacey legte ihm eine Hand auf den Kopf und die andere auf seinen Rücken, ließ zu, dass er fest und innig gedrückt wurde.

Kinder waren wundervolle Geschöpfe, so leicht zu gewinnen und ihre Liebe war echt und tief.

Lexi war derweil aufgestanden, hielt etwas Abstand. Seit herausgekommen war, dass er versucht hatte, Desith zu vergiften, hielt er sich nicht nur körperlich, sondern auch auf jeglicher Gefühlsebene von anderen fern.

Reiner Selbstschutz, ihm stand die Reue und die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben, er schämte sich in Grund und Boden, war schockiert über seine eigene Handlung.

Kinder waren eben auch furchtbar leicht zu manipulieren.

»Ich würde gerne mit dir sprechen, wenn dir das recht ist?«, fragte Kacey freundlich und zurückhaltend.

Lexi senkte die Lider, nickte aber stumm.

Vor einigen Monaten hatten sie noch jeden Tag viele Stunden zusammen verbracht, Kacey hatte Lexi geholfen, sich auf das Kaiseramt vorzubereiten, hatte mit ihm Bücher gewälzt, seine Lehrpläne mit ihm abgearbeitet. Mathematik, Geschichte, Taktik, Politik, andere Sprachen. Er war der perfekte Vorzeigesohn, immer tüchtig darin, seinen Vater zu beeindrucken. Einen Vater, der stets nur Augen für Desith gehabt hatte. Desith, der die Familie verlassen hatte, um nicht in die Fußstapfen des Kaisers zu treten, um den strengen Fängen des Vaters zu entkommen. Und doch, so sehr Eagle und Desith sich auch unterschieden und immer anderer Meinung waren, war die Liebe zwischen Vater und Sohn so stark, dass sie nicht voneinander lassen konnten, Verbündete blieben.

Kacey wusste nicht, ob das auch für ihn galt. Gewiss war Eagle gut zu ihm, hatte ihn aufgenommen, obwohl er ihn kaum kannte, ihm ein Zuhause und eine Familie geschenkt und ihm den Weg an die Spitze der Akademie geleitet, hatte ihn immer unterstützt und war mächtig stolz auf ihn.

Doch er glaubte nicht daran, dass der Kaiser noch hinter ihm stehen würde, sollte er so wie Desith einst gegen seinen Willen handeln. Indem er zum Beispiel mit jemanden verkehrte, den Eagle als Feind betrachten würde, oder schlicht nicht das war, was er für seine Söhne vorsah.

Nein, das hatte sich nur Desith erlauben dürfen, der Erstgeborene.

Kacey beugte sich zu Faith hinab und flüsterte ihm zu: »Lass mich kurz mit deinem Bruder allein, ja? Nachher können wir zusammen mit der Kaiserin speisen. Versprochen.«

Der Kleine nickte stumm, dann schlurfte er an Kacey vorbei, drehte sich im Türrahmen noch einmal um, blickte mit seinen großen Kinderaugen in den Raum, als wollte er sich überzeugen, dass Kacey ihn nicht nur abfertigen wollte. Kacey lächelte und neigte den Kopf, als wollte er sein Versprechen noch einmal bekräftigen.

Faith ging. Und Kacey drehte sich mit besorgter Miene zu Lexi um.

Dieser ließ die Schultern hängen, kaum dass sie allein waren, drehte sich um und ging durch die üppigen Säulen nach draußen auf die sonnengeflutete Terrasse.

Kacey folgte ihm. »Wie geht es dir?«, fragte er liebevoll mit weicher Stimme.

Lexi lehnte die Arme über die steinerne Brüstung und blickte über die flachen Dächer der Villen hinweg, die sich über die Hügel unter dem Palast ausbreiteten. Er seufzte. »Es geht mir eigentlich sehr gut, danke der Nachfrage. Ich versuche gerade herauszufinden, was ich mit meinem Leben anfange.«

»Du bist noch jung, du findest etwas, das dich ausfüllen wird.« Da er ja nun nicht mehr Kaiser werden konnte.

