Читать книгу Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen - Billy Remie - Страница 12

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Du kannst weglaufen, du kannst dich verstecken, aber irgendwann holt sie dich doch ein ...

Und sie folgten.

Ihre Treue schien größer denn je zu sein. Aber was erwartete man von getretenen Hunden, denen man einen Knochen zuwarf?

Derrick war nicht begeistert darüber, dass ich ihnen Hoffnung machte, wo keine war.

Zwar habe ich das Geheimnis um meine Person gelüftet, doch es änderte nichts daran, dass ich nur siebenundsiebzig Mann hatte, mit denen ich unmöglich Carapuhr befreien konnte.

Die Elkanasai und die Truppen meines Vaters benötigten schon ein Wunder, um sie zu besiegen.

Aber die königlichen Truppen wollte ich auch gar nicht bekämpfen, ich wäre schön blöd, wenn ich es täte. Nein, ich musste meinen Vater stürzen und mir die Loyalität der königlichen Heere sichern, um mich gegen Elkanasai verteidigen zu können. Doch selbst wenn ich den Thron besteigen und Carapuhr befreien könnte, das Kaiserreich war groß und zahlenmäßig weit überlegen. Zum Glück hatte Menard mit seinem letzten Atemzug eine Lösung für mein Problem verkündet.

Ich breitete alle Schriften, die ich je aus Tempeln und Gräbern gestohlen hatte, auf dem Tisch aus, der in meinem Zelt stand. Ich hatte alles Wichtige aus Menards Zuflucht mitgenommen, denn wir hatten nicht dortbleiben können. Sie würden wiederkommen, so lange, bis sie mich fanden.

Wir waren dumm gewesen, immer an einem Ort zu bleiben. Carapuhr war ein relativ kleines Land, und es war abzusehen, dass man uns nach zehn Jahren aufspüren würde, wenn wir nicht in Bewegung blieben. Diesen Fehler würde ich bestimmt in Zukunft vermeiden.

Ich konzentrierte mich auf die wagen Beschreibungen der Schriften.

Drachen. Immer wieder wiederholte ich dieses Wort in meinen Gedanken. Laut den Aufzeichnungen, erzählt mir die Geschichte meiner Familie, dass wir allesamt von so genannten Drachenzähmern abstammten.

Alles hatte mit Magie zutun. In jedem von uns steckt Magie, das hatte Mutter gesagt. Offenbar hatte sie Recht behalten. Selbst in mir, einem normalen Menschen, steckte ein Hauch Zauber. Zumindest die Fähigkeit, ein Ritual zu absolvieren.

Ich bezweifelte jedoch, dass ich je herausfinden würde, was die Worte bedeuteten, die das Ritual des Drachenzähmens beschrieben. Davon abgesehen, hatte es schon seit Ewigkeiten keine Drachen mehr in Carapuhr gegeben. Sie lebten in der Wildnis, fernab der Zweibeiner. Und außerdem waren sie gefährliche Bestien, denen man besser nicht zu nahekam. Sie konnten mich mit einem Happs verschlingen, das würde ich gern vermeiden.

Also benötigte ich für das Wunder, das ich für die Rückeroberung meiner Heimat brauchte, weitere Wunder.

Es schien unmöglich, und doch war ich zuversichtlich. Etwas anderes blieb ja auch nicht übrig.

Ein Geräusch ließ mich aufhorchen.

Es war tief in der Nacht und die meisten meiner Brüder schliefen, die andere Hälfte hatte einen Auftrag von mir bekommen.

Doch ich hörte ganz deutlich das Klimpern eines Zaumzeugs.

Ich runzelte die Stirn und verließ mein Zelt.

Der Mond schien noch immer hell auf das Lager hinab und beleuchtete die zahlreichen schlafenden Männer. Sofort erkannte ich, wer seinen Schlafplatz abgebaut hatte.

Ich folgte dem Ziegengeruch zu den Pferden.

»Du verlässt uns?«

Janek zuckte erschrocken zusammen, langsam drehte er sich kurz zu mir um.

Ich lehnte lässig an einem Baum, nicht weit von dem Hintern seines Pferdes entfernt. Er musterte mich, dann zog er den Sattelgurt zu.

»Ich danke Euch, für mein Leben, aber es ist Zeit für mich zu gehen«, antwortete er mir.

»Du denkst, das wäre so einfach?« Ich flüsterte bedrohlich.

Er überging meine Frage, erklärte aber: »Mein Bruder. Er ... muss in der Nähe sein. Ich muss ihn suchen und finden, ehe die Elkanasai ihn für meinen Verrat bestrafen.«

Ich erinnerte mich an das, was Janek mir in der Ratshalle erzählt hatte. »Wieso wollten sie dich vor den Augen deines Bruders hängen?«

Janek vermied es geflissentlich, mich anzusehen. Erneut wich er meiner Frage aus: »Seid Ihr wirklich der Kronprinz?«

Ich nickte bestätigend.

Janek atmete unglücklich aus, das gefiel mir gar nicht.

»Wohin willst du wirklich?«, fragte ich drohend.

»Das sagte ich bereits«, antwortete Janek. Er sah mir in die Augen und ich konnte darin lesen, dass er mir die Wahrheit erzählte. Aber da war noch mehr. Es steckte mehr hinter der Geschichte seines Bruders.

»Ich kann dich nicht gehen lassen«, erklärte ich gespielt unglücklich und schlenderte langsam auf ihn zu. »Es ist so: Jeder einzelne meiner Brüder hat oder hatte eine Schuld bei mir zu begleichen. Darauf bestehe ich. Einigen rettete ich das Leben, anderen half ich aus Problemen und manche verdanken mir das Überleben ihrer Familien.«

Dicht vor ihm blieb ich stehen, er wagte es nicht, zurückzuweichen.

»Wenn es ein Problem mit deinem Bruder gibt, dann helfe ich dir natürlich gerne.« Ich senkte die Stimme zu einem gefährlichen Flüstern. »Aber vergessen wir jetzt erst einmal nicht, dass ich dich befreit und vor einer Hinrichtung bewahrt habe. Du schuldest mir dein Leben und dafür verlange ich für mindestens ein Jahr deine Loyalität.«

Ich nickte in Richtung Lager, wo das Feuer nur noch spärlich flackerte. »Einige Männer und Frauen gingen, nachdem sie ihre Schuld beglichen hatten, aller anderen kannst du jetzt noch an meiner Seite erblicken. Du siehst also, du kannst gehen, aber bestimmt nicht jetzt, ohne zurückzuzahlen, was wir dir gegeben haben.«

»Ich bat nicht darum«, warf Janek vollkommen ruhig ein.

