Читать книгу Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen - Billy Remie - Страница 9
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ОглавлениеMagie kann in den unwahrscheinlichsten Dingen innewohnen, wenn man nur genug Fantasie hat, um das Besondere im Gewöhnlichen zu sehen.
»Das ist Wahnsinn! Und das weißt du auch!«
Ich zerrte die Riemen der grüngelben Rüstung zu, die ich einem toten Elkanasai abgenommen hatte. »Ach, Derrick, er hat nichts dagegen, er benötigt sie ja nicht mehr.« Ich nickte auf den Toten, der nun nur in Unterkleidern auf dem blutgetränkten Boden lag.
Derrick ließ genervt seine breiten Schultern sinken. »Deine blöden Scherzen sind mehr als fehl am Platz.«
Derricks vorwurfsvoller Ton gefiel mir nicht, ich ignorierte ihn jedoch, statt ihn zurechtzuweisen. – ich ließ Derrick, im Gegensatz zu allen anderen, sehr viel durchgehen. Es war meine stumme Art zu zeigen, dass ich in gewisser Weise Dankbar für seine unermüdliche Loyalität war, obwohl er meine Entschlüsse oft anzweifelt und wir gelegentlich verschiedene Definitionen von Recht und Unrecht hatten.
Lächelnd wandte ich mich ab, doch er folgte mir zum Tor.
»Ein Reitertrupp würde ihre Reihen sprengen, findest du nicht?«, sagte ich über die Schulter zu ihm. »Wer ist besser zu Pferd als du?«
»Lass uns einfach verschwinden!«, sprach er auf mich ein.
Ich hätte mich beinahe geschmeichelt gefühlt, weil er sich so sehr um mich sorgte, wäre ich mir nicht unsicher gewesen, ob er Angst um meine Person hatte oder ob sich seine Furcht nur darauf bezog, das mit mir auch ein wichtiger Teil Carapuhrs sterben würde.
»Schleichen wir uns raus, nehmen sie unsere Spur auf. Die Hufe unserer Pferde werden noch Tagelang im schlammigen Boden zu sehen sein. Sie holen uns ein und töten uns«, warf ich ein und drehte mich wieder zu ihm um, diesmal mit einem strengen Blick.
»Locken wir sie in den Wald und überraschen sie dort mit unseren Armbrustschützen«, schlug Derrick vor.
Es ärgerte mich, dass seine Idee auch noch gut war und ich nicht selbst darauf gekommen bin. Weshalb ich an meinem Vorhaben festhielt. »Es endet hier.«
»Wieso?« Derrick klang gleichzeitig wütend und ängstlich, eine bizarre Kombination, wenn man mich fragte.
»Weil die Menschen in diesem Dorf wissen sollen, das ich sie rette!«, zischte ich ihn an.
Derricks Lippen wurden dünn. »Es geht nur um deinen Stolz. – Ich fürchte um dein Leben, Namenloser, wenn du nicht lernst, deinen Stolz hinter dein Überleben zu stellen!«
»Jemand muss für Ablenkung sorgen, während die anderen rausschleichen«, erwiderte ich ausweichend und wandte mich ab. Damit war die Diskussion für mich beendet.
Derrick rieb sich verzweifelt die Stirn, aber er kannte mich und wusste, dass es sinnlos war.
Stolz würde eines Tages mein Tod sein, ich wusste das ebenso wie Derrick. Aber nicht an diesem Tag! Mein Stolz würde es nicht zulassen, dass ich draufging noch bevor Carapuhr meinen Namen flüsterte als sei ich ein göttliches Wesen.
»Warum du?«, fragte Derrick und warf einen hasserfüllten Blick auf Janek, der sich ebenfalls eine Rüstung anlegte. »Und er?«
Mit Blick auf die Türen, wo mittlerweile die Soldaten mit vereinten Kräften versuchten, einzudringen, sagte ich wie zu mir selbst, obwohl auch Derrick mich hören konnte: »Sie sollen ihren Retter sehen ... und vor ihm erzittern.«
Derricks Hand packte meinen Arm und drehte mich ein Stück zu sich zum.
Ich starrte ihm entgegen, und egal was er mir hatte sagen wollen, es verlor sich in jenem Augenblick als wir uns in die Augen sahen und er meine Entschlossenheit erkannte.
Er atmete unglücklich aus und musste sich sichtlich von meinem Anblick losreisen. Ich sah ihm nach, als er mit meinen Männern das Gebäude durch eine Geheimtür verließ, die in einen Fluchttunnel führte. Wir konnten alle nur hoffen, dass Janek sie nicht in eine Falle laufen ließ.
