Читать книгу Geliebter Unhold - Billy Remie - Страница 16
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ОглавлениеTropfnass stieg er über die Felsen aus dem smaragdgrünen See, keuchend und mit zitternden, überanstrengten Muskeln. Hinter ihm breitete sich ein dunkelroter Fleck flächenbrandartig im Wasser aus. Eine Blutlache, die einen perfekten und immer größer werdenden Kreis um den frischen Kadaver bildete.
Riath zog sich auf einen braunen Felsen, der vom Schlick schleimig war, und schnitt sich beinahe an den scharfen Kanten. Schwer atmend ließ er sich auf den Schenkel fallen, drehte sein Gewicht schließlich auf den nackten Hintern und strich sich die schweren, nassen Strähnen seiner langen, blonden Haare aus dem tropfenden Gesicht.
»Scheiße.« Er fluchte nicht, er musste lachen, aus purer Freude. Glücksgefühle prickelten warm durch seine Venen und der Triumph floss heiß durch seinen Leib. Wie ein Sonnenstrahl im Winter.
So ein Kampf gegen einen Alligator hatte doch etwas Belebendes, vor allem wenn man sich der Bestie nackt und nur mit den blanken Händen stellte.
Nicht, dass er es drauf angelegt hätte, als er zum Baden hergekommen war, das Drecksvieh hatte ihn aus dem Hinterhalt angegriffen und es war nur Riaths schnellen Reflexen zu verdanken, dass er dem Maul des Alligators entkommen war.
Es war ein brutaler Kampf unter Wasser gewesen, der damit geendet war, dass Riath seine Fänge in die Kehle des Alligators geschlagen und ihn fast bis zur Schwanzspitze aufgerissen hatte.
Riath blutete aus einigen offenen Wunden an Waden, Schenkeln und Armen, doch viel stärker als das Brennen der tiefen Kratzer, waren die Prellungen, die ihm das Scheißvieh zugefügt hatte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er sich die angeknacksten Rippen, doch lachte er dennoch, denn er hatte obsiegt. Gegen einen Alligator. Nackt.
Warum war bei solch legendären Taten nie jemand anwesend, der sie bezeugen könnte?
Ein Schnauben antwortete ihm.
Na ja, niemand, der sprechen konnte, korrigierte er sich.
Lord stand mit einigen Schritten Entfernung neben dem schmalen Trampelpfad, der am Seeufer vorbeiführte, im Urwald und suchte am Boden nach Gras, das ihm mundete. Er war ein bildschöner Hengst mit cremefarbenem, beinahe goldenem Fell, das schimmerte wie purer, kostbarer Samt. Er war einheitlich gefärbt, wie aus einem Guss, nur um die Nüstern und um seine hellblauen, klugen Augen schimmerte es leicht rosafarben.
Er war Riaths ganzer Stolz, obwohl er ihn sich nicht ausgesucht hätte, sondern Lord sich Riath ausgesucht hatte. Im Gegensatz zu ihm, war Lord ein sehr gelassenes, ruhiges Pferd, doch eines hatten sie gewiss gemeinsam. Sie waren blaublütig und so gaben sie sich auch. Riath sah sein Reittier selten mit gesenktem Kopf, es sei denn er fraß. Lord stolzierte gern, vor allem wenn Zuschauer in der Nähe waren, andere Pferde giftete er gerne mal mit zurückgelegten Ohren an, wenn sie es wagten, neben ihn zu treten. Er war der König in jedem Stall, ihm gehörte die Welt, aller Augen sollten auf ihm liegen.
Er war perfekt.
Aber auch eitel, wie Riath zugestehen musste, denn obwohl er diesen Prachtburschen nur zu gerne weiterzüchten wollte, zeigte Lord keinerlei Interesse, die ausgewählten Stuten zu besteigen.
Riath konnte es ihm nicht einmal übelnehmen, wer wurde schon gern wie ein Zuchthengst behandelt, selbst wenn man einer war.
Lord stammte von Wanderer ab – König Desiderius` unsterblicher Hengst – womit Lord einer unheimlich klugen, langlebigen Rassen angehörte. Sein Farbschlag machte ihn in so gut wie jedem Stall einzigartig. Er war geboren worden, um an Riaths Seite zu weilen.
Nachdem er Atem geschöpft hatte, kümmerte sich der Prinz von Nohva um seine Wunden, aus denen dunkelrote Flüsse in Schlangenlinien über seine Haut flossen.
Das grüne Wasser würde eine widerliche Infektion nach sich ziehen, zum Glück war er recht robust dank des Gemischs des Luzianer- und Hexenblut, das durch seine Adern strömte.
Er ging zu seinen Kleidern und Waffen, die im Gras neben dem Ufer lagen, löste den Wasserschlauch und spülte seine Wunden aus. Danach zerriss er seine Unterhose mit den Zähnen in Streifen und band die tiefsten Wunden ab. Etwas Blut würde das heilen.
Als er sich anzog, glitt die Lederhose nur widerwillig über seine nassen Beine nach oben, denn obwohl er sich gerade erst abgekühlt hatte, floss der Schweiß erneut in Strömen, die schwüle Hitze Elkanasais war unerbittlich. Es schien nach dem Bad und dem Kampf sogar noch schlimmer als zuvor. Das Wollhemd klebte an seiner muskulösen Brust, er ließ es locker hängen, mit offenen Schnüren und hochgekrempelten Ärmeln.