Ich nickte zustimmend. »Aber um dich zu befreien, verloren wir einen unserer Brüder und einige Pferde. Du schuldest uns deine Treue.«

»Ich glaube, ihr hättet diese Elkanasai auch angegriffen, wäre ich nicht dort gewesen.«

Janek war tollkühn, das musste ich ihm lassen. Er brachte mich zum Schmunzeln.

Doch er wandte sein Gesicht von mir ab und strich über den Hals seines Pferdes. Erneut erinnerte er mich an meinen kleinen Bruder Haakon und mir wurde ganz anders zumute.

»Ich würde Euch lebenslange Treue schwören«, sagte Janek plötzlich und sah mich dann wieder ernst an. »Ihr seid stark. Willensstark. Eure Männer folgen Euch nicht ohne Grund. Sie sehen etwas in Euch. Hoffnung für ihr Land und ihr Volk. Ich verstehe das. Aber wenn ich Euch gegenüber eine Schuld habe, dann begleiche ich sie am besten, indem ich Euch nicht in Gefahr bringe.«

»Wie meinst du das?«, wollte ich sofort wissen.

Janek schluckte schwer, aber er zwitscherte freiwillig wie ein Vogel: »Mein Bruder wird mich suchen ... und wenn er mich findet, sollte ich besser nicht bei Euch sein.«

»Weshalb nicht?«

Janek presste die Lippen zusammen und blickte zu Boden. Er kämpfte mit sich selbst, aber er würde dieses Geheimnis nicht lüften.

Enttäuscht atmete ich aus und richtete mich wieder auf. Obwohl Janek sagte, seine Nähe sei gefährlich, wollte ein Teil von mir ihn nicht gehen lassen. Vielleicht weil er mich an Haakon erinnerte.

»Wenn du mir nicht sagst, was du damit meinst, sehe ich keinen Grund, dich gehen zu lassen«, beschloss ich.

Traurig sah er mich an. »Dieses Land braucht einen starken Herrscher wie Euch, ich will nicht Euren Tod verschulden.«

»Dann nutz deine Anwesenheit und deinen Bogen, um mich zu schützen«, forderte ich ihn auf.

Dann beugte ich mich ein letztes Mal zu ihm und drohte ihm leise: »Tu, was du für richtig hältst, aber sei gewarnt, verlässt du mich ohne deine Schuld beglichen zu haben, werden meine Männer und ich das Leben zurückfordern, das wir dir geschenkt haben. Du kannst weglaufen, aber wir finden dich.«

Janek starrte mich unglücklich an, war aber zu eingeschüchtert um etwas zu sagen. Das mochte ich so an ihm, er zweifelte nicht daran, dass ich meine Drohungen wahrmachte.

Ich wandte mich ab und ließ ihn und seine Ziege bei dem gesattelten Pferd allein. Entweder er würde gehen oder bleiben, sein Schicksal musste er selbst wählen. So wie jeder andere von uns auch.

***

Ich schwitzte, als ich zurück zu meinem Zelt ging.

Nicht etwa, weil mir heiß gewesen wäre, es war nämlich saukalt in dieser Nacht, und ein Blick gen Himmel genügte mir, um festzustellen, das bald der nächste Schnee fallen würde. Nein, es war kalter Schweiß, der mir über Stirn und Nacken rann. Er floss unter meiner Rüstung meine Wirbelsäule hinab, direkt zwischen meine Arschbacken. Ich hätte – in Mangelung eines besseren Wortes – kotzen können.

Mir ging es nicht gut. Ich vermutete, es lag an der Wunde, die der Pfeil hinterlassen hatte, obwohl Derrick nie halbe Sachen machte, wenn es um das Ausbrennen von Wunden ging. Vielleicht hatte das nicht genügt, weil die Wunde tiefer gewesen war als gedacht.

Genervt und müde schlug ich die Zeltplane zurück.

Ich stockte, nachdem ich eingetreten war.

Derrick saß hinter dem Tisch in meinem Zelt auf meinem Stuhl und begutachtete die Aufzeichnungen über das Drachenzähmer Ritual.

Er sah mit seinen silbernen Augen auf, als ich eintrat.

»Ist das dein Plan?«, fragte er mich brüsk. Wütend deutete er auf die Schriften. »Sollen wir uns auf Zauberei verlassen?«

»Hast du eine bessere Idee?«, gab ich zurück und steuerte den Krug mit dem Met an, den ich zurückgelassen hatte, um Janek bei den Pferden zu überraschen. Ich goss mir etwas in einen silbernen Kelch, den ich aus Menards Zuflucht mitgenommen hatte, und nahm einen Schluck Met.

Hm, kalt, stellte ich erbost fest. Ich mochte meinen Met wie meine Weiber, Warm und vollmündig.

Derrick überging meine Frage, als er mich darauf hinwies: »Magie ist unbeständig. Kein Zauber ist sicher. Es kann so viel schief gehen ... oder von vorneherein nicht funktionieren. Im besten Fall finden wir erst gar nicht heraus, welche Zutaten das Ritual benötigt oder wir finden, was wir brauchen, und es passiert einfach überhaupt nichts ...«

»Und im schlimmsten Fall?«, murmelte ich gelangweilt mit dem Rücken zu ihm.

Ich konnte seinen furchtvollen Blick im Nacken spüren, als er antwortete: »Werden wir von einem Drachen gefressen, bevor wir versuchen können, ihn zu zähmen.«

Ich war nicht dumm, ich kannte die Risiken. Aber welche Wahl hatte ich?

»Hast du eine Armee?« Ich drehte mich mit einem überheblichen Heben meiner Augenbrauen zu Derrick um, den Kelch mit dem kalten Met noch in der Hand. »Hast du ein verdammtes Soldatenheer, Derrick, das du mir leihen könntest? Hm? Wenn ja, wo hast du es die ganze Zeit versteckt? Kannst du es aus deinem Arm schütteln?«

Derrick presste seine Lippen zusammen und wich meinem Blick aus.