Ich blieb zurück. Mit Janek. Teils, weil ich befürchtete, im Tunnel würde eine Falle lauern, teils, weil ich mich danach sehnte, meinen Feinden endlich im Kampf entgegen zu treten.
Ich wandte mich dem Tor zu und zog mein Schwert, nachdem Derrick ohne einen weiteren Blick verschwunden war, die Tür zum Tunnel blieb offen.
Janek trat neben mich. Er passte mit seinem drahtigen, kleinen Körper besser in die Soldanrüstung der Elkanasai als ich mit meiner großen und muskulösen Barbarengestalt.
Mit neunzehn Jahren war ich noch nicht ausgewachsen und überragte bereits jetzt schon Derrick, der alles andere als klein war. Manolo der Berg wurde früher auch Manolo der Siebenfuß genannt, weil er sieben Fuß hoch war, mittlerweile hatte ich Manolo fast eingeholt. Meinem allmächtigen Gott sei dank, war ich aber nicht so fett wie er.
Mit dem Blick auf die Türen, deren Holzlatten langsam nachgaben und deren Splittern das Rammen gegen die Tür übertönte, sagte ich drohend: »Sollte dies hier eine Falle sein, werde ich dich töten.«
Janek erwiderte ruhig: »Wenn es keine Falle ist, schuldet Ihr mir etwas.«
Ich schnaubte herablassend. »Ich schulde niemanden etwas ... außer mir selbst, vielleicht.«
Lächelnd legte Janek einen Pfeil in den Bogen. »Überlebe ich das hier, schulde ich Euch nicht nur mein Leben, wisst Ihr?«
Gib einem Mann die Möglichkeit, Rache zu nehmen, und du hast seine lebenslange Treue inne. Dieser Satz stammt von mir, eine Weisheit, die ich selbst erkannt hatte und deren Wahrheit von den Männern unterstrichen wurde, die mir zur Seite standen, obwohl ich ein ziemliches Arschloch sein konnte.
»Wir sind zu zweit«, sagte Janek mit einem nervösen Blick auf mich. »Und sie zu hundert.«
Ich umfasste den Griff meines Schwerts mit beiden Händen und richtete die Spitze meiner silbernen Klinge auf die Tür. »Fürchtest du den Tod?«
»Nur das Sterben, Herr«, antwortete Janek.
Unwillkürlich zuckte mein Blick kurz zur Seite auf den nervösen Elkanasai, er zappelte, doch der Bogen in seinen Händen schien so unbeweglich wie die Mauern, die uns umgaben. Ich rechnete es ihm wirklich hoch an, dass er mich ›Herr‹ nannte, das gefiel mir.
Janek hatte keine andere Wahl gehabt, als mit mir hier zu bleiben, denn ich hatte es so beschlossen. Wenn er vorhatte, mir in den Rücken zu fallen, um sich wieder die Gunst seiner Landsleute zu sichern, wollte ich ihn lieber nicht aus den Augen lassen. Natürlich traute ich es Derrick zu, dass er einen Verräter rechtzeitig erkannte und unschädlich machte, aber ich riskierte nicht das Leben meines besten Mannes ... Nun ja, jedenfalls nicht solange es keinen höheren Nutzen hatte. Ich brauchte Derrick dort draußen, denn ihm konnte ich vertrauen. Allerdings hatte Janek trotz meines Plans keine Einwände erhoben, als ich verkündet hatte, dass er bei mir bleiben würde, während die anderen in Sicherheit flohen. Ein weiterer Aspekt, der dazu führte, dass ich eine gewisse ... nennen wir es mal Sympathie für ihn entwickelte.
Als die erste Holzlatte brach und ich den ersten aufblitzenden Metallhelm durch das Loch erspähen konnte, nickte ich Janek kurz zu.
Der junge Elkanasai spannte den Bogen und zielte. Der kurz darauf abgefeuerte Pfeil traf einen Soldaten durch das Loch mitten ins Auge. Janek legte einen zweiten Pfeil ein.
Ein weiteres Loch. Ein weiterer Pfeil.
So dezimierte Janek für mich fünf, vielleicht sechs oder sogar sieben Soldaten, bis die Hohlköpfe hinter der Tür endlich die Visiere ihrer Helme herunterklappten. Ich stand währenddessen recht gelangweilt da und stützte mich auf mein unbenutztes Schwert, nachdem mir bewusstgeworden war, dass dieses Spektakel noch etwas andauern würde ...