Schließlich zog er sich auf Lords Rücken, der weder Sattel noch Trense trug, sondern nur ein Halfter und Zügel aus groben Seil. Riath hatte sich auf einen gemütlichen Ritt eingestellt.
Der Weg zurück war genauso tückisch wie hin, überwucherte Felsen und Wurzeln im dichten Wald, knurrende Raubtiere hinter jedem Busch. Lord blähte die Nüstern, er war nervös, ob der vielen gierigen Augen, die aus den Baumkronen heraus auf ihn herabblickten, doch Riath würde ihn beschützen. Das tat er immer.
Die Flanken des Hengstes zitterten, sein Schritt war dennoch trittsicher. Langsam staksten sie durchs Unterholz, Äste knackten unter den gewaltigen Hufen.
Als das Lager in Sicht kam, die hellen und dunklen Lederplanen der Zelte durch das dichte Grün schimmerten, eilte ihnen bereits mit ernster Miene Marks entgegen. Riaths Linker Hand tropfte der Schweiß vom kantigen Gesicht, doch er würde sich lieber lebendig verbrennen lassen, als die schwarze Kluft und das violette Band an seinem Oberarm abzulegen.
»Du hast Besuch«, sagte er knapp, als Riath das Bein über Lords Hals schwang und von seinem Rücken glitt.
Besuch war höchst ungewöhnlich. Einen Moment dachte er an Kacey und konnte ein triumphierendes Schmunzeln nicht verbergen. Er dachte an sein seidiges Haar, die seidige Haut, die zierliche Gestalt, die warmen, samtenen Lippen. Riath spürte ein Prickeln in Brust und auch in den Lenden. Herz und Gehänge waren bei ihm stark miteinander verknüpft, das spürte er bei keinem so stark wie bei Kacey, denn er sehnte sich sowohl danach, sich in ihm zu versenken, als auch schlicht nach seinem ungeheuerlich verführerischen Anblick und nach seiner Gesellschaft, obwohl letzteres auf beiden Seiten noch eher zu Kopfschmerzen als zu Liebe führte.
Marks griff nach den improvisierten Zügeln des Hengstes und nickte zu Riaths Zelt. Der Eingang war zugeklappt, zwei Wachen standen in strammer Haltung davor.
Nicht seine Wachen, nicht seine Getreuen.
Ein Blick zu den eingepferchten Pferden bestätigte seine Vermutung, gesattelte Rösser, verschwitzt von einem langen Ritt, standen unter ihren Pferden. Das Lächeln wich aus seinem Gesicht, sein Herz wandelte sich in harten und kalten Stein.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Riath überließ Lord in Marks‘ Obhut und ging mit großen, zielstrebigen Schritten auf sein Zelt zu, obwohl sich in seinem Magen ein fester Kloß bildete.
Die Wachen nahmen mit klimpernden, schwarz gefärbten Rüstungen Haltung an, salutierten ihm, doch ihre Mienen waren grimmig und voreingenommen. Sie mochten ihn nicht, ihre Loyalität gehörte einem anderen Herrscher, aber sie wurden zur Höflichkeit erzogen.
Riath beachtete sie nicht, schlug die Plane zurück und trat ins Zelt. Warmer Kerzenschein empfing ihn, ebenso schwüle Hitze, die sich im Inneren gesammelt hatte.
Sein Besucher saß auf der Bettstatt und verströmte den Geruch von Leder und Pferd. Der Mann trug schwarze Reisekleidung, denn die Zeiten, als er feine Seide in hellen und freundlichen Tönen und mit königlichen Stickereien getragen hatte, waren lange vorbei. Über seinen Schultern lag König Desiderius` schwarzer Wollumhang. Trotz schlankerer, kleinerer Gestalt als Riaths Vater sie besessen hatte, wirkte das Kleidungsstück keineswegs übergroß, es wurde von strammen, stolzen Schultern getragen, die seiner würdig waren. Golden schimmernde Locken, aus denen kaum die goldene Flammenkrone herausstach, Haut wie Elfenbein, eisblaue Augen – und Sari, der Schakal, der über überkreuzten Schenkel lag und sich genüsslich den Rücken streicheln ließ.
»Ich erwartete einen Brief, keinen persönlichen Besuch«, sagte Riath ohne Begrüßung und trat einen Schritt ein. Das Zeltinnere kam ihm nicht mehr wie sein eigenes vor, als ob alles, was ihm gehörte, nichtig wurde, wenn der wahre König in Erscheinung trat.
Noch einmal fuhr die zärtliche Hand über Saris struppigen Rücken, der Schakal gähnte genüsslich, schmatzte und schloss dann wieder die Augen.
»Ich wollte mich aber gerne persönlich mit dir unterhalten.« Wexmell hob endlich den Blick, schielte zu Riath auf. »Mein Sohn.«
Diese eindringlichen Augen, die alles sahen. Riath wandte sich unter dem Vorwand ab, an seinem Kartentisch Wein einzugießen. »Du musst durstig sein.«
»Ich hatte Wasser, danke.«
Riath stellte den einen Kelch wieder auf das Tablett, seine Schultern fielen herab. »Wie hast du mich gefunden?«
»Du bist nicht der Einzige, der gute Spione unterhält, und es war nicht so schwer zu erraten, wohin dein Weg – oder sollte ich besser sagen, dein Herz dich als nächstes führt.«
Riath mahlte mit den Kiefern.