»Wenn nicht«, sprach ich weiter und schlenderte auf den Tisch zu, »dann erkläre mir doch bitte, wie du gedenkst, einen Krieg zu führen ohne ein Wunder?«

Ich blieb vor dem Tisch stehen und Derrick sah zu mir auf. Er musterte meine imposante Erscheinung, aber nur für einen winzigen Moment.

Derrick räusperte sich und legte seinen Zeigefinger auf die Ritualsschriften. »Das hier ist nicht das Wunder, das du brauchst, Mel.«

»Ich wiederhole mich nur ungern, aber wie sonst sollen wir einen Krieg führen? Wir sind siebenundsiebzig Mann! Und mein Vater hat die Truppen des Kaisers und seine eigenen«, erinnerte ich Derrick. »Wie also sollen wir mein Erbe zurückgewinnen?«

»Mit List und Gerissenheit-«

Ich beugte mich über den Tisch zu ihm und deutete auf die Schriften. »Das hier ist meine List, Derrick. Mein Vater hat ein Meer aus Soldaten, vielleicht bringt uns ein Drache einen gewissen Vorteil. Zumindest bringt er uns eine geringe Chance.«

Lange sah Derrick zu mir auf. Zweifel standen deutlich in seinem Gesicht, auf dessen Wangen dunkle Bartstoppeln zu sehen war, Kerzenlicht schimmerte darin und ließ es an manchen Stellen rötlich erscheinen. Ich hielt seinem Hundeblick stand, meine Miene war eine eiserne Maske. Der unnachgiebige Ausdruck eines Königs ...

Schließlich holte Derrick Atem. »Nun gut, so lange wir sonst keinen besseren Plan haben, können wir uns zumindest vorerst mit dem Ritual befassen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Bilde dir nicht ein, dass du ein größeres Mitspracherecht hättest als der Dreck unter meinem Stiefeln.«

Derrick nahm die Beleidigung mit einem Schmunzeln auf.

Ich setzte mich in den Stuhl gegenüber von Derrick und trank von meinem kalten Met. Immerhin merkte ich durch das Getränk meinen körperlichen Zustand nicht. Ich war froh um das gedämpfte Kerzenlicht im Inneren meines Zelts, weil ich nicht wollte, dass Derrick den Schweiß auf meiner Stirn und die Ringe unter meinen Augen bemerkte.

»Was ist dein nächster Schritt, Melecay?«

Ich sah Derrick in die Augen. Für einen Moment hatte ich weder Lust darauf, unsere Chancen zu besprechen, noch überhaupt irgendetwas zu sagen. Worte zu formen, eine Unterhaltung zu führen. Es gab vieles, was ich jetzt so viel lieber getan hätte. Eines davon war zu schlafen, denn ich glaubte, das Fieber habe bereits Besitz von mir ergriffen.

Ich rieb mir die Augen mit Daumen und Zeigefinger, als ich müde auf Derricks Frage antwortete: »Sofern ich das richtig verstanden habe, sind die Schlüssel des Rituals eine Hexe, das Blut eines Drachenzähmers – also mein Blut – und ein Opfer, das der Drachenzähmer einem Feuerberg übergeben muss.«

Derrick suchte die Zeile über das Opfer und las sie laut vor: »Der, der den Drachen an sich binden will, muss, für seine einzigartige Macht in der Welt der Sterblichen, das größte Opfer bringen. So soll der neue Drachenzähmer dem Feuerberg einen Menschen opfern, mit dem er verbunden ist.«

Ich legte die Stirn in Falten und rieb mein Kinn nachdenklich, so wie ich es auch getan hatte, als ich diese Zeilen zum ersten Mal gelesen hatte.

Derrick sah mich fragend an. »Es bedeutet wohl mehr, als es aussagt, nehme ich an?«

»Inwiefern können Menschen denn miteinander verbunden sein?«, wollte ich von ihm wissen. Nicht, weil ich es nicht wusste, sondern um ihn dazu zubringen, selbst darauf zu kommen.

Er dachte nicht lange darüber nach. »Durch die Ehe sind Menschen miteinander verbunden. Aber auch durch Blut, Freundschaft ...«

»Liebe.«

»Ich sagte doch, Ehe.«

Ich verzog meinen vollen Mund zu einem hässlichen Grinsen. »Die Ehe hat mit Liebe nichts zu tun.«

Ich musste es ja wissen, ich hatte es bei meinen Eltern erlebt.

Derrick nickte einlenkend. »Zumindest nicht immer.«

Ich kratze mich an der Stirn, Schweiß klebte auf meiner Haut. »Da ich im Moment nicht weiß, wen ich opfern soll, und der einzige Feuerberg in Carapuhr, von dem ich gehört habe, seit Jahrhunderten kein flüssiges Feuer mehr spuckt, bleibt nur noch ...«

»Die Hexe«, vollendete Derrick meine Überlegung.

Ich nickte bestätigend. »Mein Blut ist zumindest vorerst sicher in meinen Venen« - ich dachte an das Fieber und mein kochendes Blut - »Ein Drache, zum zähmen, wird schwer zu finden sein ... aber die Hexe ...«

»Was schwebt dir vor?«, fragte Derrick neugierig.

Ich hatte mich an etwas erinnert, bevor Janek mich abgelenkt hatte, und nun ließ ich Derrick daran teilhaben: »Mein Vater sprach einst von einer Gruppe Flüchtlinge aus Nohva, die kurz vor meiner Geburt nach Carapuhr gekommen waren. Darunter auch ein magischer Säugling. Einige Jahre, kurz bevor du zu uns gestoßen bist, kam mir zu Ohren, dass aus dem Kind ein magiebegabtes Mädchen geworden ist. Eine so mächtige Hexe, dass selbst mein Vater nach ihr suchen ließ, aber er hatte sie nicht finden können.«

»Vielleicht sind sie zurück nach Nohva«, vermutete Derrick.

Zweifelnd schüttelte ich den Kopf. »Auf Nohvas Thron sitzt noch immer ein Verräter. Wenn diese Gruppe Flüchtlinge Anhänger des wahren Königs gewesen waren, und das müssen sie sein, sonst wären sie nicht geflüchtet, sind sie sicher nicht zurückgegangen, um sich hinrichten zu lassen.«

Derrick war frustriert. »Toll. Und wie willst du die Hexe finden?«

Ich zuckte mir den Schultern, warf jedoch ein. »Den Soldaten des Königs verrät man vielleicht nicht viel, aber wenn Männer von der Straße nach einer Hexe suchen, wird das gemeine Volk vielleicht ehe Informationen herausgeben.«

»Du willst in die nächste Stadt und Fragen stellen?«, wollte Derrick wissen.