Doch dann brach die Tür. Nicht gänzlich, aber ein Teil gab nach und eine Flut Soldaten wurde regelrecht in den Raum gespült, als habe man mit einer Axt eine Spalte in ein Bierfass geschlagen.
»Es sind zu viele!« Janek schüttelte den Kopf, feuerte aber brav weiter Pfeile ab. Er wich langsam zurück, während ich vollkommen ruhig dastand.
Die vorderste Front der Soldaten wurde von den hinteren niedergedrückt, die mit Eile in den Raum stürzten. Ich hörte, wie sie in ihrer Sprache, die ich nicht richtig verstehen konnte, riefen und brüllten. Vermutlich verkündeten sie gerade, dass ihr netter Anführer und einige ihrer Waffenbrüder ermordet worden waren. Oder aber, was wahrscheinlicher war, sie brüllten mir in ihrer Sprache Beleidigungen entgegen. Schwer zu sagen, immerhin waren all ihre Gesichter hinter Helmen verborgen, ich sah nur glänzende Rüstungen, die mit gelben und grünen Stoffen verziert waren.
»Namenloser!«, rief Janek, als ich mich noch immer nicht rührte. »Herr?«
Im letzten Moment packte ich mein Schwert, doch ich musste gar nicht viel tun, denn der erste Mann lief regelrecht in meine Klinge, als habe er sich nur zu gerne in den Tod stürzen wollen. Ein tragischer aber nicht seltener Unfall unter zu eifrigen Soldaten, die keine Rücksicht auf ihre Vordermänner nahmen und sie geradezu in das Schwert des Feindes rennen ließen. Meine Klinge aus scharfem Silber durchbohrte die einfache Rüstung ohne viel Kraftaufwand meinerseits. Ich stach sie dem Soldaten in den Bauch und sie kam mit einer Blutfontäne zum Rücken wieder raus.
Ich ließ das Schwert stecken und benutzte den schlaffen Körper als Schutzschild, obwohl mich dessen Gewicht fast in die Knie zwang.
Ich stemmte mich gegen den Körper, viele Männer rannten gegen mich und ich verwandelte mich zusammen mit der Leiche in einen Rammbock. Mit zusammengepressten Zähnen stemmte ich mich gegen den schlaffen Körper, meine Füße drohten auf dem dreckigen Boden wegzurutschen, aber schließlich gelang es mir, meine Angreifer zurück zu drängen. Mein Schwert, dessen Spitze herausragte, nahm weitere Opfer, ich sah nicht, wie viele, ich bemerkte nur das Blut auf dem Boden, das mich beinahe ausrutschen ließ.
Mit einem Ruck warf ich die Leiche von mir und zog mein Schwert wieder hervor. Einige Angreifer vielen rückwärts zu Boden und rissen andere Männer mit sich.
Ich ließ sie liegen, da ich mich gegen weitere Soldaten zur Wehr setzen musste. Meine Hände schwangen mein Schwert gekonnt, Derrick selbst hatte mich im Schwertkampf trainiert, und ich war nicht schlecht, wie er so schön sagte. Ich würde nie behaupten, dass ich hervorragend oder auch nur gut sei, aber ›nicht schlecht‹ traf es mittlerweile ganz gut.
Meine Stärke war auch nicht meine Geschicklichkeit, obwohl davon reichlich vorhanden war, sondern Zorn. Zorn war etwas Seltsames. Es befällt mich wie eine Krankheit und verwandelt alle meine Handlungen in unbegreifliche Brutalität.
Auch in jenem Moment, als ich mit jemanden kämpfte und mir von einem am Boden liegendem und bereits dem Tode geweihten Soldaten ein Dolch in die Wade gerammt wurde.
Ich brüllte auf. Vor Schmerz. Vor Zorn.
Der Angreifer wollte seine Chance nutzen und zielte mit seinem Schwert auf meinen Hals, wohl um mir den Kopf abzuschlagen. Obwohl ich aus dem Gleichgewicht gekommen war, konnte ich seinen Hieb gerade noch rechtzeitig abwehren, verlor aber deshalb meine Klinge. Der Soldat hob erneut sein Schwert, doch dann traf ihn ein Pfeil, mitten durch die winzige Schwachstelle am Hals. Er gurgelte und fiel auf die Knie, Blut spritzte aus seiner Wunde, in der noch der Pfeil steckte.
Und glaubt mir, ich übertreibe nicht. Trifft man die richtige Stelle, spritz das Blut mit einer Kraft hervor, die einem unwirklich erscheint.