»Ich kenne dich eben.«
Ja, vielleicht tat er das ein wenig zu gut. Das war das Problem mit Vätern – oder Eltern allgemein – sie kannten die Herzen ihrer Söhne, sie kannten … ihr Schwächen.
Riath schluckte die Bemerkung ohne Kommentar, stattdessen stürzte er den Inhalt seines Kelches in den Rachen.
»Ich muss mich wohl bedanken.« Wexmell hob Sari sanft auf den Boden. »Immerhin hattest du den Anstand, es mir selbst mitzuteilen.«
»Ich bin davon überzeugt, dass die Gerüchte, oder sollte ich sie deine Spione nennen? Nun ja, sie kamen gewiss früher als mein Brief.«
»Aber zu spät, um für mich zu handeln.« Wexmell zog ein Stück getrocknetes Fleisch aus seiner Tasche, wodurch Sari plötzlich hellwach war und sabbernd zu ihm auf hechelte. Natürlich bekam der treue Schakal sein Stück Fleisch, womit er sich auf das Bett zurückzog und genüsslich kaute.
Riath blickte über die Schulter zu Wexmell, der sich gewissenhaft die Hände abklopfte und dabei auf sie starrte. »Ich hätte dich aufhalten sollen.«
»Das konntest du nicht«, flüsterte Riath rau.
»Du hättest nicht nach Carapuhr reisen dürfen, Riath.« Wexmells Tonfall veränderte sich, wurde schärfer. Er blicke mit gerunzelter Stirn auf. »Melecay schickte mir einen Brief, er traf kurz nach deinem ein. Carapuhr und Elkanasai brechen das Bündnis mit Nohva. Aber ich bin sicher, das wusstest du. Du hast es genau darauf angelegt. Andere sollen mich schwächen, weil du es nicht über dich bringst.«
Er kam nicht einmal in Versuchung, sich zu schämen oder so zu tun, als wäre er ertappt worden. Es würde Wexmells Intelligenz beleidigen.
Riath goss sich erneut Wein ein, er lachte zynisch und schüttelte über seinen König und Ziehvater den Kopf. »Sie waren schon vor Jahren keine Verbündeten mehr, das hast du selbst gesagt!« Er stellte den Krug lautstark ab, griff den vollgefüllten Kelch und ging hinüber zu einer anderen Ecke, sodass der Tisch zwischen ihnen stand. Er brauchte diese Barriere, brauchte Abstand zu dem Blick seines Vaters. »Irgendwann musst auch du die Augen öffnen, und wenn es bedeutet, dass ich die ganze Welt auf dich hetzen muss, damit du endlich siehst, wer unsere Feinde sind, dann ja, dann tue ich das, auch zu deinem Wohl. Vater, sie haben nicht gezögert, das Bündnis zu brechen!«
»Du hast es vor allem getan, um deinen Willen durchzusetzen«, wusste Wexmell. Er klang nicht schockiert, allerhöchstens ein wenig ermüdet.
»Du solltest mir danken.« Riath überspielte seine Unsicherheit mit einem wölfischen Grinsen, prostete Wexmell kurz zu und nippte dann an seinem Wein.
Doch der König sah ihn lediglich unbeeindruckt an, ließ sich nicht von ihm täuschen oder auch nur um einen Hauch ärgern. »Du hättest Melecay mir überlassen sollen, du hast ja keine Ahnung, welchen Feind du dir mit ihm gemacht hast. Und somit auch Nohva.«
»Er ist solange eine Gefahr für Nohva, solange das Herz in seiner Brust schlägt. Genau genommen ist er eine Gefahr für jedes lebende Wesen, du hättest ihn mit netten Schmeicheleien und politischen Geschick vielleicht für die Dauer deiner eigenen Herrschaft zähmen können, doch was käme danach? Früher oder später hätte er den offenen Konflikt auf dem Schlachtfeld gesucht, das liegt ihm im Blut, er hasst uns alle, vor allem mich, weil ich ihm nicht den Schwanz lutsche oder furchtsam vor ihm erzittere! Alle, die ihn nicht fürchten, wird er versuchen, das Früchten zu lehren. So und nicht anders hat er sich in Nohva gezeigt, kaum dass Vaters Asche kalt war!«
Wexmell schloss gequält die Augen. »Melecay ist ein Mensch, er hätte mich nie überlebt. Geduld und Voraussicht führt uns zum Ziel, Riath, wie oft haben wir dir das gepredigt?«