»Mutter meinte, sie könne mir langsam verzeihen.« Lexi drehte sich nicht zu ihm um. »Sie sagte, ich könnte vielleicht Stadtrat werden.«

Kacey ging zu einem der klobigen Gesteinstische, ein Diener hatte vor einiger Zeit für die Jungen Saft und Tee bereitgestellt. Er schenkte Lexi einen Kelch mit süßem, dicken Saft ein. Mango, wenn er seiner Nase trauen durfte.

»Das klingt doch annehmbar.« Kacey tippte ihm auf die Schulter und reichte ihm den Kelch, den Lexi nur zu gerne annahm. Dann ging er zurück.

»Es ist ein Ziel«, Lexi klang, als wäre er zufrieden damit, »ich könnte hierbleiben und Faith unterstützen. Ihm so helfen, wie du mir geholfen hast.« Ein Lächeln lag in seiner Stimme.

Kacey nickte, während er sich selbst etwas zu trinken eingoss. »Lex…«, begann er dann ernst und spürte sofort, wie dieser sich regelrecht besorgt nach ihm umwandte. »Wir müssen reden…«

»Du hasst mich.« Er wirkte tief bekümmert. »Alle tun das, vor allem Vater.«

»Niemand hasst dich«, versicherte Kacey und legte den Kopf schief. »Aber tatsächlich geht es um diesen Vorfall.«

Lexi wandte ihm sofort den Rücken zu, die Sonne strahlte auf seinem aschblondem Haar, sodass es beinahe silbern wirkte.

»Warum hast du mir nicht gesagt« - Kacey stellte gewissenhaft die Saftkaraffe ab und drehte sie auf dem Tablett, als arrangierte er einen Strauß Blumen - »dass Riath dich dazu gebracht hat, Desith zu vergiften?«

Lexi senkte den Blick in seinen Kelch und drehte ihn in den Fingern. »Er hat es dir erzählt«, sagte er trocken, war keineswegs überrascht.

Kacey setzte sich in einen der Stühle und betrachtete seinen Halbbruder aufmerksam. »Warum hast du nicht mit mir darüber gesprochen?«

»Was hätte ich sagen sollen?«

»Du hättest dich verteidigen können, Lex. Du hättest Riath die Schuld geben können, er hat dich manipuliert! Er hat dich dazu gebracht.«

Neugierig betrachtete Kacey die Schultern des Jungen, durchbohrte ihn regelrecht mit seinem Blick, um jede Anspannung, jeden zuckenden Muskeln zu bemerken. Doch da war nichts, nur schlaffe Ermüdung, als Lexi seufzte.

»Es war nicht seine Schuld, ich habe mich selbst dazu entschieden«, erklärte Lexi frei heraus. »Ich habe Riath in Nohva getroffen.«

Kacey lächelte milde. »Da warst du aber noch sehr klein.«

»Klein, aber nicht dumm, taub oder blind.« Lexi schüttelte verdrossen den Kopf. »Der Großkönig war dort, ich mochte ihn nicht, er sah mich immer an wie ein Wolf ein Lamm.«

Das bist du für ihn ja auch. Kacey trank einen Schluck Saft und wünschte, es wäre Wein. Oder Blut.

Köstliches, warmes Luzianerblut. M`Shier Blut. Xaiths Blut.

Lexi fühlte sich durch das Schweigen sichtlich unwohl und genötigt, weiterzusprechen. »Ich mag ihn nicht, er ist grob und ungehobelt. Riath stimmte mir zu. Ich mochte Riath, er war charmant, immer freundlich, er hat mich auf seinem Pferd reiten lassen, beim Essen neben mir gesessen, mit mir Scherze auf Kosten des Großkönigs gemacht, wir haben mit Holzschwertern gekämpft. Vater war… er war sehr angespannt, als wir in Nohva waren, ich hörte ihn nachts lautstark mit Großvater Wexmell streiten. ›Auf welcher Seite stehst du eigentlich, ich bin dein Sohn! Die Airynns sind deine Familie!‹, hat Vater geschrien. ›Du bist mein Sohn, genau, du solltest mir vertrauen!‹, hatte Großvater entgegnet. ›Ich kann nicht‹, hat Vater daraufhin gesagt, er klang so verzweifelt, ›er hat meine Tochter, deine Enkelin! Bedeutet dir das gar nichts? Ich habe ein Bündnis mit Carapuhr, das ich halten muss, für meine Kinder!‹ Aber Großvater hatte kein Herz. ›Du hast dich selbst in diese Lage gebracht. Du musst tun, was für dich richtig ist, und ich, was für Nohva richtig ist!‹.«