Ich nickte zustimmend und sah das Problem nicht.

»Das wird einiges an Aufmerksamkeit auf uns ziehen.«

»Mag sein«, stimmte ich zu und trank meinen Met aus. »Aber dieses Risiko muss ich eingehen.«

Derrick war nicht glücklich damit, aber er nickte einverstanden. Er hatte keine weiteren Ratschläge für mich. »Deshalb hast du Kostja mit einem kleinen Spähertrupp fortgeschickt, sie sollen die nächsten Dörfer auskundschaften.«

»Je mehr Leute wir befragen, je größer unsere Chancen.«

»Und je größer die Aufmerksamkeit, die wir auf uns ziehen.«

»Wir haben uns genug versteckt«, gab ich gelassen zurück. »Soll mein Vater ruhig seine Truppen schicken, die uns nachjagen, wir werden ihnen immer einen Schritt voraus sein.« Hoffte ich jedenfalls. Ich tat gerne so, aber allwissend war ich nun wirklich nicht. Wie jeder andere Mensch konnte ich bei risikoreichen Plänen einfach nur das Beste erhoffen.

Ich hatte keine Angst vor meinem Vater und seinen Truppen, auch nicht vor den Elkanasai. Das einzige, was mir Sorgen bereitete, war das Fieber in meinem Körper. Ich benötigte diese Hexe also aus zwei Gründen, und der zweite war drängend.

»Und wenn wir nichts über eine Hexe in Erfahrung bringen können?«, wollte Derrick wissen.

»Mein Onkel war es, der damals nach ihr gesucht hat«, erinnerte ich mich. »Wenn alles Fragen uns nicht weiterbringt, müssen wir dem ehrenwerten Baron wohl einen Besuch abstatten.«

»Er wird dich wiedererkennen«, fürchtete Derrick mit seinem Hundeblick, der mich jedes Mal fast einknicken ließ. Aber eben nur fast. Freunde konnten entmutigend sein, vor allem wenn es sich um solche Freunde wie Derrick handelte, die immer alles objektiv sahen.

»Vermutlich, ja«, murmelte ich gen Boden.

Derrick erinnerte mich: »Er ist trotz aller Differenzen deinem Vater ein treuer Ergebener. Er ist des Königs Bruder!«

»Er ist ein Baron, der seinem König wegen seiner Ländereien treu bleibt«, warf ich ein. »Ich werde König sein. Irgendwie. Irgendwann. Wir sollten den Baron eben darauf hinweisen, dass er an die Zukunft denken sollte.«

»Irgendwie, irgendwann«, wiederholte Derrick. »Genau das wird der Baron vorbringen. Du bist noch kein König, und unsere Chancen, dass du es je sein wirst, sind sehr, sehr gering.«

Ich starrte vor mich hin, mit bösem Blick, als wollte ich direkt in die Zukunft blicken und sie allein durch die Bedrohung in meinen Augen dazu bringen, mir wohlgesonnen zu sein.

»Abwarten«, sagte ich zu Derrick. »Dem Baron werden wir selbstverständlich anderes erzählen. Wir werden ihm unsere besondere Stärke demonstrieren ... und wenn wir ihn nicht überzeugen können, zwingen wir ihn eben.«

Ich hatte meinen Onkel immer gemocht. Er war ehrenhaft, ein liebender Vater und Onkel gewesen. Er hatte sogar das erste Kind meines Vaters aufgenommen, meine Halbschwester Romy, ein Bastard, und sie wie seine eigene Tochter aufgezogen. Mein Onkel hatte mich immer zum Lachen gebracht, er hatte mir Geschenke mitgebracht, mir und meinen Brüdern, er war auch bei der Geburt der Zwillinge anwesend gewesen, anders als mein Vater. Ich mochte den Baron wirklich sehr, meiner Erinnerungen an ihn waren alle schöne, warme Kindheitserinnerungen. Aber wenn sich der Baron gegen mich stellen wollte, oder mir auch nur im Weg war, würde ich ihn töten. Ich hatte Männer aus geringeren Anlässen getötet, vor meinem Onkel machte meine Konsequenz nicht Halt.

Derrick nickte und starrte vor sich hin.

»Es ist spät«, sagte ich trocken. Ein kleiner Hinweis darauf, dass er gehen sollte.

Aber er ging nicht, er nickte nur erneut zustimmend.

»Ist noch was?«, fragte ich harsch.

Derricks Augen sahen in meine. Das Silber, das mir entgegenstrahlte, schimmerte im Schein der Kerzen. Ich war neidisch auf diese einzigartige Augenfarbe.

»Nein, ich ... ich wollte nur ...« Derrick stammelte und verstummte schließlich. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte sein Blick zum Bett.

Ich lächelte grimmig. »Gute Nacht, Derrick.«

Er nickte erneut, zum dritten Mal kurz hintereinander. Für einen Moment saß er noch auf meinem Stuhl, er schien verletzt, wie ein getretener Hund. Weshalb, vermochte ich nicht zu erraten. Wenn er sich erhofft hatte, dass ich ihn in jede Einzelheit meiner Pläne einweihte, hatte er sich getäuscht, ich verrate nie alles, was mir im Kopf herumging. Davon abgesehen, wusste ich selbst noch nicht, wie ich diese unmögliche Aufgabe, die mir und ihm bevorstand, absolvieren sollte, ohne dabei drauf zu gehen.

Derrick räusperte sich, er hatte sich wieder gefangen. Er stand mit einer gleichgültigen Miene auf und verließ mein Zelt ohne ein weiteres Wort.

Nachdem er gegangen war, fühlte ich mich seltsam allein.

***

Als ich am nächsten Morgen aus meinem Zelt trat, ging es mir noch schlechter als am Abend zuvor. Geschlafen hatte ich wenig, die meiste Zeit hatte mich das Fieber geschüttelt, hinzu war eine fast unüberwindliche Übelkeit gekommen, ich hatte die halbe Nacht damit zugebracht, den Met wieder hervorzuwürgen. Zum Glück hatte sonst niemand etwas davon bemerkt.