Riath winkte genervt ab, schnaubte herablassend. »Glaubst du, er würde einen schwachen Nachfolger wählen? Einen mitfühlenden? Er hat bewiesen, dass er das nicht vorhatte, kaum dass sein Erbe Vynsu Menschlichkeit zeigte, hatte er ihn verstoßen. Wen auch immer er wählt, er wird genauso ein Tyrann und Kriegstreiber wie er selbst. Carapuhr muss mit einem Hammerschlag zerschlagen werden, früher oder später, oder wir werden Nohva an den Norden verlieren, so lange Carapuhr und Elkanasai verbrüdert sind!«
Ruhig sah Wexmell ihn an. »Es hätte keinen Konflikt gegeben, hättest du nicht zurückschlagen müssen, nachdem er dich persönlich angriff, Riath. Und du unterschätzt ihn, wenn du denkst, er wäre ein einfacher Tyrann.«
»Er ist ein Mann der groben Gewalt«, entgegnete Riath herablassend und schwenkte seinen Kelch in Wexmells Richtung, wobei der Wein beinahe eine feuchte, rote Spur durch das Zelt gezogen hätte. »Das hat er mehrfach gezeigt. Er kennt nur die direkte Konfrontation, von Intrigen hat er keine Ahnung. In Carapuhr habe ich ihn überrascht. Und jetzt ist er geschwächt.«
»Oh nein, Riath, das ist er nicht!« Wexmell trat auf ihn zu, bis er gegen den Tisch stieß und sich mit den Händen draufstützte, er lehnte sich ihm entgegen. »Mach niemals den Fehler, ihn zu unterschätzen. Du denkst, du kennst ihn? Er wird dir das Gegenteil beweisen, und er wird dir alles nehmen, was du liebst, wenn du nicht aufpasst. Ich habe dich gewarnt, Riath!« Er schloss kurz die Augen, wirkte wie so oft enttäuscht und müde. »Du hättest ihn mir überlassen sollen, wie besprochen, ich hätte ihn bezähmen können, mit Worten. Du hättest mir einfach vertrauen sollen, jetzt steht uns Krieg bevor! Krieg, den unsere Völker ausbaden müssen. Wir sind geschwächt durch die Aufstände, durch die Spaltung unserer Häuser, wir sind keine Einheit, wir haben ihm nichts entgegenzustellen! Warum hast du mir nicht einfach vertraut?«
Riath sah ihn kühl an. »Wir müssen nicht gespalten sein, wenn du und ich uns einigen. Und dem steht nichts im Wege, bis auf deine Unfähigkeit, unser Reich mit Strenge zu führen.«
Wexmells Lippen wurden dünner, als er sie aufeinanderpresste. »Wir können uns einigen, wenn du anfängst, mir zu vertrauen.«
»Dir vertrauen?« Riath spürte, wie sein Arm zu zittern begann, sein Blick glühte. »Oh ich hab dir vertraut, Vater. Ich habe dir viel zu lange vertraut. Was hat es mir gebracht? Es sind so viele deinetwegen gestorben, weil du nichts unternommen hast!« Er zischte die letzten Worte und spürte sein Herz wild schlagen, als ob es eigenständig aus seiner Brust brechen und Wexmell an die Gurgel wollte.
Wexmell sah ihn wieder mit verschlossener, königlich ernster Miene an. Er straffte sich, denn obwohl eine große Last auf seinen Schultern lag, hatte Riath ihn seit dem Tod seines Vaters nicht ein einziges Mal einknicken gesehen. »Es sind noch mehr gestorben, als du zu den Schwertern gerufen hast. Nohva ist geteilt, das Volk schlägt sich in den Tavernen die Köpfe ein, weil es darüber streitet, wem von uns sie Treue schulden! Wir hätten eine Einheit sein sollen!«
»Soldaten sterben, Kinder sollten das nicht.« Damit traf Riath einen wunden Punkt, er sah es in Wexmells Gesicht, als in dessen blaue Augen ein schwarzer, tiefer Schmerz trat. »Dafür bilden wir Armeen aus, Vater, sie sollen kämpfen und für uns sterben, damit unsere Kinder es nicht müssen. Sie erfüllen damit einen Eid, dazu wurden sie ausgebildet! Niemand zwang sie, in unsere Armee einzutreten, sie tun es freiwillig. Sie wollen für uns kämpfen und sterben, Vater. Dazu sind sie da, sie sind die Waffen und die Barrieren, die die Unschuldigen schützen.«
»Ich habe nicht Nichts getan, Riath! Wir haben versucht, das Bild der Magier zu verbessern, wir haben Hexen zum Heilen durch das Land geschickt, wir haben auf friedliche Weise gegen den Aufstand gekämpft, mit friedlichen Mitteln!«
Sie starrten sich an, beide den eigenen Überzeugungen treu.
Langsam glitten Wexmells Fingerspitzen von der Tischkante. Riath lehnte sich gegen die Kommode hinter ihm, auf der eine einzelne Kerze stand und flackerte.