Ich bückte mich nach meinem Schwert und drehte mich zu dem Mann am Boden um. In jenem Moment öffnete sich der Käfig in mir. Anders kann ich dieses Gefühl nicht beschreiben. Ich sah den halbtoten Mann am Boden liegen und ärgerte mich darüber, dass er mich verletzt hatte. Dieser halbtote Mann, dieser Niemand, hatte mich verletzen können! Ergriffen von dieser Wut war ich nicht mehr im Stande, mich selbst zurückzuhalten. Ich weiß nicht, ob es anderen auch manchmal so geht, ich weiß nur, dass es mir oft passiert. Der metaphorische Käfig, den ich bereits erwähnt hatte, war das Sinnbild meines inneren Zorns, der immer da war. Doch ich hatte es gut unter Kontrolle, meine Wutausbrüche, auch wenn der Zorn gelegentlich seine Hände und Arme durch die Gitter des Käfigs streckte und nach mir fasste, ich konnte ihn immer wieder zurückhalten. Jedoch geschah es manchmal, dass die Tür aufsprengte und der Zorn herauskam. Wie ein Dämon, oder wie eine Krankheit, die in wenigen Augenblicke von mir besitz ergriff. Ich spürte die Wut in meinem Inneren wie zähflüssigen Honig. Es war ein warmes Gefühl, ein seltsam warmes Gefühl.
Statt den halbtoten Mann am Boden mit meiner Klinge sauber zu töten, nahm ich meinen Schwertknauf um ihm damit den Schädel einzuschlagen. Blut und Knochensplitter flogen mir ins Gesicht, während meine vom Zorn verzerrte Fratze ein makaberes Bild abgab.
Ich konnte nicht aufhören, obwohl in meinem Kopf noch dieser klare Gedanke war, der wusste, dass ich eine Grenze überschritt. Aber es war längst zu spät, ich war meinem Zorn ausgeliefert und mein Körper war nur noch ein Werkzeug meiner Wut, während mein Verstand fassungsloser Zuschauer sein musste.
Ich erhob mich und rannte in die Meute rein, die durch die eingeschlagene Tür kam.
»Namenloser!«, hörte ich Janek entsetzt schreien, doch er klang für mich sehr weit entfernt.
Ich sah rot. Nicht nur wegen des vielen Blutes, das aus den Körpern jener Männer spitzte, die meinem Schwert und meiner Wut zum Opfer fielen.
Ich weiß nicht, wie viele ich niederschlug, regelrecht abmetzelte. Viele. Aber nicht genug.
Janek rief, ich konnte ihn hören, aber ich hörte nicht auf ihn.
Wut macht dumm, denn ich konnte das unmöglich gewinnen. Auf jeden einzelnen Mann, den ich niederstreckte, folgten fünf weitere. Es nahm kein Ende und trotz des Zorns in mir konnte ich bereits die Erschöpfung in meinen Armen spüren.
Ich wäre längst tot, hätten Janeks Pfeile mir nicht in diesem Raum unendliche Male das Leben gerettet.
Meine Feinde umzingelten mich, fast wie Wasser. Ohne Luft dazwischen. Doch aufhören und fliehen wollte ich nicht. Noch immer konnte ich mich nicht beherrschen, mittlerweile war ich von oben bis unten voll mit fremdem Blut. Vielleicht auch einwenig von meinem eigenen Blut, ich hatte jedenfalls genug Schmerzen um einige Wunden am Leib zu tragen. Mein blondes Haar war verklebt mit roter Flüssigkeit, die schnell einzutrocknen begann.
Ich war bereits völlig erschöpft, als mich plötzlich Arme von hinten umschlangen und wegzerrten.
»Wir müssen hier weg!«, brüllte Janek, während er mich fortschleifte.
Erst wehrte ich mich, weil ich noch mehr Elkanasai niedermetzeln wollte, mein Hunger nach Rache und Blut war noch lange nicht gestillt.
Doch ich besann mich, dass hier weder der Ort noch die richtige Zeit dafür war.
Also drehte ich mich um und befreite mich damit aus Janeks Griff, ich übernahm die Führung und wir eilten aus dem Tunnel, immer darauf achtend, dass unsere Verfolger uns nicht aus den Augen verloren.
***
Der Tunnel führte aus dem Boden heraus zu einem Ausgang hinter einem Felsen an einem Waldrand.
Ich kletterte hervor – oder besser gesagt, kroch ich hervor und zog mich mit letzter Kraft aus dem Loch – und holte keuchend Luft.