Vor meinem Zelt prasselte das Lagerfeuer, meine Brüder saßen verteilt im Lager und nahmen das Frühstück zu sich. Der Geruch von gebratenem Fleisch und warmen Wein drehte mir fast erneut den Magen um.

Ich zog den Fellumhang enger, den ich mir um die Schultern geschlungen hatte. Mir war kalt, eiskalt, obwohl mir noch nie zuvor in meinem Leben kalt gewesen war. Zumindest nicht so. Trotzdem floss der Schweiß in Strömen.

Unter diesem Umhang hatte ich bereits meine Rüstung angelegt, ich versteckte meinen angeschwollenen Unterarm und die dort hervorgetretenen Adern, die seltsam violett leuchteten. Mein Blut war schlecht, ich musste kein Heiler sein um es zu wissen, aber anders als ich gedacht hatte, kam die Endzündung nicht von der Wunde in meiner Schulter, sondern von der kleineren Wunde in der Handinnenfläche.

»Eure Majestät?«

Im ersten Moment reagierte ich nicht. Doch dann erinnerte ich mich, wer ich war und fuhr zu dem Mann herum, der mich angesprochen hatte.

»Janek.« Ich rang mir ein halbherziges Lächeln ab. »Schön, dich zu sehen.« Ich hatte gewusst, dass er nicht gehen würde.

Er hielt mir einen Becher und eine Tonschüssel entgegen und betonte: »Ihr solltet essen, Eure Majestät.« Er kam noch ein Stück näher und senkte seine Stimme vertraulich: »Ihr seht kränklich aus, mein Prinz.«

Er nannte mich ›mein Prinz‹! Ein Elkanasai nannte mich, einen Barbaren, seinen Prinzen! König wäre mir lieber gewesen, doch dieses Spitzohr hatte mir mit dieser Anrede den Tag versüßt, noch bevor er richtig begonnen hatte, und obwohl es um meine Gesundheit ziemlich schlecht stand.

Ich musste lächeln, als ich mein Frühstück annahm, obwohl mir zu übel war, um auch nur einen Schluck, geschweige denn, einen Bissen hinunter zu würgen.

»Eine lange Nacht«, log ich und tat gleichgültig. »Ich hatte viel zu bedenken.«

Janek nickte zustimmend. »Es ist sicher nicht leicht, die nächsten Entscheidungen zu treffen.«

»Nicht?« Ich stellte die Frage nicht an ihn, nicht einmal an mich selbst. Mit zu Boden gerichteten Blick hoffte ich, einen Wink des Schicksals zu erhalten. Ich konnte mir keinen noch so kleinsten Fehler erlauben, jede Entscheidung musste die richtige sein.

»Ihr seid im richtigen Alter«, hörte ich Janek sagen. »Vor zehn Jahren waren Euch auf Grund Eurer geringen Erfahrung die Hände gebunden. Nun aber seid Ihr jemand, ein Mann. Ein ernstzunehmender Gegner.«

»Denkt Ihr, ich bräuchte einen Berater, der mir in den Arsch kriecht?«, spottete ich und lächelte müde. »Such dir Arbeit im Lager, Janek, ich brauche wahrlich nicht noch jemand, der mich vollquatscht.«

Mein Blick glitt von Janek ab direkt zu Derrick, der aus seinem Zelt gekrochen kam. Anders als meine war seine Schlafstätte winzig. Er warf mir einen grimmigen Blick zu. Hinter ihm kam Kostja hervor, die beiden trennten sich, ohne sich angesehen zu haben.

Derrick ging ohne Umwege direkt zu den Pferden, er nahm kein Frühstück zu sich, er wollte sofort aufbrechen.

»Ich versuche nicht, Euch zu schmeicheln.« Janek lenkte meinen Blick wieder auf sich und ich musste mich von Derricks finsterer Miene abwenden. »Ich wollte nur sagen, dass Ihr nun zwei Möglichkeiten habt. Ihr könnt so weitermachen wie bisher und als Anführer Eurer Schattenwölfe in die Geschichte eingehen ... Oder Ihr beginnt einen Krieg, um das Recht einzufordern, Euch einst König nennen zu dürfen.«

Ich betrachtete lange Janeks Gesicht, ehe ich lediglich trotzig zurückgab: »Ich bin ein König!«

Recht einfordern? Einfordern? Ich hätte Janek gerne mein Frühstück gegen seine zarte Wange geworfen. Ich war bereits ein König, es war mein Geburtsrecht! Ich wurde vom Kronprinzen dieses Landes zum rechtmäßigen König, als mein Vater sich entschloss, Carapuhr an die Elkanasai zu verkaufen, nur um sich weiter König nennen zu dürfen. Aber was bleibt, wenn er die Unterstützung seines Volkes verliert und die Elkanasai vertrieben wurden? Ich sage euch, was dann bleibt: nur ein Mann, der in meinen Kerkern Tag ein und Tag aus für seinen Verrat gefoltert wird!

Oh ja! Janek hatte mir nur umso mehr verdeutlicht, wie sehr ich diesen Krieg ersehnte, ich musste nur meine Chancen erhöhen. Wie schwer konnte das schon sein?

Na ja ... mal davon abgesehen, das mein Blut verfault war und mich nur noch eine Hexe oder ein verdammt guter Heiler retten konnte. Aber das eine war unauffindbar und das andere für uns Söldner unbezahlbar. Gute Heiler gab es nur beim Adel ...

Janek neigte seinen Kopf, ehe er sich sorgenvoll von mir abwandte. Seine Ziege warf noch einen Blick zu mir auf, der mich nervös machte. Es war der Blick, den eine Mutter einem zu warf, wenn man ihr Kind abgewiesen hatte. Dann galoppierte die kleine Ziege mit den weißen Beinen und dem weißen Kopf hinter ihrem Herrn her. Ich sah den beiden nach und überlegte, ob ich mir vielleicht lieber eine Herde Schafe statt einem Rudel Wölfe hätte aneignen sollen. Bauerntiere schienen treuer zu sein als die wilden Hunde, die ich mir angelacht hatte.

»Ich dachte, wir seien Söldner und keine Bauern.«

Ich nippte an meinem Frühstückseintopf und hoffte, er würde meinen leeren Magen beruhigen.

Dann drehte ich mich zu Lazlo um, der nackt an einem Pfahl gekettet neben dem Eingang meines Zeltes hockte.