»Ohne Krieg kein Frieden, Vater.« Er suchte Wexmells Blick, versuchte ihn zu erreichen. »Ich konnte nicht länger dasitzen und zusehen, wie du darauf hoffst, dass die Diplomatie siegt, während Volksverhetzer nicht nur unsere Heimat in Brand setzten, sondern auch meinesgleichen jagten und abschlachteten wie Tiere.« Er zeigte anklagend auf Wexmell. »Während deine angeblichen Verbündeten uns angriffen.«
Wexmell sah ihn noch einen Moment länger an, dann wandte er sich ab. »Es erfreut dich sicher zu hören, dass bisher keine weiteren Vorfälle gemeldet wurden.« Er ging um den Tisch herum und strich dabei mit den Fingern über das Holz, als überprüfte er seine Beschaffenheit. »Ich weiß, dass du kämpfen musstest, glaub mir, ich weiß das. Aber ich allein muss mit meinen Entscheidungen leben, Riath, also wirf mir nicht vor, ich würde nichts tun. Ich habe etwas getan, die Angelegenheit erforderte Fingerspitzengefühl, keine Schwerthiebe! Je mehr ich den Magiern geholfen hätte, je mehr Feinde hätten sie dadurch erhalten. Euer größter Feind ist der Neid, Riath, und hätte die Krone sich schützend vor die Zauberkundigen gestellt, hätten die Hexenjäger es so ausgelegt, als ob wir sie bevorzugen. Mehr Hass, mehr Neid, mehr Gewalt wurden daraus geboren!«
»Du kannst die Verlorenen nicht retten, jeder wählt sein Schicksal selbst, und wer sich gegen die eigene Krone stellt, ist und bleibt ein Verräter, Vater hätte das genauso gesehen.«
Wexmells Gesicht wirkte von Augenblick zu Augenblick angespannter, so wie bei jeder Unterredung mit Riath.
»Du hast deine Feinde zu Märtyrern gemacht, als du sie getötet hast. Sieh, was wir angerichtet haben.« Wexmell breitete die Arme aus. »Wir haben die Aufstände bei uns vielleicht zerschlagen, doch jetzt breiten sie sich in unseren Nachbarländern aus. Wir haben niemanden gerettet, wir haben es verschlimmert. Du hast dafür gesorgt, dass du mehr Feinde hast, als du überblicken kannst. Mächtige Feinde.«
Riath wusste das, er starrte in seinen Kelch. »Ich bin mächtiger als sie alle zusammen.«
»Aber auch du hast deine Grenzen und Schwächen. Und glaub mir, sie werden sie finden – oder haben es vielleicht schon.«
Der bedeutsame Blick sagte alles. Riath hätte niemals herkommen sollen, denn mit einer dieser Schwächen hatte er vor kurzem noch das Bett geteilt.
Wexmell atmete aus, schien sich zu beruhigen. Er war nie aufbrausend gewesen, doch die letzten Jahre hatten auch ihn verändert. Der Tod seines geliebten Gefährten, der Tod zwei seiner Ziehkinder, die Krone auf seinem Haupt, die alleinige Verantwortung, die Aufstände und… der Verrat. Vor allem der Verrat hatte ihn schwer getroffen, ihn altern lassen und strenger gemacht. Von der warmen, strahlenden Sonne Nohvas zum kalten, fahlen Mond.
»Du fragst mich, warum ich dir nicht vertraue«, Riath sah wieder auf, Wexmell blickte ihn an. »Ich frage dich, warum du stattdessen nicht mir vertraust.«
Daraufhin verfiel Wexmell in tiefes Schweigen. Er musterte Riath noch stumm, dann glitt sein Blick endgültig ab und schien über etwas nachzudenken, das ihn zutiefst schmerzte.
Riath inspizierte seine Stiefel. »Was willst du hier?«
Er war bestimmt nicht die lange Reise angetreten und hatte Nohva allein gelassen, um mit Riath über das leidige Thema Krieg oder Frieden zu streiten. Nein, diese Diskussion würden sie noch an Wexmells Sterbebett führen, doch deshalb war er bestimmt nicht hier.
Als Wexmell nicht gleich antwortete, betrachtete Riath ihn wieder, wartete aber geduldig.
»Du hast mich gewarnt, dass Melecay Desith mit einer Armee nach Nohva schicken wird.« Wexmell drehte sich zu ihm um, sein Gesicht war wieder ernst.
»Ich bin mir sicher, dass er das tun wird, ich hoffe sogar darauf. Sie werden sich jetzt alle auf dich konzentrieren, um dich zu zermürben. Sie wollen, dass du die Krone abgibst. Also wirst auch du dich auf diesen Feind konzentrieren.« Er zuckte mit den Achseln. »Ich sehe das als Vorteil für mich.«
»Dann willst du mich ausliefern?« Wexmell fragte das so trocken, dass es ihn nicht überraschen würde, wenn Riath einfach mit Ja geantwortet hätte.
Doch er lächelte zynisch. »Ich bin sicher, du bist in der Lage, mit Desith zu verhandeln.«
»Und während ich das tue, fällst du über Melecays Land her?« Wexmells Lippen waren zu einem dünnen Strich geworden. »Schlachtest ein Dorf nach dem anderen ab, bis kein Barbar mehr übrig ist?«
Riath sagte dazu nichts, aber ein Lächeln lag auf seinen Lippen. Wenn die Zeit reif war, würde er das, doch im Moment wäre es noch Selbstmord. Anders als Wexmell immer behauptete, hatte Riath sehr wohl Geduld.
Wexmell legte den Kopf schief. »Und was ist mit Xaith? Du wolltest ihn finden, bevor es ein anderer tut.«
»Das werde ich«, versicherte er pikiert. »Ich weiß, wo Xaith ist, keine Sorge. Im Moment ist er geschwächt und kommt nur langsam voran, meine Getreuen verfolgen ihn. Ich bringe ihn nach Hause.« Er wollte ihn bitten, ihm zu vertrauen, doch sein Auftauchen hier bewies mal wieder, dass er das nicht tat – nicht konnte.