»Ihr seid vollkommen wahnsinnig!«, sagte Janek ebenso atemlos hinter mir. Es klang nicht nach einem Vorwurf, ehe klang es nach Bewunderung. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen als ich ihn ansah.
»Merk dir das gut«, erwiderte ich. Es war sowohl ein gut gemeinter Ratschlag als auch eine ernstzunehmende Drohung.
Wir eilten fort von dem Geheimausgang, als wir die Elkanasai hinter uns hörten.
»Stopp!« Mitten auf einer Wiese blieb ich stehen und drehte mich um.
Janek tat es mir gleich und spannte den Bogen. Viele Pfeile hatte er nicht mehr. Aber wenn ich sie in der Halle nur lange genug hatte aufhalten können, würde er sie auch nicht mehr benötigen.
Erst kamen sie vereinzelt aus dem Waldrand hervor, doch sie waren nicht dumm, sie formierten sich neu, ehe sie uns angreifen wollten.
Dann kamen sie. Eine Wand aus Soldaten, ein Meer, das die Wiese überflutete und unaufhaltsam auf uns zuraste. Hier draußen würden sie mich und Janek einfach überrennen, die enge des Gebäudes war zuvor unser Vorteil gewesen, auf den wir nun nicht mehr zurückgreifen konnten.
Janek zappelte nervös neben mir.
Ich starrte die Reihen an, die mit gezogenen Schwertern und Speeren auf uns zueilten, Schilde blitzten im Sonnenschein, der durch die dicken Schneewolken am Himmel brach, und Kriegsgeschrei wehte zu mir hinüber.
»Komm schon«, flüsterte ich vor mich hin, als sagte ich ein Gebet auf. »Na komm schon!« Immer tiefer versanken meine Schuhe im aufgeweichten Boden, es stank nach Dung auf dieser Wiese. Bald würde es auch nach Tod riechen.
Und dann hörte ich sie. Die Hufe. Schwere Hufe starker Pferde, die mit donnerndem Galopp hinter uns auftauchten.
Ich drehte mich um und sah Derrick an der Spitze. In V-Formation flogen sie heran wie ein Gewittersturm, und auch eben so laut. Derrick zog sein Schwert und streckte es mit einem Brüllen in die Luft. Meine Männer, meine Brüder stimmten in den Kampfschrei mit ein.
Janek atmete neben mir fassungslos aus. »Ich dachte, ihr währt nur eine Handvoll Söldner.
»Siebenundsiebzig sind doch nicht viel«, gab ich bescheiden zurück. In Wahrheit hätte ich gerne sehr viel mehr Männer gehabt. Wir waren einst auch zahlreicher gewesen, doch das Leben in Carapuhr war hart. Ich konnte meine Brüder nicht so schnell ersetzen wie sie manchmal fielen. Zumal ich nicht jedem dahergelaufenen Anwärter einfach so aufnahm.
Der Sog des Windes, der von den Pferden verursacht wurde, riss mich fast von den Beinen als sie im vollen Galopp ziemlich knapp an mir vorbeirannten.
Ich folgte Derrick und meinen Brüdern um mich erneut ins Getümmel zu stürzen.
Es war nun einfacher zu kämpfen, denn ich hatte mehr Platz und musste mich nicht allein gegen fünf, sechs Angreifer stellen.
Ein Schwerthieb hier, ein Hieb dort. Eine Pirouette, als würde ich tanzen, eine X in der Luft, um zwei Angreifer gleichzeitig zu verletzen. Ducken, austeilen, abrollen, ausweichen. Alles schon mal getan, alles nichts Neues. Und doch ging ich bedachter vor als in der Halle. Vielleicht weil ich nicht riskieren wollte, einen meiner Männer in meinem Wahn zu verletzen.
Wir hatten die Meute schon fast ausgelöscht, als ich während des Kampfes Janek beobachtete, der sich nervös umsah, als wollte er schnell fliehen.
Ich erstach einen Elkanasai und trat einen weiteren direkt in Lazlos Klinge.
Neugierig warf ich wieder einen Blick zu Janek, doch da war er schon verschwunden.
Es kitzelte mich im Nacken. Hatte ich mich in ihm getäuscht?
Wut auf mich selbst flammte auf, ich wurde langsam nachsichtig ... oder einfach zu gutgläubig.
Wo war Janek hin?
Nach kurzem Umsehen fand ich ihn auf den Wald zueilen, wieder in Richtung des Dorfes.
Einem Instinkt folgend, rannte ich ihm nach.