Kacey lehnte sich nach vorne, in seinem Kopf ratterte es. »Worum ging es bei dem Streit?«

Lexi hob die Schultern. »Um den Großkönig wohl, und dass er Wexmell bedrängte, einen anderen Erben zu wählen.«

Langsam begriff Kacey die Spannungen zwischen Riath und Melecay. Der Großkönig wollte ihn vom Thron fernhalten, doch bestimmt nicht aus dem gleichen Grund wie die Hexenjäger.

»Welchen Erben hatte er im Sinn? Außer Riath gibt es keinen, der die Krone Nohvas überhaupt wollen würde und ein M´Shier ist.«

Lexi hob die Schultern, er drehte sich zu Kacey um und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Brüstung. »Das weiß ich nicht, aber Riath sagte, sein Überleben hinge davon ab, dass wir dem Großkönig schaden. Er sagte, er braucht Freunde. Und ob ich sein Freund wäre.«

»Du warst ein Kind, er hat dich manipuliert.«

Lexi schien das nicht zu stören. »Mag sein. Aber als er mir vor einem Jahr schrieb, war meine Sympathie für den Großkönig nicht gewachsen. Und ich wollte Vater helfen, die Ketten zu lösen, die ihn an dieses furchtbare Barbarenvolk binden.«

Kacey lächelte nachsichtig, während Lexi trank und versuchte, seine Gefühle zu verstecken. »Und du hast die Gelegenheit ergriffen, deinen größten Rivalen, deinen großen Bruder, aus dem Weg zu räumen. Du hasst Desith, du hasst es, dass Vater ihm vertraut, ihn liebt.«

»Desith hat uns verlassen, um mit einem Barbaren zusammen zu sein.« Doch Lexi klang schon lange nicht mehr so hasserfüllt wie früher, er wirkte viel mehr ermüdet. Kopfschüttelnd winkte er ab. »Aber ihn zu töten wäre keine Lösung. Glaub mir, ich habe es bereut.«

Kacey betrachtete ihn mitfühlend, ließ den anderen Verständnis spüren und schenkte ihm ein aufmunterndes Schmunzeln. »Du warst blind vor Wut und Enttäuschung und hast eine schlimme Tat begangen, aber auch mit guten Absichten im Hinterkopf. Ich glaube nicht, dass du der erste Bruder bist, der seinen Bruder aus Eifersucht vergiftete. Was es nicht besser macht, aber auch nicht schlimmer.«

»Ich dachte, es würde uns alle schützen, wenn ich das Bündnis untergrabe.« Lexi strich über den Rand des Kelches, kratzte an den Edelsteinen. »Hm.«

»Und nun? Wie denkst du heute über alles?«

»Ich bin froh, dass das Gift ihn nicht getötet hat«, sagte Lexi und Kacey glaubte ihm. Er glaubte ihm, weil sie in dieser Sache nicht einer Meinung waren, doch das behielt er für sich. »Auch wenn ich denke, dass dieses Bündnis mit Carapuhr Vater den Tod bringen wird. Riath wollte den Kaiser schützen…« Er brach ab, sah zur Seite und runzelte die Stirn. »Zumindest hat er das gesagt.«

»Vielleicht«, stimmte Kacey zu. Er lehnte sich wieder zurück und nippte grübelnd an seinem Kelch.

»Ich beantworte Riaths Briefe nicht mehr«, begann Lexi zögerlich zu erklären und suchte mit schüchternen Augen Kaceys Blick. Er ersuchte ihn um Hilfe.

Endlich.