Riath war nicht überrascht, vielleicht musste das so sein, vielleicht würde nie irgendjemand, der auch nur den Funken gesunden Menschenverstandes in sich trug, ihm vertrauen.
Dennoch schmerzte es. Sein eigener Vater. Dieses Misstrauen, diese Enttäuschung hätte er von seinem anderen Vater erwartet, doch Wexmell war ihm früher immer nur mit Liebe und Stolz begegnet. Diese Zeiten waren schon seit einer ganzen Weile vorbei, was Wexmell nun für ihn empfand, verbarg er stets hinter dieser neutralen Maske.
Wexmell betrachtete ihn lange, sehr lange, mit diesen eindringlichen, dolchartigen Augen, die er sich angewöhnt hatte, seit er als König gezwungen war, Stärke zu beweisen. Nur zu oft hatte man seine Gutherzigkeit ausgenutzt. Doch eines war Wexmell nie gewesen: schwach.
Das durften sie niemals unterschätzen.
»Hast du es ihm gesagt?«, fragte Wexmell. »Kacey. Weiß er, dass er in Gefahr ist?«
Das letzte Gespräch mit Kacey trat in Riaths Erinnerung, noch frisch und aufwühlend. Er bekam Kopfschmerzen von dem wirren Gerede, das zu nichts geführt hatte. Die Sache mit Kacey war viel komplizierter, als er je angenommen hatte. Dabei könnte es so einfach sein, würden sie schlicht aufhören, miteinander zu reden. Nur fühlen, nicht denken, das wäre das Beste.
»Ich mache das auf meine Weise«, sagte Riath und sah ebenso ungerührt und streng zu Wexmell hin, so wie dieser zu ihm sah. Genau das hatte er damals gesagt, als er die Armee genommen – zumindest den Teil davon, der treu zu ihm stand, weil er der Sohn seines Vaters war – und den Aufstand zerschlagen hatte. Ich mache das auf meine Weise.
Wexmells volle Lippen wurden dünner, da er sie fest aufeinanderpresste. »Du musst es ihm sagen.«
»So wie du mir hättest viele Dinge sagen müssen.« Vorwurfvoll starrte Riath zurück. »Du und Vater, ihr habt uns belogen und jetzt müssen wir es ausbaden. Ihr hab uns nie gesagt, in welcher Gefahr wir schweben.«
Wexmell zeigte keine Reue, sein Gesicht blieb unbewegt. »Weder ich noch dein Vater hätten jemals damit rechnen können.«
»Und doch hast du ihn sofort durchschaut, also musst du es geahnt haben.«
»Ich sage nicht, dass dein Vater und ich immer die richtigen Entscheidungen getroffen haben, wir waren jung und ratlos, haben uns auf das Gespür anderer verlassen. Damals erschien es uns richtig und damals war es für uns von Vorteil. Melecay war ein starker Verbündeter gegen die Dämonen.«
»Für euch war er das«, betonte Riath, »nicht für eure Söhne.«
Riath hasste Wexmells neutralen Blick, er wirkte so ungerührt. Er war wie eine dicke Mauer, und er wusste nicht, ob sein Vater, der ihn früher immer warm angelächelt hatte und immerzu stolz auf ihn gewesen war, noch dahintersteckte. Der Vater, der Mann, der ihn immer ermutigt und ihm den Rücken gestärkt hatte. Da waren nur diese unergründlichen, fernen Augen.
In gewisser Weise sind beide Väter gestorben, auch Wexmell war fort, hatte sich so stark verändert. Wo war nur die strahlende Liebe und die Vergebung hin? Vor ihm stand nur ein… König. Unantastbar, neutral, uneinsehbar.
»Du hättest mir vertrauen müssen, Riath«, sagte Wexmell bedauernd, »ich hätte dich beschützt.«
Riath spürte die Tränen in seinen Augen und kämpfte sie zurück. »Du konntest niemanden mehr schützen, viele von uns mussten das lernen. Auch du hast ihn unterschätzt. Du und Vater hättet ihm nie eine Krone verschaffen dürfen!«
Da war er wieder, dieser zerreißende Schmerz in der Brust, der Verlust, die Enttäuschung, der Schock. All das drohte, ihn zu verschlingen, er musste sich selbst vom Abgrund wegreißen.
Nein, er würde nicht weinen, er würde nicht einmal klagen oder sich auch nur für den Bruchteil eines Augenblicks selbst bemitleiden! Es führte zu nichts und er hatte kein Recht dazu, nach all den Leben, die er genommen hatte. Kein Recht, zu fühlen, er war der Böse, hatte sich dazu gemacht. Kein Recht, zu atmen, zu existieren, zu leiden oder zu lieben.
Er war der dunkle Hexenprinz, das schwarze Schaf des königlichen Geschlechts.
Aber dennoch würde er sich nicht mit einer Niederlage abfinden, nur weil er es vielleicht sollte. Ob er sie nun verdiente oder nicht, er würde seine Rache bekommen. Das war alles, was zählte, alles, was jemand wie er fühlen durfte.