»Warte! Bruder, nein!«, reif mir Derrick vergebens nach.
***
Ich holte Janek im belagerten Dorf ein. Dort war es nicht sicher, denn uns waren nicht gänzlich alle Soldaten gefolgt, einige wollten das Dorf schützen.
Janek rannte durch das Tor, er nahm mir etwas Arbeit ab, als er zwei seiner Leute mit dem Dolch erstach.
Ich stockte, wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Warum rannte Janek zurück zum Dorf, wenn er sich nicht wieder seinen Leuten anschließen wollte? Möglicherweise wollte er einfach nur alle abmetzeln.
So musste es sein!
Ich zuckte mit den Schultern und folgte ihm zu den Gebäuden. Hinter mir konnte ich bereits wieder Pferdehufe hören, die über matschigen Boden heran geeilt kamen. Es waren nicht alle meine Brüder, Derrick hatte nur eine Handvoll dabei um mir zu folgen.
»Namenloser!«, rief Derrick.
Ich drehte mich zu den herannahenden Reitern um und rief ihm entgegen: »Nehmt das Dorf ein, wir treffen uns am Südtor!«
»Warte!«
Aber ich wartete nicht.
Janek zu verfolgen war nicht einfach. Ein Elkanasai war flink, wie eine Maus. Manchmal bemerkte man sie gar nicht.
Bei mir sah das jedoch anders aus. Ich als großer Barbar wurde schnell erkannt, wo Janek unbemerkt hindurch huschen konnte.
Also kämpfte ich, während ich Janek nachrief, und ließ hinter mir eine Spur aus blutigen Leichen zurück. Derrick würde ihnen ohne Zweifel folgen wie ein Huhn verstreuten Brotkrumen.
»Janek!«, reif ich sauer, weil ich ihn aus den Augen verloren hatte.
An einer Kreuzung fand ich ihn jedoch wieder und ich rannte ihm durch eine Gasse nach. Nur um dann festzustellen, dass er gehetzt zu den Ställen lief.
Es roch nach nassem Heu, Pferden und Ziegen, je näher ich kam. Das Scheunentor wankte noch in den Scharnieren, nachdem Janek wie ein Windzug hindurchgefegt war.
Ich packte die quietschende Tür aus grauem, morschem Holz, weil mir das schrille, lang gezogene Geräusch von aufeinander reibenden Scharnieren noch heute einen Schauer über den Rücken schickte. Es klang wie der Todesschrei von Kindern und Frauen ...
Ich schüttelte mich, wollte nicht daran denken, und ging in die Scheune.
Ich fand Janek am Boden hockend mit dem Rücken zu mir und legte ihm die Spitze meiner Klinge auf den Rücken.
»Es tut mir leid«, flüsterte Janek, ohne mich anzusehen. »Ich wollte Euch nicht in Gefahr bringen, deshalb ging ich allein.«
»Du sahst, dass ich dir nachrannte«, warf ich ihm ruhig aber schneidend vor. »Du hättest einfach stehen bleiben sollen.«
»Ich musste schnell nach ihr sehen«, erklärte sich Janek und richtete sich etwas auf.
Erst jetzt bemerkte ich das Wesen, das er im Arm hielt.
Irritiert zog ich eine Augenbraue hoch, ich glaube, ich hatte in meinem ganzen Leben nie wieder einen solch blöden Gesichtsausdruck wie in diesem Moment.
Mit traurigen Augen und herabhängenden Mundwinkeln sagte Janek: »Sie haben sie mir weggenommen, als sie mich anklagten. Ich wusste nicht, ob sie noch lebt ... ich musste einfach nachsehen.«
Mein Mund klappte auf, ich dachte, er würde scherzen.
Hörte man sich lediglich Janeks Worte an, hätte man die Vermutung haben können, er spräche von einer Frau, vielleicht von einem Mädchen. Seiner Tochter? Möglicherweise glaubt man sogar, er spräche von einem Hund, einer Katze ... ich hätte ein Pferd für wahrscheinlicher gehalten als das, was er tatsächlich liebevoll im Arm hielt.
»Das ist eine Ziege«, sagte ich plump.
Janek blinzelte zu mir auf. »Ja.«
Ich atmete aus und steckte mein Schwert ein. »Steh auf.«
Janek schluckte schwer, tat aber sogleich, was ich verlangte.
Mit eingezogenem Kopf stand er vor mir. Seine Haltung, sein flehender Blick, beides erinnerte mich stark an meinen kleinen Bruder Haakon. Ich ertrug es fast nicht, Janek weiter anzusehen.