»Guten Morgen, mein Bruder«, begrüßte ich ihn und schenkte ihm ein falsches Lächeln.

Er sah mich gelangweilt an. »Muss das wirklich sein?«

Für seinen Versuch, mir die Bruderschaft streitig machen zu wollen, hätte ich ihn aufschlitzen sollen, aber ich brauchte Lazlo noch. Er konnte also ruhig einige Tage in seiner eigenen Scheiße sitzen und über seine Treue nachdenken.

Ich nickte und antwortete knapp: »Ja, muss es.«

»Ich hab Hunger«, brummte er mürrisch. »Ich kaue mich durch die Fesseln und schlachte die Ziege dieses feigen Spitzohrs, wenn ich nicht bald etwas zwischen die Kiefern bekomme!«

Ich fischte das Stück aufgeweichte Brot aus meinem Frühstückseintopf und warf es ihm vor die Füße in den Dreck. »Wohl denn, guten Hunger, mein Bruder.«

Damit wandte ich mich ab.

Nachdem ich gegessen hatte ging es mir ein kleinwenig besser, dennoch führte mich mein nächster Weg direkt zu der jungen Sklavin, die ich befreit hatte.

Sie stand mit dem Rücken zu mir und sattelte eines der Pferde. Leider hatten wir bei dem Angriff einige Rösser verloren, ganz zu schweigen von den vielen Tieren, die von den königlichen Soldaten mitgenommen oder geschlachtet worden waren, wir hatten zu viele Männer und zuwenig Pferde, und Pferde waren teuer, gute Pferde waren sogar unbezahlbar. Deshalb musste die Sklavin mit Corin zusammen reiten.

»Ihr habt helle Haut«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.

Ich war überrascht, dass sie mich bemerkt hatte. »Und weiter?«

Sie lächelte über die Schulter. »Eure Mutter war eine Frau aus Zadest.«

»Ich komme nach meinem Vater«, erwiderte ich und lächelte zynisch.

»Die meisten Männer kommen nach ihren Vätern«, sagte sie und schmunzelte mir verschwörerisch zu. »Was viele nicht wissen ist, die meisten Töchter auch.«

»Ähnelst du deinem Vater?«

»Ich war zu jung, als man mich verschleppte, um zu wissen, wie er wirklich war«, erzählte sie mir, traurig klang sie nicht dabei. »Ich denke aber nicht. In Zadest sind Männer die schwachen Wesen... und Frauen die Anführer. Und ich bin nicht schwach!«

»Du stammst auch aus der Heimat meiner Mutter.« Es war eine Feststellung.

Sie nickte und drehte mir schließlich ihr hübsches Gesicht zu. Ihr Körper war zierlich, knochig, ihr Busen war klein, ihre Augen groß aber hart. Sie erinnerte mich ehe an einen Jungen, statt an eine erblühte Frau. Dennoch hatte sie etwas an sich, das ich anziehend fand.

Sie nickte nur, ihre Arme waren nun vor ihrer flachen Brust verschränkt. Ich hatte ihr eine alte Lederrüstung gegeben, sie versank fast darin, aber sie schien sich damit wohler zu fühlen als mit dem feizügigen Gewand, indem wir sie befreit hatten.

»Wie ist dein Name?«, fragte ich.

»Iwanka«, antwortete sie.

»Kein Titel?«, spottete ich. Mir ging es nicht gut, aber ich würde meinen Witz nicht verlieren.

Sie zog nur eine schmale, dunkle Augenbraue in die Höhe und betrachtete mich kritisch. Sie hatte wohl keinen Witz. Doch ich muss sagen, dass sie mir gefiel. Die Art, wie sie sprach, so ruppig und rau, abweisend, auch die Art, wie sie mich ansah, wie eine wilde Raubkatze, und die gesunde Skepsis in ihren schönen Augen, die Klugheit ausstrahlten. Sie war eine Frau, eine richtige Frau, die sich nichts aus der Anerkennung von Männern machte. Sie war stark, willensstark. Ich schätze, als Sklavin musste man das auch sein, um an diesem Leben nicht gänzlich zu Grunde zu gehen.

Ich räusperte mich, ehe ich ernsthaft fragte: »Welche Aufgaben umfasste dein ... ähm ... Sklavenalltag?«

Die hochgezogene Augenbraue in ihrem Gesicht schnellte noch weiter nach oben, ihr Mund klappte ein Stück auf. »Ist das Euer ernst?«

»Ja.«

Sie schnaubte herablassend, dann schüttelte sie den Kopf und sah zur Seite. »Ich ... Meine Aufgaben bezogen sich ausschließlich auf die Wolllüste der Männer, die mich besessen haben.«

»Ah.« Ich hatte kein Mitleid mit ihr, denn dieses Leben hatte sie stark gemacht, sie würde mich nicht interessieren, wenn sie eine gewöhnliche Frau gewesen wäre. »Sonst nichts? Keine ... Heiler Tätigkeiten?«

Nun sah sie mich neugierig an. »Nein. Wieso?«

Das war schlecht.

»Schon gut«, blockte ich ab und ließ sie einfach stehen. Ihren Blick spürte ich noch lange auf meinem Rücken. Ich fragte mich, ob sie vielleicht Interesse an mir hatte, ein Teil von mir hoffte es. Conni war nicht schlecht, aber ich war ein neunzehnjähriger Mann, der sicher nichts gegen frisches Fleisch hatte.

Derrick kam mir entgegen und setzte an um etwas zu sagen.

»Wir brechen auf. Sofort«, schnitt ich ihm das Wort ab, bevor er mich nerven konnte. Ich ging an ihm vorbei und stampfte auf mein Zelt zu. Ich wusste nicht genau wieso, aber ich war wütend auf ihn und konnte ihn gerade nicht in meiner Nähe ertragen.

Davon abgesehen mussten wir diese verfluchte Hexe finden, ehe die Wunde in meiner Hand mein Ende bedeutete.

Und mein Körper sagte mir, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb.

***

Wir ritten den ganzen Tag. Von Dorf zu Dorf, von Siedlung zu Siedlung. Besuchten Händler, hielten Karawanen auf der Straße an, fragten uns durch Schenken und Bordelle.