Ein Schatten fiel auf ihn und er hob den Kopf. Wexmell stand dicht vor ihm, sodass er ihm nicht entkommen konnte. Sein Blick bohrte sich in Riaths Augen.
»Es macht dich nicht zu einem besseren Mann als er es ist, wenn du ihn bekämpfst. Überlass die Angelegenheit mit Melecay und Eagle ab jetzt mir, Riath, such du nach Xaith.«
Riath sagte nichts, starrte ihn nur ernst an.
Wexmell verzog den Mund, ein wenig Wärme trat in sein Gesicht. Wohltuende, heilende Wärme. Er hob eine Hand und berührte Riaths Wange, legte den Kopf schief und blickte ihn an, als könnte er nicht glauben, was aus ihnen geworden war. Aus ihnen beiden.
»Es ist nie zu spät, in den Spiegel zu sehen und das zu erkennen, was man ist – und es dann zu ändern, mein Sohn. Kehr um, hol deine Brüder und komm nach Hause, komm zur Krone zurück, wir überwinden diese Krise gemeinsam – oder wir fallen beide allein.«
Riaths Sicht verschwamm, seine Kehle wurde eng, aber sein Gesicht blieb grimmig.
»Vergebung«, flüsterte Wexmell und zog seine Hand zurück, »ist etwas, das man sich erkämpfen kann. Denk darüber nach.«
Riath blickte auf und lächelte kalt. »Ich will Rache«, sagte er rau, »und ich will verdammt noch mal der berühmteste Bastard dieser Welt werden. Genau wie Vater. Ganz genau wie er!«
Das war es, was sein Herz am meisten begehrte, Ruhm. Und dass sein Name alle Zeitalter der Welt überdauern würde.
Enttäuschung trat auf Wexmells zartes Gesicht, er trat zurück, als würde ihn eine unsichtbare Barriere rückwärts drängen. Dann war da diese Schlucht zwischen ihnen, die immer größer wurde.
Bevor Wexmell noch etwas sagen konnte, wurde die Zeltplane aufgeschlagen.
Sie fuhren herum.
Marks sah zwischen ihnen hin und her und schien nicht erfreut ob des hoheitsvollen Besuches, dennoch neigte er den Kopf zu einer Verbeugung. »Mein König.«
Wexmell lächelte sanft und nachsichtig, so wie er seinen Untertanen immer begegnete. »Marks.«
Marks wandte sich an Riath. »Mein Prinz, was wünscht Ihr zu speisen? Und leistet der König Euch Gesellschaft?«
»Oh nein, wir brechen sofort wieder auf«, antwortete Wexmell. »Aber habt Dank.«
»Lass uns allein, Marks«, befahl Riath abweisend. Er wollte nicht in dieser Verfassung gesehen werden.
Wieder sah Marks von einem zum anderen, dann rang er sich ein Lächeln ab, neigte erneut das Haupt und zog sich zurück.
Wexmell starrte noch auf den Ausgang, der nach Marks Verschwinden noch immer leicht wehte, und seufzte leise. »Er kann mich nicht ausstehen.«
Riath winkte ab. »Interpretiere da nichts hinein, vielleicht steckt ihm nur was queer.«
Wexmell sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an, sein Blick sagte, dass Riath ihn nicht für dumm verkaufen sollte, und genau das unterließ er auch.
»Ich weiß, was er und viele andere denken, vor allem die Luzianerlords.« Wexmell richtete seinen Umhang, zog ihn über die Schultern und holte seine schwarzen Reithandschuhe hervor. »Ein paar erinnern sich zu gut an die Geschichten über meinen Vater, und sie denken, ich sei wie er. Entscheidungsscheu, abwartend und schwach.«
Riath schnaubte. »Davon weiß ich nichts, ich höre immer nur, dass ich nicht wie mein Vater wäre.«
Ein leichtes, melancholisches Lächeln trat auf Wexmells Züge. »Sie kannten deinen Vater nicht so wie ich, und glaub mir, er war nicht immer der Mann, den du kanntest.« Er sah Riath an, der überrascht dreinblickte. »Du bist ihm ähnlicher, als dir guttut, befürchte ich.«
Damit ließ er ihn stehen, bevor Riath etwas erwidern konnte, und trat aus dem Zelt.
Grübelnd folgte Riath ihm nach draußen, wo Wexmell seinen Wachen das Zeichen zur Abreise gab.
»Ich bin hergekommen, um dir persönlich mitzuteilen, dass es einen Vorfall gegeben hat und ich deine Mutter auf Drängen ihrer eigenen Zirkelschwestern« - Sarsars und Mays Mütter - »in den Turm sperren ließ.« Er sah Riath fest in die Augen. »Sie hat versucht, eine Intrige gegen mich zu planen, aber ihre Schwestern wandten sich gegen sie.«
Dieses verdammte Weib, unendliche Weiten von ihm entfernt und noch immer machte sie ihm Ärger. Er hörte noch ihre letzten Worte an ihn, vor der Abreise: »Wexmell war das, er hat versucht, dich töten zu lassen, und verschleiert seine Absicht hinter seiner Empörung. Du kannst jetzt nicht wegreisen, du musst ihn töten und dein Recht einfordern, Riath! Hörst du, du dummer Junge?«
Er war natürlich gegangen, hatte ein müdes Lächeln für die alte Hexe übriggehabt.