»Ich will damit nichts mehr zu tun haben«, gestand er, seine Stimme schwankte, wurde dünn, er leckte sich die Lippen und sah wieder in seinen Kelch. »All das hat mich fast zu einem Brudermörder gemacht – und Vatermörder. Dabei wollte ich Vater beschützen. Ich will… ich will nicht mehr bei diesen Machenschaften mitmischen. Ich hielt mich für klug und erwachsen und Riath hat mich behandelt, als wäre ich etwas Besonderes. Sein genialer, kleiner Spion.« Er schnaubte über sich selbst, schien sich unglaublich dumm zu fühlen. Kacey kannte das Gefühl, nur zu gut. Das schaffte nur Riath. »Aber das bin ich nicht.« Lexi schien nicht darüber in Trauer, dass er kein kaltblütiger Intrigant war, er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht ist es gut, dass es kam, wie es kam. Ich habe nicht das Zeug dazu, Kaiser zu sein, Kacey. Ich bin … ich bin vielleicht feige, ja, aber was soll´s? Ich möchte für Faith da sein, ich möchte ihm helfen, Kaiser zu werden, möchte ihm dienen. Aber ich möchte es nicht selbst sein, denn ich bin zu leicht zu manipulieren.«

Kacey nickte langsam, zwang sich zu einem Lächeln, obwohl seine Gedanken um etwas völlig anderes kreisten. »Ich wollte dir auch nur mitteilen, dass ich dafür sorgen werde, dass Prinz Riath dich nicht mehr belästigt.«

Lexi nagte an seiner Lippe, schwieg einen Moment, dann sah er auf und beobachtete, wie Kacey aus seinem Kelch trank. »Er hat mir geschrieben, dass du und er euch austauscht.«

»Bezüglich der Magier, ja«, gestand Kacey.

Lexi überlegte einen Moment. Dann flüsterte er besorgt: »Sei vorsichtig.«

Liebevoll lächelte Kacey ihn an. »Nur keine Sorge, Lexi, wie wir mit Riath verfahren, entscheidet der Kaiser, wenn er zurück ist.«

Das schien den jungen Prinzen zu beruhigen, er nickte und drehte sich wieder um, ließ den Blick über die Stadt schweifen.

So, so, dachte Kacey bei sich und trank noch einen Schluck Saft. Riath, verdammter Unhold, M`Shier gab anderen also gern das Gefühl, etwas Besonderes für ihn zu sein.

Sei mein Wort und mein Wille.

Mistkerl.

Manipulativer Drecksack!

»Das ist beängstigend, nicht wahr?« Durchbrach Lexis Stimme Kaceys inneren, fluchenden Monolog.

Verwirrt blickte Kacey auf, folgte Lexis Blick und erblickte zwei Rauchsäulen. Stirnrunzelnd stand er auf und trat neben seinen Bruder.

Unten in der Stadt brannten große Feuer auf den Marktplätzen, Fackeln wurden angezündet und Demonstranten machten sich, eskortiert von Stadtwachen, auf den Weg, durch die Straßen zu streifen und auszurufen, dass Magier das personifizierte Böse waren.

»Es heißt, ohne Magie wäre der Vorfall mit dem Portal nie geschehen«, erklärte Lexi, »ich beobachte sie schon seit zwei Tagen, Politiker kommen zu privaten Audienzen zu Mutter und sprechen darüber, dass so etwas, wie diese göttliche Magie, die willenlose Sklaven erschuf – Sklaven, die stark und fast unbesiegbar waren, furchtlos – dass so etwas wieder passiert, wenn wir die Magier nicht einsperren.«

Kacey starrte auf die Stadt hinab, seine Finger drückten in den Kelch, bis ihm fast alle Knochen in der Hand zerbarsten.

Lexi sah ihn an und legte ihm eine Hand auf die Schulter, nichts ahnend, welche Wut in seinem sonst sanftmütigen Bruder brodelte. »Keine Angst, Kacey, auch darum wird Vater sich kümmern. Sobald er zurück ist, wird alles wieder seiner Ordnung folgen.«

»Ja…«, zwang Kacey sich zu sagen.

Geliebter Unhold

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