Am späten Nachmittag hatte ich die Beschreibung von zehn unterschiedlichen Hexen, die Hälfte davon zu alt, um die zu sein, die ich suchte, und die andere Hälfte sprach von zaubernden Frauen und nicht von einer Hexe. Aber den Unterschied kannten die meisten Leute nicht, sie wussten nicht einmal, dass es einen Unterschied gab.

So möchte ich hier darauf hinweisen, dass eine Hexe eine Hexe war und keine Schamanin, Magierin oder Zauberin, oder wie man Magieanwender sonst noch so nannte. Nein, eine Hexe wendet zwar Magie an, doch ist ihre Magie die einzig echte Magie in unserer Welt, alle anderen benutzen Illusionen, um Schmerzen zuzufügen, deshalb konnten Schamanen und ihre weiblichen Vertreter auch nicht heilen oder Schutzschilder beschwören. Eine Hexe war eine Hexe. Wird eine Frau als Hexe geboren, verliert sie ihre Herkunft, sie ist also weder Mensch noch Elkanasai noch sonst etwas, sondern nur eine Hexe. Und nur eine Hexe konnte heilen, wo Heiler ohne Magie nicht weiterkamen.

Ich war dem Ende nahe, das merkte ich, während wir eine Straße durch den Wald nahmen. Wir ritten langsam auf meinen Befehl hin, doch auch im Schritttempo konnte ich mich kaum im Sattel halten. Ich ritt voran, damit Derrick mich nicht nervte und erkannte, dass etwas nicht mit mir stimmte. Ich wollte und durfte keine Schwäche zeigen, davon abgesehen, hätte es ihn nur in Panik versetzt, wenn er es gewusst hätte, was wiederum mich in Panik versetzt hätte.

Manchmal war es besser, zu schweigen.

An diesem Nachmittag konnte ich gut verstehen, warum Hunde fort gingen um zu sterben, um alleine zu sterben. Ich wollte auch niemanden um mich haben, während ich dahinschied. Ich hatte so einige unschöne Geschichten über das Sterben gehört, vor allem jene Geschichte über die Muskeln, die sich unwillkürlich lösen.

Wenn ich mir vor meinem Tod noch meine Hosen vollkacken musste, wollte ich nun wirklich nicht, dass meine Männer dabei waren ... oder dass ich auf einem Pferd saß.

Mir lief kalter Schweiß über die Stirn, er tropfte von meiner Haut hinunter auf meine Hände, in denen nur locker die Zügel hingen.

Ich sah verschwommen, alles drehte sich, ich schwitzte, obwohl es leicht schneite.

»Mel!« Derrick rief mich nun schon zum dritten Mal, er hörte sich verärgert an.

»Weiter«, murmelte ich kraftlos vor mich hin, immer wieder fielen mir die Augen zu.

Ich hörte meine Männer tuscheln, aber nicht über mich. Sie vermuteten etwas im Gebüsch, sie glaubten, uns verfolge jemand.

Ich sah und hörte jedoch nichts, alles war verschwommen und das lauteste Geräusch war das Rauschen in meinen Ohren.

Mir wurde schlecht, das Fieber rüttelte mich.

»Melecay!«

Ich hielt mein Pferd an, wendete es jedoch nicht.

»Was ist?«, schnauzte ich nach hinten und drehte mich halb zu Derrick um. Die Welt drehte sich noch mehr.

Er wurde aschfahl, als er mein Gesicht sah. »Melecay, du ... Nein!«

Das Bild vor meinen Augen kippte zur Seite, ich fiel aus dem Sattel, doch ich war nicht mehr allein. Etwas lag auf mir, hatte mich von meinem Pferd gerissen.

Ich versuchte, mich zu wehren, und zog einen Dolch.

Chaos brach aus, ich hörte die Hufte der Pferde und die Rufe meiner Männer nahen, Derrick schrie nach mir, dann hörte ich ihn plötzlich abbrechen.

Janek schrie: »Nein!«

Geäst brach, knackte laut.

Lazlo schrie: »Assassinen!«

Meine Hände waren zu schwach für den Dolchgriff, ich verlor ihn, als ich nach der vermummten Gestalt stechen wollte, die rittlings auf mir saß, dabei schnitt die Klinge aber in die Handinnenfläche der Gestalt.

»Verdammt«, hörte ich eine melodische Stimme hinter dickem Leder gedämpft fluchen.

Ich hatte das Gefühl, das mich der Angreifer nicht töten wollte, denn er hatte keine Waffe in der Hand und in meinem Zustand hätte mich ein Gegner längst ermordet, wenn er es denn gewollt hätte.

Meine Handgelenke wurden umfasst, ich starrte wütend zu der Gestalt auf und sammelte meine letzten Kraftreserven um ihm meine Stirn in das vermummte Gesicht zu rammen.

Aber dann roch ich es und konnte mich nicht mehr rühren.

Große Augen starrten durch die einzigen Öffnungen der ledernen Kopfbedeckung. Kristallene Augen. Tiefe Augen. Mit dichten schwarzen Wimpern umrandete Augen. Unschuldige Augen.

Meine Männer kämpften, ich konnte Stahl auf Stahl schlagen und wilde Flüche hören, aber sehen und riechen konnte ich nur das, was über mir kauerte und ebenso reglos auf mich hinab starrte.

Da riss plötzlich etwas die zierliche Person von mir herunter und ich fühlte mich, als habe man mich aus einem lieblichen Traum geweckt, indem man mir einen Stein an den Kopf warf.

Ich wollte aufstehen, doch es war, als hielten mich Nägel am Boden fest. Mein Kopf rollte zur Seite, ich sah Janek, der mit der vermummten Gestalt kämpfte, die zuvor auf mir gesessen hatte.

»Ashkii, nieet!«, zischte Janek in einem seltsamen Akzent, und rollte sich auf den Angreifer, nagelte ihn am Boden fest. »Nieet!«, wiederholte er, das Wort klang aus seinem Mund gedehnt aber irgendwie ... warm, sinnlich.

Ich hatte das Gefühl, das die beiden sich kannten.

Pferde galoppierten an mir vorbei, trampelten mich fast tot.

»Ihnen nach!«, schrie Derrick mit der Lautstärke und dem herrischen Tonfall eines Befehlshabers. »Lasst diese miesen Bastarde keinesfalls entkommen!«

Und meine Männer folgten den in die Flucht geschlagenen Assassinen.