»Deinetwegen habe ich schon einmal getötet, um an diese Krone zu kommen«, hatte er zum Abschied gesagt, »aber das habe ich gar nicht nötig, ich werde mir mein Recht, zu herrschen, nicht stehlen, ich werde es mir erkämpfen.«
Sie hatte ihn immer zu einem kaltherzigen, berechnenden und machthungrigen König erziehen wollen, all das hatte er ihr mit Freuden gegeben – und sich gegen sie gestellt.
Wer seine Feinde waren und wer hinter welchem Anschlag steckte, wusste er selbst, er brauchte keine Mami, die ihm alles vorsagte. Er hasste es, wenn andere versuchten, ihn wie einen Hund an der Leine zu führen. Nein, dieser Köter hatte sich gegen die Frau gestellt, die ihn hatte führen wollen, und zugebissen.
Intrige? Vermutlich hatte sie das vorgehabt, aber besser, man half nach, indem man einen falschen Brief verfasste und eine Unterschrift fälschte – und dafür sorgte, dass sie in die richtigen Hände geriet. Es kostete ihn Mühe, nicht hinterhältig zu grinsen.
Es war zu gefährlich gewesen, sie in Wexmells Nähe frei herumlaufen zu lassen, sie musste verschwinden.
»Bin ich jetzt dein Feind?«, fragte Wexmell und betrachtete ihn eingehend.
»Lass mich über sie richten«, bat er, statt einer Antwort.
Wexmell betrachtete ihn noch einen Moment länger, dann wandte er das Gesicht unglücklich ab und seufzte. »Das halte ich für keine gute Idee.«
»Wir wissen doch beide, dass du nicht imstande bist, ein gerechtes Urteil zu fällen.«
Darauf antwortete er nicht, er blickte durch das Lager, schien aber etwas völlig anderes zu sehen. »Du hättest mir und deinem Vater sagen müssen, dass sie dich schlägt.«
Ihr hättet es wissen müssen, dachte er, schämte sich aber sofort. »Sie ist herrisch und kalt, aber sie ist nicht der Grund dafür, dass ich bin, wer ich bin.« Er sagte das aus purer Überzeugung, gewiss hatte sie seinen Charakter gefördert, aber vieles in ihm war bereits immer gegeben gewesen.
Wexmell nickte langsam, die Stirn gefurcht. »Wir hätten es spüren müssen«, er sagte es selbst, »haben wir aber nicht. Wir haben darauf vertraut, dass es dir bei uns gut geht, und vergessen, genauer hinzusehen. So lass mich über die Frau richten, die all die Jahre unter meinem Dach lebte und es wagte, Hand an meinen Sohn zu legen.«
Der Blick, den Wexmell ihm zuwarf, zeugte von einer fremdartigen Entschlossenheit, die keinen Zweifel daran ließ, dass er es ernst meinte.
Riath wusste nicht, was er deshalb fühlte. Einerseits war er von Wexmells Wut und Geste gerührt, andererseits wollte er keine Wärme in sein Herz lassen.
»Wie schade, dass ich ihr schockiertes Gesicht nicht sehen kann, wenn sie das Urteilt hört.«
Zwei eisblauen Augen sahen ihn an, er blickte zurück.
Wexmell sagte nichts mehr dazu, er hatte nicht annähernd so viel Freude an den Hinrichtungen seiner Feinde wie Riath sie hatte.
»Ich kann dich nicht zwingen, Nohva zu dienen, du musst tun, was du selbst für richtig hältst. Wenn es die Magier sind, für die du kämpfen willst, verstehe ich dich, doch wenn du nur für dich kämpfst, erwarte nicht, dass ich dich unterstütze.« Wexmell zog die Reithandschuhe über die Hände, dann drehte er das Gesicht zu Riath um, der ihm stumm und nachdenklich zuhörte. »Aber denk daran, dass du schon einmal etwas Unverzeihliches getan hast, Riath, willst du mir mehr Gründe geben, dir die Krone abzusprechen? Oder holst du deine Brüder und kommst heim, lernst meinem Urteil zu vertrauen, damit wir gemeinsam deinesgleichen schützen können?«
Er wartete keine Antwort ab, sah ihn nur sehr eindringlich an, und anhand seiner harten Miene war herauszulesen, dass es keine leere Drohung war. Dann wandte er sich ab und ging.
»Kannst du mir je vergeben?« Riath sprach leise, gebrochen, wie ein Junge, der etwas ausgefressen hatte.
Wexmell stockte kurz, warf einen geschielten Blick über die Schulter. »Das liegt bei dir, Riath, fang damit an, sie alle heim zu bringen, dann sehen wir gemeinsam weiter.«
Er ging endgültig, mit langen, entschlossenen Schritten. Am Rande des Lagers stieg er auf ein weißes Pferd und warf ihm noch einen ernsten Blick zu.
Riath sah ihm wie immer mit gemischten Gefühlen nach, er würde sich wohl nie entscheiden können, ob sie Feinde oder Familie waren.
Doch wer wusste besser als er, dass das eine das andere nicht ausschloss.