Die schwarze Ziege stand auf ihren winzigen Beinen neben ihm, ein Strick lag locker um ihren Hals, mit dem sie an einem Holzpfahl gebunden war.
»Eine wirklich kleine Ziege«, stellte ich zudem noch abschätzig fest. Sie würde nicht einmal ein gutes Abendessen abgegeben.
»Sie ist etwas Besonderes«, erklärte Janek.
Ich nickte sarkastisch. »Das muss sie ja wohl sein, wenn du dein und insbesondere mein Leben für sie riskierst.«
»Ich wollte nicht, dass Ihr mir folgt«, wiederholte Janek. Und nun sah er mir entschlossen entgegen.
Wahrlich, mir war es ein Rätsel, wie ein Mann derart an einer Ziege hängen konnte.
»Sie ist eine Zwergziege«, erklärte Janek, obwohl ich nicht gefragt hatte. Er klang, als wollte er mich unbedingt davon überzeugen, dass diese Ziege wichtig war.
Mit dem Blick auf sie sprach er weiter: »Ich rettete ihr vor zwei Jahren das Leben, seitdem bringt sie mir Glück.«
Ich runzelte die Stirn. »So einen abergläubischen Unfug hätte ich von meinen Leuten erwartet ... nicht von den Elkanasai.«
»Ich bin kein Elkanasai!« Janek knurrte diese Worte, sah jedoch zu Boden.
Einen Momentlang stand ich da und betrachtete Janek argwöhnisch. Er sah zu seiner Ziege hinab und sie blickte zu ihm auf, es war, als könnte sie ihn verstehen, fast so, als würde sie zu ihm sprechen.
Mir war bis dorthin keine Ziege begegnet die so klein und so unheimlich war.
Ich atmete aus, nachdem ich meinen Entschluss gefasst hatte. »Nun denn, so komm mit. Wenn deine Ziege wirklich Glück bringt, kann ich sie sicher gut gebrauchen.« Ich meinte meine Worte spöttisch, denn statt der Ziege, wollte ich ihn behalten. Er war ein guter Schütze ... und ein Spitzohr unter meinen Brüdern konnte dienlich sein. Noch wusste ich nicht, wie mir seine Abstammung und sein Aussehen vorteilhaft sein könnten, aber ihn mitzunehmen konnte vorerst nicht schaden. Sei es nur um zu verhindern, dass er dem nächsten Elkanasai Trupp Bericht erstatten konnte.
Ich drehte mich auf den Fersen um und ging aus der Scheune.
Draußen verklangen allmählich die Kampfgeräusche. Ich vermisste schon jetzt das Klagengeschrei, die flehende Rufe zu Göttern, das Wimmern, das Jammern, das Weinen. Ich vermisste das Geräusch von scharfem Metall auf scharfem Metall. Oh, ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr ein Kampf mich beflügelte, vor allem wenn er gewonnen worden war.
Ich traf Derrick nicht am Südtor, sondern vor den Toren des Rathauses, wo er gerade seinen letzten Gegner niederstreckte. Er wischte sich mit dem Unterarm Blut und Schweiß von der Oberlippe, das Schwert noch fest in der Hand. Ich ging auf ihn zu, während er über die Leichen stieg, die er selbst hinterlassen hatte.
Er sah mich erst, als ich sprach: »Wie sieht die Lage aus?«
Grimmig sah er mir entgegen, doch trotz seines Gesichtsausdrucks und trotz des Drecks und des Blutes darin, sah er noch immer nervtötend gut aus. – Na ja, vielleicht auch gerade deshalb.
Derrick nickte zu den Gebäuden, in den Straßen lagen viele Leichen und meine Brüder waren gerade dabei, sie zu plündern. Wenn sie damit fertig waren, würden sie sich die Häuser vornehmen; und ich würde sie nicht daran hindern.
»Viele Verletzte«, erklärte Derrick. »Und Tammo ist gefallen.«
Ich nickte gelassen und zuckte anschließend mit den Augenbrauen. »Nun gut, er hat mich ohnehin oft hinterfragt. Wer auch immer ihn auf dem Gewissen hat, hat es mir erspart, ihn selbst zu töten.«
Nachdenklich murmelte Derrick: »Ich frage mich manchmal, ob du das auch über mich denkst.«
»Wäre dem so, wüsstest du es«, erwiderte ich nur und ließ ihn stehen.