Ich war mir nicht sicher, ob ich lebte oder nicht.

Derrick stampfte an mir vorbei, vermutlich war er sich auch nicht sicher. Das Schwert noch in der Hand, frisches Blut tropfte von der scharfen Klinge, trat Derrick Janek von der anderen Gestalt runter.

Janek landete auf den Ellebogen, rappelte sich aber schnell wieder auf und eilte zurück um sich zwischen Derrick und die Gestalt zu werfen.

»Nein, nicht! Er ist mein Bruder!«, rief Janek.

Ich versuchte, mich aufzustützen und starrte fassungslos zu ihnen rüber. Derrick machte keinen Unterschied, er wollte beide töten.

»Derrick!«, schrie ich gerade noch rechtzeitig.

Derrick hielt inne.

Als er mich sah, senkte er die erhobene Klinge und klappte den Mund auf. »Melecay!«

Dann stand es so schlimm um mich?

Er rannte zu mir, überließ Janek und seinen Bruder Egid und Corin, die die beiden wie Gefangene festhielten. Egid riss Janeks Bruder das Leder vom Kopf. Ich sah nur verschwommen das zarte Gesicht darunter und die längeren, dunklen Haare, die bis zu den schmalen Kiefern reichten.

Sie wehrten sich nicht, kluge Jungs!

Derrick schmiss sich neben mir auf die Knie, seine Hand stützte meinen Kopf. Unter anderen Umständen hätte ich ihn von mir geschubst, doch ich war zu schwach für Stolz und ließ zu, dass er mich stützte, da ich aus eigener Kraft nicht länger den Kopf oben halten konnte.

Derricks Blick suchte meinen Körper ab. »Er muss dich verletzt haben. Du schwitzt. Ist bestimmt das Gift von ihren Waffen.«

»Ich habe ihn nicht verletzt!«, protestierte Janeks Bruder. Seine Stimme klang weit entfernt, obwohl er nah stand. Sie war wie lieblicher Vogelgesang. Ich musste lächeln.

»Mel?«, hauchte Derrick besorgt.

Ich schluckte, bevor ich sprach. »Es stimmt, hat er nicht.«

»Mel?« Diesmal klang Derrick irritiert.

»Die Wunde ...« Ich hob meine linke Hand, mehr musste ich nicht tun.

Derrick riss mir den Lederhandschuh vom Arm und wurde bleich.

Ich hörte auch die anderen nach Luft schnappen.

»Blutvergiftung.« Es war Janeks Bruder, der sprach. Ich konnte sehen, wie ihn alle verständnislos ansahen.

»So nennen wir das«, erklärte Janek für ihn.

Derrick starrte wieder zu mir hinab. »Du dummer Idiot!«

Ich grinste verschmitzt: »Ich hab dich auch gern, mein Bruder.«

Derricks Lippen wurden dünn. »Warum hast du nichts gesagt?«

»Hoffte ... die Hexe ...« Ich war zu schwach zum Reden.

Derrick nickte, er hatte verstanden.

»Wir brauchen einen Heiler!« Derrick sprach in die Runde. »Kostja, reite voraus und such das nächste Dorf nach einem ab.«

»Ihr braucht Medizin und keinen Stümper!«, mischte sich Janeks Bruder erneut ein.

Mir gefiel, dass er trotz seiner Lage sein Mundwerk nicht verlor, obwohl Egid ihm immer wieder einen harten Stoß versetzte, wenn er es wagte, zu sprechen.

Ich lächelte Derrick an. »Er riecht wie eine Sommerwiese voller Blumen, weißt du?«

Derricks Kopf flog zu mir herum. »Was?«

Er glaubte wohl, ich wäre schon im Delirium. Was ich vermutlich auch wirklich war, denn ansonsten hätte ich niemals so einen Unsinn von mir gegeben.

»Lass ihn sprechen«, bat ich Derrick, weil ich wissen wollte, was er zu sagen hatte.

Derrick war nicht glücklich mit meiner Entscheidung, doch er nickte Janeks Bruder bestätigend zu.

»Besorgt mir einen Händler für Zauberzutaten, für seltene Kräuter, ich kann ihn heilen.«

Meine Männer lachten böse.

»Nein, er kann das wirklich!«, warf Janek verzweifelt ein.

»Ich vertraue das Leben unseres Prinzen keinem Assassinen aus Elkanasai an!«, zischte Derrick. »Vor allem nicht, wenn er gerade versucht hat, uns zu töten.«

»Ich habe die Assassinen vor Tagen verlassen, um meinen Bruder zu suchen und zu befreien. Ich hatte keine Ahnung, dass sie mir folgen und zuschlagen würden, sobald ich meinen Bruder gefunden habe.«

»Dann seid Ihr eben ein Deserteur und ein schlechter noch dazu, aber trotzdem-«

»Assassinen haben besonderes Kräuterwissen«, warf ich ein und unterbrach damit jegliche Diskussion.

Assassinen kämpfen mit Gift, manchmal vergiften sie sich bei kleinen Unfällen selbst, sie sind lange auf Reisen, haben keine Magie oder Heiler, ihr Wissen über heilende Kräuter ist daher einzigartig. Wenn sie Vergiftungen stoppen können, konnte ein Assassine vielleicht mein verdorbenes Blut heilen.

Derrick sah auf mich hinab. »Mel, das ist nicht dein Ernst!«

»Tu, was er sagt«, befahl ich. »Lass ihn leben. Soll er mich retten ...«, ich sah dem Fremden direkt in die kristallenen Augen, »oder sterben, wenn er versagt.«

Derrick rang mit sich selbst.

Schließlich hatte er aber keine andere Wahl, als meinem Befehl Folge zu leisten.

Janek atmete erleichtert auf.

»Ich danke Euch«, sagte er zu mir. »Mein Bruder wird Euch rettet, ich verspreche es Euch.«

Derrick starrte grimmig in meine Augen, es gab vieles, das er mir an den Kopf werfen wollte, das sah ich in dem Feuer seiner silbernen Augen. Doch er ließ es.

Stattdessen fragte er mich nur vollkommen verständnislos: »Wieso vertraust du einem spitzohrigen Bastard?«

»Er riecht wie die Blüten aus den Blumenzwiebeln im Garten meiner Mutter.« Ich begann bei der Erinnerung an den Duft zu lächeln, dann wurde mir schwarz vor Augen.

Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen

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