Ich mochte es nicht, wenn Derrick sentimental wurde. Ja, wir hatten viel durchlebt, aber deshalb musste ich noch lange nicht mit ihm liebäugeln. Was erwartete er von mir? Das ich ihn anders behandle als meine Brüder? Das tat ich ja schon, aber auf meine Weise. Ich ließ ihm mehr durchgehen als sonst irgendjemanden. Wenn das kein Beweis für meine ... Zuneigung zu ihm war ...
»Meine Brüder!«, rief ich, um meine Gedanken abzubrechen. Von allen Männern, war Derrick einem Blutsbruder am nächsten, aber ich war nicht gut darin, Freundschaften zu pflegen, jedenfalls nicht mit Worten.
Langsam hoben sich die Köpfe der Assgeier, die mit mir reisten und die ich Gefährten nannte, einige kamen herangeeilt, andere stampften missgelaunt in meine Nähe.
Ich positionierte mich auf den Treppenstufen, die zum Ratshaus hinaufführten, damit sie mich alle sehen konnte. Zu meiner Rechten trottete Janek heran, er hatte seiner Ziege den Strick abgenommen und sie lief ihm nun nach als sei sie ein kleiner Welpe.
Ich wandte mich an meine Brüder: »Das war ein hervorragender Sieg, trotz des kleinen Verlustes.«
Sie nickten und brummten zustimmend.
»Aber unsere Reihen sollen nicht kleiner werden«, fuhr ich fort und deutete mit einem ausgestreckten Arm feierlich auf den verdutzten Janek. »Tammo fiel, dafür heißen wir einen neuen Kämpfer willkommen: Janek!«
Sie beäugten ihn, manche desinteressierte, andere neugierig, Lazlo war kritisch und Derrick klappte der Mund auf.
»Spinnst du?«
Mein Kopf flog herum. »Schnauze!«, zischte ich ihn an.
Er wich zurück, doch sein Blick war eine wütende Maske.
Erneut drehte ich mich zu meinen Brüdern: »Heißen wir ihn mit einem Festmahl willkommen! Nehmt die Vorräte dieser Siedlung, macht ein Feuer mit ihren Häusern.«
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen, sie schwärmten mit Wolfsgeheul und Gelächter aus.
Derrick starrte mich an. »Aber ... das sind unsere Leute! Sie sitzen noch in den Wagen der Elkanasai! Du kannst nicht ihre Heimat niederbrennen! Ihre Vorräte stehlen!«
»So lass sie glauben, die Elkanasai haben ihnen alles genommen«, fuhr ich ihn wütend an.
Er war nicht damit einverstanden, doch er widersprach nicht länger.
Ich fügte noch hinzu: »Je großer die Zerstörung, je ehe sind sie vielleicht bereit, unseresgleichen zu folgen.«
»Solange wir nur Söldner sind, wird uns niemand folgen, Namenloser«, sprach er auf mich ein und betonte meinen Spitznamen überdeutlich, als wüsste ich nicht, wer ich war.
Ich nahm seinen Einwand zur Kenntnis, kommentierte ihn aber nicht.
Derrick packte mich am Arm und zog mich zurück als ich gehen und nachsehen wollte, welche Schätze in den Häusern auf mich warteten.
»Du willst ihn doch nicht wirklich aufnehmen, oder?« Derrick nickte an mir vorbei zu Janek.
»Natürlich nicht«, erwiderte ich.
Derrick atmete erleichtert aus.
»Aber die Ziege schon.«
Die Lippen in Derricks beschmutztem Gesicht wurden schmal. »Du bist nicht witzig, mein Bruder.«
»Du hast die Wahl, Derrick.« Meine Stimme wurde zu einem leisen, heißen Flüstern. Ich legte meine Lippen an Derricks Ohr, dessen Körper sich angespannt versteifte, als ich ihm ernstlich zu drohen begann. »Entweder du lernst, mir zu vertrauen, oder du teilst das Schicksal all jener, die den Fehler machten, mich zu unterschätzen.«
»Ich unterschätze dich nicht!« Derrick sah mir gefasst ins Gesicht. »Ich sorge mich um dich, das ist ein Unterschied.«
»Dann sorge dich nicht, mein Bruder.« Ich lächelte ihn wieder gelassen an und legte ihm eine brüderliche Hand auf die Schulter. »Vor allem heute nicht. Lass uns unseren Sieg feiern. Schlagen wir uns den Magen voll, ehe wir zu Menard reiten und ihn schließlich fragen müssen, aus welchem Grund er mir wichtige Informationen vorenthalten hat.«
Eines war sicher, Menard würde es bereuen.